OGH 09.09.2015, 2Ob36/15f
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** S*****, vertreten durch Anwaltskanzlei Feuerberg & Lachniet Abogado/Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. Mag. Dr. B***** B*****, 2. Dr. T***** T***** und 3. Mag. M***** K*****, alle *****, alle vertreten durch T & B Rechtsanwälte Partnerschaft in Kufstein, wegen 13.933,43 EUR sA, über den „ordentlichen Revisionsrekurs“ (richtig: Rekurs) der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 189/14g-30, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom , GZ 12 Cg 194/12b-25, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Akten werden dem Erstgericht zurückgestellt.
Text
Begründung:
Im vorliegenden Verfahren wurde die Klägerin ursprünglich von Rechtsanwalt Michael F. Feuerberg (einem deutschen Rechtsanwalt) mit Kanzleisitz in Kitzbühel, ERV-Code *****, vertreten. In der - am im ERV eingebrachten - Klage wurde als österreichische Einvernehmensanwältin Mag. Doris Pritzl in Wien nachgewiesen.
Mit Schriftsatz vom (ON 17), ebenfalls im ERV eingebracht, teilte die Anwaltskanzlei Feuerberg & Lachniet, München, mit, dass „das Mandat von Rechtsanwalt Michael F. Feuerberg beendet ist. Das Mandat wir nun von unserer Kanzlei aus München fortgeführt“. Dieser Umstand wurde in der darauffolgenden Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am , (ON 21, AS 193), erörtert. Der anwesende Klagevertreter Michael F. Feuerberg teilte hierauf mit, dass „das Mandat nicht beendet worden sei wie im Schriftsatz festgehalten, sondern nur erweitert worden sei durch den Eintritt des Rechtsanwalts Lachniet in die Kanzlei“. Es handle sich dabei um eine Sozietät. Daraufhin erteilte ihm das Erstgericht den Auftrag, binnen 14 Tagen nachzuweisen, dass die ursprünglich genannte Einvernehmensanwältin oder ein anderer österreichischer Rechtsanwalt als Einvernehmensanwalt für die Kanzlei des Klagevertreters auftrete.
Am langte im Präsidium des Erstgerichts ein Fax der Anwaltskanzlei aus München ein, dem wieder eine Einvernehmenserklärung der Rechtsanwältin Mag. Pritzl, nunmehr hinsichtlich der neuen Rechtsanwaltssozietät, angefügt war. Weiters wurde dargelegt, dass aus technischen Gründen die Einvernehmenserklärung nicht per Web-ERV versandt werden könne (ON 23).
Das Erstgericht erteilte daraufhin einen Verbesserungsauftrag, binnen einer Woche diese technischen Gründe nachzuweisen. Fax und E-Mail seien keine zulässigen Formen des elektronischen Rechtsverkehrs. Dieser Beschluss wurde der Kanzlei des KV „über die Einvernehmensanwältin“ zugestellt (ON 24). Eine Verbesserung erfolgte nicht.
Daraufhin wies das Erstgericht mit Urteil vom das Klagebegehren ab (ON 25).
Das Berufungsgericht hob über Berufung der Klägerin die Entscheidung des Erstgerichts auf und ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu, weil zur Frage, ob eine einem einzelnen Rechtsanwalt erteilte Vollmacht aufrecht bleibe, wenn in der Folge eine Rechtsanwaltssozietät als Prozessvertreterin einschreite, der der bevollmächtigte Anwalt angehöre, oder ob dies den neuerlichen Nachweis des Einvernehmens eines österreichischen Rechtsanwalts erforderlich mache, oberstgerichtliche Judikatur nicht bestehe.
Diese Entscheidung wurde sowohl der Einvernehmensanwältin als auch der Sozietät Feuerberg & Lachniet in München zugestellt.
Danach wurde am im ERV von Feuerberg & Lachniet Salzburg, Code *****, zunächst ein Schriftsatz eingebracht, mit dem ersucht wurde, „unsere Kanzleianschrift in Salzburg: Rechtsanwalt Michael F. Feuerberg ... Salzburg“ in Zukunft zu beachten (ON 31).
Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts erhoben die beklagten Parteien „ordentlichen Revisionsrekurs“ (richtig:Rekurs - § 519 Abs 1 Z 2 ZPO) an den Obersten Gerichtshof. Bei der Sozietät Feuerberg & Lachniet in München handle es sich um eine nach deutschem Recht parteifähige Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit, weshalb der neuerliche Nachweis des Einvernehmens mit einem österreichischen Anwalt notwendig geworden, aber letztlich im Hinblick auf § 5 Abs 3 ERV nicht wirksam erbracht worden sei.
Dieses Rechtsmittel wurde dem „KV p. A. Einvernehmensanwältin“ zugestellt. Eine Rekursbeantwortung wurde von dieser nicht eingebracht.
Rechtliche Beurteilung
Die Akten sind dem Erstgericht als verfrüht vorgelegt zurückzustellen.
1. Rechtslage nach dem EIRAG (BGBl I 2000/27 - vormals EuRAG):
1.1. Gemäß § 5 EIRAG dürfen in Verfahren, in denen sich die Partei durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen muss, dienstleistende europäische Rechtsanwälte als Vertreter nur im Einvernehmen mit einem in der Liste der Rechtsanwälte der österreichischen Rechtsanwaltskammer eingetragenen Rechtsanwalt (Einvernehmensrechtsanwalt) handeln. Diesem obliegt es, beim dienstleistenden europäischen Rechtsanwalt darauf hinzuwirken, dass er bei der Vertretung die Erfordernisse einer geordneten Rechtspflege beachtet. Das Einvernehmen ist bei der ersten Verfahrensverhandlung gegenüber dem Gericht schriftlich nachzuweisen. Ein Widerruf des Einvernehmens ist ebenfalls schriftlich mitzuteilen und hat nur Wirkung für die Zukunft.
Auch in Österreich niedergelassene europäische Rechtsanwälte (§§ 9 ff EIRAG) müssen in Verfahren mit absoluter Rechtsanwaltspflicht (§ 27 ZPO) einen Einvernehmensrechtsanwalt nach § 5 EIRAG beiziehen. Lediglich „vollintegrierte“ europäische Rechtsanwälte (§§ 18 ff EIRAG) sind österreichischen Rechtsanwälten zur Gänze gleichgestellt (vgl Zib in Fasching/Konecny2 § 30 ZPO Rz 28).
1.2. Gemäß § 6 EIRAG kann in Verfahren mit absoluter Anwaltspflicht dienstleistenden europäischen Rechtsanwälten, die keine Abgabestelle im Inland haben, aufgetragen werden, einen Zustellungsbevollmächtigten namhaft zu machen. Wird keiner namhaft gemacht, gilt gemäß § 6 Satz 3 EIRAG der Einvernehmensrechtsanwalt als Zustellungsbevollmächtigter.
1.3. Die Herstellung und der Nachweis des Einvernehmens sind Bedingungen dafür, dass die Verfahrenshandlung des einschreitenden ausländischen Rechtsanwalts denen eines österreichischen gleichgestellt ist. Solange das Einvernehmen nicht nachgewiesen ist, ist die Postulationsunfähigkeit nicht beseitigt (2 Ob 256/08y []). Das Fehlen des Nachweises eines Einvernehmens ist ein der Verbesserung zugängliches Formgebrechen (RIS-Justiz RS0124121). Der Verbesserungsauftrag ist an den Vertreter und nicht an die Partei (vgl 7 Ob 135/04k, 2 Ob 256/08y) zuzustellen.
2. Keine wirksame Zustellung des Rekurses:
Aus dem Gesagten ist vorerst der Schluss zu ziehen, dass jedenfalls seit der Mitteilung des Kanzleisitzes in Salzburg die Einvernehmensrechtsanwältin nicht mehr Zustellungsbevollmächtigte iSd § 6 EIRAG war und daher die Zustellung des Rekurses an den Obersten Gerichtshof an sie die Frist für die Rekursbeantwortung nicht auslösen konnte. Abgesehen davon konnten Zustellungen an die Einvernehmensanwältin schon wegen des Vertreterwechsels nicht mehr wirksam erfolgen (dazu unten 3.). Schon das macht eine Aktenrückstellung notwendig, weil der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss zweiseitig ist (§ 521a Abs 1 iVm § 521 Abs 1 ZPO; Kodek in Rechberger4 § 519 ZPO Rz 22).
