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OGH vom 11.12.1963, 7Ob329/63

OGH vom 11.12.1963, 7Ob329/63

Norm

ABGB § 807;

ZPO § 406;

Kopf

SZ 36/157

Spruch

Durch § 807 ABGB. wird die Rechtswohltat des Inventars auch dem unbedingt erbserklärten Erben unbegrenzt eingeräumt, wenn das Inventar vor der Einantwortung errichtet wurde.

Entscheidung vom , 7 Ob 329/63.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Das Erstgericht sprach dem Kläger das eingeklagte Darlehen in der vollen Höhe von 30.000 S zu und verurteilte die Beklagte als Erbin des Darlehensnehmers zur Rückzahlung in monatlichen Raten von 750 S. Es stellte fest, der Kläger habe dem am verstorbenen Gatten der Beklagten im Jahre 1953 ein Darlehen von 30.000 S bar zugezählt, das mit 10% jährlich zu verzinsen und nach Möglichkeit und Tunlichkeit zurückzuzahlen gewesen sei. Das Darlehen sei spätestens durch die Klage fällig gestellt worden. Die Möglichkeit und Tunlichkeit der Rückzahlung in der im Urteil genannten Form sei gegeben, weil die Beklagte ein monatliches Einkommen von 2300 S habe.

Das Berufungsgericht übernahm die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und stellte an Hand des Verlassenschaftsaktes nach Erich L., dem Gatten der Beklagten, zusätzlich fest, daß sich die Beklagte zwar unbedingt erbserklärt habe, daß aber wegen mj. Erben ein Inventar errichtet worden sei, wonach Nachlaßaktiven von 15.533 S Vorrang genießenden Begräbniskosten im Betrage von 6360 S gegenüberstunden, sodaß der bei der Darlehensforderung zu berücksichtigende Nachlaß nur 9173 S betragen habe. Es führte aus, daß nach herrschender Lehre im Falle der Errichtung eines Inventars auch der unbedingt erbserklärte Erbe nur so weit hafte, als die Verlassenschaft reiche. Die Feststellung des Umfanges dieser Haftung habe bereits im Prozeß und nicht erst im Exekutionsverfahren zu erfolgen. Es sei darauf von Amts wegen Bedacht zu nehmen, weil sich die Beschränkung aus dem Gesetze ergebe. Die Beklagte habe die Haftungsbeschränkung daher nicht ausdrücklich einzuwenden brauchen. Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil daher dahin ab, daß es die Beklagte nur schuldig erkannte, einen Betrag von 9173 S samt den vereinbarten Zinsen in den vom Erstgericht festgesetzten Monatsraten zurückzuzahlen. Die Zahlung in dieser Form erachtet es in Übereinstimmung mit dem Erstgericht der Beklagten zumutbar.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Es ist dem Kläger beizupflichten, daß der letzte Satz des § 807 ABGB. nicht klar gefaßt ist und die vom Kläger vertretene Meinung hervorrufen kann. Um den Willen des Gesetzgebers zu ergrunden, muß daher auf die Beratungen zurückgegriffen werden, die zu der Einschaltung der Worte "so lange ihm die Erbschaft noch nicht übergeben worden ist" führten. Wie Weiß im Komm. Klang[2] III S. 1003 ff. überzeugend ausführt, war ursprünglich folgende Wendung beabsichtigt: "Genießt auch derjenige, welcher eine unbedingte Erbserklärung abgegeben hat, die Rechtswohltat des Inventars". Daraus ergäbe sich eindeutig eine Haftungsbeschränkung auch des unbedingt erbserklärten Erben im Falle der Errichtung eines Inventars. Diese Wendung wurde schließlich nur deshalb nicht verwendet, weil dagegen Bedenken in der Form erhoben wurden, daß auch nach Einantwortung des Nachlasses an den unbedingt erbserklärten Erben ein Noterbe auftreten und die Errichtung eines Inventars verlangen könnte und der Erbschaftsbesitzer sich auch dann noch gegenüber der Gläubigern des Erblassers auf das Inventar berufen könnte. Man wollte daher diesen Vorteil des unbedingt erbserklärten Erben darauf beschränken, daß das Inventar vor Einantwortung errichtet worden sein muß. Die oben zitierten Worte des § 807 ABGB. sollten also nichts anderes sagen, als daß die Errichtung des Inventars bis zum Schluß der Verlassenschaftsabhandlung zu erfolgen habe, wenn sie einem Miterben zugute kommen soll, der sich unbedingt erbserklärt hat. Daß auch Zeiller, der die Worte im Gesetzeswortlaut eingefügt hat, dieser Meinung war, geht aus seinem Kommentar hervor, wo er ausführt, daß, wenn ein Inventar errichtet werden muß, auch der unbedingt erbserklärte Erbe diese Rechtswohltat genieße. Sie soll ihm nur dann nicht mehr zustattenkommen, wenn ihm die Erbschaft vor Errichtung des Inventars bereits übergeben, also eingeantwortet wurde.

