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OGH vom 22.02.1984, 1Ob510/84

OGH vom 22.02.1984, 1Ob510/84

Norm

ABGB § 447;

ABGB § 449;

ABGB § 458;

ABGB § 530;

ABGB § 879;

ABGB § 1374;

Kopf

SZ 57/39

Spruch

Die Einschränkung einer vertraglich begrundeten Hypothek oder Reallast des Ausgedinges auf einen Teil der belasteten Grundstücke zur Ermöglichung des lastenfreien Abverkaufs anderer Grundstücke kann vom Verpflichteten grundsätzlich nicht verlangt werden; bleibt die volle bücherliche Sicherstellung des Berechtigten erhalten, kann aber die Weigerung des Berechtigten zur lastenfreien Abschreibung von Grundstücken unter besonderen Umständen den guten Sitten widerstreiten

(KG Steyr R 218/82; BG Weyer C 19/82)

Text

Die Kläger sind je zur Hälfte Eigentümer der Grundstücke EZ 60 und EZ 52 je KG P. Im Lastenblatt der EZ 60 KG P sind unter OZ 43 zugunsten des Beklagten das Pfandrecht für die lebenslängliche Leibrente im Betrag von 2 500 S monatlich, das Pfandrecht für das Auszugsäquivalent von 500 S monatlich, die Dienstbarkeit der Wohnung und die Reallast des Ausgedinges einverleibt. Die EZ 52 KG P haftet für die genannten Lasten simultan mit der EZ 60 KG P. Die Kläger sind mit ihren Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Beklagten wiederholt in Rückstand gekommen, sodaß der Klagsweg beschritten werden mußte. Die L-Bank hat zur Hereinbringung ihrer Forderung von 114 000 S sA die Zwangsversteigerung der Liegenschaften beantragt. Der Schätzwert der Liegenschaften, die ein Flächenausmaß von 554 155 m2 aufweisen, beträgt unter Berücksichtigung des zugunsten des Beklagten haftenden Wohnungsrechtes und Holzschlägerungsrechtes (als Teil des Ausgedinges) 11 754 447 S; davon entfällt auf den Verkehrswert der Gebäude ein Betrag von 4 862 620 S und auf den Holzwert des Waldanteils ein Betrag von 1 090 111 S. Im Rang nach den Rechten des Beklagten sind Geldlasten in der Höhe von rund 4 Mio. S einverleibt.

Die Kläger begehren, den Beklagten schuldig zu erkennen, die Abschreibung des Grundstückes 269 und der neu zu bildenden Grundstücke 285/2 und 290/9 von der EZ 60 KG K gemäß dem Lageplan des Dipl.-Ing. Friedrich M vom , GZ. 4857/82, ohne Mitübertragung der zugunsten des Beklagten haftenden Pfandrechte, Dienstbarkeiten und Reallasten einzuwilligen. Die Kläger führen zur Begründung ihres Begehrens aus, sie beabsichtigten, Grundstücke im Ausmaß von insgesamt 19 827 m2 zu veräußern, um ihren Zahlungsverpflichtungen nachkommen zu können; hiezu sei die Lastenfreistellung erforderlich. Die Weigerung des Beklagten, der lastenfreien Abschreibung zuzustimmen, sei im Hinblick auf die nach Abschreibung verbleibende dingliche Sicherung seiner Rechte sittenwidrig.

