OGH vom 29.06.1999, 1Ob339/98d
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria Elisabeth H*****, vertreten durch Dr. Leopold Boyer, Rechtsanwalt in Zistersdorf, wider die beklagte Partei Karl H*****, vertreten durch Dr. Friedrich Flendrovsky und Dr. Thomas Pittner, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 120.000,-- sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 12 R 55/98s-25, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom , GZ 4 Cg 38/97x-21, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Ersturteil wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 11.830,56 (darin S 1.971,76 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit S 21.362,-- (darin S 1.352,-- und S 13.250,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin kaufte mit Vertrag vom vom Beklagten einen PKW Marke Peugeout 205 CT Cabrio um den Kaufpreis von S 120.000. Nach Überweisung des Kaufpreises durch die Klägerin folgte der Beklagte deren Sohn die Autopapiere aus. Vor Anmeldung des PKWs erfuhr der Ehemann der Klägerin durch Rückfrage bei einem Autofahrerklub, daß der Listenpreis des Fahrzeugs (Eurotax-Wert) unter S 50.000 liege. Daraufhin suchte er gemeinsam mit seinem Sohn den Beklagten in dessen Geschäft auf. Er warf ihm in heftiger Weise vor, daß der betreffende PKW weniger als die Hälfte des Kaufpreises wert sei. Der Beklagte sagte daraufhin spontan zu, den Kauf rückgängig zu machen, und versprach, die Rücküberweisung des Kaufpreises zu veranlassen.
Der Wert des Fahrzeuges lag zum Zeitpunkt des Kaufs zwischen S 70.000 und S 90.000.
Mit ihrer am beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte die Klägerin die Rückzahlung des Kaufpreises. Ihr Ehegatte habe in ihrem Auftrag die Angemessenheit des Kaufpreises durch einen Autofahrerklub überprüfen lassen und erfahren, daß der Listenpreis S 36.000 betrage. Ihr Mann sei daraufhin zum Beklagten gegangen und habe ihm vorgeworfen, daß der Wert des PKWs nur etwa 1/3 des bezahlten Preises betrage. Der Beklagte habe daraufhin spontan zugesagt, den Kaufpreis rückzuüberweisen und den Typenschein sowie den Originalkaufvertrag zurückgenommen. Die Klägerin fordere die Aufhebung des Kaufvertrags und stütze das Klagebegehren auch auf das ausdrückliche Anerkenntnis des Beklagten.
Der Beklagte wendete dagegen ein, daß es nicht zu einer einvernehmlichen Auflösung des Kaufvertrags gekommen sei. Eine Verkürzung über die Hälfte des wahren Werts liege nicht vor, weil es sich bei dem Fahrzeug, das trotz des Baujahrs 1987 lediglich 8000 km gefahren worden und in bestem Erhaltungszustand gewesen sei, um einen sogenannten „Klassiker“ gehandelt habe. Der Beklagte sei nicht Kaufmann und im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bereits in Pension gewesen. Der Autohandel sei nicht von ihm, sondern von einer GesmbH & Co KG geführt worden. Bei dem Fahrzeug habe es sich um das Privatfahrzeug des Beklagten gehandelt. Für den Fall der Annahme einer einverständlichen Rückgängigmachung des Kaufvertrages werde diese Erklärung des Beklagten wegen Irrtums angefochten, weil die Klägerin und ihre Angehörigen durch die Behauptung, es gäbe für den PKW einen Listenpreis und dieser liege zwischen S 36.000 und S 48.000, den Beklagten in Irrtum geführt hätten.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen und führte in rechtlicher Beurteilung aus, der Ehegatte der Klägerin sei zumindest als deren Erklärungsbote anzusehen, sodaß die „Auflösung des Kaufvertrags“ spätestens dann zustandegekommen sei, als dieser der Klägerin von der Erklärung des Beklagten Mitteilung gemacht habe. Der Beklagte sei weder von der Klägerin noch von deren Angehörigen in Irrtum geführt worden. Es habe nämlich den Tatsachen entsprochen, daß der rechnerische Wiederbeschaffungswert weit unter der Hälfte des Kaufpreises gelegen sei. Der Irrtum des Beklagten habe allenfalls darin bestanden, daß dieser rechnerische Wiederbeschaffungswert der maßgebliche Fahrzeugwert gewesen sei. Unter Berücksichtigung des Umstands, daß der Beklagte Autohändler gewesen sei, habe er sich einen solchen Irrtum selbst zuzuschreiben.
