OGH vom 24.04.2020, 2Ob44/20i

OGH vom 24.04.2020, 2Ob44/20i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. F***** H*****, vertreten durch Dr. Paul Fuchs, Rechtsanwalt in Thalheim bei Wels, gegen die beklagte Partei B***** H*****, vertreten durch Dr. Bernhard Birek, Rechtsanwalt in Schlüßlberg, wegen 44.111 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 6 R 170/19s-43, mit welchem das Urteil des Landesgerichts Wels vom , GZ 26 Cg 9/18d-35, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 2.218,86 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 369,81 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Parteien sind Geschwister. Nach dem Tod des Vaters im September 2017 erhebt der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch nach § 789 ABGB. Der Nachlass war mit 1.416,82 EUR überschuldet. Beide Kinder hatten schon zu Lebzeiten Zuwendungen erhalten: Der Beklagten hatte der Vater zwei Liegenschaften geschenkt, deren Wert – aufgewertet auf den Todestag (§ 788 ABGB) – 264.671 EUR betrug. Dem Kläger hatte er 1990 ein Kfz-Einzelunternehmen samt einem Anteil an einer Liegenschaft gegen Übernahme der Schulden und Zahlung einer Leibrente übergeben. Weiters hatte er 1996 im Zuge eines Zwangsausgleichs des Klägers 600.000 öS zur Befriedigung der Gläubiger zu Verfügung gestellt, „um den Betrieb am Leben zu erhalten“. Die Pflichtteilsquote beträgt ein Sechstel.

Gestützt auf die Schenkungen an die Beklagte begehrte der zuletzt 44.111 EUR sA. Die Beklagte hafte nach § 789 ABGB. Weder die Übergabe des Unternehmens noch die Zahlung der Schulden sei in Schenkungsabsicht erfolgt.

Die wendet (unter anderem) ein, dass sich der Kläger die zur Schuldentilgung aufgewendeten 600.000 öS auf den Pflichtteil anrechnen lassen müsse.

Das gab dem Klagebegehren statt, weil der Erblasser diesen Betrag nicht dem Kläger geschenkt, sondern zur Rettung des Unternehmens aufgewendet habe. „Schenkungsabsicht“ habe daher nicht bestanden.

Das wies das Klagebegehren ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Die Zahlung von 600.000 öS sei eine unentgeltliche Zuwendung iSv § 781 ABGB gewesen, da der Kläger darauf keinen Anspruch gehabt habe. Das Einzelunternehmen, dessen Rettung die Zahlung gedient habe, sei kein vom Kläger verschiedenes Rechtssubjekt gewesen. Die Zuwendung sei nach § 788 ABGB auf den Todestag aufzuwerten, was 63.313,95 EUR ergebe. Bei Hinzurechnung dieser Zuwendung und der Schenkungen an die Beklagte (§ 787 ABGB) ergebe sich nach Abzug der Überschuldung des Nachlasses für den Pflichtteil eine Bemessungsrundlage von 326.568,13 EUR. Ein Sechstel davon betrage 54.428,02 EUR. Darauf sei die dem Kläger gemachte Schenkung anzurechnen. Da diese höher sei als der genannte Betrag, bestehe der Anspruch nicht zu Recht. Die Revision sei zulässig, weil es, abgesehen von der nicht einschlägigen Entscheidung 2 Ob 52/18p, noch keine Rechtsprechung zu § 781 ABGB idF des ErbRÄG 2015 gebe.

Rechtliche Beurteilung

Die ist entgegen diesem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts .

1. Trotz Fehlens von Rechtsprechung zu einer konkreten Fallgestaltung liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz selbst – insbesondere im Zusammenhalt mit den Gesetzesmaterialien (5 Ob 175/13s) – eine eindeutige Regelung trifft (RS0042656).

2. Ein solcher Fall liegt hier vor:

2.1. Nach § 781 Abs 1 ABGB sind Schenkungen, die ein Pflichtteilsberechtigter oder ein Dritter vom Erblasser erhalten hat, dem Nachlass hinzuzurechnen und auf einen allfälligen Pflichtteil anzurechnen. Als Schenkung gilt nach § 781 Abs 2 Z 6 ABGB auch „jede andere Leistung, die nach ihrem wirtschaftlichen Gehalt einem unentgeltlichen Rechtsgeschäft unter Lebenden gleichkommt“. Nach den Materialien sollte mit dieser Bestimmung die im alten Recht vorgesehene „Unterscheidung zwischen Schenkungen, Vorempfängen und Vorschüssen“ aufgegeben werden; alle Formen unentgeltlicher Zuwendungen unter Lebenden sollten gleich behandelt werden (EB zur RV des ErbRÄG 2015, 688 BlgNR 25. GP 2). Die Z 6 sollte dabei „Vermögensverschiebungen“ erfassen, die zwar „nicht als 'Schenkung' im technischen Sinn betrachtet werden und dennoch – bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise – den Zuwendungsempfänger einseitig begünstigen“ (aaO 33).