Der Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens, weil die nach Abschreibung verbleibende Liegenschaft keine hinreichende Sicherheit für seine Rechte bilde.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und führte in rechtlicher Hinsicht aus, nach den Bestimmungen der Bewertungsgesetz-Nov. 1971, BGBl. 172, seien die Rechte des Beklagten mit dem Siebenfachen des Jahreswertes zu veranschlagen, sohin mit dem Betrag von 252 000 S. Unter Berücksichtigung der vertraglichen Wertsicherung ergebe sich ein Betrag von 634 032 S. Die zu verkaufenden Grundstücke stellten einen Wert von 1 234 670 S, somit knapp ein Sechstel des Grundwertes und etwa ein Zehntel des Schätzwertes der gesamten Liegenschaft dar. Auch nach lastenfreier Abschreibung der Grundstücke seien die Rechte des Beklagten ausreichend sichergestellt, sodaß seine Weigerung, in die lastenfreie Abschreibung einzuwilligen, nicht gerechtfertigt sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge und änderte das Urteil des Erstgerichtes dahin ab, daß es das Klagebegehren abwies. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, 2 000 S übersteigt. Der Beklagte sei weder vertraglich verpflichtet, der lastenfreien Abschreibung zuzustimmen, noch ergebe sich eine solche Verpflichtung aus dem Gesetz. Die im Übergabsvertrag vereinbarte und grundbücherlich einverleibte Sicherung der Rechte des Beklagten stelle eine eindeutige Regelung des Umfanges der pfandmäßigen Sicherheit dar; ihre einseitige Abänderung finde in den analog heranzuziehenden Bestimmungen über den Umfang des Pfandrechts keine Deckung. Die Bestimmungen der §§ 1373 f. ABGB kämen nur zur Anwendung, wenn sich eine Sicherstellungspflicht aus dem Gesetz oder einer Vereinbarung ergibt, stellten aber keine Grundlage für eine Einschränkung einer vertraglich vereinbarten Sicherheitsleistung dar. Auch § 96 EO, der eine Einschränkung der Exekution bei Überdeckung vorsehe, könne nicht herangezogen werden, weil diese Bestimmung auf vertragsmäßige Pfandrechte keine Anwendung finde. Auch die Bestimmungen des Liegenschaftsteilungsgesetzes böten keine Grundlage für das erhobene Klagebegehren. Ein Verstoß des Beklagten gegen die guten Sitten, Treu und Glauben und das Schikaneverbot sei nicht zu erkennen. Die Kläger seien in der Vergangenheit des öfteren ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen und seien daher mehrmals auf Zahlung der rückständigen Leibrentenforderungen geklagt worden. Eine Zustimmungspflicht zur Schmälerung des Befriedigungsfonds des Berechtigten könne sich daraus, daß durch den Abverkauf lastenfrei gestellter Grundstücke die offenen Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Beklagten und dritten Personen, die bereits eine Zwangsversteigerung eingeleitet haben, erfüllt werden könnten, nicht abgeleitet werden.

Über Revision der Kläger hob der Oberste Gerichtshof die Urteile der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache zur Ergänzung der Verhandlung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Gemäß § 847 ABGB kann die bloße Teilung eines gemeinschaftlichen Gutes einem Dritten nicht zum Nachteil gereichen; alle ihm zustehenden Pfand-, Servituts- und anderen dinglichen Rechte werden nach wie vor der Teilung ausgeübt. Diese vom Gesetz für die Teilung eines gemeinschaftlichen Gutes aufgestellten Grundsätze gelten sinngemäß auch dann, wenn eine im Alleineigentum einer Person stehende Liegenschaft einer Person geteilt oder wenn Grundstücke von einem Grundbuchskörper abgeschrieben werden sollen (Klang in Klang, Komm.[2] III 1138; Gamerith in Rummel, ABGB, Rdz. 3, 5, 6, und 7 zu § 847). § 3 Abs. 1 LTG sieht demgemäß vor, daß die Abschreibung ohne Zustimmung derjenigen Personen, für die dingliche Rechte (iS des § 9 GBG) eingetragen sind, nur möglich ist, wenn für das Trennstück eine neue Einlage eröffnet wird und die Rechte der Buchberechtigten in diese, die Pfandrechte als Simultanhypotheken, übertragen werden. Die lastenfreie Abschreibung von einem Grundbuchskörper ist demgemäß grundsätzlich an die Zustimmung der bücherlich Berechtigten gebunden (Klang aaO; Bartsch, Grundbuchsgesetz[7] 559 f.). Da die Beibringung von Freilassungserklärungen oftmals in einem Mißverhältnis zum Wert des Trennstückes und seiner Bedeutung für die hypothekarische Sicherheit steht und die Notwendigkeit der Zustimmung des Gläubigers zur lastenfreien Abschreibung von diesem zur Erlangung unrechtmäßiger Vorteile mißbraucht werden kann, gestattet das Gesetz unter gewissen Voraussetzungen die lastenfreie Abschreibung auch ohne Freilassungserklärung, jedoch nur nach Durchführung eines besonderen Verfahrens (Klang aaO 1140). So sehen die §§ 13 ff. LTG die lastenfreie Abschreibung geringwertiger Trennstücke von einem Grundbuchskörper vor, doch sind die Voraussetzungen des § 13 Abs. 5 lit. a bis d LTG im Hinblick auf Wert und Umfang der abzuschreibenden Trennstücke im vorliegenden Fall offenbar nicht gegeben. Die Kläger behaupten auch nicht, daß die Voraussetzungen lastenfreier Abschreibung nach Durchführung des Aufforderungsverfahrens (§§ 4 bis 12 LTG) vorlägen. Lastenfreie Abschreibungen dieser Art wären auch im Grundbuchsverfahren durchzuführen.

