OGH vom 03.06.1958, 4Ob41/58
Norm
Betriebsrats-Geschäftsordnung § 16;
Kopf
SZ 31/84
Spruch
Zum Begriff der "Verhinderung" des Betriebsratsobmannes (§ 16 BRGO.).
Entscheidung vom , 4 Ob 41/58.
I. Instanz: Arbeitsgericht Wien; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Der Kläger begehrte mit der vorliegenden Klage die Feststellung, daß das Dienstverhältnis zwischen ihm und der Beklagten nach wie vor in ungekundigtem Zustand zu Recht bestehe, und führte zur Begründung dieses Begehrens an, daß die Beklagte das seit bestehende Dienstverhältnis mit Schreiben vom zum aufgekundigt habe; diese Kündigung sei gegen die Bestimmungen des § 25 BRG. ohne rechtzeitige Verständigung des Obmanns des Angestelltenbetriebsrates erfolgt. Mangels fälliger Bezüge zur Zeit der Klageanbringung müsse er sich auf das Feststellungsbegehren beschränken.
Die Beklagte erhob dagegen den Einwand, daß ein Interesse an der alsbaldigen Feststellung des Aufrechtbestehens des Dienstverhältnisses nicht vorliege, weil der Kläger seit bereits eine Leistungsklage hätte einbringen können. Die Verständigung von der beabsichtigten Kündigung des Klägers sei ordnungsgemäß noch vor Beginn der im § 25 BRG. vorgeschriebenen Frist durch einen der beiden öffentlichen Verwalter an den stellvertretenden Obmann des Betriebsrates erfolgt, weil der Betriebsratsobmann nicht erreichbar gewesen sei.
Das Erstgericht erkannte gemäß dem Feststellungsbegehren, weil die Beklagte die Vorschriften des § 25 BRG. nicht eingehalten habe. Nach § 16 Abs. 2 BRGO. sei Vertreter des Betriebsrates gegenüber dem Betriebsinhaber der Obmann und nur bei dessen Verhinderung sein Stellvertreter. Im vorliegenden Fall sei der Betriebsratsobmann nicht verhindert gewesen; eine solche Verhinderung wäre nur dann gegeben, wenn der Betriebsratsobmann auf einer Urlaubsreise, schwer krank oder auf einer Dienstreise nach weit abgelegenen Gegenden sei. Ein derartiger Fall liege hier nicht vor, weil der Betriebsratsobmann S. alle paar Tage nach Wien komme. Bei einiger Sorgfalt hätten die verantwortlichen Leiter der Beklagten ohne weiteres den Betriebsratsobmann selbst erreichen können. Das von der Beklagten geübte Vorgehen sei schon deshalb nicht anzuerkennen, weil der aus vier Personen bestehende Betriebsrat unter Beiziehung des Obmannes wegen Zeitnot gar nicht mehr hätte beraten können. Es müsse auch das Interesse an der alsbaldigen Feststellung im maßgebenden Zeitpunkt der Klageanbringung als gegeben angesehen werden; der Schluß der mündlichen Verhandlung komme für die Prüfung des Feststellungsinteresses nicht in Betracht, weil dieser Zeitpunkt von Zufällen und Unwägbarkeiten abhänge. Wegen Nichteinhaltung der Bestimmungen des § 25 BRG. sei die Kündigung unwirksam und damit das Klagebegehren gerechtfertigt.
Infolge Berufung der beklagten Partei änderte das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es das Klagebegehren abwies. Seinem Urteil liegen folgende Feststellungen zugrunde:
Karl S., seit vier Jahren Obmann des Angestelltenbetriebsrates der Beklagten, hat verschiedene Baustellen der Beklagten zu betreuen und ist daher oft von Wien abwesend. Deshalb ist er nicht leicht von der Firma zu erreichen, günstiger noch in dem Gasthaus, in das er essen zu gehen pflegt, aber auch dort nicht immer. S. hat von der Kündigung am auf der Baustelle in G. erfahren. Zuletzt war er am 13. Mai kurze Zeit nachmittags bei der Beklagten. Eine Meldung bei der Firma erfolgt durch ihn nicht immer gleich. Auch am war er in Wien, um Lohngelder bei der Beklagten zu holen. H. ist gewählter Stellvertreter des Obmannes des Angestelltenbetriebsrates und als Platzmeister in Wien beschäftigt. Am brachte die Beklagte durch ihren öffentlichen Verwalter Dr. W. dem Obmannstellvertreter zur Kenntnis, daß der Kläger ebenso wie ein anderer Dienstnehmer gekundigt werde.