Wolff (Grundriß des österr. bürgerl. Rechts[4] S. 370) schließt aus der Bestimmung des § 807 ABGB. e contrario, daß der Erbe, der sich unbedingt erbserklärt hat, nach der Einantwortung trotzdem wieder mit seinem ganzen Vermögen für die ganze Schuld des Erblassers hafte, fügt aber bei, daß dies alles äußerst strittig sei. Die Entscheidung vom 12. Februar 1890, GlU. 13.152, auf die sich der Kläger beruft, ist vereinzelt geblieben, ihr kann im Hinblick auf die überzeugenden Ausführungen Weiß' nicht gefolgt werden. Es ist vielmehr davon auszugehen, daß die Absicht des Gesetzgebers dahin ging, die Rechtswohltat des Inventars auch dem unbedingt erbserklärten Erben zukommen zu lassen, und zwar unbegrenzt, wenn nur das Inventar vor der Einantwortung errichtet wurde. Es hat daher mit Recht die Erbin des Darlehensnehmers nur so weit zur Rückzahlung des Darlehens verurteilt, als die Verlassenschaft reicht.

Auch die Ausführungen des Berufungsgerichtes, daß die Beschränkung der Haftung nicht erst im Exekutionsverfahren, sondern schon im Prozeß zu berücksichtigen sei, entspricht der neueren Rechtsprechung, weil es sich nicht um eine Exekutionsbeschränkung, sondern um eine Minderung der materiellrechtlichen Verpflichtung des Erben handelt. Diese Rechtsansicht wird auch nicht bekämpft.

Bei Vereinbarung der Rückzahlung eines Darlehens nach Möglichkeit und Tunlichkeit setzt das Urteil erst die Leistungszeit fest. Die Fälligkeit kann daher erst an dem im Urteil angegebenen späteren Zeitpunkt eintreten. Dennoch wird aus prozeßökonomischen Gründen unter der Voraussetzung, daß die Tunlichkeit und Möglichkeit bereits besteht, mit dem Rechtsgestaltungsurteil der Leistungsbefehl verbunden, obwohl das streng genommen nicht geschehen durfte, weil nach § 406 ZPO. die Verurteilung zu einer Leistung nur zulässig ist, wenn die Fälligkeit zur Zeit der Urteilsschöpfung bereits eingetreten war. Nach Lehre und Rechtsprechung steht die Bestimmung des § 406 ZPO. einer solchen Entscheidung aber nicht entgegen (vgl. Ehrenzweig, Allgemeiner Teil[2] § 139 I Anm. 3 S. 333, 6 Ob 211/60, JBl. 1959 S. 632). Diese Rechtsansicht wird in der Revision auch nicht mehr bekämpft. Die Untergerichte haben im Hinblick darauf, daß die Beklagte 2300 S vierzehnmal jährlich bezieht, mit Recht die Möglichkeit und Tunlichkeit der Rückzahlung des Darlehens im nunmehr eingeschränkten Umfange und in den vom Erstgericht festgesetzten Monatsraten bejaht. Obwohl auch diese Rechtsansicht nicht bekämpft wurde, war bei Überprüfung der rechtlichen Beurteilung auch darauf einzugehen.