OGH vom 25.11.1997, 1Ob336/97m
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Otmar G*****, vertreten durch Dr.Gerd Hartung, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei B*****gesellschaft m.b.H., ***** wegen Ausfolgung von Schlüsseln (Streitwert 60.000 S) und Antrags auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichts vom , GZ 35 R 628/97f-5, womit der Beschluß des Bezirksgerichts Döbling vom , GZ 4 C 898/97a-2, bestätigt wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Die klagende und gefährdete Partei (im folgenden Kläger) begehrte die Übergabe von Schlüsseln zu einer bestimmten Wiener Wohnung und den allgemein zugänglichen Teilen des Wohnhauses und brachte vor, an jenem Objekt durch Verbücherung aufgrund eines Kaufvertrags mit der beklagten Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei (im folgenden beklagte Partei) Wohnungseigentum erworben zu haben. Die beklagte Partei verweigere vereinbarungswidrig die Schlüsselübergabe. Nach Punkt II. des Wohnungskaufvertrags habe „die Übergabe und Übernahme des Kaufobjekts in den physischen Besitz des Käufers“ mit Schlüsselübergabe zu erfolgen. Verweigere der Käufer ungerechtfertigt die Wohnungsübernahme, gelte die Übergabe dennoch als vollzogen. Die beklagte Partei behaupte unzutreffend eine solche Weigerung. Das Klagebegehren werde deshalb „auf diese unrichtige Ansicht“ der beklagten Partei gestützt und erklärt, daß die Wohnung „gemäß Punkt II. des Kaufvertrags als übergeben und ... übernommen anzusehen“ sei. Im Provisorialantrag strebte der Kläger eine Vorwegnahme der Entscheidung über das Klagebegehren an und behauptete, es drohe ihm ohne Erlassung der begehrten einstweiligen Verfügung „großer Vermögensschaden“.
Das Bezirksgericht Wien Döbling wies die Klage a limine zurück und überwies den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung an das Bezirksgericht für Handelssachen Wien. Die beklagte Partei sei gemäß § 6 HGB Formkaufmann und könne in dieser Eigenschaft nur Handelsgeschäfte schließen. Die begehrte Schlüsselübergabe sei eine Erfüllungshandlung in Abwicklung des Kaufvertrags. Das angerufene Gericht sei daher sachlich unzuständig. Der Ausspruch, den Provisorialantrag zu überweisen, stütze sich auf § 44 JN.
Das Rekursgericht bestätigte die Klagezurückweisung und behob den Ausspruch auf Überweisung des Provisorialantrags „ersatzlos“. Es sprach aus, daß der „Wert des Entscheidungsgegenstands im Hinblick auf den Rekurs gegen die Zurückweisung der Klage“ 50.000 S übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs „in diesem Umfang unzulässig“ sei. Es billigte die dem angefochtenen Beschluß auf Klagezurückweisung zugrundeliegende Rechtsansicht. Der Kläger übersehe, daß er den Klageanspruch aus einer behaupteten Vertragsverletzung der beklagten Partei ableite. Entgegen dessen Ansicht sei die Bestimmung des § 91 Abs 3 JN „in Ermangelung einer Bestandstreitigkeit“ unanwendbar. Der Umstand, daß das Erstgericht künftig für die Vollstreckung eines allfälligen Exekutionstitels aufgrund der Klage zuständig sein könnte, sei ungeeignet, dessen sachliche Zuständigkeit zu begründen. Dagegen ändere die Kausalgerichtsbarkeit in der Hauptsache gemäß § 387 Abs 2 EO nichts an der Zuständigkeit des Erstgerichts für die Entscheidung über den Provisorialantrag. Erst wenn das Erstgericht dem Überweisungsantrag des Klägers stattgegeben haben sollte, werde es „zu überlegen haben, ob einer diesfalls verfügten Überweisung der Rechtssache auch die Überweisung des Provisorialantrags“ folge.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 526 Abs 2 ZPO ist der Oberste Gerichtshof bei der Zulässigkeitsprüfung an die Beurteilung des Gerichts zweiter Instanz über das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO nicht gebunden. Der außerordentliche Revisionsrekurs, der sich nur gegen die Bestätigung der Klagezurückweisung wendet, ist, wie sich aus den folgenden Erörterungen ergeben wird, zulässig, jedoch nicht berechtigt.
