OGH vom 23.12.1998, 7Ob353/98g

OGH vom 23.12.1998, 7Ob353/98g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter, Dr. Schalich, Dr. Tittel und Dr. Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Günther H*****, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der Dipl.-Ing. B***** GesmbH, ***** wider die beklagte Partei W*****, vertreten durch Dr. Christian Prem ua Rechtsanwälte in Wien, wegen S 3,000.000,-- sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom , GZ 3 R 73/98x-44, womit das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom , GZ 16 Cg 44/95k-38, teilweise abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Die angefochtene Berufungsentscheidung wird aufgehoben; die Rechtssache wird an das Berufungsgericht zur allfälligen ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung:

Über das Vermögen der Bauunternehmung Dipl.-Ing. Robert B***** Gesellschaft mbH wurde während des anhängigen Verfahrens zu ***** des Handelsgerichtes Wien am das Konkursverfahren eröffnet und der Kläger zum Masseverwalter bestellt. Dieser stellte nach der Unterbrechung des Verfahrens einen Fortsetzungsantrag. Die Dipl.-Ing. Robert B***** Gesellschaft mbH hat bei der beklagten Partei eine Betriebshaftpflichtversicherung abgeschlossen, der die AHVB 1986 sowie die EHVB 1986 zugrundeliegen.

Artikel 7 der AHVB 1986 lautet auszugsweise:

"Ausschlüsse vom Versicherungsschutz.

Unter die Versicherung gemäß Artikel 1 fallen insbesondere nicht:

1.1 Ansprüche aus Gewährleistung für Mängel;

1.2 Ansprüche, soweit sie auf Grund eines Vertrages oder einer besonderen Zusage über den Umfang der gesetzlichen Schadenersatzpflicht hinausgehen...

2. Die Versicherung erstreckt sich nicht auf Schadensersatzverpflichtungen der Personen, die den Schaden, für den sie von einem Dritten verantwortlich gemacht werden, rechtswidrig und vorsätzlich herbeigeführt haben.

Dem Vorsatz wird gleichgehalten

2.1 eine Handlung oder Unterlassung, bei welcher der Schadenseintritt mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden mußte, jedoch in Kauf genommen wurde (zB im Hinblick auf die Wahl einer kosten- oder zeitsparenden Arbeitsweise);

2.2. die Kenntnis der Mangelhaftigkeit od. Schädlichkeit von hergestellten oder gelieferten Waren oder geleisteten Arbeiten."

Die Dipl.-Ing. Robert B***** GesmbH war mit der Durchführung von Umbauarbeiten des Hauses ***** beauftragt worden. Am stürzte ein Großteil dieses Hauses in die davor im Vorgarten ausgehobene Baugrube. Dem lag folgende Vorgeschichte zugrunde: Zur Vorbereitung der Bauarbeiten führte der Geschäftsführer der späteren Gemeinschuldnerin eine Begehung der Baustelle in Anwesenheit eines nicht näher bekannten Statikers und des Poliers durch. Eine statische Berechnung liegt nicht vor bzw wurde nicht erstellt. Das in Ziegelbauweise errichtete Altgebäude war auf Grund der Baugeschichte nicht besonders bündig. Diese Baugeschichte wurde nicht beachtet. Statt dessen ordnete der Geschäftsführer der späteren Gemeinschuldnerin aus Zeit- und Kostengründen eine "geschätzte" Pölzung an. Es wurde nicht abschnittsweise untergraben und gepölzt, sondern in einem ausgehoben, wobei es zu einer Niveauabsenkung um ca 2 m kam.

Eine vor Durchführung der Pölzung bzw der Abgrabung ordnungsgemäß erstellte Statik hätte Auskunft über die Beschaffenheit des Bodens und das dementsprechend erforderliche Pölzungsausmaß gegeben.

Im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht noch aus: "..., daß der verantwortliche Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin ... aufgrund seines Ausbildungsstandes wußte, daß eine Statik einzuholen war, um überhaupt beurteilen zu können, wie zu pölzen ist und dies unterlassen hat. Er hat dabei vorsätzlich (bedingter Vorsatz) im Sinne der zitierten allgemeinen Bedingungen gehandelt, nämlich dadurch, daß er offensichtlich aus Kostenersparungs- oder Zeitgründen (richtig die Einholung eines) Statikgutachtens unterlassen hat. Dieses ließ ihn daher nicht erkennen, wie er wirklich zu pölzen hatte, die Folge war eine unsachgemäße Pölzung."

