OGH 23.02.2016, 5Ob12/16z
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Höllwerth, die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. D***** Z*****, 2. DI K***** K*****, 3. G***** A*****, alle vertreten durch Dr. Erich Kafka und Dr. Manfred Palkovits, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. E***** D*****, vertreten durch MMag. Peter Schweiger, Rechtsanwalt in Wien, 2. Mag. FH E***** R*****, 3. Mag. FH P***** K*****, beide vertreten durch Dr. Francisco Rumpf, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung und Entfernung, über die Revisionen der klagenden Parteien und der erstbeklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 64 R 12/15k-54, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Meidling vom , GZ 10 C 411/12x-48, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Die Revision der klagenden Parteien wird zurückgewiesen.
Die klagenden Parteien sind schuldig, der erstbeklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 429,41 EUR (darin enthalten 71,57 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
II. Der Revision der erstbeklagten Partei wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden in Ansehung des Begehrens auf Beseitigung des Aufgangs auf die Dachterrasse durch die erstbeklagte Partei aufgehoben. In diesem Umfang wird die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Streitteile zählen zu den Mit- und Wohnungseigentümern einer Liegenschaft. Die von allen Mit- und Wohnungseigentümern unterzeichnete Benützungsvereinbarung vom berechtigte den erstbeklagten Wohnungseigentümer (und seine Rechtsnachfolger) zur Zusammenlegung zweier Wohnungen sowie zur Abtrennung und ausschließlichen Benützung bestimmter Hof- und Gangflächen. In der Benützungsvereinbarung vom wurde dem Erstbeklagten ein ausschließliches, räumlich begrenztes Benützungsrecht an einem Flachdach eingeräumt. Alle übrigen Mit- und Wohnungseigentümer stimmten der Herstellung eines Zugangs zu dieser Dachfläche vom Wohnungseigentumsobjekt des Erstbeklagten W 8 zu, sofern dies von der Baubehörde genehmigt werde. Beide Benützungsvereinbarungen wurden vom Erstbeklagten verfasst und am im Grundbuch ersichtlich gemacht. Erst- und Zweitkläger lasen die Benützungsvereinbarungen nicht zur Gänze durch, als sie ihnen der Erstbeklagte vorlegte. Er zeigte sie ihnen nicht zur Gänze und erklärte jeweils, es ginge nur um die Wohnungszusammenlegungen. Die alleinige Benützung des Hofs sowie die Errichtung einer Dachterrasse erwähnte er nicht. Erst- und Zweitkläger hätten die Benützungsvereinbarung nicht unterschrieben, wenn sie sie zur Gänze gelesen hätten. Der Erstbeklagte führte die in den Benützungsvereinbarungen genannten Maßnahmen durch und verkaufte die zusammengelegten Wohnungen Top 2 und 3 an die zweit- und drittbeklagten Parteien.
Die klagenden Wohnungseigentümer begehren in ihrer Klage nach § 523 ABGB Unterlassung und Beseitigung. Sie erklärten, die Benützungsvereinbarungen wegen arglistiger Irreführung und Irrtums nach den §§ 870 ff ABGB anzufechten.
Der Erstbeklagte berief sich auf die Wirksamkeit der Benützungsvereinbarungen, die als mehrseitige Verträge nicht einseitig von einzelnen Wohnungseigentümern widerrufen werden könnten. Die zweit- und drittbeklagten Parteien sind am Revisionsverfahren nicht mehr beteiligt.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es ging von einer erfolgreichen Irrtumsanfechtung iSd § 871 ABGB aus, welche die Benützungsvereinbarungen beseitige.
Das von den beklagten Parteien angerufene Berufungsgericht gab nur der Berufung des Erstbeklagten teilweise Folge und verpflichtete ihn lediglich zur Entfernung des Aufgangs von Wohnung 8 auf die Dachterrasse (Flachdach). In der rechtlichen Beurteilung verwies es auf die Unteilbarkeit von Gestaltungsrechten in einem mehrgliedrigen Schuldverhältnis wie einer Benützungsvereinbarung nach § 17 Abs 1 WEG 2002. Eine Irrtumsanfechtung erfordere die Mitwirkung sämtlicher Mit- und Wohnungseigentümer im Prozess, die hier nicht vorliege. Ein Zusammenwirken mit den übrigen am Verfahren nicht beteiligten Mit- und Wohnungseigentümern behaupteten die Kläger nicht. Dem Erstbeklagten sei der Beweis aufrechter Benützungsvereinbarungen gelungen. Er habe jedoch die Prozessbehauptung der Kläger, einen (baubehördlich) nicht genehmigten Ausstieg auf die Dachterrasse errichtet zu haben, nicht substanziiert bestritten. In diesem Punkt sei das Klagebegehren berechtigt.
