OGH vom 29.03.2006, 3Ob245/05h

OGH vom 29.03.2006, 3Ob245/05h

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Dr. Prückner, Dr. Sailer und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Reinhard R*****, vertreten durch Mag. Dr. Gernot Prattes, Rechtsanwalt in Kapfenberg als Verfahrenshelfer, wider die beklagte Partei Heide R*****, vertreten durch Dr. Gerda Schildberger, Rechtsanwältin in Bruck an der Mur als Verfahrenshelferin, wegen Einwendungen gegen den Anspruch (§ 35 EO), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Berufungsgericht vom , GZ 3 R 75/05v-12, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom , AZ 3 R 75/05v, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Bruck an der Mur vom , GZ 7 C 1/05x-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 399,74 EUR (darin 66,62 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die 1981 geschlossene Ehe der Streitteile wurde 1997 aus dem Alleinverschulden des Klägers geschieden. Auf Grund eines Vergleichs vom ist dieser verpflichtet, der Beklagten einen monatlich Unterhalt von 4.800 ATS = 348,83 EUR zu zahlen. Die Beklagte ist seit 1999 teilzeitbeschäftigt.

Das Erstgericht wies ein im Jänner 2001 erhobenes Klagebegehren des Klägers auf Feststellung, der Unterhaltsanspruch bestehe nicht mehr, auf Grund der auf ein Sachverständigengutachten gestützten Feststellung ab, die Beklagte könne erst bis September 2002 eine Ganztagsstelle finden. Mit diesem Monat stellte der Kläger seine Unterhaltszahlungen ein. Daraufhin bewilligte das Erstgericht der Beklagten am zur Hereinbringung „des Unterhalts" die Forderungs- und Fahrnisexekution. Mit seinem am erhobenen 1.Oppositionsklagebegehren, gestützt auf die Möglichkeit der Beklagten, eine Vollzeitbeschäftigung zu finden, blieb der Kläger in zwei Instanzen erfolglos, weil die Beklagte trotz intensiver Bemühungen keine Ganztagsstelle habe finden können. Da der Kläger die Echtheit und Richtigkeit der von der Beklagten zum Beweis ihres Vorbringens vorgelegten Urkunden in diesem

1. Oppositionsprozess bezweifelte, erstattete er Strafanzeige an die zuständige Staaatsanwaltschaft. Auf Grund deren Strafantrags wurde die Beklagte wegen des Vergehens der Fälschung zweier Absageschreiben von Unternehmen, somit „besonders geschützter" Urkunden nach § 223 Abs 2 StGB, wozu sie sich schuldig bekannte, rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt, vom weiteren Anklagevorwurf, sie habe im

