OGH vom 17.06.2020, 3Ob34/20a
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Präsidentin Hon.-Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Roch und Priv.-Doz. Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek in der Rechtssache der klagenden Partei B*****, vertreten durch MMag. Peter Schweiger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S*****GmbH, *****, vertreten durch Mag. Brunner, Mag. Stummvoll Rechtsanwälte OG in Graz, und der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei U***** GmbH, *****, vertreten durch Hochedlinger Luschin Marenzi Kapsch Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 50.599,24 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 159/19p-61, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Beklagte installierte zunächst in das 2011/12 fertiggestellte Gebäude des klagenden Vereins eine – damals voll funktionsfähige und erweiterbare – Zutrittskontroll- und Alarmanlage. Im Rahmen eines Zubaus beauftragte der Kläger die Beklagte mit Werkvertrag vom 13./ mit der Herstellung, Lieferung und Montage einer Zutrittskontroll-, Alarm-, Notausgangsüberwachungs- und Videoüberwachungsanlage im neuen Gebäudeteil sowie mit den einhergehenden Adaptierungsarbeiten zur Erweiterung der Zutrittskontroll- und Alarmanlage im bereits bestehenden Gebäudeteil. Die Übergabe der Anlage erfolgte am . Das Zutrittskontrollsystem, die Alarmanlage und die Notausgangsüberwachung bildeten zusammen ein kombiniertes System, das über eine gemeinsame Zentrale gesteuert wurde, die sämtliche Komponenten mit Strom versorgte.
Nach diesem Zeitpunkt traten einzig bei der neu installierten Videoüberwachungsanlage keine Probleme auf. Im Bereich der Zutrittskontroll-, Alarm- und Notausgangsüberwachungsanlage kam es bereits wenige Tage nach der Übergabe und in der Folge immer wieder, zuletzt im Juli 2017, zu Fehlfunktionen (wiederholtes willkürliches Sperren/Öffnen von Türen; mehrere Totalausfälle des Zutrittskontrollsystems, wodurch sich ein Großteil der Türen nicht mehr schließen oder öffnen ließ [erstmals im Juli 2015]; Auslösen des Notausgangsalarms ohne Öffnen von Türen; kein Scharfschalten der Alarmanlage). Obwohl die Beklagte zahlreiche Verbesserungsversuche (Neuprogrammierung der Zutrittskontroll- und Alarmanlage; mehrfacher Austausch der Zentrale und anderer Komponenten; Trennung der Alarm- von der Zutrittskontrollanlage durch die Errichtung je einer Zentrale) unternahm, konnten weder die Beklagte noch die Herstellerin der verbauten Komponenten (die Nebenintervenientin) konnten die Fehlerquelle ausfindig machen.
Mit EMail vom erklärte der Kläger die Wandlung des Werkvertrags.
Die Ursache für die dargestellten Fehlfunktionen der Zutrittskontroll-, Alarm- und Notausgangsüberwachungsanlage vom Zeitpunkt der Installation bis zur Deinstallation lag nicht im Bereich der vom Kläger zur Verfügung gestellten technischen Infrastruktur (elektrische Anlage oder Bus-Verkabelung) und hat ihren Ursprung weder in thermischen Einflüssen noch in atmosphärischen Störungen wie Blitzeinschläge. Der Kläger griff auch mittels der Verwaltungssoftware nicht derart in die Programmierung der Anlage ein, dass es dadurch zu den beschriebenen Störfällen kam. Die Fehlerquelle liegt demzufolge im Bereich der Hard- oder Software der Anlage.
Die Vorinstanzen gaben dem Wandlungsbegehren des Klägers statt und verpflichteten die Beklagte zur Rückzahlung des (geminderten) Werklohns Zug um Zug gegen Aushändigung der Hardware, weil die Vermutung des § 924 Satz 2 ABGB greife.
Rechtliche Beurteilung
Die Beklagte zeigt in ihrer außerordentlichen Revision keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf, weshalb diese zurückzuweisen ist.
1. Vielfach stellen sich die Ausführungen im Rahmen der Rechtsrüge inhaltlich als in dritter Instanz unzulässige Kritik an der Beweiswürdigung der Vorinstanzen dar, obwohl Fragen der Beweiswürdigung nicht revisibel sind (RS0042903 [T5, T 7]).
