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OGH vom 04.07.1991, 6Ob586/91

OGH vom 04.07.1991, 6Ob586/91

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Redl, Dr. Kellner und Dr. Schiemer als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei prot. Firma A***** GmbH & Co KG, ***** vertreten durch *****Rechtsanwälte*****, wider die beklagten Parteien 1.) prot. Firma G***** KG, und

2.) Dieter***** persönlich haftender Gesellschafter, beide *****vertreten durch *****Rechtsanwalt*****, wegen

S 59.190,26 s.A., infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgerichtes vom , GZ 22 R 110/91-23, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluß des Bezirksgerichtes Zell am See vom , GZ 5 C 719/90s-19, bestätigt wurde, den Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit verworfen und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen wird.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.396,60 bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin Umsatzsteuer von S 566,10) sowie die mit S 9.484,70 bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens (darin Barauslagen von S 5.000,-- und Umsatzsteuer von S 747,45) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Begründung:

Die beim Bezirksgericht für Handelssachen Wien gegen die protokollierte Firma G***** KG,***** und Dieter ***** mit derselben Anschrift als dem persönlich haftenden Gesellschafter wegen Forderungen aus Warenlieferungen eingebrachte Klage, wurde auf den Gerichtsstand des § 88 Abs 2 JN gestützt. Die mit den gelieferten Waren übersandten Fakturen, welche den Vermerk "zahlbar und klagbar in Wien" getragen hätten, seien unbeanstandet angenommen worden. Eine Zustellung unter der angegebenen Adresse in Salzburg war nicht möglich, weil nach dem Bericht des Postbeamten "die Empfänger im Ausland, in ***** wohnhaft" seien. An dieser Anschrift waren die Zustellungen erfolgreich. In der ersten Tagsatzung erhob der Beklagtenvertreter den Einwand der örtlichen Unzuständigkeit. Die klagende Partei beantragte gemäß § 230 a ZPO die Überweisung der Rechtssache an das nicht offenbar unzuständige Bezirksgericht Zell am See und gab die Erklärung ab, daß die beklagte Partei (gemeint wohl nur die erstbeklagte Partei) dort ihren Sitz habe.

Nach Überweisung der Rechtssache an das Bezirksgericht Zell am See wandten die Beklagten neuerlich die Unzuständigkeit dieses Gerichtes mit dem Vorbringen ein, daß im Sprengel dieses Gerichtes kein tatsächlicher Geschäftsbetrieb im Sinne des § 87 JN bestehe.

Im Handelsregister (nunmehr Firmenbuch) des Landesgerichtes Salzburg ist unter der Nummer HRA ***** die Firma G***** KG mit dem Sitz der Gesellschaft in Zell am See, persönlich haftender Gesellschafter Dieter *****, Kaufmann, Zell am See, eingetragen. Mit Beschluß des Landesgerichtes Salzburg vom wurde über das Vermögen der Gesellschaft und des persönlich haftenden Gesellschafters das Ausgleichsverfahren eröffnet, mit Beschluß dieses Gerichtes vom wurde das Ausgleichsverfahren für beendet erklärt. Diese Eintragungen sind daher gelöscht.

Das Erstgericht stellte fest, daß unter der Firmenbezeichnung G***** KG von 1974 bis 1985 ein Betrieb in Zell am See bestand und auch der Zweitbeklagte dort seinen Wohnsitz hatte. 1980 wurde der Betrieb nach Salzburg verlegt, wohin auch der Zweitbeklagte übersiedelte. Zwischen 1980 und 1985 wurde noch eine Niederlassung in Zell am See weitergeführt, die 1985 schließlich aufgelassen wurde. Seither wird keine betriebliche Tätigkeit mehr in Zell am See entfaltet. Im Beschluß über die Eröffnung des Ausgleiches ist die Adresse beider Beklagter mit 5020 Salzburg, M*****straße 123, angegeben.

Die an die klagende Partei gerichteten Bestellungen der Erstbeklagten vom weisen als Firmenadresse 5020 Salzburg, T*****straße 5, auf. Dorthin adressierte die klagende Partei auch die der Klage zugrundeliegenden Rechnungen für die Warenlieferungen.

Auf Grund dieser Feststellungen hob das Erstgericht das bisherige Verfahren als nichtig auf, wies die Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit zurück und erlegte der klagenden Partei die Zahlung der Prozeßkosten auf.

