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OGH vom 29.03.2007, 3Ob43/07f

OGH vom 29.03.2007, 3Ob43/07f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Prückner, Hon. Prof. Dr. Sailer, Dr. Jensik und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Mario W*****, geboren am , und mj. Dominik W*****, geboren am , beide *****, beide vertreten durch die Mutter Susanne W*****, ebendort, diese vertreten durch Dr. Walter Mardetschläger, Dr. Peter Mardetschläger und Mag. August Schulz, Rechtsanwälte in Wien, infolge Revisionsrekurses des Vaters Christian W*****, vertreten durch Dr. Karl Haas und Mag. Andreas Friedl, Rechtsanwälte in St. Pölten, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom , GZ 23 R 262/06m-U20, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Neulengbach vom , GZ 1 P 218/05a-U15, abgeändert wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Rekursgerichts wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Text

Begründung:

Die Mutter der beiden ehelich geborenen Kinder beantragte ausgehend von einem behaupteten monatlichen Einkommen des Vaters von 3.000 EUR, diesen zu monatlichen Unterhaltszahlungen für mj. Mario von 570 EUR und für mj. Dominik von 420 EUR zu verpflichten. Der Vater äußerte sich zu der ihm ordnungsgemäß zugestellten Aufforderung iSd § 17 AußStrG nicht innerhalb der ihm gesetzten Frist zu diesem Antrag, weshalb das Erstgericht ihn zur antragsgemäßen Unterhaltsleistung verpflichtete.

Dem gegen diesen Beschluss erhobenen Rekurs des Vaters gab das Rekursgericht nicht Folge, weil er aufgrund seiner Säumnis einen Einwendungsauschluss auf Tatsachenebene hinnehmen müsse. Die rekursgerichtliche Entscheidung wurde dem Vater am zugestellt.

Am stellte er den Antrag auf Herabsetzung der Unterhaltsbeiträge auf 365 EUR für Mario sowie auf 270 EUR für Dominik beginnend mit . Aufgrund der von ihm vorgelegten Gehaltsauskünfte ergebe sich ein gegenüber den Antragsbehauptungen geringeres Einkommen von 2.088,08 EUR monatlich. Diese Einkommensverhältnisse seien auch bereits bei der ersten Entscheidung vorgelegen und lägen auch weiterhin vor.

Die Kinder wendeten ein, dass eine rechtskräftige Entscheidung über den Unterhaltsanspruch vorliege und seitdem keine Änderung der Umstände eingetreten seien.

Das Erstgericht setzte die Unterhaltsverpflichtung des Vaters auf das beantragte Maß herab. Die vorangegangene Entscheidung habe sich nicht an den tatsächlichen Verhältnissen des Unterhaltspflichtigen orientiert, sondern sei aufgrund dessen Säumnis ergangen. Nunmehr sei aber die tatsächliche Leistungsfähigkeit für die zukünftigen Unterhaltsleistungen zu berücksichtigen.

Das Rekursgericht gab dem gegen diese Entscheidung erhobenen Rekurs der Kinder Folge und wies den Herabsetzungsantrag des Vaters ab. Auch Beschlüsse des außerstreitigen Verfahrens erwüchsen in materielle Rechtskraft. Unterhaltsbeschlüsse stünden zwar unter der so genannten Umstandsklausel, weshalb eine wesentliche Änderung der Verhältnisse zu einer Neufestsetzung führe. Dies gelte aber nur für nachträgliche Tatbestandsänderungen und nicht dafür, dass schon der ursprüngliche, bei der Entscheidung zu Grunde gelegte Sachverhalt unrichtig gewesen sei. Eine gegenteilige Auffassung würde auch den Sinn der Säumnisbestimmung des § 17 AußStrG und des Neuerungsverbots des § 49 AußStrG aushebeln.

Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil die Rsp teilweise darauf abstelle, ob dem Gericht die wahren Einkommensverhältnisse bei der Unterhaltsfestsetzung bekannt gewesen seien, und eine Änderung der Verhältnisse auch dann vorliege, wenn neue Tatsachen hervorkommen, die zwar bereits bei der Entscheidung vorlagen, aber dem Gericht erst später bekannt wurden. Eine Rsp des Obersten Gerichtshof zum Verhältnis dieser Rsp zu den §§ 17 und 49 AußStrG liege noch nicht vor.

Der Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig und auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Säumnisvorschrift des § 17 AußStrG gilt zwar nun allgemein im Bereich des Außerstreitgesetzes, entspricht sonst jedoch unverändert dem auf die Wahrung des Wohls von Minderjährigen und Pflegebefohlenen abstellenden § 185 Abs 3 AußStrG 1854, sodass auch die dazu ergangene Rsp grundsätzlich fortzuschreiben ist (9 Ob 36/06v = EvBl 2006/142). Wurde ein Beteiligter nach § 17 AußStrG zur Äußerung aufgefordert und kam er dieser Aufforderung nicht nach, ist es ihm verwehrt, dem Sachverhaltsbild, von dem das Gericht bei seiner Entscheidung ausging, in einem Rekurs neue Tatsachen hinzuzufügen (1 Ob 693/97 = EFSlg XXXV/2 u.v.a., RIS-Justiz RS0006783; Fucik/Kloiber, AußStrG § 17 Rz 4; ggt bei entschuldbarer Fehlleistung Rechberger in Rechberger, AußStrG § 17 Rz 6). Dies bedeutet einen Einwendungsausschluss auf Tatsachenebene, jedoch keine Anerkenntnisfiktion (Rechberger aaO; Fucik/Kloiber aaO § 17 Rz 2; iglS 1 Ob 715/79 = SZ 52/155 = JBl 1980, 382 = EvBl 1980/87 = ÖA 1981, 89 u.v.a. RIS-Justiz RS0006941).

