OGH vom 24.11.2011, 6Ob25/11m

OGH vom 24.11.2011, 6Ob25/11m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.- Prof Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** Gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch Rechtsanwälte Brüggl Harasser Partnerschaft in Kitzbühel, gegen die beklagte Partei L***** S*****, vertreten durch Rechtsanwaltspartnerschaft Föger Pall in Wörgl, wegen 23.028,44 EUR sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 97/10m-48, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Kitzbühel vom , GZ 2 C 428/08h-40, zum Teil bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Teilurteil und das Urteil des Erstgerichts in Ansehung der Klagsabweisung von 13.011,56 EUR sA werden aufgehoben. Die Rechtssache wird in diesem Umfang an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Beklagte war seit Pächterin der im Eigentum der Klägerin stehenden Pension S***** in W*****. Das Pachtverhältnis endete am . Die Rückgabe der Pension erfolgte dergestalt, dass die Beklagte an diesem Tag in einer Bank der Ehefrau des Prokuristen der Klägerin den Pensionsschlüssel übergab. In der Folge besichtigten der Prokurist und seine Ehefrau die im Erdgeschoss, in zwei Obergeschossen und im Dachgeschoss gelegenen Pensionsräumlichkeiten.

Mit hatte die Beklagte von der Klägerin auch Geschäftsräumlichkeiten im Erdgeschoss desselben Hauses gemietet, in denen sie fortan ein Pub führte und in denen zuvor die Fleischerei S***** situiert war.

Vor Inbetriebnahme des Pubs wurde um baubehördliche Genehmigung kleinerer Umbauten angesucht, die unter anderem vorsahen, dass Toiletten errichtet werden und aus dem alten Kühlraum der Pension ein Lagerraum im Ausmaß von 2,52 m² für das Pub abgetrennt wird. Die Beklagte ließ die Trennwand bei den WC-Anlagen errichten. Die Abtrennung im alten Kühlraum wurde nicht ausgeführt, weil diese nur bei einem getrennten Betrieb der Pension und des Pubs notwendig ist. Im Zug der Umbauarbeiten des Pubs wurden an der Außenwand des Kühlraums Isolierungen entfernt.

Eine Vereinbarung, wonach die Beklagte den gesamten alten Kühlraum für Zwecke des Pubs verwenden und stattdessen eine Kühlzelle in einem anderen Lagerraum einstellen könnte, wurde zwischen den Parteien nicht getroffen. Nach Einbringung der Klage errichtete die Beklagte zwar eine Trennwand im alten Kühlraum, brachte aber die für einen Kühlraum notwendigen Isolierungen nicht an. Die Herstellung der Kühlzelle ohne Kühlgeräte und ohne komplette Neuverfliesung kostete 1.163 EUR. Eine gänzliche Neuverfliesung kostet 380 EUR.

Mit Klage vom zu 2 C 113/07h des Erstgerichts begehrte die Klägerin von der Beklagten die Räumung des Unterstellplatzes, des an diesen anschließenden Lagerraums, des im Erdgeschoss des Hauses neben dem Heizraum gelegenen Lagerraums und des hinter dem Lager des Pubs gelegenen Raums, die allesamt zur Pension S***** gehören.

Mit gerichtlichem Vergleich vom verpflichtete sich die Beklagte, die Geschäftsräumlichkeiten „Pub“ bis zu räumen.

Die Beklagte nutzte von April 2006 bis April 2008 folgende, zur Pension gehörenden Räume:

- Lagerraum bestehend aus zwei Räumen (rechts neben Unterstellplatz) mit einer Fläche von 20,2 m²;

- Lagerraum Bar mit einer Fläche von 2,5 m²;

- Kühlboxbereich mit einer Fläche von 6,6 m² im Lagerraum neben dem Heizraum.

