OGH vom 29.11.2007, 2Ob32/07f
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Astrid S*****, vertreten durch Reinisch & Wisiak Rechtsanwälte GmbH in Leibnitz, gegen die beklagte Partei Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs, Schwarzenbergplatz 7, 1030 Wien, vertreten durch Dr. Peter Griss und Dr. Gunter Griss, Rechtsanwälte in Graz, wegen EUR 5.440,-- sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom , GZ 7 R 90/06s-26, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Leibnitz vom , GZ 5 C 117/05t-20, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 300,10 (darin EUR 50,02 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am ereignete sich auf der Bundesstraße B 67 im Bereich der ampelgeregelten Kreuzung mit der östlich einmündenden Zu- und Abfahrt zu/von der Pyhrnautobahn A 9 und einer westlich einmündenden Landesstraße ein Verkehrsunfall, an welchem Andreas S***** als Lenker des von der Klägerin gehaltenen Pkws Opel Corsa, behördliches Kennzeichen *****, und Enver A***** als Lenker eines Sattelzuges mit bosnischem Kennzeichen beteiligt waren. Dabei entstand an beiden Fahrzeugen Sachschaden. Die in ihrem Pkw (angegurtet) mitfahrende Klägerin erlitt einen Bruch des Brustbeines sowie eine leichte Zerrung der Halswirbelsäule.
Die Klägerin begehrte von der beklagten Partei zuletzt Zahlung von EUR 5.440,-- sA an Schmerzengeld (EUR 3.500,--), Fahrzeugschaden (EUR 1.700,--), Ummeldespesen (EUR 165,--) sowie pauschalen Unkosten (EUR 75,--) und brachte vor, der Lenker des Sattelzuges habe den Vorrang des Klagsfahrzeuges verletzt. Da sie nur Fahrzeuginsassin gewesen sei, stehe ihr unabhängig von einem allfälligen Mitverschulden des Lenkers das Schmerzengeld in voller Höhe zu.
Die beklagte Partei wandte ein, der Lenker des Klagsfahrzeuges sei bei Rotlicht in die Kreuzung eingefahren. Des weiteren hielt sie den Ansprüchen der Klägerin den am Sattelzug eingetretenen Sachschaden von EUR 600,-- aufrechnungsweise entgegen.
Das Erstgericht erkannte die Klagsforderung als zu Recht, die Gegenforderung hingegen als nicht zu Recht bestehend und gab dem Klagebegehren statt.
Nach seinen Feststellungen hatte sich das von der Landesstraße kommende Klagsfahrzeug in jenem Moment, in welchem die Ampel für seine Fahrtrichtung auf Gelblicht schaltete, zur Haltelinie in einem geringeren Abstand befunden, als es der Summe von Bremsweg und halbem Reaktionsweg entsprach. Selbst wenn der Lenker des Klagsfahrzeuges bei Aufleuchten des Gelblichtes eine Vollbremsung eingeleitet hätte, wäre es ihm nicht mehr möglich gewesen, das Fahrzeug vor der Haltelinie zum Stillstand zu bringen. Als das Klagsfahrzeug gerade die Haltelinie überfuhr, schaltete die Ampel von Gelb- auf Rotlicht um. Eine Sekunde später kam es zur Kollision mit dem entgegenkommenden, nach links abbiegenden Sattelzug, dessen Lenker von der Abfahrt der A 9 in die Kreuzung eingefahren war.
Das Erstgericht vertrat die Rechtsansicht, dass den Lenker des Klagsfahrzeuges kein Verschulden treffe. Es sei zu seinen Gunsten davon auszugehen, dass er noch bei Gelblicht in die Kreuzung eingefahren sei. Bei Umschalten der Ampel auf Gelblicht sei ihm ein sicheres Anhalten vor der Haltelinie nicht mehr möglich gewesen. Dem gegenüber sei dem Lenker des Sattelzuges vorzuwerfen, dass er trotz des herannahenden Klagsfahrzeuges sein Linksabbiegemanöver fortgesetzt habe.
Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass es die Klagsforderung mit EUR 2.720,-- und die Gegenforderung mit EUR 300,-- als zu Recht bestehend erkannte, die beklagte Partei daher zur Zahlung von EUR 2.420,-- sA an die Klägerin verpflichtete und das Mehrbegehren von EUR 3.020,-- sA abwies. Es sprach ferner aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.
Nach Beweiswiederholung stellte es abweichend vom Erstgericht fest, das Klagsfahrzeug sei bei Beginn der Gelblichtphase noch so weit von der Haltelinie entfernt gewesen, dass es vor dieser mittels leichter Betriebsbremsung zum Stillstand gebracht hätte werden können.
In rechtlicher Hinsicht vertrat das Berufungsgericht die Ansicht, auch den Lenker des Klagsfahrzeuges treffe ein schwerwiegendes Mitverschulden, weil er entgegen der Vorschrift des § 38 Abs 1 StVO in die Kreuzung eingefahren sei. Dies rechtfertige eine Verschuldensteilung im Verhältnis 1 : 1. Die ordentliche Revision sei zuzulassen, weil das Berufungsgericht bei der Gewichtung des Verschuldensanteiles des Lenkers des Klagsfahrzeuges von der Entscheidung 2 Ob 109/05a abgewichen und gegenteiliger älterer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes gefolgt sei.
Die Klägerin begehrt mit ihrer Revision, das Berufungsurteil dahin abzuändern, dass die Klagsforderung mit EUR 4.470,-- und die Gegenforderung mit EUR 300,-- als zu Recht bestehend erkannt, der Klägerin daher ein Betrag von EUR 4.170,-- sA zugesprochen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Klägerin wendet sich in ihrem Rechtsmittel ausdrücklich nicht gegen die Ausführungen des Berufungsgerichtes zur Verschuldensteilung, somit auch nicht gegen dessen den Zulässigkeitsausspruch begründende Rechtsansicht. Die Revision ist aber dennoch zulässig, weil die Klägerin darin eine andere Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO releviert, die aus Gründen der Rechtssicherheit einer Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof bedarf (vgl RIS-Justiz RS0102059 [T9]).
Das Rechtsmittel ist jedoch nicht berechtigt.
Die Klägerin macht geltend, das Berufungsgericht habe ihren Schmerzengeldanspruch zu Unrecht um die dem Lenker ihres Fahrzeuges angelastete Mitverschuldensquote gekürzt. Hinsichtlich dieses Anspruches, der in keinem Zusammenhang mit ihrer Eigenschaft als Halterin des Klagsfahrzeuges stehe, sei sie ausschließlich als Insassin eines der beiden unfallsbeteiligten Fahrzeuge anzusehen. Nach ständiger Rechtsprechung müsse sich der verletzte Insasse eines Fahrzeuges das Verschulden des Lenkers aber nicht auf seine Ansprüche gegen den Unfallsgegner anrechnen lassen.
Hiezu wurde erwogen:
Wurde der Schaden durch mehrere Kraftfahrzeuge verursacht, so kann der Geschädigte gemäß § 8 Abs 1 EKHG seine Ersatzansprüche gegen jeden an dem Unfall Beteiligten richten, soweit nicht dessen Haftung nach den für seine Ersatzpflicht geltenden Vorschriften ausgeschlossen ist. § 8 Abs 2 EKHG sieht die gesamtschuldnerische Haftung aller am Unfall Beteiligten gegenüber dem Geschädigten vor. Voraussetzung für die Anwendbarkeit dieser Bestimmung ist, dass der Geschädigte selbst nicht zum Kreis der aus Anlass des Unfalles haftpflichtigen Beteiligten zählt; dies trifft in der Regel auf einen bei dem Unfall verletzten Fahrgast zu (2 Ob 89/00b; 2 Ob 187/01s = ZVR 2003/27; RIS-Justiz RS0034158; Schauer in Schwimann, ABGB3 VII § 8 EKHG Rz 4). Ein solcher Fahrgast muss sich das Verschulden des Lenkers nicht auf seine Ansprüche gegen den Unfallsgegner anrechnen lassen (ZVR 1987/14; 2 Ob 76/94 = ZVR 1995/125; 2 Ob 187/01s; Apathy, EKHG § 7 Rz 2).
