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OGH vom 23.02.1999, 1Ob352/98s

OGH vom 23.02.1999, 1Ob352/98s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Danijel S*****, geboren am , Strafgefangener, derzeit Sonderanstalt für Jugendliche Gerasdorf, infolge Revisionsrekurses des Minderjährigen, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien als Unterhaltssachwalter, gegen den Beschluß des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 43 R 824/98i-34, womit der Beschluß des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 7 P 3837/95g-27, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Mit Beschluß vom iVm dem Beschluß vom wurden dem Minderjährigen gemäß den §§ 3, 4 Z 1 UVG bis monatliche Unterhaltsvorschüsse von 1.100 S gewährt.

Da der Minderjährige vom bis voraussichtlich eine Strafhaft in der Sonderanstalt für Jugendliche Gerasdorf verbüßt, setzte das Erstgericht die monatlichen Unterhaltsvorschüsse für die Zeit vom bis auf 800 S herab, weil der Minderjährige zwar in der Haft verköstigt und versorgt werde, aber dennoch nicht gedeckte, durch den Unterhaltsvorschuß zu deckende Restbedürfnisse habe.

Das Rekursgericht stellte die Gewährung der Unterhaltsvorschüsse wegen der Verhängung der Strafhaft mit Ablauf des gänzlich ein. Nach § 20 Abs 1 Z 4b UVG seien die Unterhaltsvorschüsse einzustellen, wenn die Unterhaltspflicht, obgleich der Unterhaltstitel formell noch aufrecht sei, materiell erloschen sei (§ 7 UVG). Diese Bestimmung ermögliche es dem Gericht, Umstände unmittelbar als Einstellungsgrund zu berücksichtigen, die sonst erst in einem vielfach sehr langwierigen Verfahren vor dem Exekutions-. oder vor dem Vormundschafts- oder Pflegschaftsgericht geltend gemacht werden müßten. Die höchstgerichtliche Entscheidung 3 Ob 536/91, nach der bei Verhängung einer - oft nur kurz dauernden - Untersuchungshaft über den unterhaltsberechtigten Minderjährigen noch andere Restbedürfnisse des Minderjährigen zu befriedigen seien, sei hier unanwendbar, weil sich der Minderjährige nicht in Untersuchungs-, sondern in Strafhaft befinde. Im Rahmen des staatlichen Strafvollzugs würden sämtliche Bedürfnisse des Häftlings (Verpflegung und Bekleidung) gedeckt. Für jene Aufwendungen des Strafhäftlings, die ihm im Rahmen des Strafvollzugs ohnedies zukämen, bestehe daher kein Unterhaltsanspruch mehr auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen. Diese Differenzierung zwischen Untersuchungs- und Strafhaft erscheine deshalb gerechtfertigt, weil der in Haft befindliche Unterhaltsberechtigte sonstige Bedürfnisse durch Arbeit in der Haft mit dem daraus erzielten Einkommen decken könne. Dazu komme, daß die Untersuchungshaft meist nur von kurzer Dauer sei und ein Großteil des Aufwands für Verpflegung und andere Bedürfnisse von den Unterhaltsverpflichteten zu tragen seien. Diese Voraussetzungen träfen für einen in Strafhaft befindlichen Unterhaltsberechtigten nicht zu. Da nach § 20 Abs 2 UVG die Einstellung mit dem Eintritt des Einstellungsgrunds (hier mit dem Tag des Haftantritts des Minderjährigen am ) wirksam seien, im Rekurs die Einstellung aber erst mit beantragt werde, sei die Einstellung mit Ablauf des wirksam.