2. Der Vorwurf, der Kläger habe die Voraussetzungen für die Geltung der Gesetzesvermutung des § 924 Satz 2 ABGB nicht bewiesen, ist unbegründet:
2.1. Gemäß § 1167 ABGB kommen bei Mängeln des Werkes die für entgeltliche Verträge überhaupt geltenden Bestimmungen (§§ 922 bis 933b ABGB) zur Anwendung. Eine Sache ist gemäß § 922 Abs 1 ABGB mangelhaft, wenn sie nicht die bedungenen oder gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften hat. Bei einem Werkvertrag hat der Unternehmer das vertraglich geschuldete Werk herzustellen. Eine Leistung ist nur dann mangelhaft im Sinn des § 922 ABGB, wenn sie qualitativ oder quantitativ hinter dem Geschuldeten, das heißt dem Vertragsinhalt, zurückbleibt (RISJustiz RS0018547). Welche Eigenschaften das Werk aufzuweisen hat, ergibt sich in erster Linie aus der konkreten Vereinbarung, hilfsweise – soweit eine Detailvereinbarung nicht besteht – aus Natur und (erkennbarem) Zweck der Leistung, letztlich aus der Verkehrsauffassung, sodass das Werk so auszuführen ist, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht (RS0021694 [T4]; RS0021716; RS0126729).
2.2. Dem Gewährleistungskläger obliegt es, den behaupteten Mangel zu beweisen (RS0018553). Auch bei ungeklärter Ursache eines erst nach der Übergabe auftretenden Mangels wird die den Gewährleistungskläger treffende Beweislast nicht verschoben (RS0018497). Gemäß § 924 ABGB leistet der Übergeber nur für Mängel Gewähr, die bei der Übergabe vorhanden sind. Dies wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, wenn der Mangel innerhalb von sechs Monaten nach der Übergabe hervorkommt. Die Vermutung tritt nicht ein, wenn sie mit der Art der Sache oder des Mangels unvereinbar ist.
Auch § 924 Satz 2 ABGB berührt allerdings in keiner Weise die Beweislast für das Vorliegen eines Mangels an sich; die Beweislast dafür, dass die übergebene Sache bzw Leistung aus dem Werkvertrag überhaupt mangelhaft ist, trägt somit weiterhin der Übernehmer der Sache (RS0124354). Will sich der Übernehmer auf die widerlegliche Gesetzesvermutung berufen, hat er somit die (nunmehrige) Mangelhaftigkeit der Sache und das Hervorkommen eines Mangels innerhalb der Frist von sechs Monaten zu beweisen (6 Ob 123/15d; RS0124354 [T6]). Grundvoraussetzung für die Anwendbarkeit des § 924 ABGB ist also, dass der Übernehmer den Beweis führt, dass sich die gelieferte Sache (oder sonstige Leistung) innerhalb der gesetzlichen Vermutungsfrist in einem Zustand befunden hat, der als Mangel zu qualifizieren wäre, wenn er schon bei Übergabe vorhanden gewesen wäre (1 Ob 43/12y).
2.3. Da der Gegenstand eines Vertrags der Natur des Geschäfts oder der geschlossenen Verabredung gemäß verwendbar sein muss (2 Ob 135/10g; 1 Ob 239/16b uva), haben die Vorinstanzen angesichts der zahlreich festgestellten Funktionsstörungen der von der Beklagten hergestellten und montierten Gesamtanlage ohne Fehlbeurteilung das Bestehen eines Mangels angenommen. Durch die weitere Feststellung, dass dessen Ursache in einem Fehler der Hard- oder Software der Anlage liegt, jedoch weder der Sphäre des Klägers noch der neutralen Sphäre entstammt, bestehen keine Unklarheiten auf Tatsachenebene darüber, ob der Mangel auf mangelhafter Leistung der Beklagten oder auf einem anderen Umstand beruht. Vielmehr ist damit hinreichend klargestellt, dass die Werkleistung der Beklagten ursächlich für den Funktionsmangel war. Denn sowohl die Hard- als auch die Software waren aufgrund eines einheitlichen Vertrags zwischen den Streitteilen von der Beklagten im Rahmen der Werkherstellung zu liefern, weshalb eine nähere Zuordnung der Ursache innerhalb der Sphäre der Beklagten entbehrlich ist.
2.4. Dem Kläger ist aber auch der Nachweis des Hervorkommens des Mangels innerhalb der sechsmonatigen Vermutungsfrist gelungen, weshalb die Vermutung des § 924 Satz 2 ABGB gilt und davon auszugehen ist, dass der Mangel schon bei der Übergabe vorhanden war. Die Beklagte ist deshalb dafür gewährleistungspflichtig.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0030OB00034.20A.0617.000 |
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