Das Gericht zweiter Instanz änderte dieses Urteil dahin ab, daß es das Klagebegehren abwies. Es sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Beide Parteien seien in einem Irrtum darüber befangen gewesen, daß der wahre Wert des verkauften PKWs weniger als die Hälfte des vereinbarten Preises betrage. Bei gemeinsamem Irrtum sei jeder Teil berechtigt, die Vertragsaufhebung zu begehren. Zwar sei es ständige Rechtsprechung, daß ein Irrtum über den Wert der Sache als Motivirrtum gemäß § 901 ABGB auf die Gültigkeit entgeltlicher Verträge keinen Einfluß habe, dies könne jedoch dann nicht gelten, wenn es darum gehe, ob eine Vertragsaufhebung wegen beiderseits angenommener laesio enormis angefochten werden könne. Die Argumentation, der Wertirrtum stelle wegen der engen Grenzen des § 934 ABGB nur einen Motivirrtum dar, könne wohl dann nicht greifen, wenn es gerade um die Frage gehe, ob die Vertragsaufhebung infolge Irrtums über das Vorliegen der Voraussetzungen der laesio enormis mit Erfolg angefochten werden könne. Da somit die Irrtumsanfechtung des Beklagten beachtlich sei, bestehe der Kaufvertrag zwischen den Streitteilen weiter, weshalb die Klägerin keinen Anspruch auf Rückzahlung des von ihr geleisteten Kaufpreises habe.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen erhobenen Revision der Klägerin kommt Berechtigung zu.
Da die Bewertung des Leistungsgegenstands jedem Vertragspartner freisteht, gehört der Irrtum über den gemeinen Wert (Verkehrswert) einer Sache nicht zu deren Eigenschaften. Die neuere Rechtsprechung lehnt die Erheblichkeit des Wertirrtums unter Hinweis auf §§ 934 f ABGB ab, weil damit die engen Grenzen der laesio enormis umgangen würden (SZ 48/14; SZ 66/25; ecolex 1998, 197; Rummel in Rummel ABGB2 § 871 Rz 11; Apathy in Schwimann ABGB2 § 871 Rz 11, 12). Als Irrtum im Beweggrund hat der Wertirrtum gemäß § 901 ABGB auf die Gültigkeit entgeltlicher Verträge keinen Einfluß. Diese Auffassung wird bei vergleichbarer Rechtslage auch von der deutschen Rechtsprechung mit dem Hinweis, der Wert einer Sache sei keine ihrer wertbildenden Eigenschaften, sondern nur das Ergebnis von Eigenschaften, vertreten (vgl die Nachweise bei Dilcher in Staudinger, BGB12 § 119 Rz 59; Kramer in Münchener Kommentar, BGB3 § 119 Rz 14; Heinrichs in Palandt, BGB § 119 Rn 29; kritisch: Hefermehl in Soergel BGB12 § 119 Rz 51). Ein Irrtum über den Verkehrswert einer Sache bildet jedenfalls nur dann einen rechtlich relevanten Anfechtungsgrund, wenn der Erklärungsempfänger den Motivirrtum arglistig im Sinn des § 870 ABGB herbeigeführt oder im Sinne einer bewußten Verschleierung des Sachverhalts ausgenützt hat, somit bewußte Täuschung vorliegt (JBl 1993, 785 ua), wenn die Parteien das Motiv zumindest stillschweigend zu einer echten Bedingung erhoben haben (Rummel aaO § 871 Rz 11; Apathy aaO § 871 Rz 11), wenn der Gegner des Anfechtenden gesetzliche oder vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzte (§ 871 Abs 2 ABGB, SZ 55/51), oder wenn der Irrtum ohne Mitwirken des anderen Teils nicht vermeidbar war; gerade in den letzten drei Fällen ist ein Geschäftsirrtum anzunehmen (SZ 33/114; SZ 58/69; SZ 66/41).