Die klagende Partei begehrt von der Beklagten die Zahlung von S 3 Mio sA. Zum Zweck der Herstellung der unterirdischen Bauflächen sei die Abgrabung des Vorgartens auf etwa 1,8 bis 2 m unter das Niveau des Kellergeschoßes des Altgebäudes notwendig gewesen. Da die Fundamente des Baubestandes nicht bis in diese Tiefe gereicht hätten, sei eine Unterfangung erforderlich gewesen. Sie habe die nach den Regeln der Technik dafür notwendigen Sicherungsmaßnahmen - Pölzung und abschnittsweiser Aushub - ordnungsgemäß durchgeführt. Trotzdem sei nach Abschluß der Aushubarbeiten das Haus in die Baugrube gestürzt. Die Beklagte verweigere die Deckung dieses Schadens mit der unrichtigen Behauptung, die Gemeinschuldnerin habe unsachgemäß gepölzt.

Die beklagte Versicherung beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Die Gemeinschuldnerin sei entgegen allen Regeln der Technik bei ihren Aushubarbeiten nicht mit der erforderlichen Sorgfalt vorgegangen. Sie habe weder - wie von der Baubehörde verlangt - die Abgrabung abschnittsweise durchgeführt, noch für die erforderliche Pölzung gesorgt. Aus diesem Grund sei das Gebäude unmittelbar nach Abschluß der Aushubarbeiten in die Baugrube gestürzt. Die eingesetzten Arbeiter hätten ihre Tätigkeit nach den ausdrücklichen Weisungen des Geschäftsführers der Gemeinschuldnerin ausgeübt. Der Versicherungsfall sei daher durch eine Handlung oder Unterlassung der Versicherungsnehmerin herbeigeführt worden, bei welcher der Schadenseintritt mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen, jedoch in Kauf genommen worden sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die unterlassene Einholung eines Statikgutachtens habe zur Verkennung der notwendigen Pölzungsmaßnahmen durch die Gemeinschuldnerin geführt. Die unsachgemäße Pölzung habe dann den Einsturz des Gebäudes zur Folge gehabt. Die klagende Partei habe nicht bewiesen, daß sie an der unterlassenen Einholung eines Statikgutachtens kein Verschulden treffe. Da bei ihrem Geschäftsführer aufgrund seines Ausbildungsstandes vorauszusetzen sei, daß er die Notwendigkeit der Einholung einer Statik erkannt habe, habe er zumindest mit bedingtem Vorsatz gehandelt, sodaß ein Befreiungstatbestand nach den allgemeinen Versicherungsbedingungen zugunsten der Beklagten bestehe.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung, sieht man von einer in Rechtskraft erwachsenen Abweisung eines Zinsenmehrbegehrens ab und gab dem Klagebegehren statt. Es erklärte die Erhebung der ordentlichen Revision für zulässig. Die beklagte Versicherung habe nicht bewiesen, daß der frühere Geschäftsführer der klagenden Partei bei Anordnung der, wie sich später gezeigt habe, untauglichen Pölzung, einen allfälligen Schadenseintritt in Kauf genommen habe. Die Beurteilung dieser Frage sei der Tatfrage zuzuordnen. Selbst wenn man von der erstgerichtlichen Annahme ausgehe, der frühere Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin habe gewußt, daß eine Statik notwendig sei, so schlössen die erstgerichtlichen Feststellungen einen Vorsatz in bezug auf den Schadenseintritt aus. Die Gemeinschuldnerin habe nicht gegen "Vorschriften", sondern nur gegen die Regeln der Baukunst verstoßen. Darüberhinaus habe sich die Beklagte nur auf den Risikoausschluß nach Art 7.2.1 der AHVB berufen. Da somit bedingt vorsätzliche Schadensherbeiführung nicht feststellbar gewesen sei, bestehe der Deckungsanspruch der Gemeinschuldnerin zu Recht.

Die gegen dieses Urteil erhobene Revision der beklagten Partei ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Vorerst kann bei der vorliegenden Deckungsklage noch nicht abschließend beurteilt werden, ob der geltend gemachte Anspruch mit Leistungs- oder Feststellungsklage durchgesetzt werden müßte, weil die erstgerichtliche Feststellung "im Hinblick darauf mußte sich die klagende Partei verpflichten, das Haus kostenlos wieder aufzubauen, die Kosten hiefür belaufen sich auf zumindestens 3 Millionen Schilling" keinen Schluß darüber zulassen, ob die klagende Partei von ihrem Auftraggeber tatsächlich schon zur Leistung des Schadenersatzes herangezogen worden ist. Solange aber der Versicherungsanspruch gemäß § 154 Abs 1 VersVG nicht in einen Zahlungsanspruch übergegangen ist, kann der Versicherungsnehmer keine Leistungsklage einbringen, obwohl der gegen ihn geltend gemachte Schaden bereits ziffernmäßig feststeht. Ab der Inanspruchnahme durch Dritte steht ihm nur ein rechtliches Interesse an der Feststellung des Versicherungsschutzes zu, wenn der Versicherer Deckung ablehnt. Mangels Zahlungsanspruches ist die Leistungsklage solange nicht zulässig, bevor der Versicherungsnehmer den Dritten entweder befriedigt hat oder die Haftung des Versicherungsnehmers sonst feststeht (vgl Heiss/Lorenz VVG2 § 154 Rz 11 ff mwN).