Die Klägerin begehrte mit ihrer am eingebrachten Klage von der Beklagten zuletzt die Zahlung von 23.028,44 EUR sA (Benützungsentgelt von 5.688 EUR für den Unterstellplatz und die Lagerräume sowie die Pension S***** betreffende Kosten für fehlendes Inventar, Wiederherstellung des Kühlraums und Kühlaggregat, Teppichbodenaustausch, Montage einer Stellage im Lagerraum). Die Beklagte habe ihre Rückstellungsverpflichtung aus dem Pachtvertrag Pension S***** verletzt, weil sie die Schlüssel zum Bestandobjekt der Ehefrau des Geschäftsführers im Zug eines zufälligen Zusammentreffens übergeben habe und den Unterstellplatz sowie den daran anschließenden Lagerraum nicht geräumt und übergeben habe. Sie habe die im neben dem Heizraum gelegenen Abstellraum installierte Kühlbox nicht entfernt. Die Beklagte habe im alten Kühlraum eine Zwischenwand entfernt und sei ihrer Wiederherstellungsverpflichtung nicht nachgekommen. Sie nutze auch hier die so in Beschlag genommene Fläche noch immer titellos. Sie habe das Bestandobjekt nicht frisch ausgemalt. Die Teppichböden in der Pension seien übermäßig abgenutzt gewesen; Inventar habe gefehlt.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Sie habe das Bestandobjekt vereinbarungs- und ordnungsgemäß zurückgestellt und vollständig neu ausgemalt. Die Abnutzung der Teppichböden ginge nicht über den normalen Gebrauch hinaus.

Das Erstgericht gab der Klage, deren Begehren auf die korrekte Summe von 23.050,88 EUR zu berichtigen sei, mit 3.861 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren ab. Die verfahrensgegenständlichen Ersatzansprüche hätten gemäß § 1111 ABGB binnen eines Jahres nach Rückstellung der Bestandsache geltend gemacht werden müssen. Da das Bestandobjekt am übergeben und die Klage erst am eingebracht worden sei, sei das Ersatzbegehren abzuweisen. Das Benützungsentgelt, das der Klägerin für die Nutzung der Lagerräume gebühre (3.861 EUR), unterliege nicht dieser Frist. Da die Beklagte den Unterstellplatz nach dem nicht mehr benutzt habe, habe die Klägerin hierfür keinen Anspruch auf Benützungsentgelt.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil, das in seinem klagsstattgebenden Teil unbekämpft in Rechtskraft erwuchs, im Umfang der Abweisung eines Mehrbegehrens von 1.827 EUR sA als nichtig auf, bestätigte es in Ansehung der Abweisung von 13.011,56 EUR sA als Teilurteil und hob es im weiteren klagsabweisenden Ausspruch von 4.328,88 EUR sA auf.

Die Feststellung des Erstgerichts, die Beklage habe den Unterstellplatz nach dem nicht mehr benutzt, und die darauf gestützte Abweisung eines Benützungsentgeltanspruchs verstoße gegen die Bindungswirkung des Urteils des Erstgerichts vom , AZ 2 C 113/07h. Die von der Berufungswerberin in der Beweisrüge angestrebte Feststellung, die Klägerin habe nach Rückgabe der Schlüssel nicht alle Räumlichkeiten besichtigen können, könne mit Rücksicht auf den Brief des Klagevertreters vom nicht getroffen werden. In diesem Schreiben seien unter Berufung auf eine durchgeführte Überprüfung des Zustands der Pension detailliert Mängel aufgelistet, die im Wesentlichen auch den im vorliegenden Verfahren behaupteten Verstößen der Beklagten gegen die ordnungsgemäße Rückgabe entsprächen. Daraus ergebe sich zwingend, dass die Klägerin spätestens am Zutritt zu den Pensionsräumlichkeiten gehabt habe und deren Zustand festzustellen vermochte. Eine nicht ordnungsgemäße oder nicht vertragsgemäße Rückstellung bzw Übergabe des Bestandobjekts löse auf Seiten des Bestandgebers lediglich Ansprüche iSd § 1111 ABGB aus. Teile des Bestandobjekts, nämlich der Unterstellplatz samt anschließenden Lagerräumlichkeiten, seien nicht mit zurückgestellt worden, sodass die Präklusivfrist des § 1111 ABGB in Bezug auf Ersatzansprüche der Klägerin (Wiederherstellung Kühlraum und Kühlaggregat - 4.328,88 EUR) hinsichtlich der Lagerräume, die die Beklagte weiter genutzt habe, bei Klagseinbringung noch nicht abgelaufen gewesen sei. Da es sich bei diesen Räumlichkeiten bzw Flächen um in Relation zum Gesamtbestandobjekt unbedeutende Nebenräumlichkeiten bzw Flächen handle, was sich schon aus dem Verhältnis des von der Klägerin begehrten Benützungsentgelts zum vereinbarten Gesamtpachtzins ergebe, seien diese Räumlichkeiten bzw der Unterstellplatz nach den Verfahrensergebnissen auch selbstständig verwertbar. Außerdem stünden die Ersatzansprüche der Klägerin in Bezug auf diese Nebenräume mit jenen hinsichtlich der Pension in keinem Zusammenhang und seien im vorliegenden Verfahren genau von den Ansprüchen betreffend die Pension abgegrenzt. Durch die Rückgabe der Pension am habe die Präklusivfrist für die Geltendmachung der Ersatzansprüche betreffend die Pension S***** zu laufen begonnen. In Bezug auf die Lagerräumlichkeiten und den Unterstellplatz sei der Lauf der Präklusivfrist selbstständig zu beurteilen.

