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OGH vom 21.09.2006, 2Ob40/06f

OGH vom 21.09.2006, 2Ob40/06f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Grohmann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. Wolfgang V*****, vertreten durch Mag. Dr. Alfred Pressl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Helene Anna V*****, vertreten durch Dr. Dieter Böhmdorfer, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 55.778,82 sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom , GZ 16 R 207/05m-18, womit das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 24 Cg 13/05s-12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben. Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist der Adoptivsohn des am verstorbenen Friedrich Max V*****. Die Beklagte ist die Mutter des Klägers und die Witwe des Verstorbenen.

Im Testament vom hatte der Erblasser die Beklagte als Alleinerbin eingesetzt und den Kläger sowie seinen leiblichen Sohn Dr. Friedrich V***** jeweils auf den Pflichtteil beschränkt, wobei er die Einrechnung aller von ihm gemachten Schenkungen und aller Vorausempfänge gemäß § 788 ABGB in den Pflichtteil anordnete. Die Verlassenschaftsabhandlung war beim Bezirksgericht Liesing anhängig. Mit Beschluss dieses Gerichtes vom wurde das vom Gerichtskommissär errichtete Inventar mit Aktiven von EUR 347.113,02 und Passiven von EUR 7.133,32, somit einem Reinnachlass von EUR 393.979,70 zu Gericht angenommen und der Verlassenschaftsabhandlung zugrunde gelegt. Die Verlassenschaft wurde mit Einantwortungsurkunde vom der Beklagten ins Eigentum eingeantwortet.

Der Kläger macht mit der vorliegenden Klage seinen Pflichtteil in Höhe von 1/6 des zur Verteilung gelangten Nachlasses geltend. Einzurechnende Vorempfänge bzw Schenkungen bestünden nicht. Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger habe neben einer - im Revisionsverfahren nicht mehr relevanten - Übertragung des Hälfteanteiles an einer Liegenschaft noch weitere anrechenbare Zuwendungen erhalten, die die Klageforderung überstiegen. Der Erblasser habe am dem Kläger einen Betrag von S 1,5 Mio überwiesen, der einerseits der Bezahlung von Schulden des Klägers gedient habe, andererseits einen fundierten Start einer vom Kläger kurz zuvor gegründeten Papierhandels-GmbH gewährleisten sollte.

Der Kläger erwiderte, die Zuwendung des Betrages von S 1,5 Mio durch den Erblasser sei frei und ohne Bezugnahme auf irgendeinen Verwendungszweck erfolgt. Sie habe weder der Bezahlung von Schulden noch dem Aufbau seiner wirtschaftlichen Existenz gedient, sondern sei im Zusammenhang mit der Übertragung eines Anteiles am Unternehmen des Erblassers an seinen Bruder erfolgt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von EUR 55.778,82 sA.

Es traf unter anderem folgende Feststellungen:

Der Kläger machte sich im Jahr 1986 selbständig. Nach zwei Gesellschaftsgründungen 1986 und 1990 gründete er im November 1991 als Mehrheitsgesellschafter eine Papierhandels-GmbH, deren Geschäftsführer er war. Am richtete der Kläger einen Brief an die Beklagte, indem er sich zunächst ausführlich darüber beklagte, dass diese ihm durch die Scheidung seinen (leiblichen) Vater genommen habe und er als Adoptivkind stets schlechter behandelt worden sei als der leibliche Sohn des Erblassers. Abschließend bat er um finanzielle Hilfestellung. Er sei gerade damit beschäftigt, für seine Betriebe eine günstige Finanzierungsmöglichkeit für Investitionen und Betriebsmittel in einer Gesamthöhe von S 1,5 Mio zu erarbeiten. Ihm wäre geholfen, wenn diese Finanzierung in der Familie abgewickelt werden könnte. Er denke dabei an ein Privatdarlehen, dass er in 60 gleichbleibenden Monatsraten von S 30.000 zurückzahlen würde. Die Beklagte war nach Erhalt des Briefes vor allem angesichts der darin gegen den Erblasser erhobenen Vorwürfe sehr verzweifelt, woraufhin der Erblasser sich entschloss, dem Kläger den benötigten Geldbetrag nicht zu leihen, sondern zu schenken. Er überwies die Summe auf ein privates Girokonto des Klägers. Nicht festgestellt werden konnte, dass anlässlich der Überweisung eine Anrechnung auf den Pflichtteil vereinbart wurde.

