OGH vom 25.03.2009, 3Ob39/09w
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Hon.-Prof. Dr. Sailer, Dr. Lovrek, Dr. Jensik und Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des Gerhard S*****, vertreten durch den Verfahrenssachwalter Dr. Wolfgang Lauß, Rechtsanwalt in Linz, über die außerordentlichen Revisionsrekurse des Betroffenen sowie des Verfahrenssachwalters gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom , GZ 15 R 251/08z, 252/08x-18, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom , GZ 20 P 58/08s-5, bestätigt wurde, den Beschluss
gefasst:
Spruch
Beiden Revisionsrekursen wird teilweise Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Bestellung Dris. Wolfgang Lauß zum Verfahrenssachwalter nach § 119 AußStrG aufgehoben wird.
Im übrigen Umfang wird den Revisionsrekursen nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Vor dem Bezirksgericht St. Pölten ist zu AZ 8 C 1044/04k eine Klage des Betroffenen gegen einen Gerichtssachverständigen anhängig, der den Betroffenen in einem Sozialgerichtsverfahren begutachtet hatte. Am setzte der Verhandlungsrichter dieses Verfahren gemäß §§ 6a, 190 ZPO bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Pflegschaftsgerichts über die Frage aus, ob dem Kläger ein Sachwalter gemäß § 273 ABGB beizugeben ist.
Aufgrund dieses Beschlusses sowie eines vom Landesgericht Linz zu AZ 4 Cg 65/06f eingeholten neurologisch-psychiatrischen Sachverständigengutachtens, welches dem Betroffenen eine „beträchtliche gemischte Persönlichkeitstörung" mit „wahrscheinlich schon krankheitswertigem Charakter mit Behandlungsbedürftigkeit" attestiert, führte das Erstgericht am eine Erstanhörung durch, bei der der Betroffene über Sinn und Zweck des Sachwalterverfahrens, den Grund für das Sachwalterverfahren und den Fortgang des Verfahrens informiert und seine persönliche Situation im Hinblick auf verschiedene anhängige Prozesse sowie seine anwaltliche Vertretung im Beisein einer Vertrauensperson erörtert wurde. Nach Durchführung der Erstanhörung sprach das Erstgericht mit Beschluss aus, dass das Verfahren, in dem die Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters geprüft wird, fortgesetzt und Dr. Wolfgang Lauß, Rechtsanwalt in Linz, zum Verfahrenssachwalter bestellt wird. Nach dem Ergebnis der Erstanhörung scheine der Betroffene nicht in der Lage, alle seine Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen. Das Verfahren, in dem die Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters geprüft werde, sei daher fortzusetzen. Für dieses Verfahren sei ein Vertreter vorgeschrieben. Da der Betroffene keinen Vertreter für das Verfahren gewählt habe, sei gemäß § 119 AußStrG ein Verfahrenssachwalter zu bestellen gewesen.
Nach Erlassung dieses Beschlusses langte am beim Erstgericht ein Ablehnungsantrag des Betroffenen ein. Darin wurde die Befangenheit der Erstrichterin im Wesentlichen mit der Protokollführung und behaupteten Unterstellungen während der Erstanhörung begründet.
Das Rekursgericht bestätigte den erstinstanzlichen Beschluss über Rekurs des Betroffenen und des Verfahrenssachwalters, der das Rechtsmittel auch im eigenen Namen erhob. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels erhebliche Rechtsfrage nach § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig sei.