3. Neuerlicher Nachweis des Einvernehmens erforderlich:
3.1. Nach § 5 Abs 1 EIRAG ist das Einvernehmen bei der ersten Verfahrensverhandlung des dienstleistenden europäischen Rechtsanwalts gegenüber dem Gericht schriftlich nachzuweisen. Tritt der dienstleistende europäische Rechtsanwalt während eines laufenden Verfahrens erstmals gegenüber dem Gericht auf, muss er daher bei diesem ersten Auftreten das Einvernehmen nachweisen. Dies muss auch für eine Vollmachtserteilung an eine Rechtsanwaltsgesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit gelten, unabhängig davon, ob ihr der ursprünglich vertretende Anwalt angehört oder nicht.
3.2. Die Anwaltssozietät ist nach deutschem Recht ein organisierter Zusammenschluss von Rechtsanwälten zur gemeinsamen Berufsausübung durch gemeinsame Entgegennahme von Aufträgen und Entgelten als rechtsfähige Außen-GesbR. Vertragspartner des Mandanten ist grundsätzlich die Sozietät als solche und nicht der einzelne Anwalt der Sozietät (Schöne in Beck OK BGB § 705 Rn 183; Böhnlein in Feuerich/Weyland, BRAO8 [2012] § 59a Rn 15).
3.3. Hier hat der ursprüngliche Klagevertreter dem Gericht mit dem Schriftsatz ON 17 mitgeteilt, dass das Mandat „beendet“ sei und nunmehr von der Kanzlei Feuerberg & Lachniet - also einer solchen Anwaltssozietät - fortgeführt werde. Damit wurde ein neues Vertretungsverhältnisses angezeigt, weshalb auch neuerlich das Bestehen des Einvernehmens iSv § 5 EIRAG nachzuweisen war. Das Erstgericht hat daher in der Verhandlung vom (ON 21) zutreffend einen diesbezüglichen Auftrag erteilt. Wenn der - nun für die neue Klagevertreterin einschreitende - frühere Klagevertreter in dieser Verhandlung ausführte, dass das ihm erteilte Mandat nicht beendet, sondern durch den Eintritt des Rechtsanwalts Lachniet in die Kanzlei „erweitert“ worden sei, ist dies angesichts der eigenständigen Rechtspersönlichkeit der Rechtsanswaltsgesellschaft nicht nachvollziehbar.
4. Verpflichtung zur Teilnahme am ERV:
4.1. Gemäß § 89c Abs 5 Z 1 GOG idF BGBl I 2013/119 sind Rechtsanwälte nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten zur Teilnahme am Elektronischen Rechtsverkehr verpflichtet. Ein Verstoß gegen diese Bestimmung ist als Formmangel zu behandeln, der zu verbessern ist (§ 89c Abs 6 GOG idF BGBl I 2012/26). Die frühere Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0124215; RS0124335; RS0124555), die nicht im elektronischen Weg eingebrachten Eingaben keinen die geschäftsordnungsgemäße Behandlung hindernden Formmangel beimaß und von einer reinen Ordnungsvorschrift ausging, konnte daher nicht aufrecht erhalten werden (2 Ob 184/13t mwN). Nichtverwendung des ERV führt daher zunächst zu einem Verbesserungsauftrag. Bis zur Verbesserung liegt keine zur geschäftsordnungsgemäßen Behandlung geeignete Eingabe vor. Eine solche Eingabe kann daher auch keine verfahrensrechtlichen Wirkungen auslösen.
4.2. Sowohl der Wortlaut von § 89c Abs 5 GOG als auch die Materialien zu dieser Bestimmung (EB zum BRÄG 2006, BGBl I 164/2005, 1169 BlgNR 22. GP 35 f), nehmen auf „Notare und Rechtsanwälte“ Bezug, ohne nach deren Herkunft oder Niederlassung zu unterscheiden. Damit stellt sich die Frage, ob auch dienstleistende oder in Österreich niedergelassene europäische Rechtsanwälte zur Teilnahme am ERV verpflichtet sind.
