OGH vom 30.05.2017, 4Ob38/17t
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Schwarzenbacher, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** P*****, vertreten durch die Aigner Rechtsanwalts-GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei B***** PLC, *****, vertreten durch die WOLF THEISS Rechtsanwälte GmbH Co KG in Wien, wegen 76.094,66 EUR sA und Rechnungslegung, infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 3 R 53/16k20, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom , GZ 49 Cg 56/12w13, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Das Verfahren 4 Ob 38/17t wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Obersten Gerichtshof am zu 3 Ob 28/17i gestellten Antrag auf
Vorabentscheidung unterbrochen.
Nach Einlangen der Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.
Text
Begründung:
Die Klägerin ist Anlegerin mit Wohnsitz in Wien. Sie hat über den Sekundärmarkt am 49.998,97 EUR und am 19.999,21 EUR in das „X*****“ (in der Folge: das Zertifikat) investiert. Dessen Emittentin ist die Beklagte, eine im Handelsregister des Vereinigten Königreichs eingetragene Bank mit Sitz in London und einer Zweigniederlassung in Frankfurt. Die Beklagte verkaufte das Zertifikat im Zuge der Emission an institutionelle Investoren, die es wiederum am Sekundärmarkt unter anderem an Verbraucher in Österreich weiterverkauften.
Dem Zertifikat liegt eine Unternehmensanleihe in Form einer Inhaberschuldverschreibung zugrunde. Der Rückzahlungsbetrag und damit der Wert des Zertifikats richtet sich nach einem Index, der aus einem Portfolio von mehreren Zielfonds gebildet wird, sodass der Wert des Zertifikats unmittelbar mit diesem Portfolio verknüpft ist. Dieses Portfolio sollte von der X***** GmbH errichtet und verwaltet werden. Die Emission des Zertifikats erfolgte auf Grundlage eines Basisprospekts vom und eines Konditionenblatts vom samt Anhängen. Der Basisprospekt wurde auch bei der österreichischen Kontrollbank notifiziert. Das öffentliche Angebot zur Zeichnung lief von bis , die Emission erfolgte am .
Die abwickelnde Clearingstelle dieses Erwerbs war eine AG mit Sitz in Frankfurt am Main. Dort ist auch die Globalurkunde des Zertifikats hinterlegt.
Die Beklagte überließ die Investition der durch die Schuldverschreibung lukrierten Gelder der X***** GmbH als Investmentmanager. H***** K*****, der Trading Manager und Fonds Advisor der GmbH, nutzte seinen maßgeblichen Einfluss auf diese, um durch die Investitionsentscheidungen seinem groß angelegten Schneeball-Betrugssystem neues Kapital zuzuführen. Die Gelder sind großteils verloren, das Zertifikat ist wertlos.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung von 76.094,66 EUR sA Zug um Zug gegen Übergabe von 39,232 Anteilen des Zertifikats, hilfsweise die Feststellung der Haftung der Beklagten für den Schaden aus den getätigten Investitionen, sowie Rechnungslegung. Sie stützt sich einerseits auf vertragliche und andererseits auf deliktische (Schadenersatz-)Ansprüche, insbesondere Prospekthaftung. Zur internationalen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts beruft sich die Klägerin auf die Gerichtsstände der Art 15, hilfsweise Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wandte die internationale Unzuständigkeit des Erstgerichts ein.
Das Erstgericht wies die Klage zurück. Die Klägerin könne die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts weder auf Art 15 Abs 1 noch auf Art 5 Nr 1 lit a EuGVVO 2001 stützen. Die Beklagte habe keine freiwillige Verpflichtung übernommen und die Klägerin hätte auch nicht vorgebracht, dass sich der Schaden auf einem ihr zuzuordnenden Bankkonto bei einer Bank in Wien verwirklicht habe.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin nicht Folge. Der Erfüllungsort iSd Art 5 Nr 1 lit a EuGVVO 2001 liege am Sitz der Zweigniederlassung der Beklagten in Frankfurt am Main, sodass die österreichischen Gerichte für die vertraglichen Ansprüche der Klägerin nicht international zuständig seien. Da der Klägerin der Gerichtsstand des Erfüllungsorts zur Verfügung stehe, könne sie sich wegen ihres Prospekthaftungsanspruchs nicht auf Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 stützen, weil dieser deliktische Anspruch in einem so engen Zusammenhang mit dem Vertrag stehe, dass das vertragliche Element auch den Charakter des deliktischen Rechtsverhältnisses entscheidend präge. Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht im Hinblick auf die Vielzahl gleich oder ähnlich gelagerter Fälle zur Wahrung der Rechtseinheit und Rechtssicherheit zu.
In ihrem Revisionsrekurs macht die Klägerin geltend, der Erfüllungsort hinsichtlich der vertraglichen Ansprüche liege in Österreich. Von ihren vertraglichen Ansprüchen sei der ebenfalls geltend gemachte Anspruch auf Schadenersatz aus dem Titel der Prospekthaftung zu trennen. Dieser Anspruch sei weder auf die Erfüllung des Anleihevertrags gerichtet, noch handle es sich um einen Sekundäranspruch, der aus der Verletzung einer vertraglichen Pflicht resultiere; vielmehr sei dieser Anspruch deliktischer Natur.
Die Beklagte beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig. Über seine Berechtigung wird nach dem Einlangen der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache des Obersten Gerichtshofs zu 3 Ob 28/17i zu entscheiden sein, in welchem am folgende Fragen gemäß Art 267 AEUV gestellt wurden:
„Ist nach Art 5 Nr 3 der Verordnung (EG) Nr 44/2001 des Rates vom über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen für außervertragliche Ansprüche wegen Prospekthaftung dann, wenn
- der Anleger seine durch den mangelhaften Prospekt verursachte Anlageentscheidung an seinem Wohnsitz getroffen hat
- und er aufgrund dieser Entscheidung den Kaufpreis für das am Sekundärmarkt erworbene Wertpapier von seinem Konto bei einer österreichischen Bank auf ein Verrechnungskonto bei einer anderen österreichischen Bank überwiesen hat, von wo der Kaufpreis in der Folge im Auftrag des Klägers an den Verkäufer überwiesen wurde,
(a) jenes Gericht zuständig, in dessen Zuständigkeitsbereich der Anleger seinen Wohnsitz hat,
(b) jenes Gericht zuständig, in dessen Zuständigkeitsbereich der Sitz/die kontoführende Filiale jener Bank liegt, bei der der Kläger sein Bankkonto hat, von dem er den investierten Betrag auf das Verrechnungskonto überwiesen hat,
(c) jenes Gericht zuständig, in dessen Zuständigkeitsbereich der Sitz/die kontoführende Filiale der Bank liegt, bei der sich das Verrechnungskonto befindet,
(d) nach Wahl des Klägers eines dieser Gerichte zuständig,
(e) keines dieser Gerichte zuständig?“
Das vorliegende Verfahren betrifft einen vergleichbaren Sachverhalt, weshalb sich auch die selben Rechtsfragen stellen wie im Verfahren 3 Ob 28/17i.
Der Oberste Gerichtshof hat von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs auszugehen und diese auch für andere als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden. Aus prozessökonomischen Gründen ist dieses Verfahren daher zu unterbrechen (RISJustiz RS0110583).
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:0040OB00038.17T.0530.000 |
Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.
Fundstelle(n):
JAAAD-56748