OGH vom 09.07.2013, 4Ob47/13k
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Unterhaltssache der mj N***** G*****, geboren am ***** 1996, *****, wegen Kostenersatz nach § 33 JWG, über den Revisionsrekurs der Antragsgegnerin (Mutter) Z***** G*****, vertreten durch Sattlegger Dorninger Steiner Partner, Rechtsanwälte in Linz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom , GZ 15 R 430/12d 16, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Perg vom , GZ 2 PU 98/12x 10, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Die Minderjährige befand sich zum Zeitpunkt der Antragstellung in einer betreuten Wohngruppe im Rahmen einer Maßnahme der Jugendwohlfahrt. Die Kosten für die Unterbringung in der Wohngruppe betragen 140,72 EUR täglich und werden vom Sozialhilfeverband Freistadt getragen. Die Mutter verdient als Heilmasseurin und mit einer Nebenbeschäftigung durchschnittlich 1.304 EUR netto im Monat. Sie hat keine weiteren Sorgepflichten.
Das Land Oberösterreich, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Freistadt , Jugendwohlfahrt, beantragte, die Mutter ab zu einem (monatlichen) Kostenrückersatz von 273 EUR für die Unterbringung der Minderjährigen in der Sozialpädagogischen Wohngruppe zu verpflichten. Die Minderjährige sei dort seit aufgrund einer Maßnahme wegen Gefahr in Verzug aufhältig.
Die Mutter wendete die mangelnde Aktivlegitimation der Antragstellerin ein, weil der Kostenersatz dem Jugendwohlfahrtsträger und nicht wie dem Antrag zu entnehmen sei der Minderjährigen zustehe. Im Übrigen sei die Unterbringungsmaßnahme rechtswidrig und ungeeignet, sodass es nicht angehen könne, die Eltern dafür bezahlen zu lassen.
Das Erstgericht gab dem Antrag der Bezirkshauptmannschaft statt und verpflichtete die Mutter für die Dauer der Maßnahme zur Zahlung von 273 EUR im Monat, die bereits fälligen Beträge binnen 14 Tagen und die in Hinkunft fälligen Beträge jeweils am Ersten eines Monats im Nachhinein. Die Eltern seien gemäß § 140 ABGB zum Unterhalt verpflichtet. Die Prozentkomponente bringe im Allgemeinen das Kräfteverhältnis zum Ausdruck, welches nach § 140 Abs 1 ABGB für die Unterhaltsleistung und somit auch für den Kostenersatz nach § 33 JWG maßgeblich sei. Ein Kind in der Altersgruppe von 15 bis 19 Jahren habe einen Unterhaltsanspruch im Ausmaß von 22 % der Unterhaltsbemessungsgrundlage. Unter Zugrundelegung einer Bemessungsgrundlage von rund 1.304 EUR ergebe sich, dass die finanzielle Leistungsfähigkeit der Antragsgegnerin für einen Kostenersatz von 273 EUR monatlich gegeben sei.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs in Ermangelung von höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage, ob der Kostenersatzanspruch gemäß § 33 JWG auch bei Rechtswidrigkeit der Maßnahme bestehe, für zulässig. Die Aktivlegitimation der Bezirkshauptmannschaft Freistadt sei gegeben, weil sie erkennbar für das Land Oberösterreich auftrete. Der Ersatzanspruch nach § 33 JWG sei dem Wesen nach ein Bereicherungsanspruch. Die Rechtmäßigkeit der vom Jugendwohlfahrtsträger nach § 215 Abs 1 ABGB vorgenommenen Maßnahme sei daher nicht maßgebend, sondern ausschließlich die Ersparnis beim Unterhaltspflichtigen.
Die Mutter beantragt in ihrem Revisionsrekurs die Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen, in eventu die Abweisung des Kostenersatzbegehrens. Es liege mangelnde Aktivlegitimation vor, weil der Anspruch zunächst von der Minderjährigen geltend gemacht und eine Berichtigung der Parteienbezeichnung hier nicht möglich sei. Ein Zuspruch von Kostenersatz für die Zukunft sei nicht zulässig. Im Übrigen sei die Maßnahme nach § 215 ABGB rechtswidrig. Ihre Rechtmäßigkeit sei als Vorfrage zu prüfen. Die Höhe des monatlichen Kostenersatzes wurde nicht bestritten.
Die Antragstellerin beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung , den Revisionsrekurs der Mutter zurückzuweisen bzw ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig , aber nicht berechtigt .