Diese Verpflichtung ergibt sich - abgesehen vom nicht differenzierenden Wortlaut des § 89c Abs 5 GOG - für dienstleistende europäische Anwälte aus § 4 EIRAG. Danach haben solche Anwälte bei Ausübung einer Tätigkeit, die mit der Vertretung eines Mandanten im Bereich der Rechtspflege zusammenhängt, die Stellung eines in die Liste der Rechtsanwälte einer österreichischen Rechtsanwaltskammer eingetragenen Rechtsanwalts, insbesondere dessen Rechte und Pflichten - auch (und gerade) in prozessualer Hinsicht (vgl Schumacher, Einvernehmensrechtsanwalt und Prozessvollmacht, AnwBl 2013, 636). Eine dieser Pflichten ist die Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr. Dienstleistende europäische Rechtsanwälte sind daher bei der Vertretung von Mandanten vor österreichischen Gerichten ebenso wie inländische Rechtsanwälte zur Teilnahme am ERV verpflichtet.
Niedergelassene europäische Rechtsanwälte haben nach § 13 EIRAG überhaupt „die Stellung eines in die Liste der Rechtsanwälte eingetragenen Rechtsanwalts“. Ihre Verpflichtung zur Teilnahme am ERV kann daher von vornherein nicht strittig sein.
Damit hat aber das Erstgericht der Klagevertreterin zutreffend einen Verbesserungsauftrag nach § 89c Abs 6 GOG - hier iVm § 1 Abs 1c ERV 2006 (Bescheinigung der Gründe für das ausnahmsweise Fehlen der technischen Möglichkeiten) - erteilt. Dieser Auftrag wurde der Klagevertreterin allerdings „über die Einvernehmensanwältin“ zugestellt. Gerade eine solche wurde aber für die neue Klagevertreterin noch nicht (wirksam) nachgewiesen, sodass (auch) diese Zustellung unwirksam war und die gesetzte Frist nicht auslösen konnte.
5. Weitere Vorgangsweise:
Aus den genannten Gründen wird das Erstgericht der Klagevertreterin sowohl den Verbesserungsauftrag als auch den Rekurs zuzustellen haben. Mit dieser Zustellung beginnt die Frist für die Rekursbeantwortung. Will die Klagevertreterin im weiteren Verfahren wirksam vertreten, hat sie entweder im ERV den Nachweis des Einvernehmens iSv § 5 EIRAG zu übermitteln oder allenfalls - aufgrund des bereits erteilten Verbesserungsauftrags - iSv § 1 Abs 1c ERV 2006 zu bescheinigen, dass die konkreten technischen Möglichkeiten im Einzelfall ausnahmsweise nicht vorliegen.
Die Akten werden nach Einlangen der Rekursbeantwortung oder nach ungenutztem Ablauf der dafür offen stehenden Frist wieder vorzulegen sein.
