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OGH vom 29.04.2019, 2Ob35/19i

OGH vom 29.04.2019, 2Ob35/19i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** P*****, vertreten durch Dr. Andreas Cwitkovits, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei ÖBB-Infrastruktur Aktiengesellschaft, Praterstern 3, Wien 2, vertreten durch die Lansky, Ganzger & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, und die Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei 1. W*****gesellschaft mbH und 2. DI J***** H*****, vertreten durch Singer Fössl Rechtsanwälte OG in Wien sowie 3. R***** GmbH, *****, vertreten durch Stock Rafaseder Gruszkiewicz Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 78.700 EUR sA und Feststellung (Streitwert 10.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Teilzwischenurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 154/17x-69, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Der behauptete Verfahrensmangel wurde geprüft; er liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

2. Die Beklagte hatte sich gegenüber der von ihr mit Arbeiten an der Oberleitung beauftragten Arbeitgeberin des Klägers, der Drittnebenintervenientin, vertraglich verpflichtet, zum Schutz deren auf der Eisenbahnbaustelle tätigen Arbeitnehmer Sicherheitsposten in einem von ihr festzulegenden Umfang oder automatische Warnanlagen beizustellen. Dies entsprach den die Beklagte als Eisenbahnunternehmerin nach § 26 Eisenbahn-ArbeitnehmerInnenschutzverordnung (EisbAV) treffenden Pflichten, die gemäß § 26b EisbAV auch gegenüber Arbeitnehmern anderer Arbeitgeber bestehen. Durch das von ihr verwendete Signalton-Warngerät trat aber die Gehörverletzung des Klägers ein. Der von der Beklagten bestellte „Sicherheitsbeauftragte“ hatte weder die Drittnebenintervenientin noch deren Arbeitnehmer vor dieser – ihm bekannten – Gefahr gewarnt.

3. Richtig ist zwar, wie die Revisionswerberin betont, dass die früher auf die Fürsorgepflicht des Werkbestellers gemäß § 1169 ABGB gestützte des Bauherrn nunmehr im Regelungsbereich des BauKG durch dieses als Schutzgesetz iSd § 1311 ABGB konkretisiert wird und als lex specialis den bisherigen Ansatz verdrängt (2 Ob 273/03v; RS0123294). Hat der Bauherr einen Koordinator bestellt, so haftet er in dessen Verantwortungsbereich (§ 5 BauKG) nur für Auswahlverschulden (RS0015253).

Das bedeutet aber nicht, dass sich der Bauherr (als Werkbesteller) mit der Bestellung eines Baustellenkoordinators aller seiner vertraglich übernommenen Schutz- und Sorgfaltspflichten entledigen kann. Denn die Vorschriften des BauKG sollen den Gefahren begegnen, die aufgrund der gleichzeitigen oder aufeinanderfolgenden Tätigkeit von Arbeitnehmern verschiedener Arbeitgeber entstehen (8 Ob 56/15s mwN; 6 Ob 147/18p; RS0119449). Der Baustellenkoordinator, dessen umfangreicher Pflichtenkreis in § 5 BauKG festgelegt ist (ausführlich 1 Ob 233/03a), würde deshalb seinerseits nur bei Verwirklichung eines Risikos haften, das sich aus dem Zusammenwirken mehrerer Unternehmer auf einer Baustelle ergibt (vgl § 3 Abs 1 BauKG;8 ObA 54/14w; 8 Ob 56/15s; 1 Ob 98/17v). Für die Einhaltung der vom Pflichtenkreis des Baustellenkoordinators nicht umfassten Pflichten hat der Bauherr (Werkbesteller) hingegen weiterhin selbst einzustehen.

4. Die Beistellung von Sicherheitsposten oder automatischen Warnanlagen, zu der die Beklagte gegenüber der Drittnebenintervenientin vertraglich verpflichtet war, diente zwar dem Schutz deren Arbeitnehmer, hatte aber völlig unabhängig davon zu erfolgen, ob – was im Übrigen gar nicht feststeht – zum damaligen Zeitpunkt auch die Arbeitnehmer anderer Unternehmer (gleichzeitig oder aufeinanderfolgend) auf der Baustelle tätig waren. Ein Koordinierungsproblem lag dabei nicht vor (vgl 7 Ob 211/09v). Die Pflicht zur Einhaltung dieser Schutzmaßnahmen traf daher ausschließlich die Beklagte, der sie durch die Aufstellung des Warngeräts ja auch tatsächlich entsprach.

5. Der Werkbesteller hat den Unternehmer vor aus seiner Sphäre stammenden Gefahrenquellen, die dieser nicht leicht erkennen kann, stets zu warnen (2 Ob 129/15g; 1 Ob 174/16v; RS0021799).

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, der Beklagten wäre es trotz der Bestellung eines Baustellenkoordinators im Rahmen ihrer werkvertraglichen Fürsorgepflicht oblegen, die Drittnebenintervenientin über die von dem Warngerät selbst ausgehende Gefahr für die an der Baustelle tätigen Arbeitnehmer in Kenntnis zu setzen, wobei sie sich das Verhalten ihres „Sicherheitsbeauftragten“ nach § 1313a ABGB zurechnen lassen müsse, stimmt mit dieser Rechtslage überein und wirft daher auch keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

6. Die Beklagte regt in der Revision die Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs an, weil die Auslegung des § 5 BauKG durch das Berufungsgericht richtlinienwidrig sei. Ihrer Ansicht nach sei aus Art 6 RL 92/57/EWG (der in § 5 BauKG umgesetzt wurde) abzuleiten, dass der Bauherr, der einen Koordinator bestellt hat, keinesfalls hafte.

§ 5 BauKG trifft allerdings ebenso wie Art 6 der Richtlinie, die überdies schon nach ihrem Titel nur Mindestvorschriften für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz auf bestimmten Baustellen regelt, keine Aussage zu den hier allein relevanten Pflichten des Bauherrn nach Bestellung eines Baustellenkoordinators. Der Anregung auf Einholung einer Vorabentscheidung ist schon aus diesem Grund nicht nachzukommen.

7. Mit ihren Ausführungen zur Gesundheitsbeeinträchtigung des Klägers und deren Ursachen bekämpft die Beklagte in Wahrheit in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung der Vorinstanzen. Ein Verstoß gegen die Denkgesetze (RS0043307) ist nicht ersichtlich.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:0020OB00035.19I.0429.000

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