Das Berufungsgericht bewertete die Unterlassungs- und Beseitigungsbegehren jeweils mit 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteigend und ließ die ordentliche Revision zu. Es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage, ob die Ausübung von Gestaltungsrechten betreffend eine Benützungsregelung nach § 17 WEG im Rahmen einer Eigentumsfreiheitsklage einer Beteiligung aller Mit- und Wohnungseigentümer bedürfe.
Rechtliche Beurteilung
I. Die vom Erstbeklagten beantwortete Revision der Kläger ist entgegen diesem nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.
1. Die Frage, ob eine erfolgreiche Anfechtung nach § 871 ABGB ein Dauerschuldverhältnis (hier: vertragliche Benützungsregelung nach § 17 Abs 1 WEG 2002) ex nunc oder ex tunc beseitigt (s dazu nur Rummel in Rummel/Lukas, ABGB4 § 859 Rz 40 ff) und die Rückabwicklung durch Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands zulässig ist, wurde und wird nicht angesprochen. Die Kläger befassen sich in ihrer Revision ausschließlich mit dem Problem der einheitlichen Streitpartei, sie zeigen dabei aber keine erhebliche Rechtsfrage auf.
1.1 Wenn sich die Wirkung des zu fällenden Urteils kraft der Beschaffenheit des streitigen Rechtsverhältnisses oder kraft gesetzlicher Vorschrift auf sämtliche Streitgenossen erstreckt, bilden dieselben eine einheitliche Streitpartei (§ 14 ZPO).
1.2 Die klagenden Wohnungseigentümer vertreten auch im Revisionsverfahren die Meinung, es müssten in diesem Verfahren auf Unterlassung und Beseitigung nicht sämtliche andere Wohnungseigentümer als einheitliche Streitgenossen iSd § 14 ZPO geklagt werden. Sie nehmen jene Judikatur des Obersten Gerichtshofs für sich in Anspruch, welche dem einzelnen Wohnungseigentümer die Eigentumsfreiheitsklage gemäß § 523 ABGB gegen einen anderen störenden Mit- und Wohnungseigentümer zubilligt und die Beteiligung sämtlicher übriger Mit- und Wohnungseigentümer mangels Vorliegens einer einheitlichen Streitpartei für nicht erforderlich erachtet (RIS-Justiz RS0012112 [T5 bis T8, T10; RS0012137 [T12 bis T14, T17]).
1.3 Diese Argumentation trifft jedoch nicht den Kern des Problems. Die Berechtigung des Unterlassungs- und Beseitigungsbegehrens hängt - soweit für die Revision der Kläger relevant - davon ab, ob die Anfechtung - unstrittig vorliegender - Benützungsvereinbarungen durch einzelne Wohnungseigentümer wegen Irrtums gegenüber allen übrigen Mit- und Wohnungseigentümern (Vertragspartnern der Benützungsregelung) erklärt und im Prozess (RIS-Justiz RS0016253) durchgesetzt werden muss.
1.4 Die Kläger qualifizier(t)en die einstimmig geschlossenen Vereinbarungen vom 29. 4 und ihrem gesamten Inhalt nach ausdrücklich als vertragliche Benützungsregelungen iSd § 17 WEG 2002. In der Revision sehen sie die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts als richtig an, dass vertragliche Benützungsregelungen nach § 17 Abs 1 WEG 2002 der Zustimmung sämtlicher Wohnungseigentümer bedürfen. Die Rechtsansicht der zweiten Instanz, wonach Benützungsregelungen nach § 17 Abs 3 Satz 1 WEG 2002 durch den Wechsel von Wohnungseigentümern nicht berührt werden und mehrgliedrige unteilbare Schuldverhältnisse darstellen, wird nicht bekämpft. Sie meinen aber, die Befugnis jedes Wohnungseigentümers, die gerichtliche Abänderung einer bestehenden Benützungsregelung aus wichtigen Gründen zu beantragen (§ 17 Abs 2 Satz 1 zweiter Fall WEG 2002) spreche zu ihren Gunsten. Das ist aber nicht der Fall. Einem derartigen Regelungsstreit nach § 52 Abs 1 Z 3 WEG 2002 müssten zufolge § 52 Abs 2 Z 1 WEG 2002 sämtliche übrige Wohnungseigentümer als Parteien beigezogen werden (Kulhanek in Illedits/Reich-Rohrwig, Wohnrecht2 § 52 WEG Rz 16; RIS-Justiz RS0102400).
1.5 Die Unteilbarkeit mehrgliedriger Schuldverhältnisse gilt auch für die entsprechenden Gestaltungsrechte, sie können daher nur für und gegen alle oder für und gegen keinen von ihnen wirken (RIS-Justiz RS0013931 [T4]; 3 Ob 21/13d). Die Irrtumsanfechtung ist ein Gestaltungsrecht (Bollenberger in KBB4 § 859 Rz 6; vgl 3 Ob 226/03m = RIS-Justiz RS0118933; vgl RS0014909 [T1]).
