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OGH 23.05.2019, 6Ob20/19p

OGH 23.05.2019, 6Ob20/19p

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J* Gesellschaft m.b.H., *, vertreten durch Dr. Karl Schleinzer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei J* Ltd, *, Guernsey, vertreten durch Diwok Hermann Petsche Rechtsanwälte LLP & Co KG in Wien, wegen 4.515.000 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 14 R 168/17d-51, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 20 Cg 46/15s-39, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit 8.685,36 EUR (darin 1.447,56 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die ordentliche Revision nicht zulässig:

Das Berufungsgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, es sei von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen, wonach es „bei der Beurteilung des Missverhältnisses des Werts (§ 934 Satz 3 ABGB) sachgerechter [sei], die objektiven Werte der gegenseitigen Leistungen erst für den Zeitpunkt der Ausübung des Optionsrechts festzustellen“.

Eine Stiftung war und ist Eigentümerin einer Liegenschaft, auf der ein Hotel errichtet und betrieben werden sollte, weshalb die Stiftung nach einem internationalen Hotelbetreiber suchte, der letztlich mit der Beklagten und einem dahinterstehenden Investor auch gefunden wurde; dieser sollte nach Ausfinanzierung und Fertigstellung des Projekts „alles an sich ziehen können“. Es folgte die Gründung einer Betreibergesellschaft, an der unter anderem die Streitteile beteiligt waren. Diese schlossen im Zuge der Errichtung der Betreibergesellschaft unter Hinweis auf eine Stammeinlage der Klägerin von 15.000 EUR und den von dieser geleisteten Gesellschafterzuschuss in Höhe von 3 Mio EUR einen Optionsvertrag, der auszugsweise lautet:

Da die Beteiligung der [Klägerin] von den Vertragsteilen primär als „Kapitalinvestition“ angesehen wird und die operative Führung der gemeinsamen Gesellschaft und das wirtschaftliche Risiko primär bei der [beklagten] Mehrheitsgesellschafterin liegt, räumen einander die Vertragsteile wechselseitig die in der Folge näher beschriebenen An- bzw Verkaufsoptionen ein. […]

Ankaufsoption („Call-Option“)

[Die Klägerin] räumt hiermit [der Beklagten] die unwiderrufliche Option ein, […] den […] Geschäftsanteil von [der Klägerin] an der [der Betreibergesellschaft] zu erwerben.

Verkaufsoption („Put-Option“)

[Die Beklagte] räumt im Gegenzug [der Klägerin] die – unwiderrufliche – Option ein, durch einseitige Annahmerklärung in Notariatsaktform, ausübbar im Zeitraum zwischen dem 1. 1. und dem , der [Beklagten] ihren Geschäftsanteil an der [Betreibergesellschaft] zu übertragen.

Kaufpreis und Fälligkeit

Der Kaufpreis wird wie folgt ermittelt: Nominale der abtretungsgegenständlichen Stammeinlage (EUR 15.000,--) zuzüglich 150 % des geleisteten Gesellschafterzuschusses (EUR 3 Mio + 50 % = EUR 4.500.000,--). […]

Gemeinsame Bestimmungen für die Optionen

Die eingeräumten Optionen sind unwiderruflich […]

Die Ausübung der Option erfolgt mittels einseitigen Notariatsaktes (Annahmeerklärung) und ist schriftlich zumindest 5 (fünf) Werktage im Vorhinein dem Vertragspartner bekannt zu geben.

Ein gesondertes Entgelt für die Einräumung der Optionen wird nicht vereinbart. Dennoch stimmen die Vertragsteile überein, dieses Geschäft zur Gänze den Regeln für entgeltliche Geschäfte zu unterwerfen. […]

Sollte es nicht bis längstens zum Abschluss des Baurechtsvertrages für [die Liegenschaft] kommen, garantiert die [Betreibergesellschaft], dass der von der [Klägerin] geleistete Gesellschafterzuschuss von 3 Mio EUR binnen 7 Tagen […] zurückgezahlt wird [und] bietet die [Klägerin] der [Beklagten] ihren Geschäftsanteil […] um das Nominale der […] Stammeinlage [an].

Auf die Optionsvereinbarung findet ausschließlich österreichisches Recht Anwendung. […]

[Die Beklagte] übernimmt mit Ausübung einer Option den Geschäftsanteil der [Klägerin] mit allen Rechten und Pflichten, wie sich diese aus dem Gesellschaftsvertrag der [Betreiberg]esellschaft ohne Gewähr für eine bestimmte wirtschaftliche oder finanzielle Lage der Gesellschaft oder für das Erreichen bestimmter Voraussetzungen ergibt.

Das Hotelprojekt scheiterte schließlich und wurde nicht verwirklicht. Mit Notariatsakt vom übte die Klägerin unter Berufung auf den Optionsvertrag ihr Put-Optionsrecht in Form einer Annahmerklärung aus. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Anteile der Klägerin an der Betreibergesellschaft mangels Erreichens des Gesellschaftszwecks keinen wesentlichen Wert.

1. Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt, wobei das Berufungsgericht begründend ausführte, nach § 351 UGB könne die Anwendbarkeit des § 934 ABGB zu Lasten eines Unternehmers durch vertragliche Vereinbarung ausgeschlossen werden; für den Ausschluss sei keine spezielle Formvorschrift vorgesehen, er könne grundsätzlich auch konkludent vereinbart werden. Vertraglich sei einerseits von der Klägerin der Beklagten eine Ankaufsoption (Call-Option) und andererseits (im Gegenzug) von der Beklagten der Klägerin eine Verkaufsoption (Put-Option) eingeräumt worden, dies unter Bestimmung eines Kaufpreises von jeweils 4.515.000 EUR; damit habe ein sehr hohes Nachteilsrisiko nicht für nur die Beklagte bei der Ausübung der Option durch die Klägerin, sondern vielmehr auch für die Klägerin bei der Ausübung der Option durch die Beklagte bestanden. Aus der Formulierung „[Die Beklagte] übernimmt mit Ausübung einer Option den Geschäftsanteil der [Klägerin] mit allen Rechten und Pflichten, wie sich diese aus dem Gesellschaftsvertrag der [Betreiberg]esellschaft ohne Gewähr für eine bestimmte wirtschaftliche oder finanzielle Lage der Gesellschaft oder für das Erreichen bestimmter Voraussetzungen ergibt.“, aber auch aus dem übrigen Text des Optionsvertrags, wonach die Beteiligung der Klägerin von den Vertragsteilen primär als „Kapitalinvestition“ angesehen wird, das wirtschaftliche Risiko also primär bei der Beklagten liegen sollte, und auch aus dem Umstand, dass „sich die Parteien sichtlich darüber einig waren, dass das Aufgriffsrecht (für beide) ein hohes Risiko birgt, weil die künftigen Entwicklungen des Unternehmens nicht vorhersehbar waren,“ lasse sich ableiten, dass im gegenständlichen Einzelfall die laesio enormis bei der Optionsvereinbarung „keine Rolle“ spielte.

1.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sind zur Auslegung rechtsgeschäftlicher Erklärungen alle Umstände heranzuziehen, aus denen Schlüsse auf die Absicht der Parteien zu ziehen sind (RS0017817), wobei die Auslegung immer nur anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls erfolgen kann (9 ObA 113/08w wbl 2009/178 [Grillberger] = ZAS 2010/51 [Risak] = DRdA 2011, 1181 [Schindler]). Ob eine Vereinbarung im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, stellt nur dann eine erhebliche Rechtsfrage dar, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RS0042936). Ein solches ist hier aber nicht erkennbar: Das Berufungsgericht ist jedenfalls vertretbar von einem konkludenten Ausschluss der laesio enormis in dem zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Vertrag im Hinblick auf dessen – beide Streitteile treffendes – aleatorisches Moment ausgegangen.

1.2. Dazu kommt, dass Glücksgeschäfte gemäß § 1268 ABGB nicht wegen laesio enormis angefochten werden können, weil Risiken für den Glücksvertrag charakteristisch sind und von den Parteien bewusst übernommen werden. Die Geltendmachung einer laesio enormis unterliegt dann nicht der im § 1268 ABGB normierten Beschränkung, wenn das aleatorische Element beim betreffenden Vertrag eine untergeordnete Rolle spielt oder sogar gänzlich in den Hintergrund tritt (4 Ob 135/07t; 2 Ob 210/13s), wobei die Frage, ob dies zutrifft, nach der Gesamtleistung zu beurteilen ist (1 Ob 2342/96k; 9 Ob 134/00x; 2 Ob 210/13s). Gemeinsames Tatbestandsmerkmal aller Glücksverträge ist die Hoffnung auf einen noch ungewissen Vorteil, wobei nicht die Höhe und das Ausmaß des Vorteils, sondern sein Eintritt ungewiss sein muss (4 Ob 135/07t; 2 Ob 210/13s). Das Wesen eines aleatorischen synallagmatischen Vertrags besteht darin, dass von vornherein nicht gesagt werden kann, ob sich der Vertrag im Endergebnis – betrachtet man ihn für sich alleine – für den einen oder für den anderen Teil vorteilhaft auswirken wird (4 Ob 135/07t; 2 Ob 210/13s). Dies gilt auch für den Gesellschaftsvertrag (1 Ob 708/76; vgl auch 4 Ob 44/11s). Ob im konkreten Fall ausreichend aleatorische Momente vorliegen, übersteigt an Bedeutung nicht das vorliegende Verfahren (§ 502 Abs 1 ZPO).

