OGH vom 23.02.1994, 7Ob36/93
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D***** Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr.Friedrich Ödl und Dr.Rudolf Forstenlechner, Rechtsanwälte in Salzburg, wider die beklagte Partei S***** versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr.Klaus Plätzer und Dr.Reinhard Junghuber, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen S 110.917,-- und Feststellung (Feststellungsinteresse S 30.000,--), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 194/93-19, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom , GZ 6 Cg 124/92-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 7.471,80 (darin S 1.245,30 Umsatzsteuer) bestimmten Revisionskosten binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am streifte die mj. Daniela N***** am Friedhof in St***** einen Grabstein, der daraufhin umfiel und den linken Unterschenkel des Kindes unter sich begrub, wodurch das Kind eine schwere Unterschenkelverletzung erlitt. Marianne Sch***** war für diesen Grabstein instandhaltungspflichtig, sie hat bei der Klägerin eine Eigenheim-Vollschutzversicherung, die als Bündelversicherung auch eine Haushaltsversicherung umfaßt, und bei der beklagten Partei eine Haushaltsversicherung mit gleicher hoher Deckung abgeschlossen. Beiden Haushaltsversicherungen liegen die AHB zugrunde. Der von der mj. Daniela N***** auf § 1319 ABGB gestützte Schadenersatzanspruch in der Höhe von S 221.833,-- wurde von der Klägerin beglichen. Marianne Sch***** ließ in dem vom verletzten Kind gegen sie beim Bezirksgericht N***** zu 2 C 841/92h angestrengten Zivilprozeß auf Feststellung, wonach sie für alle zukünftigen Schäden, Aufwendungen, Einkommenseinbußen und sonstige Ansprüche des Kindes aus dem Vorfall vom zu haften habe, am ein Versäumungsurteil ergehen, das in Rechtskraft erwuchs (nicht festgestellt, aber aktenkundig ist, daß Marianne Sch***** mit rechtskräftiger Strafverfügung des Bezirksgerichtes N***** vom zu U 127/91-3 wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 4 erster Fall StGB durch die unterlassene Sanierung des schon längere Zeit schief stehenden Grabsteines auf dem Friedhof St*****, wodurch die mj. Daniela N***** schwer verletzt wurde, zu einer Geldstrafe von S 2.400,-- rechtskräftig verurteilt wurde.)
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Bezahlung von S 110.917,--, sohin der Hälfte ihrer aus dem vorliegenden Schadensfall erbrachten Leistungen. Es liege eine Doppelversicherung vor, die die beklagte Partei nach § 59 Abs. 2 VersVG zur Übernahme der Hälfte der Leistungen verpflichte. Da aufgrund der erheblichen Verletzung des Kindes auch in Zukunft nicht absehbare Schadenersatzleistungen erbracht werden müßten, wurde die Feststellung begehrt, daß die beklagte Partei für zukünftige Schäden des Kindes zu 50 % mitzuhaften habe. Im übrigen stützte die Klägerin ihren Anspruch auch auf § 1042
Die beklagte Partei beantragt die Klagsabweisung und wendet ein, daß im vorliegenden Schadensfall nicht Leistungen aus der Haushalts-, sondern aus der mit der klagenden Partei gleichfalls abgeschlossenen Gebäudeversicherung zu erbringen gewesen seien. Die mj. Daniela N***** habe ihre Ansprüche auf § 1319 ABGB gestützt. Nach Art. 3 Abs. 2 lit.b letzter Absatz der AHB seien Entschädigungsleistungen aus der Haushaltsversicherung ausgeschlossen, wenn der Schaden aus einer Gebäudeversicherung zu leisten sei.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Unfall der mj.Daniela N***** sei durch eine Gefahr des täglichen Lebens verursacht worden, für die nach der Haushaltsversicherung Deckung zu gewähren sei. Grabsteine seien "Werke" im Sinne des § 1319 ABGB. Die Tatsache, daß das verunglückte Kind seine Ansprüche auf diese Bestimmung gestützt habe, lasse nicht den Schluß zu, daß es sich um einen Anspruch gehandelt habe, der durch die bei der Klägerin allein abgeschlossene Gebäudeversicherung umfaßt gewesen wäre.
Das Berufungsgericht bestätigte mit der angefochtenen Entscheidung dieses Urteil. Es erklärte die Revision für zulässig. Der Begriff "Werk" im Sinn des § 1319 ABGB umfasse jeden künstlichen Aufbau. Daß Gefahren, die aus dem Umfallen eines Grabsteines entstehen, im Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem nach § 1319 ABGB zu beurteilen seien, besage nicht, daß eine solche Gefahr keine des täglichen Lebens sei. Auch wenn der Grabstein, der das Mädchen verletzt habe, schon längere Zeit schief gestanden sein sollte, ändere dies nichts an der Deckungspflicht der Beklagten, weil nur für bewußt geschaffene Gefahrensituationen nach der Haushaltsversicherung keine Deckung zu gewähren sei.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der beklagten Partei ist nicht berechtigt.