Das Berufungsgericht sprach aus, die ordentliche Revision gegen das Teilurteil sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob eine (überwiegende) Teilrückstellung der Bestandsache die Präklusivfrist des § 1111 ABGB auslöse.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

§ 1111 ABGB normiert eine verschuldensabhängige Haftung des Bestandnehmers für Beschädigung oder missbräuchliche Abnützung des Bestandobjekts und befristet die gerichtliche Geltendmachung oder die (auch außergerichtliche) Aufrechnung (6 Ob 557/85 ua) darauf gestützter Ersatzansprüche mit einem Jahr ab Zurückstellung des Bestandobjekts. Dieser Präklusivfrist (RIS-Justiz RS0020483) unterliegen auch Ersatzansprüche wegen Nichtwiederherstellung des ursprünglichen Zustands oder Fehlens von Inventar (4 Ob 258/98i SZ 71/169 mwN; RIS-Justiz RS0020729). Sie gilt auch für Forderungen, die aus der Verletzung einer vertraglichen, gegenüber den gesetzlichen Regelungen verschärften Pflicht resultieren (6 Ob 583/86; 5 Ob 169/68 SZ 41/82). Für die Ersatzansprüche der Klägerin, die Gegenstand des Revisionsverfahrens sind, gilt demnach die Präklusivfrist des § 1111 ABGB.

Die Frist des § 1111 ABGB beginnt nach dem Gesetzeswortlaut mit der „Zurückstellung des Bestandstückes“ zu laufen. Zweck der Fristbestimmung ist es, die Ansprüche des Bestandgebers gegen den Bestandnehmer nach Rückstellung der Bestandsache möglichst rasch einer Klärung zuzuführen (1 Ob 23/91 SZ 64/91; RIS-Justiz RS0036961). Der Bestandgeber hat daher nach Rückstellung der Bestandsache von sich aus tätig zu werden und die Bestandsache auf Mängel zu untersuchen (1 Ob 23/91; RIS Justiz RS0020733). Die Rückstellung des Bestandobjekts nach § 1111 ABGB ist nicht identisch mit der Rückstellung nach § 1109 ABGB. Der Fristenlauf wird nämlich auch dann durch die Rückstellung der Bestandsache ausgelöst, wenn sich diese nicht in dem von § 1109 geforderten oder sonst vereinbarten Zustand befindet (4 Ob 147/02z; 3 Ob 177/04g; RIS-Justiz RS0020833; vgl RS0020785; RS0110891). Die Rückstellung von unbeweglichen Sachen umfasst deren Räumung, also die Entfernung aller nicht in Bestand gegebenen Fahrnisse und Übergabe, das heißt die Verschaffung der Innehabung und tatsächlichen Verfügungsmöglichkeit, wozu bei versperrbaren Objekten auch die Schlüsselübergabe erforderlich ist (RIS-Justiz RS0020765; vgl auch RS0020818; Riss in Kletečka/Schauer , ABGB-ON 1.00 §§ 1109, 1110 Rz 7 mwN; zur Rückstellung eines verpachteten Unternehmens samt Gewerberechten und dergleichen vgl 1 Ob 537/81).

