OGH vom 17.02.2011, 2Ob4/11v
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Robert I***** als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der N***** GmbH, *****, gegen die beklagte Partei K***** B***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Wilhelm Klade, Rechtsanwalt in Wien, wegen 41.445,84 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 127/10a 21, womit das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Handelsgericht vom , GZ 18 Cg 29/09f 15, aufgehoben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Gemeinschuldnerin, deren Masseverwalter der Kläger ist, war als Subunternehmerin im Baugewerbe tätig.
Die Beklagte betreibt das Beherbergungsgewerbe. Sie hatte in den Jahren 2007 und 2008 zwei Mitarbeiter. Im November 2007 mietete sie ein Objekt in der Absicht, dort eine Jugendherberge zu errichten. Zu diesem Zweck trat sie im November/Dezember 2007 in Geschäftsbeziehung mit der Gemeinschuldnerin und schloss am einen Generalwerkvertrag zur Personalbereitstellung durch die Gemeinschuldnerin ab, wohingegen die Beklagte selbst das Material für den Ausbau der Jugendherberge zur Verfügung stellen sollte. Bei Geschäftsanbahnung ließ der Geschäftsführer der Beklagten seinen Steuerberater die Gemeinschuldnerin durch Einholung eines Firmenbuchauszugs überprüfen. Dabei wurden keine Auffälligkeiten entdeckt, insbesondere waren die Jahresabschlüsse ordnungsgemäß eingereicht worden. Auch die Überprüfung der UID Nummer brachte keine gegenteiligen Erkenntnisse. Eine Bonitätsauskunft holte die Beklagte nicht ein. Weder die Beklagte noch ihr Steuerberater hatten Hinweise darauf, dass es der Gemeinschuldnerin in finanzieller Weise schlecht gehe. Auch das Finanzamt Baden Mödling führte am Erhebungen über die Gemeinschuldnerin durch und stellte fest, dass deren Büro in Betrieb war, dort regelmäßig Post zuging und auch behoben wurde.
Während der gesamten Bauarbeiten war für den Geschäftsführer der Beklagten der Vorarbeiter der Gemeinschuldnerin, von dem ihm lediglich der Vorname und die Mobiltelefonnummer bekannt waren, Ansprechpartner. Die Arbeiten wurden in zwei Bauabschnitten durchgeführt, der erste von Dezember 2007 bis Jänner 2008. Darüber legte die Gemeinschuldnerin am Rechnung im Betrag von 52.987,20 EUR, den die Beklagte am bar bezahlte, was nach einer Feststellung des Erstgerichts bei Bauleistungen auch bei Zahlung größerer Bargeldbeträge üblich ist. Der zweite Bauabschnitt dauerte vom P21. 1. 2008 bis .
Am wurde über das Vermögen der Gemeinschuldnerin der Konkurs eröffnet und mit Beschluss vom die Schließung des Unternehmens angeordnet.
Ebenfalls am legte die Gemeinschuldnerin der Beklagten per Telefax Rechnung über den zweiten Bauabschnitt in Höhe des Klagsbetrags von 41.445,84 EUR. Die Beklagte strebte unter Hinweis auf einige kleinere Mängel einen Rechnungsnachlass an, der allerdings nicht gewährt wurde. Die Gemeinschuldnerin behob stattdessen bis die Mängel vor Ort und urgierte bereits davor täglich die Zahlung der Rechnungssumme. Am zahlte der Geschäftsführer der Beklagten den Rechnungsbetrag in bar an die Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin. Dieser Betrag floss unstrittig nicht der Konkursmasse zu.
Der klagende Masseverwalter begehrt die neuerliche Zahlung des Rechnungsbetrags an die Masse und stellt die schuldbefreiende Wirkung dieser Zahlungen in Abrede. Die Konkurseröffnung sei in der Insolvenzdatei, der Wiener Zeitung, im Teletext des ORF, im Wirtschaftsblatt und in anderen Medien veröffentlicht worden. Die Zahlung der Beklagten an die Gemeinschuldnerin sei in Kenntnis oder jedenfalls fahrlässiger Unkenntnis der Konkurseröffnung vorgenommen worden.
