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OGH vom 22.12.2004, 3Ob264/04a

OGH vom 22.12.2004, 3Ob264/04a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer, Dr. Zechner, Dr. Sailer und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der wiederaufnahmsklagenden Partei Bernhard L*****, vertreten durch Dr. Ulrich O. Daghofer, Rechtsanwalt in Graz, wider die wiederaufnahmsbeklagte Partei I*****, wegen Wiederaufnahme der verbundenen Verfahren AZ 54 C 373/01h und AZ 54 C 515/01s des Bezirksgerichts für Zivilrechtssachen Graz, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der wiederaufnahmsklagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom , GZ 3 R 119/04y-13, womit der Beschluss des Bezirksgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom , GZ 54 C 301/03y-10, "mit einer Maßgabe bestätigt" wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 erster Satz ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Das Erstgericht wies die auf § 530 Abs 1 Z 7 ZPO gestützte Klage auf Wiederaufnahme der beiden verbundenen Verfahren AZ 54 C 373/01h (Feststellung von Hauptmietrechten gegenüber der nunmehrigen beklagten Hauseigentümerin) und AZ 54 C 515/01s (Unzulässigkeit der Räumungsexekution gemäß § 37 EO) mit Beschluss vom gemäß § 538 ZPO zurück. Das Rekursgericht bestätigte mit seinem, dem Klagevertreter am zugestellten Beschluss vom die erstinstanzliche Entscheidung. Mit Beschluss vom ON 8 wies das Erstgericht den dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs des Klägers vom als verspätet zurück.

Dem am zur Post gegebenen Wiedereinsetzungsantrag in den vorigen Stand des Klägers gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung des außerordentlichen Revisionsrekurses wies das Erstgericht nach Durchführung eines Bescheinigungsverfahrens ab. Die irrtümliche Annahme einer längeren Rechtsmittelfrist durch einen rechtskundigen, berufsmäßigen Parteienvertreter sei kein bloß minderer Grad des Versehens, wenn nicht besondere Umstände hinzuträten, die im konkreten Einzelfall den Vorwurf des groben Verschuldens mindern könnten. Ein Rechtsanwalt müsse die Organisation seines Kanzleibetriebs so einrichten, dass die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Vornahme von Prozesshandlungen sichergestellt sei. Der Wiedereinsetzungswerber müsse sich ein grobes Verschulden seines Vertreters und seiner Hilfskräfte zurechnen lassen.

Das Rekursgericht "bestätigte diesen Beschluss mit der Maßgabe", dass es den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers nicht ab-, sondern wegen Verspätung zurückwies. Bei einer durch Irrtum entstandenen Säumnis beginne der Fristenlauf grundsätzlich mit der erstmöglichen Aufklärung des Irrtums; das Hindernis falle zu dem Zeitpunkt weg, zu dem die Aufklärung wegen eines nicht bloß minderen Grades des Versehens unterblieben sei. Dem Klagevertreter hätte bei gehöriger Aufmerksamkeit schon bei Abfassung des Revisionsrekurses die unrichtige Eintragung der Rechtsmittelfrist auffallen müssen. Die Frist für den Wiedereinsetzungsantrag habe daher mit dem Tag der Verfassung des (verspäteten) Rechtsmittels, somit am zu laufen begonnen; der am zur Post gegebene Wiedereinsetzungsantrag sei daher verspätet.

