OGH vom 23.04.1985, 4Ob49/85
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedl und Dr. Gamerith sowie die Beisitzer Peter und Dr. Dollinger als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bernhard A, Elektriker, Salla, Dorf Nr. 37, vertreten durch Dr.Josef Peißl, Rechtsanwalt in Köflach, wider die beklagte Partei Elisabeth B, Krane und Hebezeuge, Voitsberg, Stallhofnerstraße 1, vertreten durch Dr. Jürgen Hadler, Rechtsanwalt in Voitsberg, wegen S 30.801,71 s.A., infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom , GZ. 2 Cg 35/84-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Voitsberg vom , GZ. Cr 77/83-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit S 2.590,15 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon S 113,65 Umsatzsteuer und S 240 Barauslagen binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war im Unternehmen der Beklagten vom bis als Elektromonteur beschäftigt. Am erhielt er um 13,30 Uhr den Auftrag, mit dem um 19,30 Uhr von Graz abgehenden Zug nach Innsbruck zu fahren, um auf einer Baustelle der Beklagten in Reutte/Tirol einen Regler in einen Kran einzubauen. Der Kläger sollte in Innsbruck von dem in Reutte tätigen Arbeiter der Beklagten, Ernst C, abgeholt werden. Da der Kläger diesem Auftrag nicht nachkam, wurde er am entlassen.
Der Kläger behauptet, die Entlassung sei ungerechtfertigt erfolgt. Da ihm die Beklagte kein Dienstfahrzeug zur Verfügung gestellt habe, hätte ihn seine Frau von seiner Wohnung (in Salla) nach Graz zum Zug bringen müssen. Sie sei aber an diesem Tage verspätet von der Arbeit nach Hause gekommen, sodaß es ihm nicht mehr möglich gewesen sei, rechtzeitig nach Graz zu fahren. Die Anordnung der Beklagten habe überdies den Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes widersprochen. Der Kläger begehrt an Kündigungsentschädigung, Weihnachtsremuneration und Abfertigung (nach Einschränkung im Berufungsverfahren) dem der Höhe nach außer Streit gestellten Betrag von S 30.801,71 brutto s.A Die Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, die Frau des Klägers habe am um ca. 16 Uhr 30 angerufen und mitgeteilt, daß sie ihren Mann nicht nach Tirol fahren lasse. Dem Kläger wäre genügend Zeit zur Verfügung gestanden, den Zug von Graz nach Innsbruck zu erreichen. Da die Beklagte jenen Dienstnehmer, der den Kläger vom Bahnhof in Innsbruck abholen sollte, nicht habe erreichen können, sei dieser vergeblich nach Innsbruck gefahren. Dadurch sei der Beklagten an Entgelt und Reisekosten ein Schaden von S 3.ooo entstanden, den sie aufrechnungsweise geltend mache. Das Erstgericht stellte die Klagsforderung als zu Recht und die Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend fest und gab demgemäß dem Klagebegehren statt.
Das Berufungsgericht verhandelte die Rechtssache gemäß § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG von neuem, gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und sprach dem Kläger den (eingeschränkten) Klagsbetrag zu. Es nahm folgenden, zum Teil von den erstgerichtlichen Feststellungen abweichenden Sachverhalt als erwiesen an:
Der Vorgesetzte des Klägers, Kurt D, beauftragte den Kläger am um 13,30 Uhr, mit dem Zug um 19,30 Uhr ab Graz einen Regler nach Reutte/Tirol zu bringen. Der Kläger war zur Ausführung des Auftrages bereit.