In rechtlicher Hinsicht beurteilte das Erstgericht den Sachverhalt dahingehend, dass hinsichtlich der Schenkung der S 1,5 Mio im März 1992 keine Anrechnung auf den Pflichtteil vereinbart worden sei, weshalb sie keinen Vorschuss gemäß § 789 ABGB darstelle. Die Schenkung sei auf das Schreiben des Klägers vom zurückzuführen, in dem ausdrücklich und ausschließlich von einem Geldbedarf für „Investitionen und Betriebsmittel für seine Betriebe die Rede gewesen sei". Die Leistung sei durch den Erblasser nicht unmittelbar zur Schuldentilgung erbracht worden, weshalb sie auch keinen Vorempfang iSd § 788 ABGB darstelle. Diesbezüglich sei auf die Widmung des Erblassers abzustellen. Die Leistung sei aber auch nicht vom Vorempfang des Antrittes eines Amtes oder Gewerbes gemäß § 788 ABGB erfasst, weil der Kläger bereits ab 1986 selbständig tätig gewesen sei und daher die Zuwendung im März 1992 schon begrifflich nicht mehr der Unterstützung des Klägers beim Antritt seiner unternehmerischen Erwerbstätigkeit dienen konnte. Ein Vorempfang liege nur dann vor, wenn die Zuwendung unter Berücksichtigung der Verhältnisse aller Beteiligten als Beitrag zur wirtschaftlichen Abschichtung des Kindes oder zu dessen Erhaltung anzusehen sei. Soweit die Zuwendung darüber hinausgehe, sei sie als Schenkung nach § 785 ABGB zu behandeln. Da die getroffenen Feststellungen nicht den Schluss zuließen, dass der Kläger ohne die Zuwendung des Erblassers nicht in der Lage gewesen wäre, seine Unternehmen weiter zu betreiben, sei die Zuwendung nicht als Vorempfang gemäß § 788 ABGB zu werten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das gesamte Klagebegehren ab. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, und führte im Wesentlichen Folgendes aus:

Zuwendungen zu Lebzeiten des Erblassers an Pflichtteilsberechtigte seien unterschiedlich zu beurteilen; die Anrechnung von Schenkungen, von Vorempfängen nach § 788 ABGB und von Vorschüssen nach § 789 ABGB müssten auseinander gehalten werden. Die Anrechnung von Schenkungen nütze nur dem Noterben, weil sie nur auf die Erhöhung des Pflichtteiles (Schenkungspflichtteil gemäß § 787 Abs 2 ABGB) anrechenbar seien. Vorausempfänge und Vorschüsse hingegen seien auf den Nachlasspflichtteil (gemeinen Pflichtteil) anzurechnen. Die von Gesetzes wegen anzurechnenden Vorempfänge seien in § 788 ABGB abschließend geregelt. Was der Erblasser bei Lebzeiten seiner Tochter oder Enkelin zum Heiratsgut, seinem Sohn oder Enkel zur Ausstattung oder unmittelbar zum Antritt eines Amtes oder Gewerbes gegeben oder zur Bezahlung der Schulden eines volljährigen Kindes verwendet habe, werde in den Pflichtteil eingerechnet. Weitere Anrechnungen könne der Erblasser nicht verfügen. Wenn der Erblasser in seiner letztwilligen Verfügung die Anrechnung unentgeltlicher Zuwendungen anordne, sei diese Verfügung nur soweit beachtlich, als diese Zuwendungen unter die taxative Aufzählung des § 788 ABGB subsumiert werden könnten. Der dritte Fall des § 788 ABGB (Zuwendungen, die zum Antritt eines Amtes oder Gewerbes gegeben worden seien) werde in Lehre und Rechtsprechung extensiv ausgelegt. Dadurch werde jede Gabe erfasst, die anlässlich der Aufnahme einer beliebigen Berufstätigkeit zugewandt worden sei. Voraussetzung sei ferner, dass der Vermögenswert zu diesem Zweck gegeben worden sei. Sei er aus einem anderen Anlass gewährt worden, so werde er nicht dadurch zum Vorempfang, dass der Noterbe ihn tatsächlich für seinen Beruf verwendet habe. Es müsse sich allerdings nicht gerade um den „Antritt", das heißt den Beginn der Berufslaufbahn gehandelt haben. Es sei hinreichend, dass die Zuwendung zu Berufszwecken erfolgte, also zum Beispiel zur Erweiterung, Modernisierung oder Verlegung eines bereits bestehenden und vom Noterben geführten Betriebes. Hinsichtlich der Beurteilung einer Zuwendung als Vorempfang gemäß § 788 ABGB sei somit auf den vom Erblasser verfolgten Zweck im Zeitpunkt der Leistung abzustellen.

