zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
OGH vom 15.02.2017, 5Nc22/16d

OGH vom 15.02.2017, 5Nc22/16d

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und den Hofrat Mag. Painsi als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen L***** S*****, geboren am *****, und J***** S*****, geboren am *****, beide *****, aufgrund der vom Bezirksgericht Innere Stadt Wien verfügten Vorlage des Akts AZ 7 Ps 167/16v zur Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die vom Bezirksgericht Innere Stadt Wien verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung dieser Pflegschaftssache hinsichtlich der Personensorge gemäß § 111 Abs 1 JN an das Bezirksgericht Mistelbach wird genehmigt.

Text

Begründung:

Die beiden minderjährigen Kinder befinden sich in Pflege und Erziehung der Mutter, die auch die alleinige Obsorge inne hat. Gegenstand des vom Bezirksgericht Innere Stadt Wien als dem nach § 109 JN zuständigen Pflegschaftsgericht geführten Pflegschaftsverfahrens ist die Regelung des Kontaktrechts des Vaters. Mit Beschluss vom wurde dem Vater zunächst ein zeitlich näher bestimmtes Kontaktrecht zu den beiden Kindern eingeräumt. Im Hinblick auf den Antrag des Vaters, dieses Kontaktrecht durch Verhängung von Beugestrafen durchzusetzen, wurde die Mutter mit Beschluss vom ermahnt, das geregelte Kontaktrecht einzuhalten. Mit Beschluss vom räumte das Bezirksgericht Innere Stadt Wien dem Vater vorläufig ein begleitetes Kontaktrecht zu beiden Kindern ein. Mit Beschluss vom beauftragte es die Familiengerichtshilfe als Besuchsmittler im Sinn des § 106b AußStrG tätig zu werden; zugleich wies es den Antrag auf Anordnung weiterer begleiteter Kontakte ab. Der gegen diesen Beschluss erhobene Rekurs der Mutter blieb erfolglos. In der Verhandlung vom trafen die Eltern schließlich eine Kontaktrechtsvereinbarung, die unter anderem auch die Fortführung der Besuchsmittlung vorsieht. Mit Beschluss vom beauftragte das Bezirksgericht Innere Stadt Wien die Familiengerichtshilfe, ab für einen Zeitraum von bis zu 5 Monaten als Besuchsmittler im Sinn des § 106b AußStrG tätig zu werden. Am teilte die (bis dahin in Wien lebende) Mutter dem übertragenden Gericht mit, dass ihre neue Wohnadresse und die neue Wohnadresse der Kinder „*****“ lautet. Mit Beschluss vom verlängerte das Bezirksgericht Innere Stadt Wien die mit Beschluss vom angeordnete Besuchsmittlung im Sinn des § 106b AußStrG für weitere 12 Monate.

Mit Beschluss vom übertrug das Bezirksgericht Innere Stadt Wien die Zuständigkeit zur Besorgung dieser Pflegschaftssache hinsichtlich der Personensorge gemäß § 111 Abs 1 JN an das Bezirksgericht Mistelbach. Die Kinder hielten sich ständig in ***** auf. Es sei daher zweckmäßiger, wenn das Bezirksgericht Mistelbach diese Rechtssache führe. Den Verfahrensparteien wurde dieser Übertragungsbeschluss zunächst nicht zugestellt.

Das Bezirksgericht Mistelbach lehnte die Übernahme der Pflegschaftssache unter Hinweis auf das anhängige Kontaktrechtsverfahren ab. Die Übertragung des seit Jahren beim übertragenden Gericht anhängigen Verfahrens und der damit verbundene Richterwechsel entspreche nicht dem Kindeswohl. Der hauptsächliche Aufenthaltsort der Kinder sei in *****, weshalb jedenfalls auch eine ausreichende Nähe zum derzeitigen Gerichtsort bestehe.

Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien legte daraufhin die Akten dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung nach § 111 Abs 2 JN vor. In einer ergänzenden Stellungnahme dazu führte es aus, dass die Eltern eine Kontaktrechtsvereinbarung getroffen hätten, das Verfahren daher beendet sei. Die fortlaufende Besuchsmittlung sei Teil dieser Vereinbarung. Das Ansinnen der Eltern, die Vereinbarung über das Kontaktrecht im Rahmen der verlängerten Besuchsmittlung zu konkretisieren, sei nicht als neuer Kontaktrechtsantrag zu werten. Am Bezirksgericht Innere Stadt Wien habe außerdem auch ein Richterwechsel stattgefunden.

Mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom wurde der Akt dem übertragenden Gericht mit dem Auftrag zurückgestellt, den Übertragungsbeschluss den zum Rekurs legitimierten Verfahrensparteien zuzustellen und seine Rechtskraft abzuwarten. Nach Entsprechung legte das übertragende Gericht den Akt dem Obersten Gerichtshof nun erneut zur Entscheidung vor.

Rechtliche Beurteilung

Die Zuständigkeitsübertragung ist zu genehmigen.

1.

Nach § 111 Abs 1 JN kann das zur Besorgung der pflegschaftsgerichtlichen Geschäfte zuständige Gericht von Amts wegen oder auf Antrag seine Zuständigkeit ganz oder zum Teil einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse eines Minderjährigen oder sonst Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird.

2. Ausschlaggebendes Kriterium für die Übertragung der Zuständigkeit nach § 111 JN ist immer das Kindeswohl (RIS-Justiz RS0047074 [T1]). Dabei nimmt die Rechtsprechung an, dass der pflegschaftsgerichtliche Schutz in der Regel am besten durch jenes Gericht gewährleistet wird, in dessen Sprengel sich das Kind aufhält (RIS-Justiz RS0047300 [T1,T23]; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 111 JN Rz 11; Fucik in Fasching/Konecny³ I § 111 JN Rz 3; Mayr in Rechberger, ZPO4§ 111 JN Rz 2). Eine Zuständigkeitsübertragung ist daher grundsätzlich zu genehmigen, wenn der Lebensmittelpunkt des Kindes – wie hier – in den Sprengel eines anderen als des bisher zuständigen Bezirksgerichts verlagert wird (6 Nc 5/16m mwN; RIS-Justiz RS0047300 [T11]).

3. Das Erfordernis einer Übertragung der Zuständigkeit ist am Kindeswohl zu orientieren. Offene Anträge hindern eine Übertragung daher grundsätzlich nicht, doch kann im Einzelfall trotz Aufenthaltswechsels eine Entscheidung durch das schon bisher zuständige Gericht zweckmäßiger (und damit unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls vorteilhafter) sein, insbesondere wenn dem übertragenden Gericht eine besondere Sachkenntnis zukommt oder es sich bereits eingehend mit dem offenen Antrag befasst und dazu Vernehmungen durchgeführt hat, weil die gewonnenen Eindrücke am besten von ihm selbst verwertet werden können (vgl RIS-Justiz RS0047032, RS0046972; Gitschthaler aaO § 111 JN Rz 14, 16; Fucik aaO § 111 JN Rz 5; Mayr aaO § 111 JN Rz 4).

4. Im vorliegenden Fall trafen die Eltern in der Verhandlung vom eine Kontaktrechtsvereinbarung, die unter anderem auch den Einsatz eines Besuchsmittlers vorsieht. Mit Beschluss vom verlängerte das Bezirksgericht Innere Stadt Wien daraufhin die bereits angeordnete Besuchsmittlung durch die Familiengerichtshilfe für weitere 12 Monate. Das Bezirksgericht Mistelbach leitet daraus ab, dass das Kontaktsrechtsverfahren nach wie vor anhängig sei, weil erst der folgende Bericht der Familiengerichtshilfe die Grundlage für eine Kontaktrechtsentscheidung des Pflegschaftsgerichts oder für eine endgültige Vereinbarung der Eltern sei. Unabhängig davon, ob bei diesem Verfahrensstand ein „offener Antrag“ im Sinne der oben zu 3. dargestellten Grundsätze vorliegt, wäre dieser nur dann zu berücksichtigen, wenn zu dessen Erledigung das bisher zuständige Gericht effizienter geeignet wäre. Gründe die dafür sprechen würden, dass das übertragende Gericht die für die weitere Verfahrensführung und eine allfällige Entscheidung maßgeblichen Umstände (eindeutig) sachgerechter und umfassender beurteilen kann, sind hier aber nicht ersichtlich. Ein solcher Vorzug kommt dem übertragenden Gericht insbesondere auch schon wegen des Wechsels des zuständigen Entscheidungsorgans nicht zu (RISJustiz RS0047032 [T24]).

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:0050NC00022.16D.0215.000

Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.