1.6 Die vom Berufungsgericht gestellte Frage ist anhand der bereits existierenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Ausübung von Gestaltungsrechten in mehrgliedrigen unteilbaren Schuldverhältnissen im Sinne der Entscheidung der zweiten Instanz zu beantworten. Eine erhebliche Rechtsfrage wird nicht geltend gemacht.
2. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 iVm § 50 ZPO. Der Erstbeklagte hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen.
II. Die beantwortete Revision des Erstbeklagten ist zulässig und im Sinn einer Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen berechtigt.
1. Der Erstbeklagte befasst sich nicht mit der dem Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts zugrundeliegenden Rechtsfrage. Thema seiner Revision ist ausschließlich das erstmals vom Berufungsgericht angenommene und daher in dritter Instanz im Rahmen der Verfahrensrüge überprüfbare (RIS-Justiz RS0040078 [T6, T7]) Vorliegen eines schlüssigen Geständnisses zum Fehlen einer baubehördlichen Genehmigung.
1.1 Ob tatsächliche Behauptung einer Partei iSd § 267 ZPO als zugestanden gelten, hat das Gericht unter sorgfältiger Berücksichtigung des gesamten Inhalts des gegnerischen Vorbringens nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen (7 Ob 226/14g mwN). Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs lässt in der Regel den Schluss von einer unterbliebenen Bestreitung auf ein schlüssiges Geständnis nur zu, wenn gewichtige Indizien dafür sprechen (RIS-Justiz RS0040078 [T6] RS0039927 [T13]). Dem Berufungsgericht ist hier eine, vom Obersten Gerichtshof zu korrigierende Fehlbeurteilung unterlaufen.
1.2 Die Kläger beriefen sich in erster Instanz - soweit noch relevant - auf eine mangels wirksamer Benützungsvereinbarungen eigenmächtige alleinige Nutzung einer Dachterrasse (des Flachdaches über der Wohnung 8), zu welcher der Erstbeklagte einen nicht genehmigten Ausstieg von der Wohnung errichtet habe. Das Fehlen einer baubehördlichen Genehmigung erwähnten sie nicht ausdrücklich. Dieses Vorbringen stellt nicht eindeutig klar, ob sie mit der Wortfolge „nicht genehmigten Ausstieg“ tatsächlich die Errichtung ohne die - in der Vereinbarung geforderte - Genehmigung durch die Baubehörde meinen. Die Kläger legten den Schwerpunkt ihrer Argumentation ja auf die Unwirksamkeit der Benützungsvereinbarungen, weshalb ihrer Auffassung nach sämtliche Maßnahmen von den Mit- und Wohnungseigentümern nicht genehmigt worden wären.
1.3 Der Erstbeklagte bestritt das Vorbringen der Kläger zur Gänze und stellte lediglich die Eigenschaft der Streitteile als Mit- und Wohnungseigentümer außer Streit (ON 20). Er brachte vor, dass sämtliche Mit- und Wohnungseigentümer (unter anderem) der Errichtung eines Ausgangs zum Flachdach zugestimmt und das entsprechende Bauansuchen (den Auswechslungsplan) unterfertigt hätten. Vorgelegt wurden der Auswechslungsplan (Blg ./3) und der Bewilligungsbescheid der Baubehörde vom (Blg ./4). Die Urkundenerklärung der Kläger (ON 23 S 4) lautete auf „Übereinstimmung mit dem echten Original, zur Richtigkeit wird auf das eigene Vorbringen verwiesen“. Die Vorlage von Urkunden ersetzt zwar nach der Rechtsprechung in der Regel ein entsprechendes Vorbringen nicht (RIS-Justiz RS0037915). Das unklare Vorbringen der Kläger und der Verweis des Erstbeklagten auf ein Bauansuchen lassen jedoch - jedenfalls iVm den vorgelegten Urkunden - an einem schlüssigen Geständnis zweifeln.
1.4 Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht festzustellen haben, ob die Errichtung des Ausstiegs von der Baubehörde genehmigt wurde. Trifft dies nicht zu, ist diese bauliche, allgemeine Teile (Geschossdecke und Außenfassade) beanspruchende und genehmigungsbedürftige (§ 16 Abs 2 Z 2 WEG 2002) Maßnahme durch die Zustimmung der Mit- und Wohnungseigentümer in der betreffenden Benützungsregelung nicht gedeckt. Dann hätte der Erstbeklagte eigenmächtig gehandelt. Der erhobene Beseitigungsanspruch stünde den klagenden Mit- und Wohnungseigentümern nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu (RIS-Justiz RS0012137 [T17]; RS0083156 ua).
2. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Rechtsgebiet | Zivilrecht |
Schlagworte | Zivilverfahrensrecht,Streitiges Wohnrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2016:0050OB00012.16Z.0223.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
UAAAD-58078