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** S*****, nunmehr vertreten durch Mag. Walter Pirker, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Mag. Dr. B***** B*****, 2. Dr. T***** T***** und 3. Mag. M***** K*****, alle Rechtsanwälte, *****, vertreten durch T & B Rechtsanwälte Partnerschaft in Kufstein, wegen 13.933,43 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 189/14g-30, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom , GZ 12 Cg 194/12b-25, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahingehend abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 11.801,65 EUR (darin enthalten 1.702,06 EUR USt und 1.589,30 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin wurde am als Fußgängerin von einem Motorradfahrer angefahren und schwer verletzt. Im Rahmen der Schadensabwicklung erklärte sich die Haftpflichtversicherung des Motorradfahrers in einem Schreiben vom (an den damaligen Rechtsanwalt der Klägerin) bereit, der Klägerin außergerichtlich 200.000 ATS Globalabgeltung für das Schmerzengeld und 50.000 ATS an Verunstaltungsentschädigung zu zahlen und hielt in Punkt c) dieses Schreibens weiter fest:
„c) Zweifellos besteht ein Feststellungsinteresse, ausgenommen für das Schmerzengeld und die Verunstaltungsentschädigung, die ja global abgegolten werden sollen. Wir nehmen an, dass ein unbefristeter Verjährungsverzicht, den wir im Rahmen des Versicherungsvertrags abzugeben bereit sind, dem Feststellungsinteresse gerecht wird. Ausdrücklich erklären wir, dass wir den unfallskausalen Forderungen Ihrer Klientin im Rahmen des Versicherungsvertrages die Einrede der Verjährung nicht entgegenhalten, und zwar unbefristet.“
Am unterzeichnete die Klägerin eine Abfindungserklärung gegenüber der Haftpflichtversicherung, die auszugsweise lautet:
„Ich erkläre, daß ich bezüglich des Schadens vom gegen Bezahlung eines Betrages von österreichischen Schilling 322.100,76 [….] zuzüglich Kosten [….] mit allen Ansprüchen, die von mir oder meinen Rechtsnachfolgern gegen Sie und gegen jede andere physische oder juristische Person aus Anlaß des erwähnten Schadensfalles geltend gemacht werden können, endgültig und vollständig abgefunden bin, auch wenn in Zukunft noch andere als die jetzt vorhandenen und erkennbaren Folgen des Schadensfalles oder geänderte Verhältnisse überhaupt eintreten oder bekannt werden sollten. […....] Für künftige Schäden gilt der Verjährungsverzicht laut Brief der B*****-Versicherung vom , Seite 2, lit c) [….].“
Am stürzte die Klägerin vor einem Lebensmittelgeschäft in Deutschland und zog sich eine Schulterverletzung zu. Nachdem sie den Prozess gegen dieses Unternehmen bzw seinen Pächter verloren hatte, brachte sie am , vertreten durch die nunmehrigen Beklagten, eine Klage gegen die Rechtsnachfolgerin der Haftpflichtversicherung des Motorradfahrers wegen Schmerzengelds mit einem Streitwert von 7.541,43 EUR ein. Der Sturz des Jahres 2006 sei aufgrund einer auf den Unfall von 1985 zurückzuführenden Peronaeus-Laesion erfolgt. Diese Klage wurde wegen Verjährung abgewiesen, eine Berufung dagegen nicht eingebracht.
Die Klägerin stützt ihr nunmehriges Begehren wegen Schlechtvertretung darauf, dass die beklagten Rechtsanwälte im Vorprozess die Frage der Verjährung nicht ausreichend argumentiert und trotz Aufforderung der Klägerin keinen Versuch unternommen hätten, eine Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung der Klägerin für eine Berufung, die einer entsprechend positiven Bewertung der Erfolgsaussichten der Berufung durch die Beklagten bedurft hätte, zu erhalten.
Die Beklagten wandten ein, das Begehren im Vorprozess sei verjährt gewesen. Die Klägerin habe trotz der Bedenken der Beklagten, insbesondere wegen der Rechtsschutzdeckung und der vorliegenden Verjährungsverzichtserklärung, die Weiterverfolgung der Ansprüche - auch im Hinblick auf eine allfällige außergerichtliche Einigung - gewünscht, aber eine Berufung selbst nicht finanzieren wollen. Im Übrigen seien die Schmerzengeldansprüche vom Verjährungsverzicht ausgenommen gewesen (ON 13).
Das Erstgericht wies im zweiten Rechtsgang - nach den in der Rückleitungsentscheidung des erkennenden Senats vom zum selben Aktenzeichen näher dargelegten verfahrensrechtlichen Vorgängen - das Klagebegehren neuerlich ab.
Das Berufungsgericht hob die Entscheidung des Erstgerichts abermals auf. Die im Vorprozess geltend gemachte Schmerzengeldforderung sei nicht verjährt und auch nicht vom Verjährungsverzicht ausgenommen, der nur die Schmerzengeldforderung aus dem Unfall vom betroffen habe. Auch im Hinblick auf § 1480 ABGB sei die Forderung nicht verjährt. Es seien daher ergänzende Feststellungen zur Kausalität der Schulterverletzung der Klägerin in Bezug auf den Unfall 1985 zu treffen.
