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OGH vom 09.11.2015, 5Nc24/15x

OGH vom 09.11.2015, 5Nc24/15x

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Painsi als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin L***** I***** N*****, geboren am *****, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft B*****, deren Mutter K***** N*****, und den Antragsgegnern 1. M***** J*****, 2. Z***** J*****, zuletzt wohnhaft *****, wegen Feststellung der Abstammung, aufgrund der vom Bezirksgericht Bludenz verfügten Vorlage des Akts AZ 14 Fam 5/15d zur Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die vom Bezirksgericht Bludenz verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung des Abstammungsverfahrens an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien wird nicht genehmigt.

Text

Begründung:

Gegenstand des Verfahrens ist der Antrag auf Feststellung der Abstammung der zum Zeitpunkt der Antragstellung am mit ihrer Mutter in Bludenz wohnhaften L***** I***** N*****. In diesem vom Bezirksgericht Bludenz geführten Verfahren vernahm die damals zuständige Richterin zunächst die Mutter (Protokoll vom , ON 6). Die Einvernahme der beiden Antragsgegner erfolgte dann im Rechtshilfeweg (Protokoll vom und , ON 23). Die im Rechtshilfeweg ebenfalls versuchte Gewinnung von DNA Material vom vermeintlichen Vater Z***** J***** unterblieb. Dessen Aufenthaltsort ist seit November 2014 unbekannt. Z***** J***** war zwar für die Mutter eine Zeit lang telefonisch und über ein soziales Netzwerk erreichbar, weigerte sich aber seine Anschrift bekannt zu geben.

Mit Schreiben vom teilte die Bezirkshauptmannschaft B***** dem Gericht mit, dass die Antragstellerin nach 1030 Wien verzogen ist. Mit Beschluss vom übertrug das Bezirksgericht Bludenz daraufhin die Zuständigkeit zur Besorgung dieser Rechtssache gemäß § 111 Abs 1 JN an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien. Die Antragstellerin halte sich mittlerweile ständig in 1030 Wien, *****, auf. Die nunmehr zuständige Richterin habe keine unmittelbaren Beweisaufnahmen in dieser Rechtssache durchgeführt. In Anbetracht der derzeitigen Abwesenheit des Z***** J***** und die deswegen allenfalls noch notwendig werdenden Verfahrensschritte, der allenfalls noch notwendigen Einholung eines molekularbiologischen Sachverständigen-gutachtens und der allenfalls noch vorzunehmenden ergänzenden Einvernahme der mit der Antragstellerin in Wien wohnenden Mutter sei es zweckmäßiger, wenn das Bezirksgericht Innere Stadt Wien diese Rechtssache führe.

Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien lehnte die Übernahme unter Hinweis auf die bereits vorliegenden Beweisergebnisse und die Entscheidungsreife ab. Eine ergänzende Einvernahme der Mutter sei nach der Aktenlage nicht erforderlich, die Einholung eines DNA Gutachtens aufgrund des unbekannten Aufenthalts des Putativvaters derzeit nicht möglich. Die Übertragung sei daher im jetzigen Verfahrensstadium nicht zweckmäßig und nicht im Interesse des Kindes.

Das Bezirksgericht Bludenz stellte daraufhin seinen Beschluss auf Übertragung den Parteien zu und nach fruchtlosem Verstreichen der Rechtsmittelfrist legte es die Akten dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung nach § 111 Abs 2 JN vor. Die Rechtssache sei noch nicht entscheidungsreif. Aufgrund der Abwesenheit des Z***** J***** habe dessen Einvernahme noch nicht durchgeführt werden können. Weiters sei noch kein molekulargenetisches Gutachten eingeholt und die Kindesmutter zu den Angaben des M***** J***** befragt worden. Da die nunmehr zuständige Richterin in dieser Rechtssache bisher noch keine Beweisaufnahme vorgenommen habe, sei es zweckmäßig, dass das Bezirksgericht Innere Stadt Wien das Verfahren führe und die noch ausstehenden Beweise aufnehme.

Rechtliche Beurteilung

Der Übertragung des Abstammungsverfahrens an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien ist die Genehmigung zu versagen.

1.

Nach § 111 Abs 1 JN kann das zur Besorgung der pflegschaftsgerichtlichen Geschäfte zuständige Gericht von Amts wegen oder auf Antrag seine Zuständigkeit ganz oder zum Teil einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse eines Minderjährigen oder sonst Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird. Im Gegensatz zu § 31 JN sieht § 111 JN damit (nur) für Pflegschaftssachen, die direkte Übertragung der Besorgung dieser Angelegenheiten an ein anderes Bezirksgericht vor, ohne dass es hiezu bei Einvernehmen der beiden Gerichte einer Entscheidung des gemeinsam übergeordneten Gerichts bedarf ( Mayr in Rechberger ZPO 4 § 111 JN Rz 1; Fucik in Fasching/Konecny ² I §

111 JN Rz 1/1).

2. Pflegschaftssachen im Sinne des § 111 JN sind die in § 109 JN aufgezählten Verfahren außer Streitsachen. Das in § 108 JN gesondert geregelte Abstammungsverfahren zählt demnach nicht dazu ( Fucik aaO §

109 JN Rz 1). Ob Abstammungsverfahren von Minderjährigen angesichts des mit der Zuständigkeitsübertragung nach § 111 JN verfolgten

Zwecks der

Sicherstellung eines effizienten Schutzes Pflegebefohlener nicht dennoch in dessen Anwendungsbereich fallen, kann hier dahin gestellt bleiben. Hier liegen nämlich die inhaltlichen Kriterien für die Übertragung der Zuständigkeit nach § 111 JN gar nicht vor.

3. Ausschlaggebendes Kriterium für die Übertragung der Zuständigkeit nach § 111 JN ist immer das Kindeswohl (RIS Justiz RS0047074). Dabei nimmt die Rechtsprechung an, dass der pflegschaftsgerichtliche Schutz in der Regel am besten durch jenes Gericht gewährleistet wird, in dessen Sprengel sich das Kind aufhält (RIS Justiz RS0047300). Als Ausnahmebestimmung zu § 29 JN ist § 111 JN allerdings grundsätzlich restriktiv auszulegen (RIS-Justiz RS0046908 [T9], RS0047300 [T16]). In einem Abstammungsverfahren, das wie hier wegen des ursprünglich ausländischen Aufenthaltsorts des vermuteten Vaters großteils als reines Aktenverfahren geführt wurde und wegen dessen nunmehr unbekannten Aufenthaltsorts bis auf Weiteres zu führen sein wird, kommt dem Kriterium der räumlichen Nähe zum Pflegebefohlenen nur sehr untergeordnete Bedeutung zu, weil die speziellen Probleme eines solchen Verfahrens unabhängig vom Standort des Pflegschaftsgerichts auftreten (vgl RIS Justiz RS0046908 [T15]). Gründe, die dennoch für eine voraussichtlich effizientere und schnellere Bearbeitung des noch offenen Antrags durch das übernehmende Gericht sprechen würden, sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Zumindest derzeit sind keine Anordnungen nötig, die einen speziellen Bezug zum Aufenthaltsort des Kindes haben, sodass die Übersiedlung allein noch kein aktuelles Interesse an einer Übertragung der Zuständigkeit begründet (vgl 5 Nc 11/09a).

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2015:0050NC00024.15X.1109.000