Er sollte die 54 km lange Fahrt von seiner Wohnung in Salla nach Graz mit seinem PKW zurücklegen, wofür er etwa eine Stunde gebraucht hätte. Der Kläger arbeitete an diesem Tag im Betrieb der Beklagten von 6 Uhr bis 15 Uhr, traf die notwendigen Vorbereitungen für die aufgetragene Montage und fuhr nach Dienstschluß nach Hause, um sich umzuziehen. Dort wartete er auf seine Frau, die üblicherweise mit dem Autobus um etwa 17,50 Uhr nach Salla kommt. Da sie an diesem Tage noch Besorgungen machte, kam sie erst um 18,05 Uhr nach Hause. Als sie vom Kläger erfuhr, daß er nach Tirol fahren müsse, begab sie sich zum nächsten öffentlichen Fernsprecher und rief von dort um 18,15 Uhr die Beklagte an und teilte ihr mit, daß sie den Kläger auf keinen Fall fahren lasse. Sie müsse ihrem Mann noch ein Essen richten, und dann werde es sich nicht mehr ausgehen. Sie fragte, ob der Kläger nicht am nächsten Tag fahren könne. Die Firmeninhaberin erwiderte, der Kläger müsse noch heute fahren, weil es dringend sei, und wies auch darauf hin, der Kläger hätte es sich schon zu Mittag überlegen können, ob er fahre. Andernfalls wäre ein anderer Dienstnehmer mit der Montage beauftragt worden. Die Frau des Klägers solle alles daransetzen, daß der Kläger am Abend wegfahren könne. Die Frau des Klägers erwiderte, daß sie es versuchen werde. Der Kläger hätte nach Ende des Telefonats den Zug voraussichtlich noch erreicht, war aber zu dieser Zeit nicht mehr bereit, noch am Abend wegzufahren, um den Auftrag der Beklagten zu erfüllen. Um etwa 19 Uhr sprach der Kläger bei der Beklagten vor und fragte sie, welche Konsequenzen er zu erwarten habe, da sich das Wegfahren nicht mehr ausgegangen sei. Die Beklagte behielt sich eine Entscheidung bis zur Rücksprache mit Kurt D vor.
Ernst C, der den Kläger in Innsbruck hätte abholen sollen, wäre an seiner Arbeitsstelle in Reutte bis 20 Uhr erreichbar gewesen, doch unternahm die Beklagte keinen Versuch, ihn zu verständigen. Ernst C fuhr daher unverrichteter Dinge nach Innsbruck und erhielt dafür vier Nachtstunden a S 360 bezahlt. Am nächsten Tag fuhr um etwa 10 Uhr ein anderer Arbeiter der Beklagten nach Reutte, um den Regler in den Kran einzubauen. Die Übergabe des Kranes erfolgte zeitgerecht, so daß der Beklagten dadurch kein Schaden entstanden ist. Wenn der Kläger erst am früh weggefahren wäre, hätte er den Kran noch am selben Tag betriebsfähig machen können. 'Aus Sicherheitsgründen' wollte aber Kurt D den Kläger schon während der Nacht auf die Reise schicken, damit er im Zug schlafen und am nächsten Tag ausgeruht mit der Arbeit beginnen könne. Das Berufungsgericht war der Ansicht, daß die (schließliche) Weigerung des Klägers, der Anordnung des Dienstgebers Folge zu leisten, keine Pflichtverletzung darstelle, da die Anordnung objektiv nicht gerechtfertigt gewesen sei. Die Anordnung des Dienstgebers habe nämlich den Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes widersprochen, da Reisezeiten Arbeitszeiten seien. Der Kläger, der an diesem Tag schon von 6 Uhr bis 15 Uhr gearbeitet habe, hätte durch die ab 18,30 Uhr anzutretende Dienstreise die gemäß § 9 AZG festgesetzte tägliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden wesentlich überschritten. Es wäre ihm dann auch die in § 12 Abs 1 AZG vorgesehene ununterbrochene Ruhezeit von elf Stunden nicht gewährt worden. § 20 AZG komme nicht zur Anwendung, weil eine Abreise des Klägers am nächsten Tag noch zeitgerecht gewesen wäre. Auch durch die Zustimmung des Dienstnehmers sei die rechtswidrige Anordnung des Dienstgebers nicht rechtgemäß worden.