Voraussetzung der Doppelversicherung ist immer, daß in zwei Versicherungsverträgen dasselbe Interesse versichert wird. Sie liegt auch vor, wenn eine Einzel- und eine Inbegriffsversicherung (§ 54 VersVG; vgl hiezu Prölss-Martin, VVG25, 410 f) oder zwei Inbegriffsversicherungen zusammentreffen und die betroffene Sache jeweils Teil des versicherten Inbegriffs ist. Dieselbe Gefahr liegt auch vor, wenn in den einzelnen Verträgen mehrere Gefahrenkombinationen erfaßt sind und die konkrete Gefahr, die zum Versicherungsfall geführt hat, in den jeweiligen Verträgen gedeckt ist. Ob eine Doppelversicherung vorliegt, kann erst im Zeitpunkt des Versicherungsfalls beurteilt werden. Erst wenn der Versicherungsfall eintritt, steht fest, ob der Versicherungsnehmer die Deckung aus allen Verträgen in Anspruch nehmen muß, oder ob etwa die Versicherungssumme aus einem Vertrag ausreicht. In letzterem Fall liegt eine Doppelversicherung vor (vgl. Schauer, Einführung in das österreichische Versicherungsvertagsrecht2, 129 f, sowie Prölss-Martin aaO 441 f).
Unbestritten ist, daß Marianne Sch***** mit beiden Streitteilen Versicherungsverträge abgeschlossen hat. Bei dem Vertrag mit der klagenden Partei handelt es sich um eine "Eigenheim-Vollschutzversicherung", Versicherungsort St*****, K*****straße 3, die auch eine Haushaltsversicherung einschließt, wobei die Allgemeinen Bedingungen für Haushaltsversicherungen [-ABH] in ihrem Abschnitt III eine Haftpflichtversicherung umfassen und sich der Versicherungsschutz unter anderem auf "Schadenersatzverpflichtungen des Versicherungsnehmers als Privatperson aus den Gefahren des täglichen Lebens" (Art 17 Abs 1 lit a) erstreckt. Bei jenem mit der beklagten Partie handelt es sich um eine Hausratsversicherung zu denselben ABH, betreffend das Objekt St*****, B*****straße 4. Für die Annahme, daß sich die "Schadenersatzverpflichtungen des Versicherungsnehmers als Privatperson" im Vertrag mit der klagenden Partei nur auf Rechtsverhältnisse im Zusammenhang mit dem versicherten Gebäude erstrecken, besteht nach dem in Art 17 der ABH beschriebenen Versicherungsschutz kein Anlaß - ebenso wie auch kein Hinweis dafür vorliegt, daß die im Vertrag mit der beklagten Partei genannte Haftpflichtversicherung nur Schadenersatzverpflichtungen der Versicherungsnehmerin im Zusammenhang mit dem dort genannten Gebäude bestünde. Es besteht daher auch kein Anlaß, Schadenersatzverpflichtugnen der Versicherungsnehmerin als grundsätzlich nicht vom Versicherungsschutz umfaßt anzusehen, die sich daraus ergeben, daß der Grabstein eines von ihr auf dem Ortsfriedhof betreuten Grabes umgestürzt ist und dabei jemanden am Körper beschädigt hat.
Zu prüfen ist deshalb, ob das Umstürzen eines Grabsteins auf einem Friedhof als eine "Gefahr des täglichen Lebens" anzusehen ist.
Nach der Rechtsprechung ist der in Art. 17 Abs. 1 lit.a der ABH beschriebene Begriff der "Gefahren des täglichen Lebens" nach der allgemeinen Bedeutung der Worte dahin zu verstehen, daß der Versicherungsschutz für die Haftpflicht des Versicherungsnehmers jene Gefahren umfaßt, mit denen üblicherweise im Privatleben eines Menschen gerechnet werden muß. Es ist nicht erforderlich, daß solche Gefahren geradezu täglich auftreten. Es genügt, wenn die "Gefahr" erfahrungsgemäß im normalen Lebensverlauf immer wieder, sei es auch seltener, eintritt. Es darf sich nur nicht um eine geradezu ungewöhnliche Gefahr handeln. Rechtswidrigkeit oder Sorglosigkeit eines Verhaltens nehmen den daraus entspringenden Gefahren noch nicht die Qualifikation als solche des täglichen Lebens, weil für die von der Haftpflichtversicherung erfaßten Risken geradezu typisch ist, daß ihnen eine leichte oder grobe Fahrlässigkeit zugrunde liegt (Jabornegg, VR 1989, 211f mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Voraussetzung für einen aus einer Gefahr des täglichen Lebens verursachten Schadensfall ist daher immer eine Fehlleistung oder eine schuldhafte Unterlassung des Versicherungsnehmers.
Das Umstürzen eines Grabsteins auf einem Friedhof kann zwar nicht als eine geradezu alltägliche Gefahr angesehen werden. Es handelt sich dabei aber, wie die Erfahrung zeigt, auch nicht um ein ganz ungewöhnliches Ereignis, und die Betreuung des Grabsteins durch die Versicherungsnehmerin erfolgte auch nicht - wie das Berufungsgericht zutreffend hervorgehoben hat - im Rahmen einer betrieblichen, beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit. Sollte der Grabstein bereits längere Zeit schief gestanden sein, wie die beklagte Partei (erstmals) in ihrer Berufung geltend gemacht hat, vermöchte dies nach den vorstehenden Ausführungen, wonach für die von der Haftpflicht erfaßten Risken eine ihnen zugrunde liegende Sorglosigkeit oder Fahrlässigkeit geradezu typisch ist, an der rechtlichen Beurteilung nichts zu ändern. Ein geradezu bewußtes und gewolltes Schaffen einer Gefahr, eine geradezu vorsätzliche Schadenszufügung wurde von der beklagten Partei nicht geltend gemacht.
Aus all diesen Gründen war daher der Revison nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.