1. Oppositionsprozess zumindest - tatsächlich nie abgeschickte - 19 Bewerbungsschreiben an verschiedene Unternehmen vorgelegt, wodurch sie das Vergehen des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 StGB begangen habe, jedoch rechtskräftig freigesprochen. Mit der vorliegenden 2.Oppositionsklage begehrte der Kläger wiederum, den Anspruch, zu dessen Hereinbringung der Beklagten am die Exekution bewilligt wurde, für erloschen zu erklären. Im Hinblick auf die rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung der Beklagten habe sie ihren Unterhaltsanspruch gemäß § 74 EheG verwirkt. Die dieser Verurteilung zugrundeliegende Gesinnung der Beklagten, die durch die Urkundenverfälschung nur ihn habe schädigen wollen, mache es ihm unzumutbar, weiter Unterhaltszahlungen leisten zu müssen. Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, ihre Bewerbungsbemühungen hätten sich nicht auf jene 21 Urkunden beschränkt, die Gegenstand des Strafverfahrens waren, sondern seien viel umfangreicher gewesen. Die beiden von ihr tatsächlich verfälschten Absageschreiben habe sie nur unter dem Druck der ständig gegen sie geführten Verfahren vorgelegt. Diese seien aber nicht repräsentativ für ihre sonst umfangreichen Bemühungen. Angesichts der zahlreichen weiteren Beweismittel habe die Vorlage der beiden verfälschten Urkunden keinen Einfluss auf die Entscheidung über die weiterhin bestehende Unterhaltspflicht des Klägers haben können.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und stellte über den eingangs wiedergegebenen unstrittigen Sachverhalt hinaus noch fest, dass die Beklagte Absageschreiben von zwei Unternehmen über Bewerbungen im Februar 2002 gefälscht habe, indem sie das Datum des Absageschreibens abgedeckt, eine Kopie des veränderten Schreibens hergestellt und in der Tagsatzung am im 1. Oppositionsverfahren zum Beweis dafür vorgelegt habe, dass sie sich bei den beiden Unternehmen ein weiteres Mal erfolglos beworben habe. Sie habe dies gemacht, um dadurch ihren Unterhaltsanspruch gegen den Kläger zu untermauern bzw. das Weiterbestehen der Unterhaltsverpflichtung des Klägers zu erreichen. Ob die Beklagte darüber hinaus Urkunden, die sie in jenem Verfahren vorlegte, verfälscht habe, konnte das Erstgericht nicht feststellen. In rechtlicher Hinsicht nahm der Erstrichter Verwirkung des Unterhaltsanspruchs an, weil in der Vorlage der verfälschten Urkunden die verwerfliche Gesinnung der Beklagten zum Ausdruck komme, bereit zu sein, den ihrer Meinung nach gerechtfertigten Unterhaltsanspruch auch mit verbotenen Mitteln durchzusetzen. Sie habe versucht, die einzige für den Unterhaltsstreit relevante Tatsache der Bemühungen um einen Arbeitsplatz durch Urkundenfälschung zu beweisen. Auch wenn sie verständlicherweise ein Interesse am Weiterbezug des zweifellos nach schuldloser Scheidung gesetzlich gebührenden Unterhalts habe, falle eine Interessenabwägung zu ihrem Nachteil aus. Es sei ihr der Beweis einer nicht in Schädigungsabsicht erfolgten Handlungsweise gegen den Unterhaltspflichtigen nicht gelungen. Die folgenschwere, das Ehe- und Unterhaltsrecht beherrschende Problematik der mangelnden sozialversicherungsrechtlichen Versorgung von erziehenden Elternteilen könne nicht durch richterliche Rechtsschaffung, sondern nur durch entsprechende Gesetzgebung gelöst werden. Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Da an das gegenseitige Verhalten geschiedener Ehegatten kein allzu strenger Maßstab anzulegen sei, werde für die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs nach § 74 EheG eine besonders schwere Verfehlung verlangt. Zu würdigen seien alle objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls.

Nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen im

1. Oppositionsprozess habe die Beklagte schriftlich und/oder telefonisch mehr als 29 überwiegend namentlich benannte Unternehmen kontaktiert und überall Absagen erhalten. Es sei zwar richtig, dass es sich bei der Vorlage der Antwortschreiben nicht nur - im Ergebnis - um eine strafbare Handlung gegen die Rechtspflege handle, sondern auch um eine Verfehlung gegen den Kläger, habe sie doch damit versucht, eine Abweisung der Oppositionsklage herbeizuführen, um ihren Unterhaltsanspruch für die Zukunft zu sichern. Wenn auch für die Beurteilung des Unwerts einer Handlung nicht ausschließlich auf den eingetretenen Erfolg abgestellt werden könne, dürfe dieser doch auch nicht völlig außer Acht gelassen werden. Angesichts der Vielzahl der von der Beklagten unternommenen Versuche, eine andere Arbeit zu finden, komme den beiden Verfälschungen keine wesentliche unterhaltsrechtliche Bedeutung zu; die strafrechtliche Bedeutung könne hier außer Betracht bleiben. Nach § 74 EheG komme nur entweder das unveränderte Weiterbestehen eines Unterhaltsanspruchs oder dessen gänzlicher Entfall für alle Zukunft in Betracht. Vor dieser Alternative wäre die gänzliche Unterhaltsverwirkung hier eine zu weitgehende Folge.

Das Gericht zweiter Instanz ließ im Verfahren nach § 508 ZPO die Revision des Klägers nachträglich zu, könne doch seiner Argumentationskette „Stringenz und Überzeugungskraft nicht von vornherein abgesprochen ... werden".