Das Berufungsgericht ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu, weil zur Frage, ob eine einem einzelnen Rechtsanwalt erteilte Vollmacht aufrecht bleibe, wenn in der Folge eine Rechtsanwaltssozietät (bürgerlich-rechtliche Gesellschaft nach deutschem Recht) als Prozessvertreterin einschreite, der der bevollmächtigte Anwalt angehöre, sowie, ob dies den neuerlichen Nachweis des Einvernehmens eines österreichischen Rechtsanwalts erforderlich mache, oberstgerichtliche Judikatur nicht bestehe.
Gegen diese Entscheidung erhoben die beklagten Parteien „ordentlichen Revisionsrekurs“ (richtig: Rekurs) an den Obersten Gerichtshof. Bei der Anwaltssozietät in M***** handle es sich um eine nach deutschem Recht parteifähige Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit, weshalb der neuerliche Nachweis des Einvernehmens mit einem österreichischen Anwalt notwendig geworden, aber letztlich nicht wirksam erbracht worden sei.
Dieser Rekurs wurde der Klägerin zunächst nicht wirksam zugestellt, was vorerst zur Rückleitung des Akts an das Erstgericht mit Beschluss des Senats vom führte.
Die Klägerin, die mittlerweile durch einen österreichischen Rechtsanwalt vertreten ist, hat keine Rekursbeantwortung erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist zulässig im Sinne der von den Rekurswerbern aufgegriffenen Ausführungen des Berufungsgerichts und berechtigt, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Auslegung von außergerichtlichen Vergleichen (Abfindungserkärungen) in aufzugreifender Weise abgewichen ist.
1. Zur Frage der Notwendigkeit des Nachweises neuen Einvernehmensgemäߧ 5 ElRAG nach Vollmachterteilung an eine Rechtsanwaltsgesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit, der der ursprünglich vertretende Rechtsanwalt angehört, hat der erkennende Senat in seiner Rückleitungsentscheidung vom zur selben Aktenzahl ausführlich Stellung genommen. Darauf kann hier verwiesen werden.
2. Zur Haftung der Beklagten:
Die Klägerin stützt ihr Begehren auf die Schlechtvertretung durch die Beklagten im Vorprozess.
2.1. Wenn ein Rechtsanwalt eine pflichtwidrige Unterlassung zu verantworten hat, hängt seine Schadenersatzpflicht gegenüber dem Mandanten von der Kausalität des Fehlverhaltens für den Eintritt des behaupteten Schadens ab. Den Geschädigten trifft die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass der Schaden bei pflichtgemäßem Handeln des Rechtsanwalts mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre (2 Ob 170/06y; 1 Ob 151/01i SZ 74/159; RIS-Justiz RS0022700 [T5], RS0022900 [T8]). Die Frage, wie der Vorprozess richtigerweise geführt und entschieden hätte werden müssen, beantwortet das Regressgericht, das auch über die Durchführung der beantragten Beweisaufnahmen aus seiner Sicht und nach seinem Ermessen zu entscheiden hat, unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Das Regressgericht hat seiner Entscheidung den Sachverhalt zugrunde zu legen, der dem Gericht des Vorverfahrens bei pflichtgemäßem Verhalten des Rechtsanwalts unterbreitet und von ihm aufgeklärt worden wäre (RIS-Justiz RS0127136). Bei der Beurteilung des hypothetischen Verfahrensausgangs des Vorprozesses hat das Regressgericht nicht darauf abzustellen, wie das Gericht im Vorprozess, wären die beanstandeten Unterlassungen unterblieben, seinerzeit entschieden hätte, sondern darauf, wie nach seiner Auffassung der Vorprozess richtigerweise hätte entschieden werden müssen (RIS-Justiz RS0115755).