Selbst wenn die dem Kläger aufgetragene Dienstreise nicht als Arbeitszeit zu qualifizieren wäre, läge in seiner schließlichen Weigerung, noch am Abend wegzufahren, keine beharrliche Pflichtverletzung, da er und seine Frau nur versucht hätten, eine Erlaubnis der Beklagten zum Antritt der Dienstreise am nächsten Tag zu erwirken. Auch dann hätte der Kläger die notwendigen Arbeiten noch rechtzeitig durchführen können. Die Entlassung sei daher nicht gerechtfertigt. Die Beklagte hätte den durch das vergebliche Abholen des Klägers vom Bahnhof Innsbruck aufgetretenen Aufwand durch Verständigung des beauftragten Dienstnehmers vermeiden können, sodaß die Gegenforderung auch dann nicht berechtigt sei, wenn die Weigerung dem Kläger als Verschulden anzulasten wäre.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der Beklagten ist nicht berechtigt.
Gemäß § 82 lit.f GewO 1859 - welche Gesetzesstelle durch § 376 Z 47 Abs 1 GewO 1973 'bis zur Neuregelung der einschlägigen Bestimmungen' ausdrücklich aufrechterhalten worden ist - kann ein 'Hilfsarbeiter' (iS des § 73 GewO 1859) sofort entlassen werden, wenn er 'die Arbeit unbefugt verlassen hat' (erster Tatbestand) oder 'beharrlich seine Pflichten vernachlässigt' (zweiter Tatbestand). Die Verweigerung jeglicher Arbeit (für einen bestimmten Zeitraum) ist als unbefugtes Verlassen der Arbeit zu beurteilen (Kuderna, Entlassungsrecht 73; 4 Ob 114/84). Unter 'unbefugtem Verlassen' der Arbeit im Sinne dieser Gesetzesstelle ist jede mit der Verpflichtung des Arbeiters, die vereinbarte oder ortsübliche Arbeitszeit einzuhalten, unvereinbare absichtliche Unterlassung oder ein längerdauerndes Aufgeben der Arbeit anzusehen (Arb.9046, 9106, 10.190 ua.). Da die Bestimmung des § 82 lit.f GewO 1859 im Sinne des § 27 Z 4 AngG auszulegen ist (Arb.9106, 9991 ua.), muß das Dienstversäumnis pflichtwidrig, erheblich und schuldhaft sein und überdies eines rechtmäßigen Hinderungsgrundes entbehren (Kunderna aaO 66; Arb.9046, 9135, 9991 ua.).
Das Berufungsgericht verneinte die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens des Klägers, weil die Anordnung des Dienstgebers objektiv nicht gerechtfertigt gewesen sei. Es leitete aus der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom , 4 Ob 49/84 (RdW 1984, 284) die arbeitszeitrechtliche Unzulässigkeit der (noch in den Abendstunden des anzutretenden) Dienstreise mit der Begründung ab, dadurch wäre die festgelegte tägliche Höchstarbeitszeit überschritten und gegen die Vorschriften über die Gewährung entsprechender Ruhezeit verstoßen worden (§§ 9, 12 Abs 1 AZG). Die vom Berufungsgericht herangezogene Entscheidung betraf aber ausschließlich die entgeltrechtliche Behandlung von Reisezeiten. Zu der - auch im Arbeitszeitgesetz nicht geregelten - Frage, wie weit derartige Reisezeiten bei der gesetzlichen Höchstarbeitszeit und bei der Ermittlung der zu gewährenden Ruhezeit mit in Anschlag zu bringen sind, wurde in dieser Entscheidung nicht Stellung genommen. Diese Frage bedarf hier auch keiner Klärung, weil das Dienstversäumnis des Klägers jedenfalls nicht so erheblich ist, daß es die Entlassung rechtfertigt.
