OGH vom 16.06.2015, 4Ob41/15f
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. N***** GmbH, *****, 2. L***** AG, *****, beide vertreten durch Gassauer Fleissner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei E***** GmbH Co KG, *****, vertreten durch Hochedlinger Luschin Marenzi Kapsch Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung, Antragsrückziehung, Beseitigung, Rechnungslegung und Urteilsveröffentlichung (Gesamtstreitwert 500.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 34 R 164/14h 14, womit der Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom , GZ 19 Cg 12/14g 9, zurückgewiesen wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Rechtssache an das Rekursgericht zur neuerlichen Entscheidung über den Rekurs der beklagten Partei zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens bilden weitere Kosten des Rekursverfahrens.
Text
Begründung:
Die Klägerinnen sind Mitinhaberinnen des europäischen Patents EP 2.292.219 B1 mit dem Titel „Transdermal therapeutic system for the administration of rivastigmine“ sowie des auf diesem Patent basierenden österreichischen Patents E 616.399 mit dem Titel „Transdermales therapeutisches System zur Verabreichung von Rivastigmin“. Mit ihrer Rechtfertigungsklage machen sie gegen die Beklagte Unterlassungs-, Antragsrückziehungs , Beseitigungs , Rechnungslegungs und Urteils-veröffentlichungsansprüche geltend.
Die Beklagte stellte bereits in der Klagebeantwortung einen Unterbrechungsantrag nach § 156 Abs 3 PatG, den sie auf fünf Einsprüche gegen das Klagspatent vor dem Europäischen Patentamt stützte. Sie argumentierte, damit sei die Nichtigkeit des Klagspatents für wahrscheinlich zu halten.
In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom (ON 16) war dieser Antrag auch Gegenstand der Erörterung des Sach- und Rechtsvorbringens nach § 182a ZPO, wobei die Vorsitzende nach Umfrage eine vertiefte Prüfung der bereits vorgelegten und noch vorzulegenden Urkunden durch den Senat zusagte.
Das Erstgericht trug der Beklagten einen Kostenvorschuss von 3.500 EUR auf und führte in der Begründung aus, auch durch die weiteren Unterlagen sei die Nichtigkeit des Patents nicht für wahrscheinlich zu halten. Eine förmliche Abweisung des Unterbrechungsantrags finde nicht statt, weil die Würdigung, ob die Nichtigkeit wahrscheinlich sei, im Ermessen des Gerichts liege. Prozessökonomische Überlegungen sehe das Gesetz nicht vor.
Das Rekursgericht wies den gegen diesen Beschluss erhobenen Rekurs der Beklagten zurück und sprach aus, dass der Revisionsrekurs gemäß § 528 Abs 2 Z 2 und Z 3 ZPO jedenfalls unzulässig sei. Der Auftrag des Erstgerichts zum Erlag eines Kostenvorschusses und die hiefür gegebene Begründung lasse ohne Zweifel erkennen, dass das Erstgericht den Unterbrechungsantrag der Beklagten nicht für berechtigt halte, weshalb von der (impliziten) Antragsabweisung auszugehen sei. Die Ablehnung des Unterbrechungsantrags sei aber unanfechtbar, weil nach der durch BGBl I 2004/149 geänderten Gesetzeslage die Unterbrechung des Verletzungsstreits wegen des Einwands, das dem Streit zugrunde liegende Patent sei nichtig, nicht mehr zwingend auszusprechen sei. Damit sei aber die Ablehnung der Unterbrechung wegen des Rechtsmittelausschlusses in § 192 Abs 2 ZPO nicht anfechtbar. Da sich der Rekurs der Beklagten insofern als unzulässig erweise, habe das Rekursgericht der von den Parteien im Rechtsmittelverfahren vertieften Frage seiner inhaltlichen Richtigkeit nicht nachzugehen.
Rechtliche Beurteilung
Der außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten, mit dem sie ihren Unterbrechungsantrag weiter verfolgt, ist mangels Rechtsprechung zur Neufassung des § 156 Abs 3 PatG zulässig und auch berechtigt.