Das Berufungsgericht ließ sich bei seiner Entscheidung von folgenden rechtlichen Erwägungen leiten: Gemäß § 16 Abs. 2 BRGO. sei Vertreter des Betriebsrates gegenüber dem Betriebsinhaber und nach außen hin der Obmann, bei dessen Verhinderung der Stellvertreter, es sei denn, was im vorliegenden Falle unbestrittenermaßen nicht zutreffe, daß der Betriebsrat im Einzelfalle etwas anderes beschließe. Streitentscheidend sei nun die Frage, welche Bedeutung dem Worte "Verhinderung" beigelegt werde. Dieser Begriff der "Verhinderung" müsse viel weiter ausgelegt werden, als es der Meinung des Erstgerichtes entspreche. Eine Verhinderung liege in allen Fällen vor, in denen der Obmann des Betriebsrates durch irgendwelche Umstände abgehalten sei, die Vertretung des Betriebsrates dem Betriebsinhaber gegenüber und nach außen hin auszuüben, mögen diese Umstände auch nur in einer vorübergehenden Abwesenheit des Betriebsratsobmannes gelegen sein. Wenn der Betriebsratsobmann in den für seinen gewöhnlichen Aufenthalt vorgesehenen Räumen nicht angetroffen werden könne und nicht eine bloß äußerst kurzfristige Entfernung anzunehmen sei, liege bereits der Verhinderungsfall vor. Keinesfalls sei der Betriebsinhaber verpflichtet, den Betriebsratsobmann zu suchen oder seine Rückkehr abzuwarten oder ihm gar ins Gasthaus nachzulaufen, weil er dort noch am ehesten erreicht werden könne. Wegen Betreuung verschiedener Baustellen sei der Betriebsratsobmann von Wien häufig abwesend und, wie er selbst zugebe, für die Firma nicht leicht erreichbar. Damit trete aber der gewählte Obmannstellvertreter an seine Stelle; denn bei Abwesenheit des Obmannes setze dessen Vertretung durch den Obmannstellvertreter ein. Daran ändere auch nichts der Aufenthalt des Obmannes am 10. Mai in der Zentrale der Beklagten in Wien, weil dieser nur kurzfristig gewesen sei und der Abholung der Lohngelder gedient habe, der Dienstgeber aber nicht verpflichtet sei, den Zeitpunkt der zufälligen Anwesenheit des Betriebsratsobmannes wahrzunehmen. Die Verständigung des gewählten Stellvertreters des Betriebsratsobmannes von der Kündigung des Klägers durch die Beklagte am müsse daher bei anzunehmender Verhinderung des Betriebsratsobmannes als rechtzeitig erfolgt angesehen werden. Wenn der Betriebsratsobmannstellvertreter ohne Obmann keine Betriebsratssitzung einberufe, könne dafür nicht der Dienstgeber verantwortlich gemacht werden, vielmehr sei dies eine interne Angelegenheit des Betriebsrates.