Dem § 91 JN wurde durch die ZVN 1983 BGBl 135 als dritter Absatz angefügt, daß „Klagen über Verträge über die Übergabe der im § 560 ZPO angeführten Sachen“, auch wenn sie nicht unter § 83 JN fallen, bei dem Gericht erhoben werden können, in dessen Sprengel die unbewegliche Sache liegt. Die Gesetzesmaterialien (RV 669 BlgNR 15.GP, 38) führen zu den Gründen dieser Novelle aus:
„Im Zusammenhang mit der Abrundung des Gerichtsstandes der gelegenen Sache nach § 83 scheint es zweckmäßig, den Gerichtsstand der gelegenen Sache als Wahlgerichtsstand auch für weitere Streitigkeiten zur Verfügung zu stellen, bei denen die räumliche Nähe des angerufenen Gerichtes zum Streitgegenstand das Verfahren wesentlich vereinfachen kann und bei denen sich oft Abgrenzungsschwierigkeiten zu den im § 83 genannten Streitigkeiten und damit Zuständigkeitsfragen ergeben. Für diese Erweiterung des § 91 spricht überdies, daß die im § 14 KSchG aus anderen gewichtigen Gründen vorgesehene Unzulässigkeit von Zuständigkeitsvereinbarungen auch derartige Fälle erfassen würde, sodaß das Gericht der gelegenen Sache auch durch Prorogation nicht zuständig gemacht werden könnte.“
In der Lehre wird zum Anwendungsbereich des § 91 Abs 3 JN hervorgehoben, dieser Wahlgerichtsstand betreffe obligatorische Ansprüche auf Überlassung unbeweglichen Guts und beziehe sich deshalb auch auf Klagen, mit denen die bücherliche Einverleibung des Eigentumsrechts an unbeweglichen Sachen im Sinne des § 560 ZPO begehrt wird (Fasching, LB2 Rz 303; Mayr in Rechberger, Kommentar zur ZPO Rz 3 zu § 91 JN; idS auch Rechberger/Simotta, ZPR4 Rz 128 [„alle Ansprüche auf Übergabe ...“]). Wie Wortlaut und Zweck des § 91 Abs 3 JN belegen, ist dieser vertragliche Ansprüche auf Übergabe der im § 560 ZPO angeführten Sachen erfassende Wahlgerichtsstand, wie vom Obersten Gerichtshof in 4 Ob 46/85 (ZfRV 1985, 221 = IPRE 2/208) - entgegen der Ansicht des Rekursgerichts - bereits ausgesprochen wurde, gerade nicht auf Bestandstreitigkeiten im Sinne des § 83 JN beschränkt. Wird - wie hier - behauptet, daß die Wohnungsübergabe in den physischen Besitz des Käufers nach den Vertragsbestimmungen mit der Schlüsselübergabe als vollzogen gelte, und das Klagebegehren auf Ausfolgung der Wohnungsschlüssel auf diese Vereinbarung gestützt, wird damit ein obligatorischer Anspruch geltend gemacht, der den erörterten Wahlgerichtsstand begründet.
