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OGH vom 19.02.2020, 7Ob38/20v

OGH vom 19.02.2020, 7Ob38/20v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden und widerbeklagten Partei L***** H*****, geboren am *****, vertreten durch Mag. Sabine Schuster, Rechtsanwältin in Lenzing, gegen die beklagte und widerklagende Partei F***** J***** H*****, geboren am *****, vertreten durch Dr. Monika Morscher-Spießberger, Rechtsanwältin in Vöcklabruck, wegen Ehescheidung über die außerordentliche Revision der klagenden und widerbeklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom , GZ 21 R 260/19p-48, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1. Der Begriff des „gewöhnlichen Aufenthalts“ im Sinn des Art 8 lit a Rom III-VO ist verordnungsautonom auszulegen (1 Ob 122/16x). Dabei spielen insbesondere die Dauer, die Regelmäßigkeit und die Umstände des Aufenthalts sowie dessen Gründe im betreffenden Staat eine Rolle (vgl RS0126369). Wo ein gewöhnlicher Aufenthalt vorliegt, ist regelmäßig eine Einzelfallbeurteilung und keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (vgl 6 Ob 152/17x).

1.2. Die Streitteile leben seit 2005 gemeinsam mit ihrer Tochter in einer vom Dienstgeber des Beklagten zur Verfügung gestellten Villa in S*****, China. Sie verbringen dort die überwiegende Zeit des Jahres, der Beklagte arbeitet dort, die Tochter hat bereits die Vorschule in S***** begonnen und besucht dort mittlerweile die internationale deutsche Schule. Die Aufenthalte der Familie in Österreich beschränken sich auf einige Urlaubswochen im Jahr. Wenn die Vorinstanzen bei dieser Sachlage von einem gewöhnlichen Aufenthalt in China ausgegangen sind, dann hält sich diese Beurteilung im Rahmen der dafür maßgeblichen Grundsätze und führt zur Anwendung materiellen chinesischen Rechts.

2. Die Vorinstanzen haben erkennbar das Vorliegen der Voraussetzungen für eine „einseitige Scheidung“ nach § 32 des (chinesischen) Ehegesetzes vom idF vom bejaht. Die insoweit behauptete Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO liegt nicht vor.

3.1. Das Fehlen einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Auslegung des anzuwendenden fremden (hier: chinesischen) Rechts reicht für die Annahme einer qualifizierten Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht aus (10 Ob 371/99b mwN). Dem Obersten Gerichtshof kommt nicht die Aufgabe zu, die Einheitlichkeit oder gar die Fortentwicklung fremden Rechts in seinem ursprünglichen Geltungsbereich zu gewährleisten (RS0042948 [T16]; RS0042940 [T3]). Die außerordentliche Revision wäre aus Gründen der Rechtssicherheit nur dann zulässig, wenn ausländisches Recht unzutreffend ermittelt oder eine im ursprünglichen Geltungsbereich des maßgeblichen fremden Rechts in Rechtsprechung und Lehre gefestigte Ansicht missachtet worden wäre oder Subsumtionsfehler unterlaufen wären, die aus Gründen der Rechtssicherheit richtiggestellt werden müssten (RS0042948 [T3, T 4, T 7 und T 21]; RS0042940 [T1 und T 9]). Die Klägerin vermag aber nicht aufzuzeigen, dass die rechtliche Beurteilung durch das Berufungsgericht von einer gefestigten Rechtsanwendung im fremden Staat abgewichen wäre:

3.2. Nach § 32 Abs 2 chinesisches EheG muss das Gericht bei der Behandlung von Scheidungsfällen eine Schlichtung durchführen; es muss die Scheidung gewähren, wenn die Gefühle (der Ehegatten für einander) tatsächlich zerrüttet sind, und die Schlichtung erfolglos ist. Die Scheidung muss nach § 32 Abs 3 chinesisches EheG (ua) dann gewährt werden, wenn andere (gemeint: nicht in Z 1 bis 4 genannte) Umstände zur Zerrüttung der (gegenseitigen) Gefühle der Ehegatten geführt haben.

3.3. Die Scheidungsklage kann nicht deshalb abgelehnt werden, weil vorher keine „außergerichtliche Schlichtung“ durchgeführt wurde. Die gemäß § 32 Abs 2 chinesisches EheG zwingend vorgesehene „gerichtliche Schlichtung“ kann das Erstgericht – entgegen der Ansicht der Klägerin – im Rahmen der Verhandlung vornehmen, was auch – allerdings erfolglos – geschehen ist. Das Erstgericht hat insoweit bereits vorliegender Rechtsprechung entsprochen (7 Ob 160/11x). Von welcher gefestigten Rechtsanwendung im fremden Staat damit abgewichen worden sein soll, zeigt die Klägerin nicht auf.

4. Die „Zerrüttung der (gegenseitigen) Gefühle der Ehegatten“ war schon in erster Instanz unstrittig. Der (nunmehr) gegenteilige Standpunkt der Klägerin geht nicht von den erstgerichtlichen Feststellungen aus und welcher gefestigten chinesischen Rechtsanwendung die Annahme hier vorliegender Zerrüttung widersprechen soll, wird von der Klägerin wiederum nicht aufgezeigt.

5. Die Scheidung der Streitteile ist ohne Verschuldensausspruch erfolgt. Wenn das Erstgericht bei seiner Kostenentscheidung (allenfalls) Verschuldenserwägungen hat einfließen lassen, ist dies für den Obersten Gerichtshof nicht überprüfbar (RS0044185).

6. Die Klägerin macht insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage geltend. Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision somit nicht zulässig und zurückzuweisen. Einer weitergehenden Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00038.20V.0219.000

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