Soweit die Berufung die Zulässigkeit der vorliegenden Feststellungsklage deshalb bekämpfe, weil der Kläger bereits am eine Leistungsklage hätte einbringen können, übersehe die Beklagte, daß es sich hier um ein Dauerrechtsverhältnis handle und bei einem solchen Verhältnis dem Kläger nicht zugemutet werden könne, Monat für Monat auf die Entscheidung zu warten, ob ihm das ihm zustehende Entgelt bezahlt werde. Die Feststellungsklage sei daher trotz bereits eingetretener Fälligkeit von Lohnansprüchen zulässig. Dagegen könne die Ansicht des Erstgerichtes, daß für die Beurteilung des zur Erhebung von Feststellungsklagen erforderlichen rechtlichen Interesses nur der Zeitpunkt der Klageanbringung maßgebend sei, nicht geteilt werden, vielmehr falle der Zeitpunkt, in dem bei Feststellungsklagen das rechtliche Interesse gegeben sein müsse, in arbeitsgerichtlichen Streitigkeiten mit dem des Schlusses der Berufungsverhandlung zusammen, weil im Berufungsverfahren in arbeitsgerichtlichen Streitigkeiten in der Sache neu zu verhandeln sei.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers Folge und stellte das Urteil des Erstgerichtes wieder her.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Dem Revisionswerber ist zuzustimmen, wenn er die Zulässigkeit der Feststellungsklage trotz eingetretener Anspruchsfälligkeit mit dem Berufungsgerichte bejaht, weil durch ein Feststellungsurteil im beantragten Sinne auch für zukünftig fällig werdende Leistungen der Gehaltsanspruch des Klägers bindend geklärt wird und nicht nach Einklagung jeder Fälligkeit auf den Grund des Anspruches neu eingegangen werden muß.
Zur Frage, was unter dem Begriff der "Verhinderung" gemäß § 16 BRGO. zu verstehen ist, meint der Revisionswerber, daß die Betriebsrätegeschäftsordnung nicht von einer Behinderung, sondern von einer Verhinderung des Betriebsratsobmannes spreche. Eine bloße Behinderung genüge keineswegs zur Ausschaltung des Betriebsratsobmannes; dabei sei davon auszugehen, daß die Betriebsrätegeschäftsordnung keine ständige Vertretung des Obmannes durch seinen Stellvertreter versehe, sondern nur eine Vertretung im Einzelfalle der Verhinderung des Obmannes. Solange nur eine Behinderung vorliege, setze die Vertretung des Obmannes durch den Stellvertreter noch nicht ein. Der Begriff der Verhinderung sei nicht so aufzufassen, daß durch eine zeitweilige Abwesenheit jeweils schon Vertretung durch den Stellvertreter Platz greife; der nur von Verhinderung, nicht aber von Behinderung sprechende Gesetzestext verlange auch vom Dienstgeber die Aufwendung einer allenfalls notwendigen Mühe und Aufmerksamkeit, um die Verbindung mit dem Betriebsratsobmann selbst herzustellen. Nur wenn die Funktionsausübung für den Obmann tatsächlich unmöglich sei, liege ein Verhinderungsfall vor, nicht aber schon dann, wenn sie nur schwer, aber doch erfüllt werden könne. Die Funktionsausübung durch den Betriebsratsobmann müsse nach § 16 BRGO. die Regel, die Vertretung durch den Stellvertreter die Ausnahme sein. Nach den Feststellungen der Untergerichte wäre ein Erreichen des Betriebsratsobmannes möglich gewesen, denn dieser habe sich nicht auf einer Dienstreise an betriebsfernen Orten aufgehalten. Die Beklagte hätte bei einiger Aufmerksamkeit die dienstliche Anwesenheit des Betriebsratsobmannes in Wien wahrnehmen können. Davon abgesehen, habe sich der Betriebsratsobmann bei Beaufsichtigung der zum Betrieb der Beklagten gehörigen Baustellen ständig in deren Weisungsbereich befunden. Durch eine entsprechende Anordnung hätte die Beklagte jederzeit den Betriebsratsobmann zu einer nötigen Rücksprache einberufen können. Eine innerbetriebliche Behinderung des Betriebsrates an der Ausübung seiner Funktion widerspreche den Absichten des Betriebsrätegesetzes. Die Meinung des Berufungsgerichtes, daß der Dienstgeber nicht verpflichtet sei, zur Mitteilung einer Kündigung an den Obmann dessen zufällige Anwesenheit wahrzunehmen, sei im Zusammenhang mit dem Umstand, daß die An- und Abwesenheit des Obmannes jeweils betriebsbedingt war, fehl am Platze, weil es andernfalls der Willkür des Dienstgebers überlassen wäre, den Obmann des Betriebsrates in seiner Funktion auszuschalten. In Betrieben mit starkem Außendienst würde dann die Funktionsausübung des Betriebsratsobmannes eine nur mehr zufällige sein, ja es würde geradezu dem Dienstgeber anheimgegeben, durch Wahl des entsprechenden Zeitpunktes das "Aufrücken des Stellvertreters" herbeizuführen. Nur wenn ein unwiederbringlicher Schaden drohen würde, zu dessen Abwendung sofortiges Vorgehen notwendig wäre, könnte aus der bloßen Abwesenheit des Obmannes gleichzeitig dessen Verhinderung gefolgert werden. In allen andern Fällen sei es Sache des Dienstgebers, entweder durch entsprechende Weisung die Anwesenheit des Obmannes am Firmensitz herbeizuführen oder dessen betriebsbekannte routinemäßige Anwesenheit wahrzunehmen.