Da die Rückstellung die Verschaffung der Innehabung und tatsächlichen Verfügungsmöglichkeit umfasst, reicht es für die Zurückstellung iSd § 1111 ABGB nicht aus, dass der Bestandgeber einen nicht auf eigener Sachherrschaft beruhenden Zutritt sei es auch mit Zustimmung des Bestandnehmers zu dem Bestandobjekt hat und so das Bestandobjekt besichtigen kann. Die Rückstellung soll den Bestandgeber in die Lage versetzen, sich aufgrund eigener Sachherrschaft in Ruhe ein umfassendes Bild von Beschädigungen, Veränderungen oder übermäßigen Abnutzungen des Bestandobjekts zu machen. Dass der Prokurist der Klägerin nach der Schlüsselübergabe auch die Räumlichkeiten und Flächen besichtigen konnte, die die Beklagte nicht zurückgab und weiter nutzte, bedeutete somit keine Rückstellung auch dieser Teile der Fremdenpension.

Eine Rückstellung des Bestandobjekts iSd § 1111 ABGB an den Bestandgeber kann grundsätzlich nur angenommen werden, wenn dem Bestandgeber das Bestandobjekt vollständig übergeben wird. Insbesondere bei Gesamtsachen (§ 302 ABGB; zum Unternehmen als Gesamtsache vgl Helmich in Kletečka/Schauer , ABGB ON 1.00 § 302 Rz 7 mwN; G. Kodek in Schwimann , ABGB TaKomm § 302 Rz 2) und bei einer aus mehreren Teilen bestehenden Bestandsache beginnt die Präklusivfrist in der Regel erst mit der Rückstellung des letzten Teils (s bei vergleichbarer Rechtslage [§ 548 Abs 1 BGB] Emmerich in Staudinger , BGB [2011] § 548 Rz 32; Bieber in MünchKomm BGB 5 § 548 Rz 15; Ehlert in Bamberger/Roth , BGB² § 548 Rz 31 je mwN). Zu möglichen Ausnahmen von diesem Grundsatz je nach Sachlage des Einzelfalls etwa beim Wohnungsmietvertrag, wenn die Bestandsache aus räumlich getrennten und selbständig nutzbaren Teilen besteht und der Mieter die Wohnung zurückgibt, nicht aber die Kellerräume (s BGH NJW 2006, 2399; Emmerich in Staudinger , BGB [2011] § 548 Rz 32; Bieber in MünchKomm BGB 5 § 548 Rz 15; Ehlert in Bamberger/Roth , BGB² § 548 Rz 31 je mwN) muss im Anlassfall nicht abschließend Stellung genommen werden. Eine deratige Ausnahme kommt hier nicht in Betracht, kann doch nach der Lage des Falls nicht davon ausgegangen werden, dass die zurückgegebenen Teile der Fremdenpension ohne die von der Beklagten weiter benutzten Lagerräumlichkeiten für die Klägerin wirtschaftlich nutzbar waren. Im Allgemeinen erwarten nämlich an der Pacht einer Fremdenpension Interessierte ausreichende Lagermöglichkeiten in den Räumlichkeiten der Fremdenpension.

Da mangels vollständiger Rückstellung der Fremdenpension die Präklusivfrist bei Klagseinbringung noch nicht einmal begonnen hatte, kann eine Klagsabweisung nicht mit der Präklusion des Anspruchs begründet werden, wie dies die Vorinstanzen gemacht haben. Die Sache ist nicht entscheidungsreif, weil Feststellungen zu den geltend gemachten Ersatzansprüchen nicht getroffen wurden. Auf die von der Revisionswerberin behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und Aktenwidrigkeit ist nicht weiter einzugehen, weil sie im Hinblick auf die Verneinung der Präklusion des Anspruchs nicht entscheidungswesentlich sind. Es kann aus diesem Grund auch auf sich beruhen, ob eine vollständige Räumung seitens des Bestandnehmers unbedingte Voraussetzung für die Anwendung des § 1111 ABGB ist oder ob nicht eine teilweise Räumung genügt, wenn der Bestandnehmer ausgezogen ist und der Bestandgeber die Bestandsache aufgrund eigener Sachherrschaft untersuchen kann (vgl Emmerich in Staudinger , BGB [2011] § 548 Rz 32 mwN).

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.