Rechtlich führte es aus, der Gerichtsstand der Niederlassung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 JN - und nur ein solcher komme zur Begründung der Zuständigkeit des Bezirksgerichtes Zell am See in Betracht - werde nur durch einen wirklichen Geschäftsbetrieb begründet. Der Fortbestand der Firma im Handelsregister nach dem Wegzug genüge nicht. Da ein anderer die Zuständigkeit des Bezirksgerichtes Zell am See begründender Gerichtsstand nicht behauptet und auch nicht ersichtlich sei, sei dieses örtlich unzuständig. Es sei der klagenden Partei als Verschulden zuzurechnen, daß sie trotz offenbarer Unzuständigkeit das Verfahren eingeleitet bzw. fortgesetzt habe, so daß ihr die Kosten aufzuerlegen seien.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der klagenden Partei keine Folge und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Es führte aus, der Oberste Gerichtshof habe zwar in seiner Entscheidung SZ 57/206 ausgesprochen, daß eine ausländische juristische Person, die durch ihr Verhalten im geschäftlichen Verkehr den Eindruck erwecke, sie habe im Inland eine Niederlassung, nach § 87 Abs 1 JN geklagt werden könne. In dem dort zugrundeliegenden Fall habe aber die beklagte Partei durch aktives Tun, nämlich durch ihre eigenen Geschäftsunterlagen, den äußeren Tatbestand einer Niederlassung oder zumindest einer inländischen Vertretung geschaffen. Eine solche Vorgangsweise der beklagten Parteien sei im vorliegenden Fall aber nicht erwiesen und ergebe sich auch nicht aus den Feststellungen des Erstgerichtes. Daß es die beklagten Parteien verabsäumt hätten, die Sitzverlegung beim Handelsregister anzuzeigen, ändere nichts daran, daß der Gerichtsstand der Niederlassung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 JN nur durch einen wirklichen Geschäftsbetrieb begründet werde. Sowohl diese Bestimmung als auch jene des § 99 Abs 3 JN gehe nicht von der rechtlichen Konstruktion des Sitzes der Gesellschaft, sondern von einer faktischen Situation aus. Die Annahme eines Vertrauenstatbestandes, daß eine beklagte ausländische juristische Person den begründeten Glauben erweckt hätte, sie betreibe im Inland eine Vertretung, komme hier nicht in Betracht, weil die klagende Partei in ihrer Klage nicht eine Adresse in Zell am See, sondern eine Anschrift in Salzburg angeführt habe. Sie habe daher gar nicht im Vertrauen auf eine den Beklagten zuzurechnende faktische Situation gehandelt. Da das Rekursgericht der Entscheidung SZ 57/206 im Grundsatz gefolgt sei, sei der ordentliche Revisionsrekurs nicht zuzulassen.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Vorinstanzen in ihren Entscheidungen grundlegende Vorschriften der Jurisdiktionsnorm nicht beachtet haben; er ist im Ergebnis auch berechtigt.

Es trifft zwar zu, daß der Wahlgerichtsstand der Niederlassung voraussetzt, daß physische oder juristische Personen außerhalb des Gerichtssprengels ihres Wohnsitzes (§ 66 JN) oder Sitzes (§ 75 JN) eine gewerbliche Niederlassung, eine tatsächliche Betriebsstätte haben (so schon SZ 27/315; Fasching Komm I 436) und daß bei einer ausländischen Firma für die Begründung dieses Gerichtsstandes ein Verhalten im geschäftlichen Verkehr genügt, das den Eindruck erweckt, sie habe im Inland eine Niederlassung (SZ 57/206). Die Vorinstanzen übersehen aber, daß hier weder der Gerichtsstand einer ausländischen Firma im Inland noch jener des § 87 Abs 1 oder Abs 2 JN zu beurteilen sind. Die erstbeklagte Partei ist eine im Inland registrierte Personengesellschaft, die ihren im Handelsregister (nunmehr Firmenbuch) eingetragenen Sitz in Zell am See hat. Nur weil die Zustellung der Klage an den einzigen persönlich haftenden Gesellschafter nur im Ausland möglich war, wird diese Gesellschaft doch nicht, wie das Rekursgericht offenbar vermeint, zu einer "ausländischen Firma".

Die klagende Partei hat ihren Antrag, die Rechtssache vom Bezirksgericht für Handelssachen Wien an das nicht offenbar unzuständige Bezirksgericht Zell am See zu überweisen, damit begründet, die erstbeklagte Partei habe dort ihren Sitz. Dies wurde auch durch den vorgelegten Handelsregisterauszug bestätigt. Gemäß § 75 JN bestimmt sich aber der allgemeine Gerichtsstand von offenen Handelsgesellschaften, Kommanditgesellschaften, Aktiengesellschaften, Genossenschaften, öffentlichen Fonds und Korporationen, Kirchengründen, Stiftungen, zu öffentlichen Zwecken bestehenden Anstalten, Vermögensmassen, Vereinen und anderen nicht zu den physischen Personen gehörenden Rechtssubjekten, welche nicht unter die Bestimmungen des § 74 JN fallen, nach ihrem Sitz. Als Sitz gilt im Zweifel der Ort, wo die Verwaltung geführt wird. Der Sitz einer juristischen Person bestimmt sich durch die ausdrückliche Verfügung des Gesetzes, in deren Ermangelung durch die Statuten oder den Vertrag. Bei den Handelsgesellschaften ist der Sitz durch die Eintragung im Handelsregister (Firmenbuch) ausdrücklich ersichtlich gemacht. Nur in jenen Fällen, in denen weder Gesetz noch Satzung, Vertrag oder Eintragung im Handelsregister den Sitz der juristischen Person erkennen lassen, regelt § 75 Abs 1 zweiter Satz JN, daß als Sitz der juristischen Person der Ort zu gelten habe, wo die Verwaltung geführt wird. Nur in diesen Fällen ist als Gericht des allgemeinen Gerichtsstandes jenes Gericht anzusehen, in dessen Sprengel der Ort der Verwaltungsführung liegt. Die Bestimmung, daß der Sitz der juristischen Person im Zweifel durch den Sitz der Verwaltung bestimmt wird, findet daher dort nicht Anwendung, wo eine ausdrückliche gesetzliche oder vertragliche Regelung - so bei allen Handelsgesellschaften (EvBl 1934/415) - besteht. In einem solchen Fall ist der faktische Sitz der Verwaltung und der Wohnsitz der Vertretungsorgane bedeutungslos (Fasching Komm I 388 f).

Die erstbeklagte Partei hat somit ihren allgemeinen Gerichtsstand beim Erstgericht. Dessen örtliche Zuständigkeit auch für den Zweitbeklagten ergibt sich aus § 93 JN. Das Erstgericht hat als zuständiges Gericht daher das Verfahren fortzusetzen.