Die vom Rechtsmittelwerber getroffene Unterscheidung zwischen "Verhinderung" und "Behinderung" dergestalt, daß im letzteren Falle die Voraussetzung für die Wirksamkeit der Stellvertretungsbefugnis und -verpflichtung noch nicht gegeben sein soll, erscheint wenig sinnvoll, weil die Begriffsinhalte von "Verhinderung" und "Behinderung" sich im wesentlichen decken, so daß beispielsweise die Entscheidung SZ. XXIII 287 gelegentlich sogar den Ausdruck "Behinderung" an Stelle von "Verhinderung" verwendet. Dennoch ist den in der Revision geltend gemachten Bedenken gegen die Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes nicht jedes Gewicht abzusprechen. Es wird wohl auf die Umstände des einzelnen Falles ankommen, ob man von Verhinderung des Betriebsratsobmannes im Sinne des § 16 BRGO. sprechen kann oder nicht; dabei wird die Frage, ob der zu erledigende Fall mehr oder weniger dringlich ist, einen brauchbaren Maßstab für die richtige Beurteilung abgeben können. Wenn, wie im vorliegenden Falle, der Betriebsratsobmann vom Einsatz bei auswärtigen Baustellen der beklagten Firma ohnedies, wenn auch unregelmäßig, so doch stets in verhältnismäßig kurzen Zeitabständen zum Sitz der Firma zwecks Besorgung dienstlicher Angelegenheiten zurückkehrt, so konnte es die Vertretung der Beklagten immerhin so einrichten, daß sie eine solche Anwesenheit des Betriebsratsobmannes in ihrem Betrieb in Wien benützt, ihn von der beabsichtigten Kündigung zu verständigen. Kündigungsmaßnahmen werden in der Regel nicht von einem Tag zum anderen erwogen, sie sind meist das Ergebnis längerer Überlegung und Vorbereitung. Es bestand bei gutem Willen keine Veranlassung, ausgerechnet die verhältnismäßig kurze Spanne einer Abwesenheit des Betriebsratsobmannes von Wien dazu zu benützen, an seiner Stelle dem Betriebsratsobmannstellvertreter die im Gesetz vorgesehene Verständigung von der Absicht einer Kündigung mehrerer Dienstnehmer zugehen zu lassen. Die Regel soll, wie die Revision richtig hervorhebt, die Funktion des Obmannes und nur die Ausnahme jene des Stellvertreters sein. Eine strenge Beobachtung dieser Regel erscheint schon deshalb angezeigt, um Mißbräuchen nach Tunlichkeit vorzubeugen und eine ungestörte Beschlußfassung der Betriebsratsmitglieder zu gewährleisten. Der Oberste Gerichtshof kommt demnach zu dem Ergebnis, daß im vorliegenden Falle die Verständigung des Betriebsratsobmannstellvertreters durch die Beklagte dem Gesetze nicht entsprach, daher die ohne Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen erfolgte Kündigung des Dienstverhältnisses des Klägers diesem gegenüber keine Wirkung auslösen konnte. Damit erweist sich aber das Feststellungsbegehren als begrundet.