Die Beklagte bestreitet dies. Sie habe weder von der Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin noch von der Konkurseröffnung Kenntnis gehabt. Auch fahrlässige Unkenntnis könne ihr nicht vorgeworfen werden, weil keine Indizien für die Zahlungsunfähigkeit vorgelegen hätten. Die Gemeinschuldnerin habe bis und auch noch danach Bauleistungen vor Ort erbracht. Es hätten keine Verdachtsgründe für wirtschaftliche Probleme vorgelegen.
Für den Fall der Zahlungspflicht wendete die Beklagte umfangreiche Gegenforderungen kompensando gegen das Klagebegehren ein.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es könne der Beklagten als Kleinunternehmer nicht zugemutet werden, über einen Geschäftspartner mehr als zwei Mal innerhalb kurzer Zeit Einsicht in das Firmenbuch zu nehmen. Es hätten keinerlei Hinweise auf eine schlechte finanzielle Lage der Gemeinschuldnerin vorgelegen und habe die Beklagte keine darüber hinausgehende Nachforschungspflicht getroffen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und hob die Entscheidung des Erstgerichts zur Prüfung der Gegenforderungen auf. Nach der Judikatur müssten sich Banken, Versicherungen und sonstige Großunternehmen der neuen elektronischen Möglichkeiten bedienen, um über den letzten Stand von Insolvenzen in Kenntnis zu sein. Seit könne diese Information zentral in der Insolvenzdatei erhoben werden. Im Jahr 2008 habe ein Internetanschluss auch zur technischen Mindestausstattung eines Klein oder Mittelbetriebs gezählt und sei es daher auch solchen Unternehmen zumutbar gewesen, diese Informationsquelle täglich zu nützen. Nehme ein solches Unternehmen während eines 7 tägigen Zeitraums kein einziges Mal Einsicht in die Insolvenzdatei, könne sie sich nicht mehr auf eine unverschuldete Unkenntnis der Konkurseröffnung berufen. Dies gelte umso mehr, wenn man die ungewöhnlichen Begleitumstände der Zahlung bedenke.
Das Berufungsgericht ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu, weil eine höchstgerichtliche Judikatur zur Frage, inwieweit auch Klein und Mittelunternehmen die Verpflichtung zur Einsichtnahme in die Insolvenzdatei treffe, um dem Vorwurf fahrlässiger Unkenntnis von der Konkurseröffnung zu entgehen, nicht vorliege.
Gegen diesen Aufhebungsbeschluss richtet sich der Rekurs der beklagten Partei mit dem Abänderungsantrag, das Ersturteil wiederherzustellen. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt in seiner Rekursbeantwortung, das Rechtsmittel mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist zulässig , weil zu der vom Berufungsgericht aufgeworfenen Frage keine höchstgerichtliche Rechtsprechung besteht. Er ist aber nicht berechtigt .
Wie bereits das Berufungsgericht ausgeführt hat, normierte der im Zeitpunkt der hier erfolgten Konkurseröffnung in Geltung stehende § 3 Abs 2 erster Satz KO (wie nunmehr § 3 Abs 2 IO), dass der Schuldner durch Zahlung einer Schuld an den (Gemein-)Schuldner nach Konkurs- bzw nunmehr Insolvenzeröffnung nicht befreit wird, es sei denn, dass ihm die Verfahrenseröffnung ohne sein Verschulden unbekannt war. Die Beweislast dafür trifft den (zahlenden) Schuldner (RIS Justiz RS0063862; RS0063845).
