OGH vom 28.11.2017, 5Nc32/17a
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und den Hofrat Mag. Painsi als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen L***** U*****, geboren am *****, aufgrund der vom Bezirksgericht Graz-Ost verfügten Vorlage des Akts AZ 259 Ps 165/15d (AZ 83 Ps 156/17m des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien) zur Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die vom Bezirksgericht Graz-Ost verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung dieser Pflegschaftssache hinsichtlich der Personensorge gemäß § 111 Abs 1 JN an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien wird genehmigt.
Text
Begründung:
Nach der zwischen den Eltern des minderjährigen Kindes getroffenen und mit Beschluss vom pflegschaftsgerichtlich genehmigten Vereinbarung kommt die Obsorge beiden Elternteilen gemeinsam zu. „Haushaltsführender“ Elternteil ist dabei die Mutter. Der Minderjährige hält sich auch ständig bei seiner nunmehr in Wien lebenden Mutter auf.
In dem vom Bezirksgericht Graz-Ost als dem nach § 109 JN zuständigen Pflegschaftsgericht geführten Pflegschaftsverfahren ist derzeit ein Antrag des Vaters auf Regelung des Kontaktrechts offen (Antrag vom ). Abgesehen von der Ermittlung des gewöhnlichen Aufenthalts des Minderjährigen hat dieses (in der Sache) noch keine Verfahrensschritte gesetzt.
Mit Beschluss vom übertrug das Bezirksgericht Graz-Ost die Zuständigkeit zur Besorgung dieser Pflegschaftssache hinsichtlich der Personensorge gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien. Das Kind halte sich ständig in 1030 Wien, ***** auf. Es sei daher zweckmäßiger, wenn das Bezirksgericht Innere Stadt Wien diese Rechtssache führe.
Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien lehnte die Übernahme der Pflegschaftssache unter Hinweis auf den offen anhängigen Kontaktrechtsantrag des Vaters ab.
Das Bezirksgericht Graz-Ost stellte den Übertragungsbeschluss daraufhin den beiden Elternteilen zu. Nach Eintritt der Rechtskraft des Übertragungsbeschlusses legte das übertragende Gericht den Akt dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung nach § 111 Abs 2 JN vor.
Rechtliche Beurteilung
Die Zuständigkeitsübertragung ist zu genehmigen.
1.
Nach § 111 Abs 1 JN kann das zur Besorgung der pflegschaftsgerichtlichen Geschäfte zuständige Gericht von Amts wegen oder auf Antrag seine Zuständigkeit ganz oder zum Teil einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse eines Minderjährigen oder sonst Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird.
2. Ausschlaggebendes Kriterium für die Übertragung der Zuständigkeit nach § 111 JN ist immer das Kindeswohl (RIS-Justiz RS0047074 [T1]). Dabei nimmt die Rechtsprechung an, dass der pflegschaftsgerichtliche Schutz in der Regel am besten durch jenes Gericht gewährleistet wird, in dessen Sprengel sich das Kind aufhält (RIS-Justiz RS0047300 [T1, T 23]; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 111 JN Rz 11; Fucik in Fasching/Konecny³ I § 111 JN Rz 3; Mayr in Rechberger, ZPO4§ 111 JN Rz 2). Eine Zuständigkeitsübertragung ist daher grundsätzlich zu genehmigen, wenn der Lebensmittelpunkt des Kindes – wie hier – in den Sprengel eines anderen als des bisher zuständigen Bezirksgerichts verlagert wird (5 Nc 22/16d mwN; RIS-Justiz RS0047300 [T11]).
3. Das Erfordernis einer Übertragung der Zuständigkeit ist am Kindeswohl zu orientieren. Offene Anträge hindern eine Übertragung daher grundsätzlich nicht, doch kann im Einzelfall trotz Aufenthaltswechsels eine Entscheidung durch das schon bisher zuständige Gericht zweckmäßiger (und damit unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls vorteilhafter) sein, insbesondere wenn dem übertragenden Gericht eine besondere Sachkenntnis zukommt oder es sich bereits eingehend mit dem offenen Antrag befasst und dazu Vernehmungen durchgeführt hat, weil die gewonnenen Eindrücke am besten von ihm selbst verwertet werden können (5 Nc 22/16d; RIS-Justiz RS0047032, RS0046972 [T2, T 4]; Gitschthaler aaO § 111 JN Rz 14, 16; Fucik aaO § 111 JN Rz 5; Mayr aaO § 111 JN Rz 4). Gründe, die dafür sprechen würden, dass das übertragende Gericht die für die weitere Verfahrensführung und eine allfällige Entscheidung maßgeblichen Umstände (eindeutig) sachgerechter und umfassender beurteilen kann, sind hier aber nicht ersichtlich.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:0050NC00032.17A.1128.000 |
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