OGH vom 30.05.2006, 3Ob43/06d
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Dr. Prückner, Dr. Sailer und Dr. Jensik als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des Betroffenen Erwin W*****, vertreten durch Mag. Hans Exner, Rechtsanwalt in Judenburg, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben als Rekursgericht vom , GZ 3 R 4/06d-59, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Murau vom , GZ 7 P 67/02y-56, bestätigt wurde, den Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Verfahren über die Bestellung eines Sachwalters für den Betroffenen eingestellt wird.
Text
Begründung:
Der Betroffene richtet seit Jahren Schreiben an diverse Behörden, insbesondere an die Bezirkshauptmannschaft (im Folgenden: BH) M*****, in welchen er angebliche Missstände bei dem seinem Grundstück benachbarten Sägewerk, aufzuzeigen versucht. Ein zentraler Punkt dieser Schreiben ist die behauptete übermäßige Lärmerregung des Sägewerks. Der betreffende Akt der BH umfasst mittlerweile neun Bände mit mehreren hundert Seiten und steht aufgrund der zu prüfenden Vorwürfe des Betroffenen in dauernder Bearbeitung.
Zwischen dem Betroffenen und den Eigentümern des Sägewerks sind seit Jahren zahlreiche Zivilverfahren anhängig (gewesen). Im Verfahren AZ 2 C 236/88 des Erstgerichts wurde der Betroffene von den Eigentümern des Sägewerks wegen 530,80 ATS an Kosten der Abwehr rechtswidriger Angriffe in Anspruch genommen. Die Klage wurde rechtskräftig abgewiesen. Zuletzt wurde der Betroffene im - derzeit gemäß § 6a ZPO ausgesetzten - Verfahren AZ 2 C 542/04w dieses Gerichts von den Eigentümern des Sägewerks auf Unterlassung von Anzeigen und Behauptungen geklagt. Das Berufungsgericht hob das klageabweisende erstinstanzliche Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Weiters wurde der Betroffene vom Erstgericht rechtskräftig des Vergehens der üblen Nachrede gegenüber einem der Eigentümer des Sägewerks für schuldig erkannt.
Der Betroffene ist pensionierter Fernmeldetechniker und verfügt über ein monatliches Nettoeinkommen von 1.400 EUR. Er ist für eine Tochter sorgepflichtig, ist Eigentümer eines Wohnhauses, dreier Autos sowie finanzieller Rücklagen von etwa 36.336 EUR und eines Bausparvertrags. Bei ihm liegen zwar keine Einschränkungen in Bezug auf zeitliche, örtliche und persönliche Orientierung vor, er hat im kognitiven Bereich auch keine Defizite, oder Halluzinationen und seine Stimmung ist indifferent. Jedoch ist sein Denken durchaus themenfixiert eingeengt, er ist geradezu fanatisch fixiert auf sein „staatsbürgerliches Recht", Genugtuung und Gehör bzw. Gerechtigkeit in seinen Angelegenheiten zu erfahren. In Bezug auf die Lärmentwicklung des Sägewerks ist der Betroffene getrieben und geradezu zwanghaft motiviert, die entsprechenden Personen in ihrem, von ihm vermuteten feindseligen und bösartigen Zusammenwirken aufzudecken, zu entlarven und einer unrechtmäßigen Handlungsweise zu überführen. Somit liegt bei ihm eine paranoid-querulatorische Persönlichkeitsstruktur vor, die auch deutliche Züge unflexibler und unangepasster Verhaltensweisen trägt. Er weist Zeichen einer themenbezogenen, wahnhaften Entwicklung mit deutlicher Einschränkung der entsprechenden Kritikfähigkeit bei zunehmend eingeschränktem Realitätsbezug vor. Dadurch ist er immer weniger in der Lage, eine entsprechend distanzierte, klar abschätzende und differenzierte Betrachtungsweise der gesamten Problematik rund um das Sägewerk zu etablieren, wodurch für diesen zentralen Themenbereich die notwendige Diskretions- und Dispositionsfähigkeit des Betroffenen nicht mehr gegeben ist.
Aufgrund der jahrelangen Streitigkeiten entstanden dem Betroffenen folgende Zahlungspflichten:
1. Seit dem Jahre 1982 hatte er im genannten Verwaltungsverfahren Kosten von 2.256 S für die Vergebührung von Eingaben und Aktenkopien, 1.260 S für Ordnungsstrafen und diesbezügliche Exekutionen sowie nicht näher feststellbare Honorare seines gewählten Vertreters zu zahlen.
2. Mit dem bereits erwähnten Strafurteil war er zu einer unbedingten Geldstrafe von 70 Tagessätzen á 30 EUR, im Falle der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 35 Tagen, sowie zur Bezahlung der Kosten des Privatanklägers (des Eigentümers des Sägewerks) verurteilt worden.