1.1. Gemäß § 33 des mit außer Kraft getretenen JWG haben die Kosten der vollen Erziehung der Minderjährige und seine Unterhaltspflichtigen nach bürgerlichem Recht zu tragen, gegebenenfalls rückwirkend für drei Jahre zu ersetzen, soweit sie nach ihren Lebensverhältnissen dazu imstande sind. Die Unterhaltspflichtigen haben die Kosten auch insoweit zu ersetzen, als sie nach ihren Lebensverhältnissen zur Zeit der Durchführung der vollen Erziehung dazu imstande gewesen sind.
Gemäß § 40 JWG entscheidet, soweit eine Vereinbarung über das Tragen und den Ersatz der Kosten der vollen Erziehung (§ 33) nicht zustande kommt, über entstandene wie künftig laufend entstehende Kosten, auch vor Fälligkeit des Ersatzanspruchs, unabhängig vom Alter des Kindes auf Antrag des Jugendwohlfahrtsträgers das Pflegschaftsgericht im Verfahren außer Streitsachen. Die Regelungen über das Unterhaltsverfahren sind dabei anzuwenden. Ein Kostenersatz findet nicht statt.
1.2. Mit trat das Bundesgesetz über die Grundsätze für Hilfen für Familien und Erziehungshilfen für Kinder und Jugendliche (B KJHG 2013) in Kraft, welches in § 30 Abs 3 regelt, dass unter anderem die Kosten der vollen Erziehung, soweit dadurch der Unterhalt tatsächlich geleistet wurde, von den zivilrechtlich zum Unterhalt Verpflichteten zu ersetzen sind, soweit sie nach ihren Lebensverhältnissen dazu imstande sind oder zum Zeitpunkt der Gewährung der Erziehungshilfe dazu imstande waren. In § 43 B KJHG wird im Wesentlichen der Inhalt des früheren § 40 JWG wiedergegeben.
Die wesentliche Änderung durch das neue Recht liegt im Wegfall der Kostenersatzpflicht des Minderjährigen bzw jungen Erwachsenen selbst. Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus aber keine Änderung. Es kann daher bei der rechtlichen Beurteilung der hier relevanten Fragen auch auf die Rechtsprechung zum JWG zurückgegriffen werden.
2.1. Zur Frage der Aktivlegitimation ist auszuführen, dass im Antrag zwar zunächst die Minderjährige selbst vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Freistadt, Jugendwohlfahrt als Antragstellerin genannt wurde. Es kommt aber nicht auf die Verwendung des Worts „Antragsteller“ an, wenn es sich ganz offensichtlich um eine Fehlbezeichnung handelt (vgl Fucik/Kloiber , AußStrG § 2 Rz 1). Es muss sich aus dem Antrag nur genau bestimmen lassen, wer gegen wen ein Recht geltend macht. Insofern schadet eine andere wenn auch unrichtige Bezeichnung nicht ( Rechberger in Rechberger , AußStrG 2 § 2 Rz 4).
2.2. Im vorliegenden Fall geht aus dem Inhalt des Antrags der Bezirkshauptmannschaft hervor, dass diese nicht für die Minderjährige, sondern als Jugendwohlfahrtsträger für das Land Oberösterreich einschreitet. Letzteres ergibt sich auch schon aus dem Briefpapier des Antrags.
2.3. Zu 6 Ob 299/98h führte der Oberste Gerichtshof aus, dass sich die Antragslegitimation der einschreitenden Stadt bereits aus § 46 des OÖ JWG und der dort normierten vorläufigen Kostentragungspflicht ergebe.
§ 47 OÖ JWG idgF sieht vor, dass die Kosten der vollen Erziehung vom (von der) Minderjährigen und von seinen (ihren) unterhaltsverpflichteten Eltern nach bürgerlichem Recht zu ersetzen sind. Gemäß § 4 Abs 2 und Abs 5 OÖ JWG sind die Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt auch von den Bezirksverwaltungsbehörden zu besorgen. Soziale Dienste können auch von den Sozialhilfeverbänden eingerichtet und betrieben werden. § 11 Abs 1 bis 4 OÖ JWG regelt die örtliche Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörden bei Gefahr in Verzug und unabweislichen Maßnahmen der öffentlichen Jugendwohlfahrt. Die Kosten hat dabei der Sozialhilfeverband vorläufig zu tragen.
2.4. Die Kosten für die Unterbringung der Minderjährigen werden bzw wurden nach den Feststellungen der Tatsacheninstanzen vom Sozialhilfeverband Freistadt bezahlt. Die Antragslegitimation der als Jugendwohlfahrtsträger für das Land Oberösterreich einschreitenden Bezirkshauptmannschaft Freistadt ist daher gegeben.