Rechtliche Beurteilung

Der von der zweiten Instanz zugelassene Revisionsrekurs des durch seinen Unterhaltssachwalter vertretenen Minderjährigen mit dem Antrag auf bloße Einschränkung der Unterhaltsvorschußpflicht auf die vom Erstgericht festgesetzte Höhe ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Der erkennende Senat als verstärkter Senat gelangte in der Entscheidung SZ 65/114 zur Auffassung, der Unterhaltsberechtigte habe auch dann, wenn ihm aus anderen Quellen, etwa aus Vermögen oder aus eigenem Erwerb (dort: Lehrlingsentschädigung), Mittel zur Deckung seines Unterhaltsbedarfs in Höhe des Richtsatzes (§ 6 Abs 1 UVG) zur Verfügung stehen, einen aus dem verbliebenen Unterhaltsanspruch resultierenden Anspruch auf Vorschüsse. Im Fall des § 7 Abs 1 Z 1 UVG ist es nicht maßgeblich, ob das Eigeneinkommen den Richtsatz erreicht, und das Eigeneinkommen ist auch nicht von der Titelhöhe abzuziehen. Vielmehr ist zu prüfen, ob und bejahendenfalls, in welcher Höhe die im Exekutionstitel gegen den Unterhaltsverpflichteten festgesetzte Unterhaltsverpflichtung unter Berücksichtigung des Eigeneinkommens des Unterhaltsberechtigten noch fortbesteht, weil die Eigeneinkünfte zu einer Verringerung des konkreten Bedarfs führen (zuletzt 1 Ob 419/97t = EvBl 1998/128 = ÖA 1998, 249 mwN). Diese „Eigeneinkünfte“ können auch überwiegend aus ohne Vorschußabsicht erbrachten Naturalleistungen eines Dritten (hier: Bund) bestehen. Der Unterhaltsschuldner ist daher während der Dauer der Haft des Unterhaltsberechtigten - einerlei ob Untersuchungs- oder Strafhaft - von seiner Unterhaltspflicht ganz oder zum Teil befreit, weil während dieser Zeit von dritter Seite ohne Vorschußabsicht ganz oder teilweise für den Unterhalt gesorgt wird. Vom Obersten Gerichtshof wurde bei unterhaltsberechtigten Untersuchungshäftlingen ein gänzlicher Entfall des Unterhaltspflicht und damit auch der Berechtigung zum weiteren Bezug von Unterhaltsvorschüssen deshalb verneint, weil der Unterhalt eines Kindes auch Bedürfnisse umfasse, für welche die Strafvollzugsanstalten nicht zu sorgen haben; daher werde die Unterhaltspflicht des Unterhaltspflichtigen regelmäßig auch während der Untersuchungshaft des unterhaltsberechtigten Kindes fortbestehen. Gerade bei einer nur kurzdauernden Untersuchungshaft würden die Fixkosten wie etwa für die Wohnung weiterlaufen. In der Regel werde daher nicht die Einstellung, sondern nur die entsprechende Herabsetzung der Unterhaltsvorschüsse gerechtfertigt sein (3 Ob 604/78 = JBl 1980, 209 = EvBl 1979/23 = EFSlg 34.238; 3 Ob 536/91 = EFSlg 28/5 = ÖA 1992, 164; 3 Ob 544/91 = JBl 1992, 109; RIS-Justiz RS0047429, RS0076033; Neumayr in Schwimann2 ,§ 7 UVG Rz 19; Purtscheller/Salzmann, Unterhaltsbemessung Rz 40).

Ob die Unterhaltspflicht und damit auch die Berechtigung zum Bezug von Unterhaltsvorschüssen bei eigenem Einkommen des Minderjährigen ganz oder nur zum Teil entfällt, ist im allgemeinen wohl einzelfallbezogen, doch erweisen sich aber nach Auffassung des erkennenden Senats die Erwägungen über die Unterhaltspflicht dem unterhaltsberechtigten Untersuchungshäftling gegenüber auf den vorliegenden Fall nicht ohne weiteres übertragbar. Denn „Unterkunft“, Bekleidung und Verpflegung erhält jeder Strafgefangene im Rahmen des Vollzugs, jugendliche Straftäter sind ihrer körperlichen Entwicklung entsprechend reichlicher zu verpflegen (§ 58 Abs 2 JGG). Dazu kommt aber vor allem, daß - anders als ein Untersuchungshäftling - jeder arbeitsfähige Strafgefangene gemäß § 44 Abs 1 StVG verpflichtet ist, Arbeit zu leisten. Im Gegensatz zu älteren Vorstellungen hat die Gefangenenarbeit nach moderner Auffassung nicht der Strafschärfung, sondern der erzieherischen Aufgabe des Strafvollzugs zu dienen; der Wert der Arbeit im Strafvollzug liegt in erster Linie darin, daß sie der asozialisierenden Wirkung längeren Nichtstuns entgegenwirkt (SZ 69/132 mwN). Dem Strafgefangenen gebührt hiefür eine gemäß § 52 StVG bzw der jeweils gültigen Verordnung des BMJ über die Höhe der Arbeitsvergütung der Strafgefangenen zu bemessende Arbeitsvergütung (§ 51 Abs 2 StVG), die zufolge § 54 Abs 1 StVG dem Strafgefangenen nach Abzug des Vollzugskostenbeitrags sowie des auf ihn entfallenden Anteils am Arbeitslosenversicherungsbeitrag je zur Hälfte als Hausgeld und als Rücklage gutzuschreiben ist, bzw eine außerordentliche Arbeitsvergütung (§ 53 StVG), die zur Gänze dem Hausgeld zuzuschreiben ist. Gemäß § 51 JGG gelten die allgemeinen Vorschriften für den Strafvollzug auch für den Vollzug von Freiheitsstrafen an Jugendlichen (und Heranwachsenden), soweit sich aus den Bestimmungen des JGG - hier kommt § 58 Abs 4 JGG („erzieherisch nützliche Arbeiten“) zum Tragen - nichts anderes ergibt. Für den Jugendstrafvollzug gelten aber sonst in Ansehung der Arbeitsvergütung sowie der Trennung in Hausgeld und Rücklage die allgemeinen Vorschriften der §§ 51 bis 55 StVG idF der Strafvollzugsnovelle 1993 (Jesionek, Jugendgerichtsgesetz 1988, 259).