Bei Pfandrechten ergibt sich aus dem Grundsatz der ungeteilten Pfandhaftung, daß das Pfandobjekt bis zur vollständigen Befriedigung haftet; der Gläubiger ist daher, wenn er nur teilweise befriedigt wird, nicht verpflichtet, einzelne Pfandgegenstände oder einen Teil des Pfandes freizugeben (Ehrenzweig, System[2] I/2, 390; Koziol-Welser, Grundriß[6] II 94; Petrasch in Rummel, ABGB, Rdz. 2 zu § 447 und Rdz. 3 zu § 449). Die weitere Haftung des verpfändeten Grundstückes ist demnach von der Frage, in welchem Maße der Gläubiger nach teilweiser Befriedigung seiner Forderung pfandrechtlich gedeckt ist, unabhängig. Eine allfällige Überdeckung der Forderung des Gläubigers durch das ihm eingeräumte Grundpfand wird damit vom Gesetz grundsätzlich in Kauf genommen. Nur beim Zwangspfandrecht gilt der in § 96 EO zum Ausdruck kommende Grundsatz, daß der Verpflichtete in der Verfügung über sein Vermögen nicht in größerem Maße gehindert sein soll, als es der Zweck der Exekution, die Befriedigung der vollstreckbaren Forderung, notwendig macht. (EvBl. 1967/33; RZ 1936, 200).

Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, daß die Regelung des § 96 EO auf das vertragsmäßig begrundete Pfandrecht nicht Anwendung findet; die Aufhebung oder Einschränkung von vertragsmäßigen Pfandrechten darf vom Exekutionsgericht nicht bewilligt werden (Heller-Berger-Stix, Komm.[4] 938; Walker, Österreichisches Exekutionsrecht[4] 166), weil dies einen unzulässigen Eingriff in den zwischen den Parteien abgeschlossenen Pfandbestellungsvertrag bedeutete. Die Bestimmung des § 1374 ABGB beinhaltet, wie gleichfalls schon das Berufungsgericht zutreffend erkannte, nur eine Regelung, unter welchen Voraussetzungen die Bestellung eines Pfandrechtes zur Erfüllung eines Sicherstellungsanspruchs ausreichend ist, stellt aber keine Grundlage für die Einschränkung eines vertraglich begrundeten Pfandrechtes dar; ebensowenig kann aus § 458 ABGB, wonach der Pfandgläubiger berechtigt ist, vom Pfandgeber ein anderes angemessenes Pfand zu fordern, wenn der Wert des Pfandes zur Bedeckung der Schuld nicht mehr zureicht, abgeleitet werden, daß bei Überdeckung der Forderung eine Einschränkung des vertraglich begrundeten Pfandrechts begehrt werden könne. Abzulehnen ist schließlich die Rechtsansicht, die Kläger wären berechtigt, unter Berufung auf die clausula rebus sic stantibus wegen Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse selbst die gänzliche Freigabe des Pfandes zu fordern, daher jedenfalls auch eine Verringerung der bücherlichen Sicherheit. Die Pfandbestellung soll dem Gläubiger gegen eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation des Schuldners Schutz bieten; diese kann daher nicht Grund für eine Verringerung der pfandmäßigen Deckung sein. Nichts anderes kann für eine einverleibte Reallast gelten.