2.2. Hier wurde in der Abfindungserklärung vom für künftige Schäden ein Verjährungsverzicht laut Brief vom lit c) vereinbart. Dort war ua betreffend Schmerzengeldansprüche eine Globalabgeltung vorgesehen und wurden diese vom ansonsten konzedierten Feststellungsinteresse, das durch den angebotenen Verjährungsverzicht abgedeckt werden sollte, ausdrücklich ausgenommen. Die vom Verjährungsverzicht nicht umfassten Ansprüche sollten nach dem Wortlaut der Abfindungserklärung, die die Klägerin unterschrieb, „endgültig und vollständig abgefunden [sein], auch wenn in Zukunft noch andere als die jetzt vorhandenen und erkennbaren Folgen des Schadensfalles oder geänderte Verhältnisse überhaupt eintreten oder bekannt werden sollten“.
2.3. Die Bereinigungswirkung eines Vergleichs umfasst nach der Judikatur alle zweifelhaften Ansprüche, selbst dann, wenn keine Generalklausel aufgenommen wurde (RIS-Justiz RS0032589; RS0032429; 2 Ob 70/11z). Der übereinstimmende Parteiwille entscheidet, was die Streitteile als Gegenstand der Streitbereinigung angenommen haben (RIS-Justiz RS0017954). Es gelten die Grundsätze der Vertrauenstheorie, sodass Vergleiche nach den allgemeinen Regeln auszulegen sind. Entscheidend für das Verständnis der wechselseitigen Erklärungen ist deren objektiver Erklärungswert (2 Ob 70/11z mwN).
Ein Abfindungsvergleich erfasst jedenfalls erkennbare und vorhersehbare Ansprüche (RIS-Justiz RS0087312). Ein solcher über Schmerzengeld erstreckt sich zwar im Zweifel nur auf schon bekannte oder doch vorhersehbare Unfallfolgen (RIS-Justiz RS0031031), im Vorprozess wurden aber nach dem klaren Wortlaut der Erklärung auch unvorhersehbare Folgen des Unfalls in die Abfindung des Schmerzengeldanspruchs miteinbezogen, sodass die Frage, ob die im Vorprozess eingeklagten Folgen wegen der nach dem Vorbringen der Klägerin unfallkausal fehlenden Fähigkeit, ihr linkes Bein zu kontrollieren, vorhersehbar waren oder nicht, nicht weiter geklärt werden muss.
2.4. Steht der Vertragsinhalt aber eindeutig fest, besteht für die Anwendung der Vertragsauslegung nach § 915 ABGB kein Raum (RIS-Justiz RS0017957; RS0109295; 2 Ob 89/95), weil diese Bestimmung subsidiär heranzuziehen ist (RIS-Justiz RS0017951).
2.5. Auf die allfällige Sittenwidrigkeit der Vereinbarung bzw das dafür nach der Judikatur notwendige krasse Missverhältnis zwischen Schaden und Abfindungssumme (vgl RIS-Justiz RS0108259; 2 Ob 7/04z; Kletečka, Unerkennbare Ansprüche bei der Schadensregulierung durch Abfindungsvergleich, ecolex 1991, 5 ff) bzw das Unterlassen dieses Einwands im Vorprozess durch die Beklagten, hat die Klägerin ihr nunmehriges Begehren nicht gestützt. Im Übrigen ist ein krasses Missverhältnis im Hinblick auf das Ausmaß der ursprünglichen Entschädigungssumme für Schmerzen zum Streitwert des Vorprozesses auch nicht indiziert.
2.6. Da das Klagebegehren im Vorprozess daher - unabhängig von der als fehlend monierten Argumentation der Beklagten zur Frage der Verjährung und der Erhebung einer Berufung in diese Richtung - abzuweisen war, weil das Schmerzengeld von dem im Abfindungsvergleich enthaltenen Verjährungsverzicht nicht umfasst war, worauf sich die Beklagten im Regressprozess auch gestützt haben, war die Sache im Sinne einer Wiederherstellung des abweisenden Ersturteils entscheidungsreif, ohne dass es einer weiteren Untersuchung der Verjährungsfrage bzw der vom Berufungsgericht aufgetragenen Prüfung der Kausalität bedarf (E. Kodek in Rechberger, ZPO4 § 519 ZPO Rz 24).
3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
Schlagworte | Zivilverfahrensrecht,Europarecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2015:0020OB00036.15F.0909.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
XAAAD-58184