3.1. § 40 JWG bzw nunmehr § 43 B KJHG sieht vor, dass das Pflegschaftsgericht sowohl über entstandene wie künftig laufend entstehende Kosten, auch vor Fälligkeit des Ersatzanspruchs, zu entscheiden hat. Nach der Rechtsprechung ist die Regelung des § 1418 zweiter Satz ABGB, wonach „Alimente … wenigstens auf einen Monat im Voraus bezahlt“ werden müssen, auf den Ersatzanspruch des Jugendwohlfahrtsträgers gemäß §§ 33, 40 JWG nicht anzuwenden. Das bedeutet, dass bei einer Bejahung der Kostenersatzpflicht auch die Verpflichtung zum Ersatz erst künftig fällig werdender Kostenersätze ausgesprochen werden kann, als Fälligkeitstermin aber nicht der Erste eines Monats im Vorhinein, sondern jeweils nur ein angemessener Termin im Nachhinein, das heißt nach der Erbringung der Leistung durch den Jugendwohlfahrtsträger, in Frage kommt (RIS Justiz RS0033501 [T1]; 9 Ob 31/04f; 6 Ob 247/09f).
3.2. Zuspruch von Kostenersatz für die Zukunft ist daher möglich. Im Anlassfall wurde als Fälligkeitstermin entgegen den Ausführungen der Revisionsrekurswerberin - ohnehin nicht der Erste eines Monats im Vorhinein, sondern jeweils der Erste eines Monats im Nachhinein festgesetzt. Dabei handelt es sich um einen angemessenen Termin im Nachhinein.
4.1. Nach der Rechtsprechung (RIS Justiz RS0078933) sind für die Bemessung des Ersatzes nach § 33 JWG (bzw nach den korrespondierenden Bestimmungen der Ländergesetze hier § 47 OÖ JWG) die Regelungen des Unterhaltsrechts (§§ 140 ff ABGB) maßgeblich, wobei, wenngleich es sich beim Kostenersatzanspruch um keinen Unterhaltsanspruch handelt, dieselben Grundsätze wie für die Bemessung des gesetzlichen Unterhalts zu gelten haben, insbesondere die Anspannungstheorie (9 Ob 120/03t mwN).
4.2. Der Kostenersatzanspruch nach § 33 JWG umfasst auch jene Kosten der vollen Erziehung, die im Rahmen einer vom Jugendwohlfahrtsträger angeordneten vorläufigen Maßnahme nach § 215 ABGB (nunmehr § 211 ABGB) entstanden sind. Anspruchsgrundlage ist § 1042 ABGB (vgl RIS Justiz RS0119864 [T3]). Der ausdrückliche Hinweis der Materialien zu § 33 JWG (RV 171 BlgNR 17. GP 28) auf § 1042 ABGB lässt den Schluss zu, dass der Gesetzgeber den Anspruch auf Ersatz der Kosten der vollen Erziehung als Ersatz jener Aufwendungen verstanden wissen wollte, die sich der nach dem Gesetz Unterhaltspflichtige durch die volle Erziehung erspart. Diese Überlegung trifft aber nicht nur auf die vom Gericht angeordnete volle Erziehung zu, sondern auch auf eine derartige Maßnahme, wenn sie der Jugendwohlfahrtsträger bei Gefahr in Verzug einstweilig verhängt. Auch im Fall einer vorläufigen Maßnahme werden Mittel für die Pflege und Erziehung des Kindes aufgewendet und kommen diesem zu. Auch sind sie den Kosten der endgültigen Unterbringung gleich ein Aufwand im Sinn des § 1042 ABGB, den die unterhaltspflichtigen Eltern nach dem Gesetz hätten erbringen müssen (4 Ob 1/05h).
4.3. Ist demnach der Kostenersatz als Ersatz von Aufwendungen, die sich ein Elternteil erspart, anzusehen, kann es nicht darauf ankommen, ob eine Maßnahme des Jugendwohlfahrtsträgers rechtmäßig erfolgte oder nicht. An der grundsätzlichen Unterhaltspflicht der Mutter gegenüber der Minderjährigen hat sich betreffend den Zeitraum der Obsorgemaßnahme selbst für den Fall nichts geändert, dass der Jugendwohlfahrtsträger diese Maßnahme ohne (ausreichende) tatsächliche und rechtliche Deckung vorgenommen hätte (vgl jüngst 5 Ob 157/12t).
5. Der Kostenersatzanspruch der Bezirkshauptmannschaft Freistadt besteht daher zu Recht. Dem Revisionsrekurs der Mutter war somit nicht Folge zu geben.