OGH vom 23.05.2017, 5Ob240/16d
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragsteller 1. D***** S 2. P***** C*****, 3. Dr. D***** L*****, alle vertreten durch Mag. Mathias Kapferer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen den Antragsgegner Dr. H***** R*****, vertreten durch Mag. Günther Eybl, Rechtsanwalt in Gmunden, wegen §§ 16 Abs 2, 52 Abs 1 Z 2 WEG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsteller gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom , GZ 22 R 196/16d-62, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 52 Abs 2 WEG iVm § 37 Abs 3 Z 16 MRG und § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Die Antragsteller planen die Errichtung eines Balkons und einer zusätzlichen Dachgaube. Im Hinblick auf die damit verbundene Inanspruchnahme allgemeiner Teile der Liegenschaft müssen diese Änderungen zu den in § 16 Abs 2 Z 1 WEG geforderten negativen Voraussetzungen kumulativ auch die Voraussetzungen des § 16 Abs 2 Z 2 WEG erfüllen. Die geplanten Maßnahmen müssen also entweder der Übung des Verkehrs entsprechen oder einem wichtigen Interesse des Wohnungseigentümers dienen (RISJustiz RS0083233).
2. Sowohl zur „Übung des Verkehrs“ als auch zum „wichtigen Interesse“ des Wohnungseigentümers iSd § 16 Abs 2 Z 2 WEG liegt bereits umfangreiche Judikatur des Obersten Gerichtshofs vor. Bei Beurteilung der Verkehrsüblichkeit einer Änderung kommt es danach nicht auf eine allgemeine, generalisierende Betrachtung einer vom Standort abstrahierten Baupraxis an, sondern darauf, ob die konkret beabsichtigte Änderung in ihrer geplanten Ausgestaltung unter Berücksichtigung der Beschaffenheit des Hauses, des Umfelds, des Ausmaßes des Eingriffs in die Bausubstanz sowie des Ausmaßes der Inanspruchnahme oder Umgestaltung allgemeiner Teile verkehrsüblich ist (5 Ob 97/12v; RISJustiz RS0126244). Für das Vorliegen eines wichtigen Interesses des Wohnungseigentümers an einer Änderung seines Objekts kommt es besonders darauf an, ob die beabsichtigte Änderung dazu dient, dem Wohnungseigentümer eine dem heute üblichen Standard entsprechende Nutzung seines Objekts zu ermöglichen (RISJustiz RS0083341 [T18], RS0083345 [T16]).
3. Die Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit einer dem § 16 Abs 2 WEG zu unterstellenden Änderung unter den Gesichtspunkten ihrer Verkehrsüblichkeit (5 Ob 137/12a) und/oder des wichtigen Interesses daran (RISJustiz RS0083309 [T16], RS0083341 [T23], RS0083345 [T20]) hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, die in ihrer Gesamtheit zu beurteilen sind. Dabei ist den Vorinstanzen ein gewisser Ermessensspielraum eingeräumt. Solange dieser Ermessensspielraum nicht verlassen wird, liegt keine Rechtsfrage von der Bedeutung gemäß § 62 Abs 1 AußStrG vor. Nur in Fällen einer groben, die Rechtssicherheit in Frage stellenden Fehlbeurteilung hat der Oberste Gerichtshof korrigierend einzugreifen (5 Ob 212/15k, 5 Ob 39/15v; RISJustiz RS0083309 [T9; T 16]; RS0109643 [T10, T 11]).
4.1 Die Auffassung des Rekursgerichts, für die geplanten Änderungen liege keine der nach § 16 Abs 2 Z 2 WEG alternativ erforderlichen Voraussetzungen vor, stellt keine solche vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung dar.
4.2 Zu 5 Ob 97/12v bejahte der Oberste Gerichtshof zwar die Verkehrsüblichkeit einer nachträglichen Balkonerrichtung, er verwies dabei aber ausdrücklich auf die konkreten Umstände des Einzelfalls. Aus dieser Entscheidung lässt sich daher nicht ableiten, dass die nachträgliche Errichtung eines Balkons grundsätzlich der Übung des Verkehrs iSd § 16 Abs 2 Z 2 WEG entspricht. Zu 5 Ob 212/15k (wobl 2016, 232 [zust Etzersdorfer]) etwa billigte der Oberste Gerichtshof die Beurteilung des Rekursgerichts, dass ein „Balkonturmanbau“ (unter den gegebenen Umständen) nicht als verkehrsüblich anzusehen sei. Wenn das Rekursgericht hier angesichts der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen zu den Gegebenheiten im Haus und der Wohnumgebung die Verkehrsüblichkeit der Errichtung eines Balkons unter anderem auch wegen dessen geplanter Dimension verneint, ist dies daher jedenfalls nicht unvertretbar. Nach den Feststellungen ist zwar im selben Gebäude bereits ein Balkon vorhanden und bei einem der Gebäude in näherer Umgebung wurde auch kürzlich ein Balkon errichtet. Eine Übung des Verkehrs in dem Sinne, dass zumindest bei einem großen Teil der vergleichbaren Objekte in der Umgebung vergleichbare Maßnahmen durchgeführt wurden und/oder diese mit vergleichbaren Balkonen ausgestattet sind, ist daraus nicht abzuleiten. Daran ändert auch nichts, dass bei Mehrparteienwohnhäusern die Ausführung von Balkonen für Wohnungen ab dem 1. OG nach der abstrahierten Baupraxis üblich sein mag. Für die geplante Errichtung einer zusätzlichen Dachgaube, deren Verkehrsüblichkeit die Revisionsrekurswerber vor allem aus Zweckmäßigkeitserwägungen und der Tatsache ableiten wollen, dass bei diesem Gebäude eine derartige „Verbindung der vorhandenen Dachgauben“ bereits geschaffen wurde, gilt Entsprechendes.
4.3 Die Argumentation der Revisionsrekurswerber zu dem von ihnen jeweils behaupteten wichtigen Interesse beruht auf (bloßen) Zweckmäßigkeitserwägungen und dem Wunsch nach mehr Lebens- bzw Wohnqualität. Dies allein reicht für die Annahme eines wichtigen Interesses nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs aber nicht aus (5 Ob 39/15v; RISJustiz RS0083345 [T2, T 3, T 7]). Die letztlich maßgebliche Beurteilung des Rekursgerichts, dass die Antragsteller ihre Wohnungen auch ohne Balkon und ohne Erhöhung der Raumhöhe im Bereich der Dachschräge dem heute üblichen Standard entsprechend nutzen können, ist jedenfalls vertretbar (vgl 5 Ob 212/15k = wobl 2016, 232 [zust Etzersdorfer]). Auf das konkrete Ausmaß der Inanspruchnahme allgemeiner Liegenschaftsteile und deren Verhältnismäßigkeit zur Wichtigkeit des Interesses des Änderungswilligen als eines der weiteren Beurteilungskriterien (5 Ob 150/14s mwN) kommt es bei dieser Sachlage nicht entscheidend an.
5. Die Antragsteller zeigen in ihrem Revisionsrekurs damit insgesamt keine Rechtsfrage auf, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt. Mangels Vorliegens dieser Voraussetzungen des § 52 Abs 2 iVm § 37 Abs 3 Z 16 MRG und § 62 Abs 1 AußStrG ist der Revisionsrekurs somit unzulässig und zurückzuweisen.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:0050OB00240.16D.0523.000 |
Schlagworte: | 1 Generalabonnement,8 außerstreitige Wohnrechtssachen |
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