Mit dem am beim Erstgericht eingelangten Schreiben regten die Eigentümer des Sägewerks die Beigebung eines Sachwalters für den Betroffenen an.
Mit Beschluss vom bestellte das Erstgericht einen emeritierten Rechtsanwalt zum Sachwalter des Betroffenen für die Vertretung vor Ämtern und Behörden betreffend die Angelegenheiten rund um das näher bezeichnete Sägewerk bzw. dessen Betrieb. Das Rekursgericht hob über Rekurs des bestellten Sachwalters und des Betroffenen diesen Beschluss auf und trug dem Erstgericht auf, festzustellen, welche - objektiv betrachtet - unsinnigen Schritte der Betroffene in den letzten Jahren in Zusammenhang mit den Eigentümern des Sägewerks unternommen und inwieweit er sich dadurch selbst erhebliche Nachteile zugefügt habe.
Im zweiten Rechtsgang bestellte das Erstgericht nach Verfahrensergänzung mit Beschluss vom einen Rechtsanwalt, und zwar den gewählten Vertreter des Betroffenen in den Verfahren vor der BH und im laufenden Zivilprozess, zum Sachwalter. Das Rekursgericht hob über Rekurs des bestellten Sachwalters und des Betroffenen den Beschluss neuerlich auf und sprach aus, dass zwar gegen die Bestellung eines Sachwalters in dem vom Erstgericht ausgesprochenen Umfang keine Bedenken bestünden, jedoch gegen die Auswahl der Person des Sachwalters. Das Erstgericht habe mit dem zum Sachwalter bestellten Rechtsanwalt vor dessen Bestellung keinen Kontakt aufgenommen und dieser habe Hindernisgründe gegen seine Bestellung nicht geltend machen können.
Nunmehr bestellte das Erstgericht einen anderen Rechtsanwalt zum Sachwalter des Betroffenen mit dem Aufgabenkreis der Vertretung des Betroffenen im genannten Verfahren vor der BH und dem unterbrochenen Prozess vor dem Erstgericht. Diese Entscheidung begründete es im Wesentlichen damit, dass der Betroffene seit Jahren diverse Schreiben an Behörden richte, in welchen er angebliche Missstände im Sägewerk aufzeige. Einer volljährige Person, die an einer psychischen Krankheit leide oder geistig behindert und dadurch nicht in der Lage sei, alle oder einzelne ihrer Angelegenheiten ohne die Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen, sei gemäß § 273 Abs 1 ABGB ein Sachwalter zu bestellen. Zwar sei im hier vorliegenden Fall nicht davon auszugehen, dass sich der Betroffene durch objektiv betrachtet unsinnige Schritte erhebliche Nachteile mit etwa ausufernden Kosten zugefügt habe - zumal ihm über mehr als 20 Jahre hinweg nur (mit Ausnahme der Vertretungskosten) Kosten von etwa 255 EUR entstanden seien und er nach wie vor über ein gutes Einkommen und ausreichend Vermögen verfüge - dem Betroffenen jedoch die notwendige Diskretions- und Dispositionsfähigkeit in Bezug auf das Sägewerk fehle, weshalb er für diesen Themenkomplex als nicht ausreichend handlungs- und prozessfähig anzusehen sei. Da er somit nicht in der Lage sei, einzelne seiner Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen, sei ihm für diesen Bereich ein Sachwalter zu bestellen.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Betroffenen mit der Begründung nicht Folge, es seien zwar bisher Vermögensschäden aus seinem Agieren vor der BH und dem Erstgericht nicht bzw. nur in unbeachtlichem Ausmaß aufgetreten seien; die Bestellung eines Sachwalters in Hinblick auf die mit dem Sägewerk zusammenhängenden Fragen sei aber wegen der Prozessfähigkeit des Betroffenen erforderlich, weil nicht erst abgewartet werden müsse, bis tatsächlich Nachteile für ihn eingetreten seien und die Gefahr eines Nachteils bei seiner Persönlichkeitsstörung als gegeben angesehen werden müsse. Mit seinem außerordentlichen Revisionsrekurs beantragt der Betroffene, den angefochtenen Beschluss dahingehend abzuändern, dass von der Bestellung eines Sachwalters Abstand genommen werde, hilfsweise, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sachwalterschaftssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Rekursgericht, in eventu an das Rekursgericht zurückzuverweisen.