Dem Begehren der Kläger könnte aber dennoch Berechtigung zukommen, wenn die Weigerung des Beklagten, der lastenfreien Abschreibung zuzustimmen, als mißbräuchliche Rechtsausübung anzusehen wäre. Die Kläger haben sich schon im Verfahren vor dem Erstrichter darauf berufen, daß die Weigerung des Beklagten den guten Sitten widerspreche. Sie haben insbesondere geltend gemacht, daß durch den beabsichtigten Abverkauf von Grundstücken die Sicherheit der Rechte des Beklagten in keiner Weise gefährdet wird. Die "Guten-Sitten-Klausel" (§ 879 ABGB) soll den Richter instandsetzen, bei einem dem Rechtsgefühl der Rechtsgemeinschaft, das ist aller billig und gerecht Denkenden, widersprechenden Handeln helfend einzugreifen (MietSlg. 27002/9; JBl. 1972, 200; SZ 44/58; SZ 38/164; SZ 38/217; JBl. 1956, 150; SZ 27/19; Gschnitzer in Klang Komm.[2] IV/1, 181). Auch ein Beharren auf Vertragserfüllung kann sittenwidrig sein (SZ 44/58), wenn die vom Gericht vorzunehmende Interessenabwägung bei Interessenkollision ein grobes Mißverhältnis zwischen den durch die Handlung verletzten und den durch sie geförderten Interessen ergibt (JBl. 1972, 200). Die Berufung auf den Verstoß gegen die guten Sitten kann nicht nur bewirken, daß ein "an sich" gegebenes Recht ignoriert, sondern auch, daß "an sich" nicht bestehende Rechte zuerkannt werden (Roth in Münchener Komm. Rdz. 229 zu § 242 BGB). Letztlich geht es bei den durch die guten Sitten umschriebenen Schranken der Rechtsausübung darum, die zwischen den Parteien bestehende Interessenlage zu würdigen und die im Hinblick darauf angemessenen Rechtsfolgen in Abweichung von den Regelungsmustern der einschlägigen speziellen Rechtsnormen zu finden (Roth aaO; vgl. Krejci in Rummel, ABGB, Rdz. 140 zu § 879). Nach den unbekämpft gebliebenen Feststellungen wären die Rechte des Beklagten auch nach Durchführung der beabsichtigten lastenfreien Abschreibung in einem das Ausmaß des § 1374 ABGB weit überschreitenden Ausmaß gedeckt. Der Beklagte ist weder den Feststellungen des Erstrichters, wonach der Schätzwert der Liegenschaft (unter Berücksichtigung des Wohnrechts und des dem Beklagten zustehenden Holzschlägerungsrechts) 11 754 447 S beträgt, noch auch den weiteren Ausführungen, wonach der Schätzwert der ihm zustehenden Rechte mit 634 032 S zu veranschlagen ist, entgegengetreten. Die Tatsache, daß die Rechte des Beklagten durch die ihm eingeräumte Realsicherheit überdeckt sind, rechtfertigt aber für sich allein noch nicht das gestellte Klagebegehren. Im vorliegenden Fall hat aber ein Gläubiger zur Hereinbringung seiner vollstreckbaren Forderung bereits die Zwangsvollstreckung der Liegenschaft beantragt. Die Kläger beabsichtigen nach ihrem Vorbringen mit dem teilweisen Abverkauf von Grundstücken ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen und damit die exekutive Veräußerung abzuwenden. Wäre dies erweislich und stunde weiters fest, daß der in Aussicht genommene Erwerber der Grundstücke keineswegs gewillt ist, die bücherlich sichergestellten Lasten des Beklagten zu übernehmen, daß Interessenten, die zur Übernahme der Last bereit wären, nicht aufgetreten sind und nach den Umständen auch nicht ausfindig gemacht werden dürften und daß den Klägern auch eine andere wirtschaftlich sinnvolle Möglichkeit zur Beschaffung von Zahlungsmitteln zur Abwendung der Versteigerung nicht zur Verfügung steht, müßte die Weigerung des Beklagten, der lastenfreien Abschreibung zuzustimmen, als rechtsmißbräuchlich und damit den guten Sitten widerstreitend angesehen werden. Es wird dabei zu berücksichtigen sein, daß im allgemeinen die Übernahme der Haftung für eine Reallast des Ausgedinges durch einen Erwerber in aller Regel weniger leicht erreichbar sein wird als die einer bloßen Mithaftung für eine Geldschuld. Der Erstrichter wird im fortgesetzten Verfahren noch ergänzende Feststellungen in der aufgezeigten Richtung zu treffen haben.