Im vorliegenden Fall hat sich die beklagte Versicherung weder auf den - nach der vorliegenden Feststellungslage gegebenen - Ausschluß aufgrund der Tätigkeitsklausel zufolge mangelhafter Pölzung ist das eingestürzte Haus zweifellos als Ausschlußobjekt zu qualifizieren (vgl Prölss-Martin VVG26 § 4 AHB RN 55 ff), noch auf jenen nach Punkt 3 der EHVB (Zuwiderhandeln gegen gesetzliche Vorschriften), sondern ausdrücklich auf den Ausschluß nach Art 7.2.2.1 inhaltlich aber auch auf den nach Punkt 2.2 AHVB berufen. Parallel zu § 152 VersVG schließt Art 7.2 den Versicherungsschutz für Schäden aus, die der Versicherte rechtswidrig und vorsätzlich herbeigeführt hat. Dem Vorsatz wird im Punkt 2.1 die Inkaufnahme des Schadens der als Folge einer Handlung und Unterlassung mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann, gleichgestellt. In Punkt 2.2 wird darüberhinaus dem Vorsatz die Kenntnis der Mangelhaftigkeit oder Schädlichkeit von hergestellten oder gelieferten Waren oder geleisteten Arbeiten ebenfalls gleichgestellt (vgl Heiss/Lorenz aaO § 152 Rz 11 ff mwN). Bei dem letztgenannten Punkt ist nicht die Inkaufnahme des Schadenseintrittes durch den Versicherungsnehmer erforderlich, für den Risikoausschluß reicht bereits das positive Wissen von der Mangelhaftigkeit und Schädlichkeit der von ihm hergestellten oder gelieferten Waren oder Leistungen aus.

Noch zutreffend hat das Berufungsgericht erkannt, daß der Versicherer im Rahmen seiner Beweispflicht für den behaupteten Ausschluß die Willensrichtung des Versicherungsnehmers im Sinne dieser Bestimmungen nachweisen muß (vgl Heiss/Lorenz aaO Rz 13 ff mwN). Da für die Inkaufnahme des Schadenseintrittes durch den Versicherungsnehmer keine Beweisergebnisse vorliegen, hatte der Versicherer daher die positive Kenntnis des früheren Geschäftsführers der klagenden Partei von der Mangelhaftigkeit und Schädlichkeit der von ihm angeordneten Pölzung bzw Abgrabung zu beweisen.

Entgegen den Darlegungen des Berufungsgerichtes kann aber die Ausführung des Erstgerichtes am Schluß seiner rechtlichen Beurteilung, nämlich daß der frühere Geschäftsführer der klagenden Partei aufgrund seines Ausbildungsstandes wußte, daß eine Statik einzuholen war, um überhaupt beurteilen zu können, wie zu pölzen ist und dies dennoch unterlassen hat und daß er dies tatsächlich vorsätzlich offensichtlich aus Kostenersparnisgründen unterlassen hat, nur als Tatsachenfeststellung aufgefaßt werden, weil wie bereits oben dargelegt, die Beurteilung dieses Umstandes der Tatfrage zuzuordnen ist. Tatsächlich wurde diese Ausführung des Erstgerichtes auch von der klagenden Partei in ihrer Berufung ausdrücklich als Feststellung bekämpft (vgl AS 165 in ON 39). Das Berufungsgericht hat es aber unterlassen, über diesen Teil der Beweisrüge abzusprechen. Dies begründet eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, die zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führt. Das Berufungsgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren über diese Beweisrüge der klagenden Partei abzusprechen und dann neuerlich zu entscheiden haben. Es wird auch die erforderliche Feststellungsgrundlage darüber, ob der Klägerin ein Leistungs- oder nur ein Feststellungsanspruch zusteht, nachzutragen haben. Sollte die bekämpfte Feststellung vom Berufungsgericht als unbedenklich übernommen werden, so wäre tatsächlich der Risikoausschluß nach Punkt 7.2.2 bei der vorliegenden Feststellungslage gegeben (vgl Prölss/Martin VVG 28 § 4 AHB RN 86 und Wussow AHB, 511).

Aus den genannten Gründen war das Berufungsurteil daher aufzuheben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.