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OGH vom 07.07.2011, 5Ob18/11z

OGH vom 07.07.2011, 5Ob18/11z

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DI Borislav V*****, vertreten durch Dr. Günter Niebauer, Rechtsanwalt in Wien, und der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei E***** AG, *****, vertreten durch Mayer Herrmann, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei M***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 96.882,93 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 213/09x, 2 R 216/09p-27, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 19 Cg 167/08t-19, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei und deren Nebenintervenientin jeweils binnen 14 Tagen die mit jeweils 2.116,26 EUR (darin jeweils 352,71 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortungen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Das Erstgericht gab der inhaltlich (primär) auf Irrtumsanfechtung des zwischen den Streitteilen geschlossenen Kommissions- und Kaufvertrags betreffend 4.730 Stück M*****-Zertifikate gerichteten Klage statt und verurteilte die Beklagte zur Rückerstattung des Kaufpreises (zuzüglich Spesen) Zug um Zug gegen Rückstellung der Wertpapiere. Der Kläger habe sich aufgrund einer von der Beklagten (mit-)zuverantwortenden Werbebroschüre bei Vertragsabschluss in einem von der Beklagten veranlassten Geschäftsirrtum über wesentliche Eigenschaften der erworbenen Zertifikate befunden.

Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Beklagten erhobenen Berufung nicht Folge und sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil der Frage der Irreführung durch den Verkaufsprospekt der Beklagten aufgrund der Vielzahl der dadurch potentiell in die Irre geführten Anleger und im Hinblick auf die zahlreichen diesbezüglich anhängigen Gerichtsverfahren zur Wahrung der Rechtseinheit erhebliche Bedeutung zukomme.

Die von der Beklagten erhobene Revision ist entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) - Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig, was gemäß § 510 Abs 3 ZPO kurz zu begründen ist:

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat sich bereits zu 4 Ob 65/10b (= ecolex 2010/350, 952 [ Wilhelm ] = EvBl 2011/3, 28 = ZFR 2011/7, 25 [ Pletzer ] = RdW 2010/762, 767 [ Graf ]) und 8 Ob 25/10z (= EvBl 2011/4, 31 = ecolex 2010/380, 1039 [ Wilhelm ]) ausführlich mit im Wesentlichen gleichartigen Sachverhalten und den auch nunmehr vorgetragenen Argumenten der Beklagten befasst (s weiters 8 Ob 112/10v; 4 Ob 190/10k; 5 Ob 222/10y; 8 Ob 151/10d; 6 Ob 18/11g; 10 Ob 10/11k). Diese Entscheidungen fanden auch im Schrifttum Zustimmung ( Leupold/Ramharter , Ausgewählte Aspekte der Irrtumsanfechtung beim Wertpapierkauf, Anmerkungen zu OGH 4 Ob 65/10b und 8 Ob 25/10z [„M-Bank“], ÖJZ 2011/14, 107 ff; Vonkilch , Von Geschäftsirrtümern und Sollbeschaffenheiten beim Wertpapierkauf, irrtumsrechtlichen Kausalitätsbeweisen und Mitverantwortlichkeiten von Irrenden Zugleich eine Besprechung der E 4 Ob 65/10b und 8 Ob 25/10z, JBl 2011, 2 ff).

Bereits in den beiden Entscheidungen 4 Ob 65/10b und 8 Ob 25/10z hat der Oberste Gerichtshof dargelegt, dass der Irrtum über das Risiko der gezeichneten Anlage - anders als jener über den Kursverlauf - einen Geschäftsirrtum darstellt, weil der Erwerber aufgrund des Prospekts zur Ansicht gelangte, dass das von ihm erworbene Wertpapier anders als andere Aktien ein grundlegend geringeres Risiko des Kursverlusts oder langfristigen Ausfalls hätte. Die Beurteilung des von den Unterinstanzen beim Kläger festgestellten Irrtums als Geschäftsirrtum entspricht damit den vom Obersten Gerichtshof zu vergleichbaren Sachverhalten aufgestellten Grundsätzen.

Ebenfalls schon aus 4 Ob 65/10b und 8 Ob 25/10z folgt unter Verweis auf Vorjudikatur (RIS-Justiz RS0016195; RS0016181; ebenso auch RS0014921), dass Veranlassung iSd § 871 Abs 1 erster Fall ABGB jedes für die Entstehung des Irrtums ursächliche Verhalten bedeutet, ohne dass es darauf ankäme, ob der Irrtum sorgfaltswidrig herbeigeführt wurde. In den Vorentscheidungen wurde auch festgehalten, dass weder die allgemein bekannte Tatsache, dass Aktien risikobehaftete Wertpapiere seien, noch der Verweis auf den Kapitalmarktprospekt und die allgemein gehaltenen Hinweise auf das (Total-)Verlustrisiko, etwa im Kontoeröffnungs- bzw Wertpapierkaufantrag, etwas daran zu ändern vermögen, dass die von der Beklagten aufgelegte, dem Kläger übergebene und von diesem zur Grundlage seiner Kaufentscheidung gemachte Verkaufsbroschüre das mit den angepriesenen Wertpapieren verbundene Risiko im Verhältnis zu sonstigen Aktien deutlich geringer hinstelle. Von diesen Grundsätzen abzugehen, bietet der vorliegende, von der Sachlage vergleichbare Fall keinen Anlass.

Die Verkaufsbroschüre der Beklagten wurde in 4 Ob 188/08p nach lauterkeitsrechtlichen Kriterien beurteilt und deren Irreführungseignung im Allgemeinen bejaht. Demgegenüber galt es im vorliegenden Fall - ebenso wie in den Entscheidungen 4 Ob 65/10b und 8 Ob 25/10z -, den bei einem Käufer der darin beworbenen Zertifikate durch die Broschüre konkret hervorgerufenen Irrtum zu beurteilen. Die Überlegungen der Revision zur Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens sind daher ebenso wenig relevant wie die Ausführungen zu den Aufgaben und Pflichten des von ihr zwischengeschalteten Wertpapierdienstleistungsunternehmens, weil der Irrtum des Klägers durch den Verkaufsprospekt der Beklagten und damit durch deren positives Tun hervorgerufen wurde (8 Ob 25/10z).

Mangels Vorliegens erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO war die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger und die Nebenintervenientin haben auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen (RIS-Justiz RS0035979).