Die Revision des Klägers ist entgegen diesem den Obersten Gerichtshof nach § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch nicht zulässig, weil keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zur Darstellung gebracht wird.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt, wie der Oberste Gerichtshof prüfte, nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Erhebliche Rechtsfragen sieht der Kläger darin, dass es an höchstgerichtlicher Rsp dazu fehle, ob bei Vorliegen einer strafrechtlichen Verurteilung zur Verwirklichung des Tatbestands des § 74 EheG zusätzlich ein subjektives Element oder ein solches von unterhaltsrechtlicher Bedeutung hinzutreten müsse, sowie darin, ob der Unterhaltsschuldner unmittelbar Geschädigter eines Vermögensdelikts sein müsse oder die Begründung einer Vertrauensunwürdigkeit des Unterhaltsempfängers durch diese Tat ausreiche. Nach stRsp des Obersten Gerichtshofs müsse eine subjektive Verantwortlichkeit vorliegen, wovon hier wegen der strafrechtlichen Verurteilung unzweifelhaft auszugehen sei. Es widerspreche völlig der Bestimmung des § 74 EheG, die strafrechtliche Bedeutung des Verhaltens der Beklagten völlig außer Acht zu lassen und plötzlich auf die unterhaltsrechtliche Bedeutung desselben abzustellen. Da es sich hier nicht um eine Wiederaufnahmsklage handle, sei nicht von einem etwaigen Erfolg des Verhaltens der Beklagten im Vorprozess auszugehen.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 74 EheG verwirkt der Berechtigte den Unterhaltsanspruch, wenn er sich nach der Scheidung einer schweren Verfehlung gegen den Verpflichteten schuldig macht oder gegen dessen Willen einen ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandel führt. Aus den Ausführungen in der Revision ergibt sich eindeutig, dass der Kläger einen ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandel der Beklagten nicht geltend macht. Zutreffend führt die Beklagte zum ersten Fall des § 74 EheG in ihrer Revisionsbeantwortung aus, dass bei der Prüfung, ob eine schwere Verfehlung iSd § 74 EheG vorliegt, nach stRsp im Einzelfall unter Berücksichtigung alle objektiven und subjektiven Umstände zu prüfen ist, ob die Verfehlung so schwer wiegt, dass dem Verpflichteten die Unterhaltsleistung für alle Zukunft nicht mehr zumutbar ist (2 Ob 578/95 = SZ 68/243; RIS-Justiz RS0078153; ebenso offenbar Zankl in Schwimann3 I § 74 EheG Rz 7 und 9 mwN).

Der Kläger lässt auch die zutreffende Rechtsansicht des Gerichts zweiter Instanz unbekämpft, dass angesichts des Umstands, dass geschiedene Ehegatten nicht zur anständigen Begegnung iSd § 90 ABGB verpflichtet sind, nur Verfehlungen, die über die bloße Verletzung jener Pflicht hinausgehen, zur Unterhaltsverwirkung führen können (SZ 22/160). Ähnlich ist in der Entscheidung EFSlg 29.657 davon die Rede, dass § 74 EheG ein gravierenderes Verhalten als § 49 EheG verlange. Nichts anderes ist wohl gemeint, wenn in der E 2 Ob 578/95 formuliert wird, eine schwere Verfehlung iSd § 74 EheG müsse gravierender sein als jene nach § 49 EheG (ähnlich Stabentheiner in Rummel3 § 74 EheG Rz 2; Zankl, aaO Rz 7). Es gibt allerdings keine Verfehlungen, die so schwer wären, dass sie nicht mehr als schwere Eheverfehlung iSd § 49 EheG gewertet werden könnten, weil für solche nicht gleichsam eine „Obergrenze" gezogen werden kann. Gemeint ist aber, wie in den älteren Entscheidungen eindeutig zum Ausdruck kommt, dass ein Verhalten, das bereits als schwere Eheverfehlung nach § 49 EheG zu qualifizieren ist, nicht in jedem Fall auch für die Verwirkung des nachehelichen Unterhaltsanspruchs iSd § 74 EheG ausreicht. Nach den Feststellungen der Tatsacheninstanzen wurde die Beklagte wegen Verfälschung zweier Urkunden strafgerichtlich verurteilt. Nun stützt der Kläger sein Klagebegehren ersichtlich nicht allein auf die bloße Tatsache einer Urkundenfälschung durch seine geschiedene Ehefrau, sondern insbesondere auch darauf, dass sie diese Urkunden zu Beweiszwecken im 1.Oppositionsprozess zwischen den beiden vorlegte. Nach der Überschrift vor § 223 StGB handelt es sich bei der Urkundenfälschung um eine strafbare Handlung gegen die Zuverlässigkeit von Urkunden und Beweiszeichen. Demnach werden dadurch nach in Österreich herrschender Lehre nur Interessen der Allgemeinheit, nicht aber Individualinteressen geschützt (Kienapfel in Ratz/Höpfel, WK2 Vorbem zu §§ 223 ff StGB Rz 28). Die Urkundenfälschung könnte daher für sich allein nicht als schwere Verfehlung gegen den Unterhaltsverpflichteten nach § 74 EheG qualifiziert werden. Wie vom Obersten Gerichtshof schon zu 3 Ob 209/99b = EFSlg 93.892 (ebenso Zankl aaO Rz 7) ausgeführt wurde, muss es sich nach § 74 EheG um eine besonders schwere Verfehlung handeln, wobei nicht einmal die Inanspruchnahme von Unterhaltsleistung trotz bestehender Lebensgemeinschaft mit bedingtem Vorsatz ein derartiges Gewicht hat.