Keiner der hier genannten Fälle, die nach der Rechtsprechung zur Annahme eines Geschäftsirrtums führen könnten, liegt hier vor: Der Ehegatte der Klägerin gab bloß eine ihm von einem Mitarbeiter eines Autofahrerklubs gemachte Mitteilung - wenngleich in heftiger Form - an den Beklagten weiter, sodaß ihm Täuschung nicht vorgeworfen werden kann. Er verletzte keine ihn treffenden Aufklärungspflichten und es fehlt auch jeder Anhaltspunkt, daß ein bestimmter Wert des Fahrzeugs zur Bedingung für den von den Parteien geschlossenen Aufhebungsvertrag gemacht wurde. Weder aus den Feststellungen noch aus dem Vorbringen des Beklagten läßt sich nämlich zwingend ableiten, daß sich der Beklagte nur deshalb zur Vertragsaufhebung bereitgefunden hätte, weil er mit dem Einwand der Verkürzung über die Hälfte konfrontiert worden wäre. Vielmehr ergibt sich aus seinem Vorbringen eindeutig, daß der Ehegatte der Klägerin - wie auch nach der Lebenserfahrung nicht anders zu erwarten - lediglich auf den ihm mitgeteilten Wert laut Eurotax-Liste und die hohe Differenz zum Kaufpreis verwies. Es ist nichts weniger als zwingend anzunehmen, daß der Beklagte der Vertragsaufhebung nur aus dem Grund der Verkürzung über die Hälfte (§ 934 ABGB) zugestimmt hätte, sondern es ist mindestens ebenso denkbar, daß er sich nur nicht dem Vorwurf aussetzen wollte, er habe den PKW zu einem - in welchem Ausmaß auch immer - überhöhten Preis verkauft.
Den Parteien eines Vertragsverhältnisses steht es grundsätzlich frei, den Vertrag einvernehmlich durch einen neuerlichen Vertrag aufzuheben. Durch den contrarius consensus werden die Rechtswirkungen des ursprünglichen Vertrags beseitigt. Der Aufhebungsvertrag ist dem Vergleich zumindest ähnlich, weil durch die uneingeschränkte einverständliche Vertragsaufhebung die zwischen den Parteien strittige Frage (hier: die Angemessenheit des Kaufpreises) endgültig geregelt wird (vgl dazu SZ 61/44; Rummel in Rummel, ABGB2 § 859 Rz 25). Hier muß aber nicht weiter erörtert werden, ob der Aufhebungsvertrag aus diesem Grunde wegen Irrtums nur unter Beachtung der Besonderheiten der §§ 1385 ff ABGB angefochten werden könnte, weil der Argumentation des Berufungsgerichts auch bei Außerachtlassung der dort normierten Einschränkungen keinesfalls gefolgt werden kann:
Das Berufungsgericht geht selbst davon aus, daß die Klägerin den Vertrag angesichts des nach dem vom Gericht eingeholten Sachverständigengutachten über der Hälfte des Kaufpreises liegenden Wertes des PKWs nicht anfechten könnte, weil ihr Irrtum im Sinne der dargestellten Rechtsprechung nur als solcher über das Motiv zu werten ist. Während das Gericht zweiter Instanz somit die Klägerin an den Leistungsaustausch trotz der vom Erstgericht festgestellten Wertverhältnisse binden will, billigt es dem Beklagten das Recht zur Anfechtung des Leistungsaustauschs, obwohl - zwar mit umgekehrten Vorzeichen und auf anderer Rechtsgrundlage vorzunehmen - aber im Wertverhältnis identisch, zu. Daß in dieser Betrachtungsweise ein grober Wertungswiderspruch liegt, bedarf keiner weiteren Erörterung, zumal der Beklagte - selbst wenn er kein Kaufmann (mehr) sein sollte - zweifellos über größeres Fachwissen verfügte und somit weit eher an seine Erklärungen zu binden ist als der auf Auskünfte Dritter angewiesene Ehegatte der Klägerin.
Da sich der Beklagte nach den gegebenen Umständen somit auf einen ihm allenfalls unterlaufenen Wertirrtum nicht mit Erfolg berufen kann, muß nicht weiter untersucht werden, ob die Klägerin ungeachtet des nach den Feststellungen über der Hälfte des Kaufpreises liegenden Wertes des Fahrzeugs aus dem Grund der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten durch den Beklagten zur Anfechtung des Kaufvertrags wegen Irrtums berechtigt gewesen wäre. Ebenso kann die Frage dahinstehen, ob tatsächlich ein gemeinsamer Irrtum der Parteien vorlag, hat doch der Ehegatte der Klägerin nach dem Vorbringen des Beklagten zutreffend darauf hingewiesen, daß sich der Listenpreis auf etwa ein Drittel des Kaufschillings belaufe, sodaß er insoweit gewiß keine unrichtige Vorstellung von der Wirklichkeit hatte.
Der Revision ist Folge zu geben und das Ersturteil wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50 und 41 ZPO.