Der Revisionsrekurs sei zufolge "§ 528 Abs 2 Z 1,§ 526 Abs 3,§ 500 Abs 2 Z 2 ZPO" jedenfalls unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

a) Der außerordentliche Revisionsrekurs des Klägers unterliegt nicht dem absoluten Rechtsmittelausschluss nach § 528 Abs 2 Z 2 ZPO, weil keine bestätigende Entscheidung des Rekursgerichts angefochten wird. Grundsätzlich kann von einem bestätigenden Beschluss nur dann gesprochen werden, wenn die vom Gesetz gebotene Erledigungsart in beiden Instanzen übereinstimmt, und zwar in dem Sinn, dass entweder in beiden Instanzen meritorisch oder formal entschieden wurde (RIS-Justiz RS0044456). Ein bestätigender Beschluss liegt somit weder dann vor, wenn die erste Instanz einen Wiedereinsetzungsantrag als unzulässig zurückweist, das Rekursgericht jedoch den Antrag aus sachlichen Gründen abweist, noch dann, wenn die erste Instanz - wie hier - den Wiedereinsetzungsantrag aus sachlichen Gründen (mehr als bloß "minderer Grad des Verschuldens" iSd § 146 Abs 1 ZPO) abweist und das Rekursgericht den Antrag, etwa wegen Verspätung, zurückweist. Eine "Maßgabebestätigung" ist nur dann eine Konformatsentscheidung, wenn die vom Beschluss des Erstgerichts abweichende Fassung - anders als im vorliegenden Fall - nur einer Verdeutlichung der Entscheidung des Erstgerichts dient, ohne dass damit der Inhalt dieser Entscheidung und ihrer Rechtskraftwirkung gegenüber den Parteien und Beteiligten geändert wird (6 Ob 1525/92, 7 Ob 61/01y, jeweils mwN; RIS-Justiz RS0044202; vgl auch E. Kodek in Rechberger2, § 528 ZPO Rz 4).

b) Eine Ergänzung des Ausspruchs über den Wert des Entscheidungsgegenstands durch die zweite Instanz (vgl RIS-Justiz RS0041647) war nicht erforderlich. Nach stRsp bedarf eine Wiederaufnahmsklage keiner neuerlichen Bewertung des Streitgegenstands durch das Rechtsmittelgericht, weil der Entscheidungsgegenstand im früheren Verfahren und im Wiederaufnahmeverfahren identisch ist und daher auch die Anfechtbarkeit in beiden Verfahren nach den gleichen Grundsätzen beurteilt werden muss (8 Ob 533/93 = EvBl 1994/3 u.a.; RIS-Justiz RS0042409 und RS0042445; E. Kodek aaO § 500 ZPO Rz 5). Unter Berücksichtigung, dass eine Prozessverbindung nach § 187 ZPO für die Zulässigkeit ohne Belang ist und diese für jeden Anspruch gesondert zu prüfen ist (RIS-Justiz RS0036717, RS0037252), bedeutet dies für den vorliegenden Fall:

Für den Rechtsstreit AZ 54 C 515/01s des Erstgerichts (Unzulässigkeit der Räumungsexekution gemäß § 37 EO) erfolgte bereits im wiederaufzunehmenden Verfahren der - notwendige (vgl zur Erforderlichkeit der Bewertung im Exszindierungsprozess gegen eine Räumungsexekution 3 Ob 269/00t = EvBl 2001/196 ua; RIS-Justiz RS0106597) - Ausspruch der zweiten Instanz (AZ 3 R 278/02b-32), dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige. Für die Wiederaufnahme des Verfahrens AZ 54 C 373/01h des Erstgerichts (Feststellung von Hauptmietrechten) nahm das Rekursgericht im wiederaufzunehmenden Verfahren (zutreffend) keine Bewertung vor, weil hier der Ausnahmetatbestand des § 502 Abs 5 Z 2 ZPO zur Anwendung gelangt.