Das Verfahren zur Überprüfung der Notwendigkeit einer Sachwalterbestellung sei fortzusetzen, weil auch nach der Unterrichtung und Anhörung des Betroffenen begründete Anhaltspunkte für die Notwendigkeit eines Sachwalters vorlägen. Da die Rechtssphäre des Betroffenen durch die Fortführung des Verfahrens nicht berührt werde, vielmehr das zu seinem Schutz weiter geführte Verfahren überhaupt erst der Ermittlung der Voraussetzungen für die Bestellung eines Sachwalters diene, genüge für die Fortsetzung schon die bloße Möglichkeit, dass es nach Abschluss des Verfahrens zur Bestellung eines Sachwalters kommen könne. Aus dem Akt ergebe sich, dass der Betroffene zahlreiche gerichtliche Verfahren als Kläger eingeleitet habe. In einem dieser Verfahren sei ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten eingeholt worden, aus dem eine beträchtliche gemischte Persönlichkeitsstörung des Klägers abgeleitet werden könne und die vorwiegend sensitiv expansive Persönlichkeitsstörung wahrscheinlich schon krankheitswertigen Charakter mit Behandlungsbedürftigkeit erreicht habe. Aus dem Unterbrechungsbeschluss des Bezirksgerichts St. Pölten gehe hervor, dass der Kläger bei Fortsetzung seiner Prozessführung in zahlreichen Verfahren mit teils beträchtlichem Streitwert auf ein finanzielles Debakel zusteuere. Ein früherer Prozessverlust habe beim Betroffenen offenbar eine solche Irritation erzeugt, dass er eine wahre Flut von Prozessen angestrengt habe. Entgegen der Ansicht der Rekurswerber sei der erstgerichtliche Beschluss nicht begründungslos gewesen. Für die Bestellung eines Verfahrenssachwalters sei es nicht erforderlich, dass das Erstgericht auch Feststellungen über allfällige psychische Erkrankungen oder geistige Behinderungen treffe. Es liege weder eine Scheinbegründung vor, noch leide das erstinstanzliche Verfahren an Verfahrensmängeln. Dem Verfahrenssachwalter komme nicht die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen über das Verfahren über die Sachwalterbestellung hinaus zu - dies im Gegensatz zum einstweiligen Sachwalter nach § 120 AußStrG. Der Verfahrenssachwalter sei daher nicht schon deswegen befangen, weil ein anderer geschäftsführender Gesellschafter und Rechtsanwalt jener Rechtsanwälte GmbH, in der auch der bestellte Verfahrenssachwalter geschäftsführender Gesellschafter und Rechtsanwalt sei, Mitglied des Aufsichtsrats eines Prozessgegners des Betroffenen bzw dieser Prozessgegner langjähriger Klient der Kanzlei des Verfahrenssachwalters sei.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs des Betroffenen und derjenige des Verfahrenssachwalters, mit dem sie die ersatzlose Behebung des Fortsetzungs- und Verfahrenssachwalterbestellungsbeschlusses und die Abänderung im Sinne eines Verfahrenseinstellungsbeschlusses anstreben, sind zwar zulässig, aber nur teilweise berechtigt.
1. Zur Rekursentscheidung trotz fehlender Ablehnungsentscheidung:
Die Geltendmachung der Befangenheit ist auch noch nach der Erlassung der erstgerichtlichen Entscheidung zulässig, und zwar sogar noch im Rechtsmittelschriftsatz (RIS-Justiz RS0042028, RS0041933). Die Ablehnung der Erstrichterin durch den Betroffenen nach Fassung des (später) angefochtenen Fortsetzungs- und Verfahrenssachwalterbestellungsbeschlusses war daher nicht verspätet. Das Rechtsmittelverfahren ist in solchen Fällen zu unterbrechen, um die vorherige Entscheidung über den Ablehnungsantrag in erster Instanz zu ermöglichen, weil im Falle der erfolgreichen Ablehnung des Erstrichters seine Entscheidung als nichtig aufzuheben wäre (RIS-Justiz RS0042028; Ballon in Fasching/Konecny² § 21 JN Rz 4 mwN). Eine sofortige Entscheidung des Rechtsmittelgerichts ist nur in den Fällen zulässig, dass im Rechtsmittel keine konkreten Befangenheitsgründe ins Treffen geführt werden oder die Ablehnung offenkundig rechtsmissbräuchlich erfolgt (6 Ob 70/01i; 1 Ob 26/02h). Das Rekursgericht hätte daher über die Rekurse gegen den von der abgelehnten Erstrichterin gefassten Beschluss erst nach Erledigung der nicht von Vornherein untauglichen oder missbräuchlichen Ablehnung entscheiden dürfen. Diese Mangelhaftigkeit ist allerdings im vorliegenden Fall (mittlerweile) ohne Relevanz, weil zwischenzeitig der Ablehnungsantrag rechtskräftig abgewiesen wurde (E des Landesgerichts Linz vom , AZ 15 R 354/08x). Die durch Unterbrechung des Rechtsmittelverfahrens abzuwartende Klärung der Vorfrage einer allfälligen Nichtigkeit hat hier bereits stattgefunden. Der Nichtigkeitsgrund des § 58 Abs 4 Z 1 AußStrG (Entscheidung durch einen ausgeschlossenen oder mit Erfolg abgelehnten Richter) liegt nicht vor.