2. Entgegen älterer Rechtsprechung (RS0107619) soll es nach den Entscheidungen 4 Ob 159/01p und 1 Ob 67/03i (lediglich referierend 8 Ob 148/09m; 2 Ob 210/13s; 6 Ob 86/18t) bei der Beurteilung des Missverhältnisses des Werts (§ 934 Satz 3 ABGB) sachgerechter sein, die objektiven Werte der gegenseitigen Leistungen erst für den Zeitpunkt der Ausübung des Optionsrechts festzustellen; erst dann erlange nämlich das (von den Parteien im Optionsvertrag zunächst bloß in Aussicht genommene) Rechtsgeschäft volle Wirksamkeit, löse wechselseitige Leistungspflichten aus und könne damit als „abgeschlossen“ iSd § 934 Satz 3 ABGB angesehen werden. Diese Entscheidung wurde von der Literatur zwar unterschiedlich beurteilt (zustimmend zwar F. Bydlinski, Optionsvertrag und Äquivalenzverschiebung, in FS Georgiades [2006] 53; Gruber in Kletecka/Schauer, ABGB-ON1.05 [Stand , rdb.at] § 934 Rz 7; Perner in Schwimann/Kodek, ABGB4 [2014] § 936 Rz 8; ablehnend hingegen Noll, Der Optionsvertrag im Lichte der Ökonomie, AnwBl 2002, 506; Pfersmann, Bemerkenswertes aus der SZ 74/II, ÖJZ 2005, 530; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht [2007] 183; Krejci, Optionsausübung und laesio enormis inbesondere bei gesellschaftsrechtlichen Aufgriffsrechten, in FS Koziol [2010] 215; Rauter in Straube, UGB I4 [2017] § 351 Rz 20), wobei durchaus einiges für das Argument Krejcis spricht, aufgrund dieser Rechtsprechung trage das (mitunter sehr hohe) Nachteilsrisiko ausschließlich der aus dem optierten Vertrag Verpflichtete, werde der Optionsberechtigte die Option doch (nur) dann ziehen, wenn dies für ihn günstig sei, andernfalls nicht (aaO 224). Einer (weitergehenden) Auseinandersetzung mit dieser Frage bedarf es hier jedoch nicht, hat doch Krejci zutreffend darauf hingewiesen, dass das Institut der laesio enormis nicht dazu da sei, bereits Vereinbartes im Hinblick auf spätere Entwicklungen wieder umzustoßen (aaO 226), weshalb dann, wenn „schon der Optionsvertrag eine Anfechtung wegen laesio enormins ausschließ[t], gleiches auch für den optierten Vertrag [gilt], dessen Inhalt ja dem im Optionsvertrag bereits Vereinbarten entspricht“ (aaO 218).

3. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Der Schriftsatz ist daher als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anzusehen.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Dr. Nowotny sowie die Hofrätinnen Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** Ltd, *****, Guernsey, vertreten durch Dr. Helena Marko, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei J***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Karl Schleinzer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 4.515.000 EUR sA, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsklage wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Mit Beschluss vom wies der 6. Senat des Obersten Gerichtshofs die Revision der dort beklagten und hier klagenden Partei gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien, AZ 14 R 168/17d, zurück. Die gegen diesen Beschluss gerichtete Nichtigkeitsklage macht geltend, dass eines der am mitentscheidenden Mitglieder des 6. Senats befangen gewesen sein soll; da der klagenden Partei erst mit Zustellung des Beschlusses vom die Teilnahme dieses Mitglieds an der Entscheidung bekannt geworden sei und deshalb eine frühere Ablehnung nicht habe stattfinden können, sei § 529 Abs 1 Z 1 ZPO „zumindest per analogiam“ anzuwenden.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 529 Abs 1 Z 1 ZPO kann eine rechtskräftige Entscheidung, durch welche eine Sache erledigt ist, durch Nichtigkeitsklage angefochten werden, wenn ein erkennender Richter von der Ausübung des Richteramts in dem Rechtsstreit kraft Gesetzes ausgeschlossen war. Hingegen entspricht es völlig herrschender Auffassung, dass nach rechtskräftiger Beendigung des Verfahrens die Ablehnung eines Richters nicht mehr zulässig ist, heilt doch der Mangel des Nichtigkeitsgrundes nach § 477 Abs 1 Z 1 ZPO mit der formellen Rechtskraft der Entscheidung (1 Ob 199/99t; RS0041974 [T1]); im Hinblick auf § 529 Abs 2 ZPO gilt dies selbst dann, wenn an der Entscheidung ein mit Erfolg abgelehnter Richter teilgenommen hat (1 Ob 273/99z; RS0041972; A. Kodek in Rechberger/Klicka, ZPO5 [2019] § 529 Rz 4). Damit erfasst § 529 Abs 1 Z 1 ZPO aber nur eine (allfällige) Ausgeschlossenheit des Richters kraft Gesetzes, seine (angebliche) Befangenheit reicht als Nichtigkeitsklagegrund nicht aus (RS0041972 [T2], RS0042070 [T2]); es muss beim erkennenden Richter also einer der in § 20 JN erschöpfend aufgezählten Ausschließungsgründe vorliegen (RS0044390; Jelinek in Fasching/Konecny IV/1² [2005] § 529 ZPO Rz 29).

Der erkennende Senat sieht keine Veranlassung, von dieser ständigen Rechtsprechung abzugehen, weshalb die Nichtigkeitsklage nach § 538 Abs 1 ZPO zurückzuweisen war.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2020:E125266
Datenquelle

Fundstelle(n):
SAAAD-56758