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OGH vom 19.02.2014, 3Ob252/13z

OGH vom 19.02.2014, 3Ob252/13z

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden, den Hofrat Univ. Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj 1. A*****, und 2. L*****, beide Norwegen, *****, wegen Obsorge, über den Revisionsrekurs der Mutter H*****, Norwegen, *****, vertreten durch Mag. Martin Machold, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 45 R 305/13f 134, womit dem Rekurs der Mutter gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Hietzing vom , GZ 2 PS 184/11g 122, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die 2002 und 2006 geborenen Kinder wuchsen in Österreich auf und hatten ebenso wie ihre Eltern deren Ehe am rechtskräftig geschieden worden war zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich.

Anfang des Jahres 2012 übersiedelte die Mutter mit den Kindern nach Norwegen.

Das Erstgericht hob mit Beschluss vom die gemeinsame Obsorge der Eltern auf und übertrug der Mutter die einstweilige Obsorge, wobei es die sofortige Vollstreckbarkeit der Entscheidung gemäß § 44 AußStrG anordnete. Dieser Beschluss ist in Rechtskraft erwachsen (s ON 108 iVm ON 114).

Über die wechselseitigen Anträge der Eltern auf Übertragung der Alleinobsorge hinsichtlich beider Kinder entschied das Erstgericht noch nicht (Anträge auf Festsetzung eines Kontaktrechts sind derzeit nicht offen vgl Antragsrückziehung des Vaters ON 132).

Die Mutter erhob den Einwand der mangelnden internationalen Zuständigkeit (ON 71; s auch ON 119) mit der Begründung, ihr stehe infolge der ihr zuerkannten einstweiligen Obsorge das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu. Die Übersiedlung der Kinder nach Norwegen sei daher rechtmäßig erfolgt. Das Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern (KSÜ) kenne anders als die Brüssel IIa VO und § 29 JN keine „perpetuatio fori“ (genauer: perpetuatio jurisdictionis vgl Scheuer in Fasching/Konecny ³ I § 29 JN Rz 18), sondern sehe einen Übergang der Gerichtszuständigkeit auf die Gerichte des Aufenthaltsorts vor. Für die Obsorgeentscheidung seien daher die norwegischen Gerichte international zuständig.

Der Vater trat dem Antrag entgegen und verwies auf die mangelnde Anwendbarkeit des KSÜ, weil Norwegen nicht Vertragsstaat sei. Im Übrigen habe die Mutter die Kinder rechtswidrig nach Norwegen verbracht.

Das Erstgericht verwarf den Einwand der mangelnden internationalen Zuständigkeit für die endgültige Obsorgeentscheidung und wies den Antrag der Mutter auf Einstellung des Verfahrens ab. Das KSÜ sei nicht anwendbar, weil Norwegen nicht Vertragsstaat sei. Das gelte auch für die Brüssel IIa VO. Einschlägig sei vielmehr § 29 JN. Eine Änderung der Umstände nach Verfahrenseinleitung habe auf die internationale Zuständigkeit keine Auswirkung.

Das Rekursgericht gab dem dagegen von der Mutter erhobenen Rekurs nicht Folge. Es teilte die Auffassung des Erstgerichts zur Nichtanwendbarkeit des KSÜ, bejahte allerdings erkennbar die Anwendbarkeit der Brüssel IIa VO, wobei es darauf hinwies, dass sowohl unter Zugrundelegung der Geltung von Art 8 Brüssel IIa VO als auch bei Anwendung des § 29 JN jedenfalls die internationale Zuständigkeit der österreichischen Gerichte gegeben sei.

Den Revisionsrekurs erklärte das Rekursgericht mit der Begründung für zulässig, dass zur Frage, ob die Bestimmungen der Brüssel IIa VO bei einem Wohnsitzwechsel in einen Nichtmitgliedstaat Anwendung fänden, divergierende Meinungen bestünden. Es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu, ob das KSÜ allenfalls auch im Verhältnis zu Nichtmitgliedstaaten anwendbar sei.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen von der Mutter erhobene Revisionsrekurs ist zwar nicht jedenfalls unzulässig (RIS Justiz RS0121265), allerdings ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruchs des Rekursgerichts wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

1. Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung liegt dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz (hier: ein internationales Übereinkommen) selbst eine klare, das heißt eindeutige Regelung trifft (RIS Justiz RS0042656).