2.2. Die im konkreten Fall ohne Verpflichtung und ohne Gegenleistung erfolgte Tilgung von Schulden hat den Kläger einseitig „begünstigt“, sodass sie – wenn man nicht ohnehin eine Schenkung ieS annimmt – jedenfalls unter § 781 Abs 2 Z 6 ABGB fällt. Die Zuwendung erfolgte selbstverständlich an den Kläger, der dadurch entschuldet wurde. Weshalb hier zwischen der Person und dessen (Einzel-)Unternehmen unterschieden werden sollte, ist nicht erkennbar.

2.3. Dieses Ergebnis wird durch die oben zitierten Materialien zum ErbRÄG 2015 bestätigt. Die Tilgung von Schulden eines Kindes wurde nach § 788 ABGB idF vor dem ErbRÄG 2015 als Vorempfang auf den Nachlasspflichtteil angerechnet. Nach den Materialien sollten Vorempfänge im (weiten) Schenkungsbegriff des § 781 ABGB aufgehen. Für die ebenfalls in § 788 ABGB aF genannte Ausstattung war insofern eine besondere Regelung notwendig (§ 781 Abs 2 Z 1 ABGB), weil darauf unter Umständen ein Rechtsanspruch besteht. Für eine ohne Verpflichtung und ohne Gegenleistung erfolgte Tilgung von Schulden war das nicht erforderlich. Folgerichtig subsumiert das Schrifttum, soweit das Problem gesehen wird, die Tilgung von Schulden einhellig unter § 781 ABGB (Müller/Melzer in Gruber et al, Erbrecht und Vermögensnachfolge2 [2018] § 4 Rz 23; Nemeth/ Niedermayr in Kodek/Schwimann5§ 781 ABGB Rz 19; Schauer in Barth/Pesendorfer,Praxishandbuch des neuen Erbrechts [2016] 198; Umlauft, Die Hinzu- und Anrechnung von Schenkungen im Erb- und Pflichtteilsrecht2 [2018] 259).

2.4. Zwar wäre nach altem Recht kein Vorempfang iSv § 788 ABGB aF anzunehmen gewesen, wenn der Erblasser einen gesetzlichen Rückgriffsanspruch gehabt oder sich die Rückerstattung ausdrücklich vorbehalten hätte; dann hätte vielmehr ein Anspruch des Nachlasses gegen den befreiten Schuldner (hier also den Kläger) bestanden (Kralik, Erbrecht [1983] 295; Umlauft, Die Anrechnung von Schenkungen und Vorempfängen im Erb- und Pflichtteilsrecht [2001] 30; für Zahlung aufgrund einer Wechselbürgschaft 2 Ob 225/08i; vgl auch Weiß in Klang2 III 929,Welser in Rummel/Lukas4§ 788 ABGB Rz 11, und Likar-Peer in Ferrari et al, Erbrecht [2007] 406, nach denen es auf eine „ausbedungene“ Rückerstattung ankäme [die insofern zitierte E 1 Ob 895/30 SZ 12/214 enthält diese Aussage allerdings nicht]). Das wird grundsätzlich auch nach neuem Recht gelten (Nemeth/Niedermayr in Kodek/Schwimann5§ 781 ABGB Rz 19), weil in diesem Fall – zumindest bei realistischer Durchsetzbarkeit des Regressanspruchs – keine unentgeltliche Zuwendung iSv § 781 ABGB vorläge. Ein diesbezügliches Vorbringen hat der Kläger aber nicht erstattet, sodass eine nähere Auseinandersetzung mit dieser Frage entbehrlich ist. Vielmehr geht auch der Kläger davon aus, dass die Zuwendung aus Sicht des Erblassers für das „Überleben“ des Betriebs erforderlich war. Das wäre mit einem vom Erblasser ausbedungenen oder auch nur ernsthaft in Erwägung gezogenen Rückgriffsanspruch unvereinbar gewesen.

2.4. Auf dieser Grundlage besteht im konkreten Fall kein Zweifel, dass die Zahlung der Schulden unter den weiten Schenkungsbegriff des § 781 ABGB fällt. Eine erhebliche Rechtsfrage liegt insofern nicht vor.

3. Der Kläger stützt sich in der Revision (hilfsweise) darauf, dass der Erblasser seine Schulden in Erfüllung einer sittlichen Pflicht (§ 784 ABGB) getilgt habe. Für diese Ausnahme von der Hinzurechnung ist aber der Zuwendungsempfänger behauptungs- und beweispflichtig (6 Ob 170/05a). Da der Kläger in erster Instanz kein solches Vorbringen erstattet hat, sind die diesbezüglichen Ausführungen der Revision eine unzulässige Neuerung. Gleiches gilt für Argumentation, dass der Vater die 600.000 öS aufgewendet habe, um die Weiterzahlung der Leibrente zu sichern.

4. Aus diesen Gründen ist die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.

5. Da die Beklagte auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, hat der Kläger die Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen (§§ 41, 50 ZPO).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:0020OB00044.20I.0424.000

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