'Erheblich' ist ein Dienstversäumnis besonders dann, wenn ihm nach der Dauer der versäumten Arbeitszeit, nach Maßgabe der Dringlichkeit der zu verrichtenden Arbeit oder wegen des Ausmaßes des zufolge des Versäumnisses nicht erzielten Arbeitserfolges oder der sonstigen, dadurch eingetretenen betrieblichen Nachteile besondere Bedeutung zukommt; dabei ist stets auf die Umstände des konkreten Falles abzustellen (SZ 34/108; Arb.9015, 9436, 9578, 9991; Kuderna aaO 66 f, 94, Martinek-Schwarz, Ang. 6 622).
Der Kläger hat zunächst seine Bereitschaft zur Ausführung der angeordneten Dienstreise zu erkennen gegeben, sodaß auf die Frage, ob er mit dem Antritt der Reise am überstunden im Sinne des Arbeitszeitgesetzes (§ 6 Abs 1 AZG) zu leisten gehabt hätte, zu denen er einseitig nur ausnahmsweise auf Grund der Treuepflicht, wie etwa im Falle eines Betriebsnotstandes hätte verpflichtet werden können (4 Ob 114/84; vgl.Cerny, Arbeitszeitrecht, 74), nicht geklärt werden muß. Den Kläger trifft nur der Vorwurf, daß er die anfängliche Bereitschaft zum Antritt dieser Dienstreise noch in den Abendstunden des - offenbar unter dem Einfluß seiner Frau, die ihn nicht sofort wegfahren lassen wollte - widerrief, wodurch der Beklagten die Möglichkeit genommen wurde, für die Abreise eines anderen Bediensteten in den Abendstunden Vorsorge zu treffen. Dem Kläger sind die diesbezüglichen Erklärungen seiner Frau zuzurechnen, weil er gar nicht behauptete, davon nichts gewußt oder sie nicht gebilligt zu haben. Gemildert wird aber der den Kläger treffende Vorwurf dadurch, daß er damit gerechnet hatte, seine Frau werde rechtzeitig von der Arbeit nach Hause kommen und in der Lage sein, ihn noch zu versorgen, und gewillt sein, ihn zum Bahnhof nach Graz zu fahren.
Entscheidend ist aber vor allem, daß sich die Klägerin nicht, wie die Revisionswerberin ausführt, endgültig weigerte, die Dienstreise anzutreten, sondern durch das Telefonat seiner Frau nur erreichen wollte, erst am nächsten Tag nach Tirol fahren zu müssen. Daß die Abreise am nächsten Morgen noch rechtzeitig gewesen wäre und betriebliche Interessen der Beklagten nicht wesentlich beeinträchtigt hätte, ergibt sich nicht nur aus der rückschauenden Betrachtung, daß die Reparatur von einem am nächsten Tag abreisenden anderen Dienstnehmer rechtzeitig durchgeführt wurde und die Übergabe des Kranes so erfolgen konnte, daß der Beklagten kein Schaden entstand, sondern auch aus der Feststellung, daß auch der Kläger bei Abreise am nächsten Morgen den Kran noch am selben Nachmittag hätte betriebsfertig machen können und von Kurt D nur aus 'Sicherheitsgründen' (damit noch eine Zeitreserve bleibt) beauftragt wurde, schon am Vorabend abzureisen.
Die Beklagte hätte daher auf Grund der Mitteilung der Frau des Klägers, sie müsse ihrem Mann noch ein Essen richten und es werde sich dann nicht mehr ausgehen (daß er den Abendzug noch erreiche), ohne Nachteil für den Betrieb die vorgeschlagene Abreise am nächsten Morgen gestatten und den zum Abholen am Bahnhof Innsbruck bestimmten Dienstnehmer telefonisch abbestellen können.
Dem Kläger fällt daher keine so erhebliche Pflichtwidrigkeit zur Last, daß seine sofortige Entlassung gerechtfertigt gewesen wäre. Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.