Bezogen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass der Beklagte zu Unrecht vermeint, das Berufungsgericht sei von der höchstgerichtlichen Rsp abgewichen, wenn es auf die „unterhaltsrechtliche" Bedeutung der Verfehlung der Beklagten abstelle. Wie dargelegt, kann nur deren Berücksichtigung überhaupt dazu führen, die Relevanz der Urkundenfälschungen der Beklagten für ihren Unterhaltsanspruch in Erwägung zu ziehen. Erkennbar und auch vom Kläger nicht bekämpft gelangte das Berufungsgericht zur Auffassung, die Vorlage der verfälschten Urkunden zum Beweis für vergebliche Stellengesuche habe keinen Einfluss auf das Ergebnis des Verfahrens im Vorprozess und damit auf das Aufrechtbleiben des Unterhaltsanspruchs der Beklagten gehabt. Gerade im Lichte der zitierten E 3 Ob 209/99b, nach der nicht einmal das mit bedingten Vorsatz erfolgte Inanspruchnehmen eines (nach der Rsp) wegen einer Lebensgemeinschaft ruhenden Unterhalts für die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs ausreicht, kann im Einzelfall dem Berufungsgericht keine aufgreifbare Fehlbeurteilung vorgeworfen werden.

Die zweite als erheblich behauptete Rechtsfrage stellt dies schon deshalb nicht, weil der zweitinstanzlichen Entscheidung eine Rechtsansicht, nur ein Vermögensdelikt könne zur Unterhaltsverwirkung führen, nicht entnommen werden kann. Selbstverständlich reicht nach der Rsp auch ein sonstiges Verhalten gegenüber dem Unterhaltspflichtigen aus, wenn es nur so gravierend ist, dass es die Fortsetzung der Unterhaltsleistung unzumutbar macht (vgl etwa 3 Ob 115, 116/90 = JBl 1991, 589; 2 Ob 578/95, 3 Ob 20/05w). Die Notwendigkeit, auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen, schließt regelmäßig das Vorliegen erheblicher Rechtsfragen nach § 502 Abs 1 ZPO aus. Der Umstand allein, dass der Oberste Gerichtshof einen gleichartigen Fall noch nicht zu beurteilen hatte, reicht nach der bei weitem überwiegenden Rsp des Obersten Gerichtshofs ebenfalls für das Vorliegen einer solchen Frage nicht hin (3 Ob 20/05w; Zechner in Fasching/Konecny § 502 ZPO Rz 69 f mwN).

Die Revision ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO. Die Revisionsbeantwortung war zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig, weil die Beklagte darin zutreffend auf die Unzulässigkeit der gegnerischen Revision hinwies.