OGH vom 29.10.1992, 6Ob608/92
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Redl, Dr.Kellner und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gemeinde S*****, vertreten durch Dr.Gerald Kleinschuster, Dr.Hans Günther Medwed und Dr.Gert Kleinschuster, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Hans Karl F*****, vertreten durch Dr.Hella Ranner und Dr.Franz Krainer, Rechtsanwälte in Graz, wegen Feststellung (Streitwert 301.000 S), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Berufungsgerichtes vom , GZ 3 R 71/92-32, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Hartberg vom , GZ 3 C 44/91k-26, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 21.553,20 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin 3.592,20 S Umsatzsteuer) und die mit 24.929,40 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 2.154,90 S Umsatzsteuer und 12.000 S Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die klagende Gemeinde als Errichterin eines großen Badesees ist Eigentümerin einer Liegenschaft, auf der sie am Nordufer des Sees seit 1971 ein umzäuntes Strandbad betreibt. Außerhalb der Badesaison ist das Seegelände stets der Öffentlichkeit zugänglich, in der Badesaison nach Kassenschluß um 16.00 oder 17.00 Uhr. Am See befinden sich mehrere Kioske. Seit 1971 betreibt der beklagte Gastwirt im Bereich des Strandbades der klagenden Partei in einem von dieser errichteten Hochbau mit Toiletten einen von ihm (durch Herstellung der Wände und des Fußbodens, Einsetzen der Türen, Vornahme der notwendigen Installationen, Anlage einer Terrasse) komplettierten und eingerichteten 140 m2 großen Buffet-Kiosk (Strandcafe "Riki"), in dem bei Selbstbedienung Speisen und Getränke verabreicht werden. Geöffnet ist der Kiosk jeweils in den Monaten Mai bis September/Oktober, somit bei Badebetrieb, täglich, bei Bedarf bis etwa 22.00 Uhr. 1981 errichtete der Beklagte mit Zustimmung der klagenden Partei neben dem Kiosk eine Strohhütte als "Grillstation".
Die Bestandgabe an den Beklagten erfolgte nur mündlich. Der Beklagte erwarb die Konzession für den Kioskbetrieb und leistete 1971 für die folgenden zehn Jahre eine Bestandzinsvorauszahlung von 280.000 S. Nach Ablauf von zehn Jahren sollten weitere Gespräche der Streitteile geführt werden. 1981 beschloß der Gemeinderat der klagenden Partei, den Bestandvertrag des Beklagten jeweils nur um ein Jahr zu verlängern. In den folgenden Jahren wurde Jahr für Jahr vom Gemeinderat der klagenden Partei der Bestandzins festgelegt und die Interessenten für die Kioske, darunter auch der Beklagte, eingeladen, ihr Interesse an einem Weiterbetrieb zu äußern. Der Beklagte erklärte dann Jahr für Jahr schriftlich, seinen Kiosk weiter in Bestand nehmen zu wollen. Dies wurde bis zum Jahr 1990 so gehandhabt. Im Herbst 1990 erklärte die klagende Partei dem Beklagten, daß er den Kiosk, der ihm nicht mehr in Bestand gegeben werde, räumen müsse. Dies entsprach einem Gemeinderatsbeschluß.
Die klagende Partei ist auf die Badegäste angewiesen; der Ort lebt von den Badegästen und die Konkurrenz der Kärntner Seen ist groß. An besonders schönen Tagen besuchen bis zu 15.000 Badegäste den See, Kinder bis zu sechs Jahren nicht mitgezählt. Die Bestandgabe an den Beklagten erfolgte zu dem Zweck, um die Badegäste mit Speisen und Getränken zu versorgen. Die klagende Partei, die in ihrem Strandbad von den Badegästen Eintritt kassiert, will ihre Kunden gut betreut wissen. Die klagende Partei schrieb dem Beklagten für den Kiosk weder 1971 noch später eine Betriebspflicht vor und machte ihm keine Vorschriften über das von ihm anzubietende Warensortiment, hätte jedoch den Vertrieb "irgendwelcher fremder Waren" durch ihn nicht geduldet. Den Kundenstock des Kiosk bilden überwiegend diese Badegäste - wenn diese ausbleiben, ist der Kioskbetrieb nahezu lahmgelegt -, aber auch Gäste des Cafehausbetriebes des Beklagten im Ort sowie Gäste aus dessen Bekanntenkreis. Eine Vereinbarung der Parteien über Öffnungszeiten für den Kiosk des Beklagten besteht nicht; für die klagende Partei war es aber selbstverständlich, daß der Beklagte den Kiosk bei Badebetrieb offenhält. In der kalten Jahreszeit ist der Kiosk geschlossen, weil bei den Stammkunden des Beklagten kein Bedarf besteht.