2. Zur Verfahrenseinleitung bzw -fortsetzung und Bestellung eines Verfahrenssachwalters:
Das Verfahren zur Prüfung, ob für eine Person ein Sachwalter zu bestellen ist, darf nur eingeleitet werden, wenn begründete Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters zur Wahrung der Belange des Betroffenen vorliegen (3 Ob 167/06i mwN; 3 Ob 94/07f). Die bloße Behauptung der Notwendigkeit einer Sachwalterbestellung ist für die Einleitung des Verfahrens nicht hinreichend; die Anhaltspunkte müssen konkret und begründet sein; sie haben sich sowohl auf die psychische Krankheit oder geistige Behinderung als auch auf die Notwendigkeit der Sachwalterbestellung zum Schutz der betreffenden Person zu beziehen. Fehlen solche Anhaltspunkte, darf das Verfahren nicht eingeleitet werden (RIS-Justiz RS0008526). Für die Fortsetzung des Verfahrens genügt aber schon die bloße Möglichkeit, dass es nach Abschluss des Verfahrens zur Bestellung eines Sachwalters kommen kann (RIS-Justiz RS0008542).
Das Rekursgericht hatte den Verfahrenseinleitungs-/Fortsetzungsbeschluss aufgrund der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des erstgerichtlichen Beschlusses zu überprüfen (stRsp, RIS-Justiz RS0006801). Von den Rekurswerbern behauptete Verfahrens-/Begründungsmängel erster Instanz verneinte das Rekursgericht und verwies in seiner Begründung ausführlich auf den dem Erstgericht bei seiner Entscheidung zur Verfügung stehenden und seiner Entscheidung zugrunde gelegten Akteninhalt. Die Anforderungen an die Begründung des Verfahrenseinleitungs-/Fortsetzungsbeschlusses dürfen nicht mit jenen verglichen werden, die an den Beschluss gestellt werden, mit der für eine Person ein Sachwalter bestellt und damit ihre Geschäftsfähigkeit eingeschränkt wird. Zu Recht verwies das Rekursgericht darauf, dass die bloße Verfahrenseinleitung - ebenso wie die Bestellung eines Verfahrenssachwalters nach § 119 AußStrG - die Rechtsstellung des Betroffenen nicht beschränkt, vielmehr das zu seinem Schutz weitergeführte Verfahren überhaupt erst die Ermittlung der Voraussetzungen für die Bestellung eines Sachwalters ermöglicht (9 Ob 50/05a mwN).
Es widerspräche daher dem Zweck des eingeleiteten oder fortgesetzten Überprüfungsverfahrens, wenn schon zu Beginn konkrete Feststellungen über vorliegende oder nicht vorliegende psychische Erkrankungen oder geistige Behinderungen sowie konkrete Gefährdungen verlangt würden. Konkrete Anhaltspunkte für das im weiteren Verfahren noch zu überprüfende Vorliegen der Voraussetzungen für die Sachwalterbestellung bestanden zum Zeitpunkt der erstgerichtlichen Beschlussfassung aber zweifellos: das neurologisch-psychiatrische Gutachten, die Begründung des Unterbrechungsbeschlusses nach § 6a ZPO und auch manche Äußerungen des Betroffenen im Rahmen der Erstanhörung, indizieren die Möglichkeit fehlender Einsichts- und Handlungsfähigkeit im Zusammenhang mit den zahlreichen vom Betroffenen geführten Prozessen in einer Weise, dass durch vielfache Prozessverluste erhebliche finanzielle Beeinträchtigungen drohen. Ob sich dieser Verdacht bestätigt, kann aber erst nach Abschluss der im Sachwalterverfahren vorgesehenen Beweisaufnahmen, insbesondere durch Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens, beantwortet werden.