Der außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt. Nach Ansicht des Revisionsrekurswerbers habe er sich bisher durch objektiv betrachtet unsinnige Schritte keine erheblichen Nachteile mit etwa ausufernden Kostenersatzpflichten zugefügt. Die Meinung des Rekursgerichts, dass allein die bei ihm gegebene Persönlichkeitsstörung die Gefahr eines Nachteils zwingend zur Folge habe, sei unrichtig und stehe im Widerspruch zur Rsp, wonach Querulanten nur bei wirtschaftlicher Gefährdung ein Sachwalter zu bestellen sei. Darüber hinaus sei eine potentielle Gefährdung für die Zukunft nicht ausreichend, sondern eine den Beschlüssen der Vorinstanzen nicht zu entnehmende, aktuelle konkrete Gefährdung erforderlich. Auch sei die Sachwalterbestellung lediglich für ein anhängiges Zivilverfahren und ein Verwaltungsverfahren schon deshalb verfehlt, weil gerade in diesen beiden Verfahren keine hohen Kosten entstanden und auch im Zivilverfahren in Zukunft nicht zu erwarten seien. Nicht zuletzt sei auch ein bestellter Sachwalter angehalten, entsprechend dem Willen des Betroffenen alle nicht von vornherein aussichtslosen juristischen Schritte zu unternehmen. In erster Linie liege die Sachwalterbestellung offenbar im Interesse der Betreiber des Sägewerks, von denen das Sachwalterschaftsverfahren auch angeregt worden sei. Das alleinige Interesse eines Dritten könne jedoch niemals ein Grund für eine Sachwalterbestellung sein. Letztlich sei die Bestellung eines Sachwalters auch dann unzulässig, wenn sich der Betroffene der Hilfe anderer in rechtlich einwandfreier Weise bedienen kann, insbesondere durch Vollmachtserteilung.
Rechtliche Beurteilung
Dazu ist zu erwägen:
Vermag eine volljährige Person, die an einer psychischen Krankheit leidet oder geistig behindert ist, alle oder einzelne ihrer Angelegenheiten nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen, so ist ihr auf ihren Antrag oder von Amts wegen dazu ein Sachwalter zu bestellen (§ 273 Abs 1 ABGB). Daraus folgt, dass eine psychische Erkrankung oder eine geistige Behinderung für sich allein die Bestellung eines Sachwalters noch nicht rechtfertigt, sondern nur dann, wenn der psychisch Kranke oder geistig Behinderte außerstande ist, alle oder einzelne seiner Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen (8 Ob 543/85 = SZ 58/61; 6 Ob 660/86). Nach § 273 Abs 2 zweiter Satz ABGB darf ein Sachwalter nicht nur deshalb bestellt werden, um einen Dritten vor der Verfolgung eines, wenn auch bloß vermeintlichen Anspruchs zu schützen. Einem so genannten Querulanten kann somit nicht deshalb ein Sachwalter bestellt werden, weil Dritte daran interessiert sind, nicht länger mit dessen vermeintlichen Ansprüchen belästigt zu werden. Alleiniges Interesse Dritter, auch der Allgemeinheit, des Staates, der Familie ist nie ein Grund zur Sachwalterbestellung. So genannten Querulanten kann nur dann ein Sachwalter bestellt werden, wenn sie zufolge psychischer Krankheit oder geistiger Behinderung sich selbst Rechtsnachteile zuziehen, etwa durch kostenaufwendige mutwillige oder offenbar aussichtslose Prozessführung (3 Ob 2291/96z = SZ 69/205; Stabentheiner in Rummel³ § 273 ABGB Rz 3; Hopf in KBB, § 273 ABGB Rz 5).
Im vorliegenden Fall mag der Betroffene zwar tatsächlich objektiv unrichtige und auch unzweckmäßige Eingaben an die zuständige BH richten und damit u.a. einen Zivilprozess provoziert haben, der - was in der Natur der Sache liegt, allerdings angesichts des Verfahrensstands keineswegs feststeht - einen für ihn negativen Ausgang mit den durch die ZPO vorgesehenen Kostenfolgen haben kann; allerdings fügt er sich dadurch angesichts der (nur zum Teil festgestellten, aber auch in einem solchen Zivilverfahren durchaus begrenzten) Kosten und seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse noch nicht den durch das Gesetz geforderten Nachteil zu. Wie das Erstgericht feststellte, fielen dem Betroffenen im Verwaltungsverfahren in zwanzig Jahren lediglich Kosten von etwa 255 EUR zur Last. Eine bloß potentielle, zukünftige Gefährdung des Betroffenen ist für eine Sachwalterbestellung nicht ausreichend. Zwar kann gewiss nicht übersehen werden, dass die Eingaben des Betroffenen im Verfahren vor der BH eine bedeutende Belastung dieser Behörde bewirken; das Interesse Dritter, demnach auch von von Behörden (so zutr Weitzenböck in Schwimann3 § 273 ABGB Rz 16 f; Hopf aaO) ist aber, wie dargelegt, kein für eine Sachwalterbestellung tauglicher Grund.
Ob im vorliegenden Fall auch gemäß § 273 Abs 2 erster Satz ABGB die Bestellung eines Sachwalters unzulässig wäre (vgl dazu zuletzt 10 Ob 63/05w) kann angesichts der vorstehenden Erwägungen zu den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Bestellung eines Sachwalters ungeprüft bleiben.
Demnach sind die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass das Sachwalterverfahren eingestellt wird (§ 122 AußStrG iVm § 199 leg. cit.).