War nach der älteren Rechtsprechung die Verfolgung der Veröffentlichungen im Amtsblatt eine ausreichende Maßnahme, sich die notwendige Kenntnis zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht des § 3 Abs 2 KO zu verschaffen, judiziert der Oberste Gerichtshof seit der Entscheidung 9 Ob 2009/96y, dass sich Banken (sowie Versicherungen und Großunternehmen) im Hinblick auf die grundlegenden Veränderungen durch das Entstehen der elektronischen Onlinedatennetze den jeweils letzten Stand der relevanten Information unmittelbar verschaffen können und ihnen deshalb ein Sorgfaltsverstoß schon zur Last fällt, wenn sie diese neuen Medien nicht nutzten und es verabsäumen, ihre Kenntnis über Konkurseröffnungen entsprechend den elektronischen Möglichkeiten zu aktualisieren.
In 4 Ob 276/97k = ZIK 1998, 62, wurde es dagegen bei einem Konsumenten auch angesichts der Verbreitung elektronischer Medien als eine Überspannung der Sorgfaltspflicht angesehen, wenn sich selbst jeder Nichtunternehmer vor geschäftlichen Kontakten vergewissern müsste, ob über das Vermögen seines Geschäftspartners ein Konkursverfahren anhängig ist.
Dagegen wurde in 4 Ob 65/01i die strengere Judikaturlinie gegenüber Banken aufrecht erhalten und ausgesprochen, dass eine Bank nicht nur eine zweckmäßige Organisation schaffen müsse, die es ihr ermögliche, sich Informationen über Konkursverfahren ihrer Kunden zu verschaffen. Sie müsse in weiterer Folge auch dafür Sorge tragen, dass unverzüglich sämtliche aufgrund dieser Kenntnis erforderlichen Maßnahmen getroffen würden, die Verfügungen des Gemeinschuldners oder unberechtigter Dritter über jene Teile des konkursunterworfenen Vermögens verhinderten, das von der Bank verwaltet werde. Bedürfe es dazu einer Anordnung gegenüber der kontoführenden Zweigstelle, sei zu verlangen, dass die Information zuverlässig und ohne Verzögerung dort einlange und unmittelbar nach Eintreffen auch zur Kenntnis genommen werde.
Mit der Frage der Anwendung dieser Judikatur auf Mittel und Kleinunternehmer hat sich der Oberste Gerichtshof bislang nicht befasst.
Nach Mohr , Wann ist die Einsicht in die Insolvenzdatei geboten?, ZIK 2000/7, ist seit Inkrafttreten der Veröffentlichungen in der Insolvenzdatei ab auch von am Wirtschaftsleben teilnehmenden Kleinunternehmen zu verlangen, dass sie die Bekanntmachungen der Insolvenzdatei via Internet nutzen. Eine Ausnahme hält er nur bei Kleinstunternehmen, für die aufgrund der Art ihrer Tätigkeit ein Internetanschluss nicht tunlich ist, für gerechtfertigt. Auch die von Schuhmacher in ÖBA 1997, 304 aufgeworfene Frage eines bestimmten Zeitraums für die Auswertung und Bearbeitung der Insolvenzdaten habe aufgrund der im Internet verfügbaren Insolvenzdatei und der damit einhergehenden Möglichkeit eines technischen Abgleichs der Daten an Relevanz verloren. Es sei eine schnellere Reaktion bereits vor „Arbeitsbeginn in der Früh“ möglich, weil die Daten in der Insolvenzdatei bereits vor Mitternacht abrufbar seien.
Dem ist für Kleinunternehmen jedenfalls dann grundsätzlich zuzustimmen, wenn eine größere Summe - wie hier über 40.000 EUR - bar ausgehändigt wird, mag dies auch, wie das Erstgericht festgestellt hat, „branchenüblich“ sein. Dies umso mehr, wenn trotz ausständiger Verbesserungsarbeiten und Nichtvorliegens einer Originalrechnung die Barzahlung täglich urgiert wird und die entsprechende Sorgfalt aufgrund der im Internet leicht verfügbaren Information auch zumutbar ist.
Die zweimalige Einsichtnahme in das Firmenbuch entspricht dagegen unter diesen Umständen nicht der notwendigen Sorgfalt.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.