Die vom Betroffenen angeführten Entscheidungen 9 Ob 48/06a und 2 Ob 573/89, aus denen der Betroffene eine weit über das in diesem Fall von den Vorinstanzen für ausreichend gehaltene Maß der Begründung ableiten will, betrafen die Bestellung eines (endgültigen) Sachwalters bzw die Bestellung eines einstweiligen Sachwalters für finanzielle Angelegenheiten, also jeweils Eingriffe in die Geschäftsfähigkeit des Betroffenen. Im Gegensatz zu der von der Revisionsrekurswerberin vertretenen Auffassung steht die vom Rekursgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegte Ansicht, die Verfahrenseinleitung/-fortsetzung sei in diesem Fall gerechtfertigt, mit den zu 1 Ob 125/07z referierten Grundsätzen im Einklang. Dort wurde die Begründung für die Verfahrensfortsetzung durch Hinweis auf die Ergebnisse der Erstanhörung und auf die Mitteilung eines Prozessgerichts gebilligt.
3. Zur Verfahrenssachwalterbestellung:
Ist das Verfahren aufgrund der Ergebnisse der Erstanhörung fortzusetzen, so hat das Gericht gemäß § 119 erster Satz AußStrG für einen Rechtsbestand der betroffenen Person im Verfahren zu sorgen. Hat die betroffene Person keinen gesetzlichen oder selbst gewählten Vertreter oder widerstreiten einander dessen Interessen und diejenigen der betroffenen Person, so hat ihr das Gericht einen Sachwalter für das Verfahren (Verfahrenssachwalter) zu bestellen; dadurch wird die betroffene Person in ihren Rechtshandlungen an sich nicht beschränkt (zweiter Satz leg cit).
Den Einwänden des Verfahrenssachwalters gegen die Bestellung seiner Person, die er nach seiner Bestellung sowohl dem Erstgericht gegenüber geäußert als auch zum Gegenstand seiner Rekursausführungen in zweiter und dritter Instanz gemacht hat, kommt Berechtigung zu:
Der Verfahrenssachwalter ist zwar nur zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen im Verfahren über die Sachwalterbestellung, nicht aber außerhalb des Verfahrens berufen (RIS-Justiz RS0008535), im vorliegenden Fall besteht aber dennoch die Gefahr einer Interessenkollision zwischen dem Verfahrenssachwalter und dem Betroffenen. Ein Prozessgegner des Betroffenen ist Mandant der Rechtsanwaltsgesellschaft, der der bestellte Verfahrenssachwalter angehört. Sein Kanzleipartner hat darüber hinaus Sitz und Stimme im Aufsichtsrat dieses Prozessgegners. Dieser Prozessgegner könnte ein Interesse an einer Sachwalterbestellung oder auch an deren Unterbleiben haben, was die Gefahr eines Interessenswiderspruchs in der Person des bestellten Verfahrenssachwalters bedeuten könnte (vgl RIS-Justiz RS0058177). Entsprechend dem bei der Auswahl der Person des Sachwalters im Vordergrund stehenden Wohl der behinderten Person, was die besondere Bedachtnahme auf mögliche Interessenkollisionen erfordert (vgl RIS-Justiz RS0048982), ist die Bestellung des Kanzleipartners eines Prozessgegners des Betroffenen zum Verfahrenssachwalter aufzuheben. Das Erstgericht wird einen neuen Verfahrenssachwalter zu bestellen haben.