Die klagende Partei begehrt gegenüber dem Beklagten die Feststellung, daß das zwischen den Streitteilen bestehende Rechtsverhältnis hinsichtlich des Objektes im Strandbad S***** ein Pachtverhältnis sei. Denn sie habe dem Beklagten eine organisierte Erwerbsgelegenheit in Bestand gegeben; dem Nebenbetrieb des Beklagten stehe durch das Bad der klagenden Partei als Hauptbetrieb ein gesicherter Kundenstock zu.
Der Beklagte wendet im wesentlichen ein, daß ein Mietverhältnis vorliege, weil ihm nur ein nicht möblierter Raum ohne jegliche Erwerbsgelegenheit übergeben worden und nicht einmal der Betrieb eines bestimmten Unternehmens vereinbart gewesen sei. Auch die klagende Partei selbst habe ursprünglich den Standpunkt vertreten, es handle sich um Miete.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die für die Annahme eines Pachtverhältnisses maßgebliche Betriebspflicht des Bestandnehmers sei zwar nicht ausdrücklich vereinbart worden, ergebe sich aber aus der Lage des Bestandobjektes und dem Betrieb eines Badesees. Das Bad stelle den Hauptbetrieb und der Gastbetrieb des Beklagten den Nebenbetrieb dar, der für den Badebetrieb der klagenden Partei wichtig und erforderlich sei, weil die Badegäste erwarteten, sich auch während des Badeaufenthaltes mit Speisen und Getränken versorgen zu können. Der Nebenbetrieb des Beklagten könne ohne den Hauptbetrieb auch nahezu nicht bestehen, weil der Kundenkreis aus dem Badebetrieb stamme. Entscheidend für die Einstufung als Pacht sei daher die Überlassung eines Kundenstockes an den Beklagten.
Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstands 50.000 S übersteigt und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Die zweite Instanz übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen, beurteilte aber das Rechtsverhältnis der Streitteile als Vertrag über Raummiete: Nahezu keine typischen Merkmale eines Pachtverhältnisses lägen hier vor. Der Beklagte habe die in Bestand gegebenen Räumlichkeiten vollständig adaptiert und die Erwerbsgelegenheit in diesen Räumlichkeiten erst organisieren, sich also durch den Aufbau eines entsprechenden Betriebes einen Kundenstock erst schaffen müssen. Dazu sei auch die Erlangung der Konzession durch den Beklagten erforderlich gewesen. Eine Betriebspflicht sei (ausdrücklich) nicht vereinbart worden. Einer schlüssig vereinbarten Betriebspflicht - wofür einige Momente des Rechtsverhältnisses der Streitteile sprächen - komme deshalb keine Bedeutung zu, weil dem Beklagten für den Zweck des in Aussicht genommenen Unternehmens noch gar nicht geeignete Räumlichkeiten überlassen worden seien. Die Überlassung des Kundenstocks könne hier nicht als das entstehende Moment angesehen werden. Es komme vielmehr auf den Umstand an, welche Funktion des vom Bestandnehmer zu führenden Unternehmens für das der Bestandgeberin gegeben sei. Auch für die Besucher eines Badesees gelte, daß ihre Entscheidung, diesen aufzusuchen, in keinem nennenswerten Maße davon mitbeeinflußt werde, ob im Bereich des Badesees, der immerhin eine größere Ausdehnung aufweise, ein Buffet betrieben werde oder nicht. Dem (zwangsläufig) vorhandenen Kundenstock komme daher für die Beurteilung des Rechtsverhältnisses keine entscheidende Bedeutung zu.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei ist zulässig und berechtigt.
Das Feststellungsinteresse der klagenden Partei iS des § 288 ZPO ist nicht fraglich, weil der Beklagte das Bestehen eines Mietverhältnisses behauptet.