Dem gegenüber entspricht es aber auch stRsp, dass im außerstreitigen Verfahren ergangene Unterhaltsbeschlüsse der materiellen Rechtskraft (nunmehr nach § 43 Abs 1 AußStrG „Verbindlichkeit der Feststellung": Erläut RV AußStrG, 224 BlgNR 22. GP, 45) zugänglich sind (RIS-Justiz RS0107666; zuletzt 7 Ob 293/06y [schon zum geltenden AußStrG]) und nur bei geänderten Verhältnissen abgeändert werden können (RIS-Justiz RS0053297). Geänderte tatsächliche Verhältnisse liegen nach der Rsp aber auch dann vor, wenn bloß neue Umstände hervorgekommen sind, die eine andere Sachlage ergeben, als jene, die der früheren Entscheidung zu Grunde lagen. Dies gilt auch dann, wenn die Tatsachen schon vor der seinerzeitigen Beschlussfassung vorhanden waren, dem Gericht aber unbekannt blieben (3 Ob 535/92 = SZ 65/54 u.a.; RIS-Justiz RS0007145; zuletzt 7 Ob 293/06y; Stabentheiner in Rummel³, § 140 ABGB Rz 15b). Es handelt sich dabei entgegen Gitschthaler (Unterhaltsrecht, Rz 409) nicht bloß um eine inhaltliche Wiederaufnahme des Verfahrens und den Versuch eine Unzulässigkeit der Wiederaufnahme im außerstreitigen Verfahren nach dem früheren AußStrG 1854 abzufedern. Abgesehen davon, dass der Oberste Gerichtshof bereits im Jahr 1998 die analoge Anwendbarkeit der Bestimmungen der ZPO über die Wiederaufnahme des Verfahrens in streitigen Außerstreitsachen bejahte (RIS-Justiz RS0110301), berücksichtigt der Genannte nicht, dass (positive) Unterhaltsentscheidungen in die Zukunft wirken (§ 406 zweiter Satz ZPO), die Unterhaltsbemessung aber (auch im streitigen Verfahren) für diese aber nur bei gleichbleibenden Verhältnissen Rechtskraftwirkung beanspruchen kann, wie bereits dargelegt wurde. Bei geänderten Verhältnissen steht den Parteien im Außerstreitverfahren je nach der Sachlage ein Erhöhungs- oder Herabsetzungsantrag frei (RIS-Justiz RS0047398), zumal auch jede Unterhaltsentscheidung die Umstandsklausel stillschweigend enthält (5 Ob 866/76 u.a.; RIS-Justiz RS0007140 [T3]). Dazu kommt, dass die Rsp die Änderung bei (seiner Ansicht nach bloßen) nova reperta ohnehin nur für die Zeit nach Schaffung des Titels zulässt und damit in Wahrheit nicht bloß dem Gericht bisher unbekannt gebliebene, jedoch schon vorhandene Tatsachen berücksichtigt werden, sondern tatsächlich die nunmehrigen Unterhaltsbemessungsgrundlagen, also neu entstandene, die eben von den Annahmen der Entscheidung für aus deren Sicht zukünftige Unterhaltsperioden abweichen. Das Einkommen entsteht gleichsam für jeden Monat neu. Insofern ändert sich dann auch die Unterhaltsbemessungsgrundlage im Verhältnis zu jenen Zeiträumen, die von der materiellen Rechtskraft erfasst sind (Reischauer, Unterhalt für die Vergangenheit und materielle Rechtskraft, JBl 2000, 421 [426]). Es ist daher nicht von einer Durchbrechung der materiellen Rechtskraft im Wege einer „versteckten Wiederaufnahme" auszugehen. Dazu kommt noch die Unbilligkeit der Bindung an eine inhaltlich unrichtige Entscheidung für unbestimmte Zeit gerade dann, wenn diese auf der Grundlage einseitiger, iSd § 17 AußStrG unwidersprochen gebliebener Behauptungen erging. Dem entsprechend wurde die Rsp zu „dem Gericht unbekannt gebliebenen, aber bereits bei Beschlussfassung vorgelegenen Tatsachen" auch nach In-Kraft-Treten des neuen AußStrG fortgeführt (7 Ob 293/06y).

Nur die vor der Beschlussfassung erster Instanz liegenden Zeiträume, über die bereits bindend abgesprochen wurde, sind demnach von der materiellen Rechtskraft erfasst; insofern wäre die Unterhaltsfestsetzung nur im Wege eines Abänderungsantrags gemäß § 73 AußStrG abänderbar.

Im vorliegenden Fall waren dem Gericht bei der erstgerichtlichen Beschlussfassung die wahren Einkommensverhältnisse des Vaters - wenn auch aufgrund dessen Säumnis - nicht bekannt. Dies hindert nach dem Gesagten zwar die Abänderung für einen bis zu dieser Beschlussfassung verstrichenen Zeitraum, nicht aber, nach Aufdeckung der maßgeblichen wahren Verhältnisse von dieser Entscheidung pro futuro abzugehen, also den Unterhalt ab dem auf die ursprüngliche Beschlussfassung folgenden Monatsersten neu zu bemessen (3 Ob 535/95; RIS-Justiz RS0007154).

Auf die Bedürfnismehrung, die sie im Rekurs geltend gemacht hatten, kommen die Kinder in dritter Instanz nicht mehr zurück. Es ist daher in Stattgebung des Revisionsrekurses der erstinstanzliche Beschluss wiederherzustellen.