Die Beklagte macht in ihrem außerordentlichen Rechtsmittel zu Recht geltend, dass die Revisionsrekursbeschränkung nach § 528 Abs 2 Z 2 ZPO im Hinblick auf die Zurückweisungsentscheidung des Rekursgerichts in diesem Fall nicht anwendbar ist, der Revisionsrekurs vielmehr zulässig ist, wenn wie hier ein 30.000 EUR übersteigender Streitwert vorliegt und überdies eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO zu lösen ist.
Ein bestätigender Beschluss liegt nur dann vor, wenn entweder in beiden Instanzen meritorisch oder formal entschieden wurde (RIS Justiz RS0044456). Ein Beschluss des Rekursgerichts, der den Rekurs aus formellen Gründen als unzulässig behandelt, ist nicht als Bestätigung des erstinstanzlichen Beschlusses anzusehen (RIS Justiz RS0044117, RS0044501). Die Zulässigkeit des Revisionsrekurses ist daher vom Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage nach § 528 Abs 1 ZPO abhängig.
Im Hinblick auf die bisherige Rechtsprechung zur zwingenden Verfahrensunterbrechung nach § 156 Abs 3 PatG, die auf der Fassung vor der Novelle BGBl I 2004/149 beruht, wirft die rekursgerichtliche Rechtsansicht zur novellierten Fassung des § 156 Abs 3 PatG eine erhebliche Rechtsfrage des Verfahrensrechts auf.
Da nach neuer Rechtslage nicht nur das Rekursverfahren gegen die Zurückweisung einer Klage nach Streitanhängigkeit, sondern auch das Rekursverfahren gegen verfahrensbeendende und verfahrensgestaltende Beschlüsse zweiseitig ist (RIS Justiz RS0125481, RS0128487), war den Klägerinnen die Beantwortung des Revisionsrekurses der Beklagten freizustellen. Sie beantragten die Bestätigung des rekursgerichtlichen Zurückweisungsbeschlusses.
Nach § 192 Abs 2 ZPO können die nach den §§ 187 191 ZPO erlassenen Anordnungen, soweit sie nicht eine Unterbrechung des Verfahrens verfügen, durch ein Rechtsmittel nicht angefochten werden. Die Abweisung eines Unterbrechungsantrags ist daher nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich unanfechtbar (RIS Justiz RS0037071, RS0037003). Anderes gilt nur dann, wenn die Unterbrechung zwingend vorgeschrieben ist (RIS Justiz RS0037034, RS0037020). Dies ist hier aber auch nach der mit BGBl I 2004/149 geänderten Rechtslage der Fall.
Nach § 156 Abs 1 PatG kann die Gültigkeit eines Patents und damit das Vorliegen von Nichtigkeitsgründen als Vorfrage des Verletzungsstreits beurteilt werden. Die endgültige Entscheidung über den Bestand des Patents fällt jedoch in die Zuständigkeit des Österreichischen Patentamts (und der diesem im Nichtigkeitsverfahren übergeordneten Gerichtsinstanzen). Weicht deren Beurteilung von jener des Gerichts im vorangegangenen Rechtsstreit ab, so bildet dies nach § 156 Abs 6 PatG einen Wiederaufnahmsgrund (17 Ob 26/08k mwN). § 156 Abs 3 PatG ordnet eine (allfällige) Unterbrechung des Verfahrens an, wenn ein Urteil davon abhängt, ob ein Patent nichtig ist. Auch diese Bestimmung sichert somit die Zuständigkeit des Patentamts (und der diesem im Nichtigkeitsverfahren übergeordneten Gerichte) für die endgültige Entscheidung über den Bestand des Patents (RIS Justiz RS0124044).
Seit der PatG Novelle 1977 ist die Unterbrechung des Verfahrens nicht mehr in das Ermessen des Gerichts gestellt. Durch die Patentrechtsnovelle 1984, BGBl 1984/234 wurde diese Bestimmung nur insofern eingeschränkt, als eine Unterbrechung dann nicht zu erfolgen hat, wenn die Nichtigkeit offenbar zu verneinen ist. Der erkennende Senat ging daher in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Unterbrechung des Verfahrens nicht bloß in das Ermessen des Gerichts gestellt und gegen die Abweisung des Unterbrechungsantrags der (Revisions )Rekurs zulässig ist (RIS Justiz RS0071386).