Im vorliegenden Fall ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Klägerin Insassin eines von ihr selbst gehaltenen Kraftfahrzeuges war. Als Halterin steht sie aber nicht mehr außerhalb des Kreises der Beteiligten im Sinne des § 8 EKHG, weshalb diese Bestimmung auf ihre Ansprüche nicht anzuwenden ist. Insofern unterscheidet sich der hier zu beurteilende Sachverhalt grundlegend von jenem, welcher der von der Klägerin zur Stütze ihrer gegenteiligen Rechtsansicht zitierten Entscheidung 2 Ob 187/01s zugrundelag. Der Anspruch der Klägerin fällt vielmehr in den Anwendungsbereich des § 11 Abs 1 Satz 2 EKHG, der die gegenseitige Ersatzpflicht der Beteiligten betrifft (Schauer aaO § 8 EKHG Rz 4 und § 11 EKHG Rz 5).
Ist der Geschädigte Halter des Fahrzeuges, ist ihm das Verschulden des Lenkers oder sonstiger beim Betrieb des Fahrzeuges tätiger Personen zuzurechnen. Dies ergibt sich aus § 19 Abs 2 EKHG, der nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Lehre nicht nur für Ansprüche des Unfallgegners, sondern auch für die Minderung eigener Ansprüche des Halters wegen eines Mitverschuldens des Lenkers maßgeblich ist (JBl 1956, 621 [noch zu Art IV EVzKfzVerkG]; ZVR 1984/22; ZVR 1987/33; 2 Ob 2136/96y = ecolex 1996, 742 = ZVR 1997/80; RIS-Justiz RS0058406; Schauer aaO § 11 EKHG Rz 14 und § 19 EKHG Rz 15; Apathy aaO § 11 Rz 8; vgl ferner Danzl, EKHG8 § 11 Anm 7; Koziol, Haftpflichtrecht II2 563). Die analoge Anwendung des § 19 Abs 2 EKHG (2 Ob 2136/96y) bedingt, dass der Halter das Verschulden seines Betriebsgehilfen (des Lenkers) bei der Geltendmachung eigener Ansprüche im selben Maße wie im Falle seiner Haftung gegenüber anderen Beteiligten zu vertreten hat. Eine Unterscheidung nach Sach- und Personenschäden kommt daher nicht in Betracht.
Diese Rechtslage wurde in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung, wenngleich bisher nicht in dieser Deutlichkeit, bereits zum Ausdruck gebracht. Der Oberste Gerichtshof betonte in den Entscheidungen 2 Ob 245/82 (ZVR 1984/22) und 8 Ob 68/85 (ZVR 1987/33), in denen es jeweils um Schmerzengeldansprüche der als Mitfahrer auf ihrem eigenen Moped verletzten Fahrzeughalter ging (was aus dem zu ZVR 1984/22 veröffentlichten Entscheidungsteil nicht ersichtlich ist und in ZVR 1987/33 mit Ausnahme des Verweises auf JBl 1956, 621 und eine weitere nur Sachschäden betreffende Entscheidung ohne nähere Erörterung blieb), dass sich der Kläger als Halter bei seinen Ersatzansprüchen das Verschulden des Lenkers seines Fahrzeuges anrechnen lassen muss. Die Lehre ist dieser Rechtsprechung gefolgt (Schauer aaO § 11 EKHG Rz 14; Apathy aaO § 11 Rz 8), von der abzugehen sich der erkennende Senat nicht veranlasst sieht.
Zusammenfassend ist daher festzuhalten: Wird der Fahrzeughalter als Insasse des von ihm gehaltenen Kraftfahrzeuges bei einem Verkehrsunfall verletzt, so muss er sich - anders als ein Fahrgast, der nicht Beteiligter im Sinne der §§ 8 und 11 EKHG ist - auf seinen Schmerzengeldanspruch das Verschulden des Lenkers anrechnen lassen.
Aus diesen Erwägungen war der Revision ein Erfolg zu versagen.