Nach den aufgrund des § 52 Abs 1 und 2 StVG erlassenen Verordnungen des BMJ über die Höhe der Arbeitsvergütung der Strafgefangenen für 1998 (BGBl II 388/1997) und 1999 (BGBl II 405/1998) beträgt die Höhe der Arbeitsvergütung der Strafgefangenen vor Abzug des Vollzugskostenbeitrags und des Anteils am Arbeitslosenversicherungsbeitrag in den Stufen für a) leichte Hilfsarbeiten b) schwere Hilfsarbeiten c) handwerksgemäße Arbeiten d) Facharbeiten und e) Arbeiten eines Vorarbeiters (somit brutto) sowie nach Vornahme dieser Abzüge (somit netto), jeweils in öS

1998 brutto 1998 netto 1999 brutto 1999 netto

a) 51,40 11,-- 53,50 1 1,40

b) 57,80 12,30 60,20 12,70

c) 64,30 13,70 66,90 1 4,20

d) 70,70 15,-- 73,60 15,60

e) 77,10 16,40 80,30 1 7,--.

Diese Nettobeträge, die dem auch jugendlichen Strafgefangenen zur Hälfte zur Verfügung stehen, müssen in einem Fall wie dem vorliegenden als ausreichend erachtet werden, um die Bedürfnisse des Minderjährigen, für welche die Strafvollzugsanstalten nicht zu sorgen haben, zu decken. Langzeitbedürfnisse oder auch zu deckende Verteidigerkosten werden im Rechtsmittel nicht ins Treffen geführt und sind auch nicht aktenkundig. Geltend gemacht wird im Rechtsmittel, daß die Unterhaltszahlungen nicht nur zur Bedarfsdeckung von Verpflegung und Bekleidung nötig seien, sondern auch zu einem erheblichen Teil zur anteiligen Abdeckung der Wohnungskosten dienten, die der Mutter auch in der Zeit der (Straf)Haft erwuchsen. Diese Kosten treffen aber die obsorgeberechtigte und (natural)unterhaltspflichtige Mutter. Ungeachtet der Tatsache, daß eine Verwirkung des Unterhaltsanspruchs des Kindes infolge mangelnden Wohlverhaltens sowohl dem österreichischen Unterhaltsrecht als auch dem UVG fremd ist (EFSlg 28/5; JBl 1992, 109; Neumayr aaO § 2 UVG Rz 22), sind aus den angestellten Erwägungen bei einem Unterhaltsberechtigten in Strafhaft, deren Dauer sogar ein Jahr übersteigt, die für den unterhaltsberechtigten Untersuchungshäftling im allgemeinen geltenden Grundsätze unanwendbar.

Demnach ist aber die Einstellung der Unterhaltsvorschüsse von Amts wegen durch die zweite Instanz für die Dauer der Strafhaft (§ 20 UVG) frei von Rechtsirrtum. Unter dem Gesichtspunkt des § 2 Abs 2 Z 2 UVG (vgl dazu EFSlg 28/5 und Neumayr aaO § 2 Rz 22) muß der Rechtsfall nicht mehr geprüft werden.

Dem Revisionsrekurs ist nicht Folge zu geben.