c) Der Revisionsrekurs wäre somit entgegen dem, den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts zulässig, wenn die Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO vorlägen. Eine erhebliche Rechtsfrage liegt allerdings nicht vor. Der Wegfall des hindernden Ereignisses (§ 148 Abs 2 ZPO) ist nach den tatsächlichen Verhältnissen zu beurteilen. Das Hindernis ist jedenfalls dann weggefallen, wenn der Partei selbst unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Möglichkeiten unter Bedachtnahme auf die im § 147 Abs 3 ZPO zum Ausdruck gebrachten Handlungspflicht zugemutet werden kann, die Prozesshandlung nachzuholen. Entscheidend ist also nicht, wann der Wiedereinsetzungsantrag - als solcher isoliert betrachtet - an sich gestellt werden könnte, sondern wann die Partei die versäumte Prozesshandlung nachholen konnte (10 ObS 64/93 = SZ 66/51 ua, RIS-Justiz RS0036621). Der Oberste Gerichtshof hat schon wiederholt ausgesprochen, dass der Lauf der Frist nicht zwingend erst mit der Aufklärung des Irrtums beginnt, sondern bereits mit seiner möglichen Aufklärung beginnen kann. Es kommt also nicht darauf an, wann das die Versäumung verursachende Ereignis weggefallen ist, sondern wann es weggefallen sein könnte. Die Frist kann jedenfalls nur dann in Lauf gesetzt werden, wenn die mögliche Aufklärung nicht nur wegen eines minderen Grades des Versehen unterblieben ist. Es darf nämlich bei der Beurteilung dieser Frage kein strengerer Maßstab angelegt werden als bei der Versäumung selbst (10 ObS 64/93, 10 Ob 1505/94, je mwN u.a.; RIS-Justiz RS0036608; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny2 § 148 ZPO Rz 11). Die Wiedereinsetzungsfrist beginnt somit mit der möglichen Irrtumsaufklärung, sofern diese durch auffallende Sorglosigkeit unterblieben ist (RIS-Justiz RS0036742; Gitschthaler in Rechberger2, § 148 ZPO Rz 7 mwN). Ob eine auffallende Sorglosigkeit oder (nur) eine Sorglosigkeit minderen Grades vorliegt, ist regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Ob hier den Klagevertreter bereits am eine derartige Handlungspflicht traf und er nicht bis zur Zustellung des den außerordentlichen Revisionsrekurses zurückweisenden Beschlusses zuwarten durfte, betrifft nur den nach den tatsächlichen Verhältnissen zu beurteilenden Einzelfall, sodass eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO nur dann vorliegen könnte, wenn dem Rekursgericht insoweit eine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, die vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit bzw Rechtseinheit aufgegriffen werden müsste (9 ObA 57/02a). Davon kann im vorliegenden Fall aber keine Rede sein.

Die vom Revisionsrekurswerber noch als erheblich angesehene Frage, inwieweit Fehler von Kanzleiangestellten außer Substituten der Partei zuzurechnen seien, ist bereits beantwortet. Irrtümer und Fehler der Kanzleiangestellten von Rechtsanwälten sind diesen zuzurechnen (9 ObA 259/90 = RZ 1991/54 = AnwBl 1991, 110; 9 ObA 9/00i ua), ermöglichen aber jedenfalls dann eine Wiedereinsetzung, wenn sie trotz der Einhaltung der berufsgebotenen Sorgfaltspflicht des Anwalts bei der Kontrolle der Termin- und Fristenevidenz und trotz bisherigen objektiver Eignung und Bewährung des Kanzleiangestellten unterlaufen sind. Grobes Verschulden des Vertreters und dessen Hilfskräfte bei Versäumung einer befristeten Prozesshandlung ist demnach im Wiedereinsetzungsverfahren der Partei zuzurechnen. Das ist, auch soweit die Zurechnung des Verschuldens von Hilfskräften des Vertreters betroffen ist, entweder generell aus § 39 ZPO oder, wie es Ertl (Der Wiedereinsetzungswerber und seine Gehilfen, in RZ 1998, 3) nachzuweisen unternimmt in extensiver Auslegung oder analoger Anwendung des § 146 Abs 1 ZPO aus dieser Bestimmung abzuleiten (1 Ob 373/98d = SZ 72/51).

Davon abgesehen wird ja hier von der zweiten Instanz nicht einer Kanzleiangestellten des Klagevertreters, sondern ihm selbst ein Verschuldensvorwurf gemacht.

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist zurückzuweisen.