Für die Unterscheidung zwischen Geschäftsraummiete und Unternehmenspacht lassen sich nach ständiger Rechtsprechung keine allgemein gültigen Regeln aufstellen, sondern es kommt stets auf die Gesamtheit aller erheblichen Umstände des Einzelfalles (GesRZ 1992, 44; MietSlg. 41.080 ff; SZ 58/8 = MietSlg. 37.125/7 uva; Würth in Rummel2, Rz 2 zu § 1091 ABGB mwN) und auf die Zweckbestimmung der Bestandsache bei Vertragsabschluß bzw. auf die dem Bestandnehmer eingeräumten Befugnisse an (MietSlg. 7.034; 1 Ob 508/91, 8 Ob 534/89; Binder in Schwimann, Rz 8 zu § 1091 ABGB) an. Ein Unternehmenspachtvertrag liegt im allgemeinen dann vor, wenn ein sogenanntes "lebendes Unternehmen", also eine organisierte Erwerbsgelegenheit mit allem, was zum Begriff des "good will" gehört, übergeben wird (GesRZ 1992, 44; MietSlg. 41.080 ff, 40.114; SZ 58/8 uva; Würth aaO). Neben den Räumlichkeiten ist dies das, was für den Betrieb des in Bestand gegebenen Unternehmens und dessen wirtschaftlichen Fortbestand notwendig ist, somit die Betriebsmittel, wie die Geschäftseinrichtung und das Warenlager, der Kundenstock und die Gewerbeberechtigung, allenfalls das erforderliche Personal. Das bedeutet allerdings nicht, daß im Einzelfall alle diese Merkmale gleichzeitig zutreffen müssen, um Unternehmenspacht annehmen zu können. So kann das Warenlager gänzlich fehlen, die Gewerbeberechtigung vom Bestandnehmer selbst zu besorgen oder der Kundenstock nur klein sein (GesRZ 1992, 44; MietSlg. 41.080, 40.110 uva; Binder aaO, Rz 17 mwN). Fehlt es an einzelnen für die Überlassung eines Unternehmens zu dessen Betrieb typischen Merkmalen - wie hier - so ist entscheidend, ob die dafür maßgeblichen Elemente im Einzelfall überwiegen, welchen Elementen die größere wirtschaftliche Bedeutung zukommt (GesRZ 1992, 44; JBl. 1989, 310; SZ 58/8 uva).
Im allgemeinen ist die Vereinbarung einer Betriebspflicht das wesentlichste Kriterium für die Annahme eines Pachtvertrages (MietSlg. 41.080 ff, 40.110, 39.102; SZ 58/8 uva; Klang in Klang2 V 28; Würth aaO), sofern dies auf einem wirtschaftlichen Interesse des Bestandgebers am Bestehen und der Art des Betriebes beruht (MietSlg. 39.100; SZ 58/8 ua; Würth aaO) und die zulässigerweise auch schlüssig aus den Umständen (MietSlg. 40.110; 39.101; SZ 58/8 ua; Würth aaO) - hier aus dem Interesse der Bestandgeberin an einer entsprechenden Versorgung ihrer erholungssuchenden und sich nicht selten den ganzen Tag im Bad aufhaltenden Badegäste jeglichen Alters mit Speisen, Erfrischungsgetränken, Süßigkeiten, Eis etc. - vereinbarte Betriebspflicht nicht bloße Leerformel ist (MietSlg. 39.100 mwN). Nach ständiger Rechtsprechung kann auch ein erst zu errichtendes Unternehmen pachtweise in Bestand gegeben werden (MietSlg. 41.084, 32.162/23, 30.174 ua), wobei die Anforderungen für Annahme von Unternehmenspacht aber strenger sind; nur dann, wenn der Bestandgeber alle wesentlichen Grundlagen des künftigen Unternehmens zur Verfügung stellt, kann Pacht angenommen werden (MietSlg. 39.103, 39.101, 35.164; 1 Ob 508/91; Würth aaO).