Das vermag jedoch dem Revisionsrekurs nicht zum Erfolg zu verhelfen; der Kläger übersieht, daß der hier maßgebliche Wahlgerichtsstand nichts über die sachliche Zuständigkeit aussagt, sondern in das System der gesetzlichen Regelungen über die örtliche Zuständigkeit (§§ 65 ff JN) eingefügt wurde. Jedenfalls dann, wenn der Rechtsstreit - wie hier - nach den gemäß § 41 Abs 2 JN maßgeblichen Klageangaben nicht als Streitigkeit im Sinne des § 49 Abs 2 Z 5 JN zu qualifizieren und daher eine Eigenzuständigkeit der Bezirksgerichte der allgemeinen Gerichtsbarkeit zu verneinen ist, kann daher eine Klage, deren Streitgegenstand den Tatbestand des § 91 Abs 3 JN erfüllt, nur bei dem nach allgemeinen Kompetenzregeln sachlich zuständigen Gericht angebracht werden, in dessen Sprengel die unbewegliche Sache liegt. Der Kläger macht den behaupteten obligatorischen Anspruch gegen eine GmbH - also einen Kaufmann kraft Rechtsform (§ 6 HGB in Verbindung mit § 61 Abs 3 GmbHG) - geltend, der auf einem Handelsgeschäft der Gesellschaft beruht. Gegen diese Voraussetzung der sachlichen Zuständigkeit der Kausalgerichtsbarkeit bringt der Kläger nur vor, die Rechtsansicht des Rekursgerichts „würde dazu führen, daß allein durch den Abschluß eines Vertrags die vertragschließenden Teile zu Formkaufleuten im Sinne des § 6 HGB werden würde(n)“, damit aber „die allgemeine Gerichtsbarkeit aufhören ... und alle Klagen aus Verträgen beim Kausalgericht eingebracht werden“ müßten. Nach diesem Prozeßstandpunkt soll offenbar ein Wohnungskaufvertrag mit einer GmbH als Verkäuferin, zu deren Geschäftsgegenstand die Errichtung und Veräußerung von Wohnungen gehört, auf deren Seite kein Handelsgeschäft sein. Das ist schon deshalb unzutreffend, weil alle Rechtsgeschäfte eines Formkaufmanns Handelsgeschäfte sind (EvBl 1968/236; Kramer in Straube, HGB I2 Rz 7 zu §§ 343, 344). Das gilt auch für Liegenschaftsgeschäfte, selbst wenn diese bloße Hilfs- und Nebengeschäfte eines Handelsbetriebs sind (HS 9233; Kramer in Straube aaO Rz 15 zu §§ 343, 344). Gemäß § 51 Abs 1 Z 1 und § 52 Abs 1 JN fällt daher die Verhandlung und Entscheidung über die Klage in die sachliche Zuständigkeit der in Wien selbständig organisierten Handelsgerichtsbarkeit. Dabei ist nochmals besonders hervorzuheben, daß der Klageanspruch nicht etwa auf den Titel des Eigentums, sondern auf ein vertragliches Recht gemäß Punkt II. des Wohnungskaufvertrags gestützt wird. Darauf beruhen die Rechtsmittelausführungen, wäre doch sonst auch die Berufung auf den Wahlgerichtsstand gemäß § 91 Abs 3 JN unverständlich.
Der Kläger hält überdies daran fest, daß der vorliegende Rechtsstreit ein solcher aus Anlaß eines Exekutionsverfahrens im Sinne des § 17 Abs 2 EO sei, weil der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung eine „exekutive Antragstellung“ darstelle und eine „exekutive Zwangsmaßnahme“ begehrt werde. Damit wird im Ergebnis ernsthaft die Ansicht vertreten, daß über eine Klage, in deren Schriftsatz auch die Erlassung einer Provisorialmaßnahme begehrt wird, immer das jeweils örtlich zuständige Exekutionsgericht zu verhandeln und zu entscheiden habe. Das ergebe sich zum einen aus der Rechtsprechung (EvBl 1975/109), zum anderen aus dem Schrifttum (Heller/Berger/Stix, Kommentar zur Exekutionsordnung4 2205). Diese Quellen behandeln jedoch Klagen von Personen, die im Rahmen eines Verteilungsverfahrens gemäß § 307 EO Anspruch auf eine gepfändete Forderung erheben. Der Oberste Gerichtshof vermag nicht zu erkennen, in welcher Beziehung jene Belegstellen die nach dem klaren Gesetzeswortlaut offenbar unzutreffende Ansicht des Klägers, die vorliegende Streitigkeit sei eine solche gemäß § 17 Abs 2 EO, stützen könnten.
Dem Revisionsrekurs ist somit ein Erfolg zu versagen. Daß der Kläger die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen hat, folgt aus § 41 und § 50 ZPO.