2. Der Revisionsrekurs geht nicht einmal ansatzweise darauf ein, warum die Auffassung des Rekursgerichts über die Nichtanwendbarkeit von Art 5 Abs 2 des mit in Österreich in Kraft getretenen (BGBl III 2011/49) Übereinkommens über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom (KSÜ) unrichtig sein soll:

2.1 Der zeitliche Anwendungsbereich des KSÜ ist gegeben (Art 53 Abs 1 KSÜ; vgl 5 Ob 104/12y).

2.2 Nach dem klaren Wortlaut von Art 5 Abs 2 KSÜ sind vorbehaltlich des Art 7 (widerrechtliches Verbringen oder Zurückhalten des Kindes) bei einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes in einen anderen Vertragsstaat die Behörden des Staates des neuen gewöhnlichen Aufenthalts zuständig.

2.3 Aus diesem klaren Wortlaut leitet auch die Literatur ab, dass bei einer Aufenthaltsverlegung in einen Staat, der nicht Mitgliedstaat des KSÜ ist, Art 5 Abs 2 KSÜ nicht anwendbar ist ( Pesendorfer in Fasching/Konecny ² V/2 Art 8 EuEheKindVO Rz 20; Nademleinsky/Neumayr , IFR [2007] Rz 08.31; Nademleinsky , Haager Kinderschutzübereinkommen in Kraft, EF Z 2011/56, 85 [87]; Traar , Das Haager Kinderschutzübereinkommen, iFamZ 2011, 44 [48]).

2.4 Da Norwegen nicht Vertragsstaat des KSÜ ist, treten die Rechtsfolgen des Art 5 Abs 2 KSÜ nicht ein.

3. Der Revisionsrekurs zieht zutreffend nicht in Zweifel, dass bei Nichtanwendbarkeit von Art 5 Abs 2 KSÜ die internationale Zuständigkeit gegeben ist:

3.1 Die Zuständigkeitsbestimmung des Art 8 Abs 1 Brüssel IIa VO statuiert die Fortdauer der internationalen Zuständigkeit, wenn sie im Zeitpunkt der Antragstellung gegeben war (6 Ob 217/12y; Pesendorfer in Fasching/Konecny ² V/2 Art 8 EuEheKindVO Rz 20).

3.2 Auch unter Zugrundelegung der Nichtanwendbarkeit von Art 8 Abs 1 Brüssel IIa VO wäre für die Mutter nichts gewonnen:

Dann nämlich wäre der auch für Außerstreitverfahren geltende ( Scheuer in Fasching/Konecny ³ I § 29 JN Rz 12; RIS Justiz RS0046068; 4 Ob 75/11z) § 29 JN maßgeblich. Er erfasst insbesondere den (nachträglichen) Wegfall der internationalen Zuständigkeit. Die perpetuatio jurisdictionis tritt also vom Fall des Zuerkennens von Immunität abgesehen auch dann ein, wenn der die internationale Zuständigkeit begründende Tatbestand nachträglich wegfällt (RIS Justiz RS0119204; 4 Ob 75/11z).

4. Da somit nach beiden Zuständigkeitstatbeständen die internationale Zuständigkeit gegeben ist, bedarf die erhebliche Rechtsfrage, ob für die Obsorgeentscheidung bei Aufenthaltsverlegung eines Kindes nach Verfahrenseinleitung in einen EU Drittstaat, der wie Norwegen weder Mitgliedstaat des KSÜ noch des Übereinkommens vom über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen (Haager MSA; s BGBl 1975/446) ist, Art 8 Abs 1 Brüssel IIa VO gilt (bejahend Pesendorfer in Fasching/Konecny ² V/2 Art 8 EuEheKindVO Rz 20; Nademleinsky/Neumayr , IFR Rz 08.31; Nademleinsky , EF Z 2011/56, 85 [87]), keiner Beantwortung.

Der Revisionsrekurs ist daher mangels Entscheidungsrelevanz einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2014:0030OB00252.13Z.0219.000