Durch die Patentrechtsnovelle 2005 (BGBl I 2004/149) erhielt § 156 Abs 3 PatG folgende neue Fassung:
„Hängt ein Urteil davon ab, ob das Patent nichtig (§ 48) ist, so hat das Gericht diese Frage vorerst selbständig zu prüfen. Das Patentamt erstellt auf Ersuchen des Gerichts ein schriftliches Gutachten, ob aufgrund der im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Schriftstücke die Nichtigkeit des Patents wahrscheinlich ist. Hält das Gericht die Nichtigkeit des Patents aufgrund des Beweisverfahrens für wahrscheinlich, so hat es das Verfahren zu unterbrechen. Wenn der Beklagte nicht binnen einem Monat ab Zustellung des Unterbrechungsbeschlusses nachweist, dass er beim Patentamt einen Nichtigkeitsantrag eingebracht hat, dass ein Nichtigerklärungsverfahren zwischen den Streitteilen bereits anhängig ist oder dass er sich einem solchen Verfahren als Nebenintervenient angeschlossen hat, hat das Gericht das Verfahren auf Antrag des Klägers fortzusetzen. In diesem Fall hat das Gericht ohne Rücksicht auf den Einwand der Nichtigkeit zu entscheiden. Eine hierüber vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung ergehende Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung ist jedoch zu berücksichtigen.“
Die Neuregelung weist (nach den erläuternden Bemerkungen zur RV, 621 der BlgNR XXII. GP) den Gerichten zur Vermeidung von Verfahrensverzögerungen -eine erweiterte Prüfungsbefugnis betreffend die Vorfrage der Nichtigkeit des Patents zu. Das Gericht hat die Frage selbstständig zu prüfen, wobei es das Patentamt um ein schriftliches Gutachten ersuchen kann. Geht aus dem Gutachten, das von der technischen Abteilung aufgrund der im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Schriftstücke zu erstellen ist, hervor, dass die Nichtigkeit des Patents wahrscheinlich ist, hat das Gericht das Verletzungsverfahren zu unterbrechen. Dieses Gutachten hat den Stellenwert eines Sachverständigengutachtens und ist daher für ein Nichtigkeitsverfahren nicht präjudiziell. Das Gericht ist nicht verpflichtet, im Rahmen des Beweisverfahrens ein Gutachten des Patentamts anzufordern. Die Beurteilung der schwierigen Frage der Gültigkeit eines Patents durch ein fachkundiges Mitglied des Patentamts gibt einem solchen Gutachten aber eine besondere Aussagekraft (621 der BlgNR XXII. GP, 22).
Zwar wurde durch die Novellierung des § 156 Abs 3 PatG der Prüfungsmaßstab für das Gericht des Verletzungsstreits verändert, am zwingenden Charakter der Unterbrechungsvorschrift hat sich aber nichts geändert („Hält das Gericht die Nichtigkeit des Patents für wahrscheinlich, so hat es das Verfahren zu unterbrechen“). Für die weiterhin zwingende Unterbrechung mit den Konsequenzen für die Anfechtbarkeit eines die Unterbrechung ablehnenden Beschlusses, tritt auch Burgstaller (Patentrecht 234) ein. Die gegenteilige Ansicht von Weiser (Patentgesetz 416) ist nicht näher begründet.
Ungeachtet der Veränderung des Prüfungsmaßstabs durch die Patentrechtsnovelle 2005 hat sich an der zwingenden Unterbrechungsanordnung (nunmehr) bei Wahrscheinlichkeit der Nichtigkeit des dem Streit zugrundeliegenden Patents nichts geändert. Die erstgerichtliche Ablehnung des von der Beklagten gestellten Unterbrechungsantrags ist daher mit Rekurs anfechtbar.
Dem Rekursgericht war daher die inhaltliche Behandlung des Rekurses aufzutragen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 2 ZPO.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2015:0040OB00041.15F.0616.000