Der Vertrag über ein als Nebenbetrieb zu einem Kino oder Theater in Bestand gegebenes Buffet wird regelmäßig als Pachtvertrag einzustufen sein (SZ 58/8 betreffend das Buffet im Leobener Theater mwN; Binder aaO Rz 8); gleiches wurde für Bahnhofsbuffets judiziert (GesRZ 1992, 44; MietSlg. 15.063; 1 Ob 583/91). Der erkennende Senat hat auch bereits in seiner Entscheidung MietSlg. 21.135 das Bestandverhältnis über eine Gaststätte in einem Strandbad als Pachtverhältnis beurteilt. Vorliegend stellte die faktische Überlassung des Kundenstocks des Hauptbetriebes (Strandbad mit bis zu 15.000 erwachsenen, oft sicher ganztägigen Besuchern an besonders schönen Tagen) bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise die wesentlichste Grundlage des künftigen Nebenbetriebes des beklagten Bestandnehmers (Badebuffet) dar. Denn einerseits sind die Badegäste auf ein Buffet angewiesen und erwarten es auch, sich im Bad mit den in einem Buffet üblicherweise angebotenen - oben bereits genannten - Waren versorgen zu können. Andererseits kann ein Badebuffet ohne den durch den Hauptbetrieb gesicherten Kundenkreis gar nicht bestehen, sodaß sein Erfolg ganz entscheidend von diesem Hauptbetrieb und dessen Umfang abhängig ist, wogegen der Tüchtigkeit des Unternehmers des Nebenbetriebes für den Unternehmenserfolg nur ein ganz geringer Stellenwert beizumessen ist. Kunden, die nicht auch die Dienste des Hauptbetriebes in Anspruch nehmen, spielen für den Nebenbetrieb nur eine untergeordnete Rolle. Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, daß ein Badebuffet außerhalb der Badesaison keine wirtschaftliche Bedeutung hat. Bei einer solchen betrieblichen Verknüpfung steht deshalb nicht die Überlassung von Räumen im Mittelpunkt, sondern es sind die Überlassung einer Ewerbsgelegenheit in Form eines gesicherten Kundenstockes an den Bestandnehmer sowie die bereits behandelte Betriebspflicht von ausschlaggebender Bedeutung (GesRZ 1992, 44). Dagegen treten die vom Bestandnehmer vorgenommene Ausgestaltung des Kiosk und die angeschaffte - bei einem Badebuffet wohl nicht besonders bedeutende - Geschäftseinrichtung, die Errichtung der Strohhütte mit der "Grillstation" sowie die Gewerbeberechtigung in den Hintergrund.
Die von der zweiten Instanz herangezogene Entscheidung des erkennenden Senates betreffen andere Sachverhalte: 6 Ob 518/90, Spruch veröffentlicht in RdW 1990, 377, betrifft eine mit dem gegenständlichen Fall nicht vergleichbare Jausenstube in einer Krankenanstalt; die Entscheidung von Beschäftigten, Patienten oder Besuchern, eine Krankenanstalt aufzusuchen, wird wohl nicht davon mitbeeinflußt, ob im Krankenhausbereich eine Jausenstation betrieben wird oder nicht, weshalb dort das Betriebsinteresse des Bestandgebers anders zu beurteilen war als bei einer ganztägigen Freizeiteinrichtung wie einem Strandbad, bei dem ein eminentes Interesse des Bestandgebers besteht, daß durch das Leistungsangebot des Bestandnehmers auch der eigene Betrieb für das Publikum anziehender gestaltet wird. Die Entscheidung 6 Ob 701/89, insoweit veröffentlicht in MietSlg. 41.081, 41.084, betrifft gleichfalls kein Buffet in einem Bad.
Von hier nicht bedeutsamen Grenzfällen abgesehen, ist die rechtliche Qualifikation eines Bestandverhältnisses durch die Parteien bedeutungslos (MietSlg. 40.110, 38.457, 38.135 uva; Würth aaO), sodaß es nicht darauf ankommt, ob die Parteien, namentlich die klagende Partei, und ihre Vertreter in früheren Äußerungen vom Vorliegen eines Mietverhältnisses ausgingen. Der Oberste Gerichtshof beurteilt somit das Bestandverhältnis der Streitteile als Pachtvertrag, weshalb die Entscheidung des Berufungsgerichtes im Sinn einer Wiederherstellung des klagsstattgebenden Ersturteils abzuändern ist.