Daran könne hier kein Zweifel bestehen. Der Kläger habe in seinem Brief vom um ein Darlehen in Höhe von S 1,5 Mio für Investitionen und Betriebsmittel ersucht. Wenige Tage später habe der Erblasser ihm diesen Betrag, anstatt ihn nur als Darlehen zu gewähren, schenkungsweise zugewendet. Damit sei die Zuwendung zweifellos zu Berufszwecken erfolgt.

Die ordentliche Revision sei unzulässig, weil das Berufungsgericht von der oberstgerichtlichen Rechtsprechung nicht abgewichen sei. Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, dass das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt wird. Die Beklagte stellt in einem vor Freistellung der Revisionsbeantwortung eingebrachten und als „Gegenausführung zum Antrag auf Zulassung der außerordentlichen Revision der klagenden Partei" bezeichneten Schriftsatz den Antrag, die außerordentliche Revision nicht zuzulassen. Dieser Schriftsatz enthält auch meritorische Rechtsausführungen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage der Anrechenbarkeit einer Zuwendung im Sinne des § 788 ABGB zum Zweck der Fortsetzung eines bereits bestehenden Betriebes nicht vorliegt; in der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung 6 Ob 627/91 wurde diese Frage nur in Zusammenhang mit Erziehungs- und Ausbildungsaufwand gestreift. Die Revision ist aber nicht berechtigt.

Im Rechtsmittel des Klägers wird im Wesentlichen geltend gemacht, dass die Zuwendung nicht unmittelbar zum „Antritt" eines Gewerbes erfolgte und dass eine Zweckwidmung für „Berufszwecke" hier nicht vorliege.

Vorweg ist darauf zu verweisen, dass im Revisionsverfahren die Beurteilung der Zuwendung von S 1,5 Mio an den Kläger als Vorausempfang im Sinn des § 788 ABGB nicht mehr bezweifelt wird. Eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob es sich dabei um eine Schenkung (§ 785 ABGB) handelt, erübrigt sich.

Nach § 788 ABGB wird in den Pflichtteil eingerechnet, was der Erblasser bei Lebzeiten seinem Sohne oder Enkel unmittelbar zum Antritt eines Amtes, oder was immer für eines Gewerbes gegeben hat. Nach herrschender Ansicht sind die Anrechnungsposten des § 788 ABGB taxativ aufgezählt (Rabl, Die historische Entwicklung der Anrechnung von Vorempfängen und Vorschüssen auf den Pflichtteil, NZ 1998, 7, 10;

Eccher in Schwimann, ABGB3 III § 788 f Rz 6). Der in dieser Bestimmung genannte Begriff des „Antritts" wird aber nach ebenfalls herrschender Lehre extensiv interpretiert (Kralik, Erbrecht 294;

Eccher aaO; Rabl aaO mwN; Umlauft, Die Anrechnung von Schenkungen und Vorempfängen im Erb- und Pflichtteilsrecht [2001] 27 f; Samek, Das österreichische Pflichtteilsrecht samt Anrechnungsrecht [2004] 141). Eine Anrechnungspflicht besteht daher auch dann, wenn die Zuwendung nicht zum „Antritt", sondern zur Fortführung eines bereits bestehenden Betriebes erfolgt ist. So sind Zuwendungen zur Vornahme von Investitionen in einem bereits bestehenden Betrieb von der Anrechnungspflicht erfasst.

Die vom Berufungsgericht im Einklang mit der herrschenden Lehre vertretene Rechtsansicht wird daher vom Obersten Gerichtshof gebilligt.

Aber auch die vom Berufungsgericht angenommene Widmung der Zuwendung von S 1,5 Mio zu Berufszwecken trifft zu, zumal der Kläger zuvor eine Finanzierungsmöglichkeit für Investitionen und Betriebsmittel suchte, was die Zuwendung auslöste.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 40, 50 ZPO. Der Kläger ist mit seiner Revision erfolglos geblieben. Kosten für den als Revisionsbeantwortung zu wertenden Schriftsatz der Beklagten wurden nicht verzeichnet.