OGH vom 18.09.2014, 3Ob27/14p
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Univ. Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Sunder Plaßmann Loibner Partner Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. R*****bank ***** eGen, *****, vertreten durch Mag. Helmut Marschitz und Dr. Harald G. Beber, Rechtsanwälte in Mistelbach, und 2. T***** GmbH ***** Co KG, *****, wegen Widerspruch gegen die Zwangsversteigerung (§ 37 EO; Streitwert 456.197,85 EUR sA), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom , GZ 17 R 102/13s 20, womit infolge Berufung der erstbeklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Mödling vom , GZ 5 C 1/13b 15, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei die mit 2.474,85 EUR (darin 494,97 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die zweitbeklagte KG ist Alleineigentümerin einer Liegenschaft in P***** mit einem darauf befindlichen Wohnhaus. Der ehemalige Ehemann der Klägerin war alleiniger Geschäftsführer der einzigen unbeschränkt haftenden Gesellschafterin der Zweitbeklagten. Er und die Klägerin bewohnten aufgrund seiner Verfügungsbefugnis in der Gesellschaft seit dem Jahr 1995 das Wohnhaus als Ehewohnung. Die erstbeklagte Bank erwirkte im Jahr 2003 aufgrund der Pfandurkunde vom die Eintragung eines Pfandrechts im Höchstbetrag von 670.000 EUR. Im Jahr 2011 wurde ihre Hypothekarklage im Grundbuch angemerkt. Am wurde der Erstbeklagten zur Hereinbringung von 456.197,85 EUR die Zwangsversteigerung der Liegenschaft bewilligt. Im Juni 2013 kaufte die Klägerin die Liegenschaft. Ihr Eigentum wurde im Dezember 2013 im Grundbuch einverleibt.
Mit der Behauptung, bei dem auf der Liegenschaft in P***** errichteten Einfamilienhaus handle es sich um die Ehewohnung, an der sie gemäß § 97 ABGB ein den Beklagten bekanntes dringendes Wohnbedürfnis habe, erhob die Klägerin am eine Exszindierungsklage gegen die betreibende Bank (Erstbeklagte) und die verpflichtete Partei (Zweitbeklagte).
Die Erstbeklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens mit der wesentlichen Begründung, dass sie vom Wohnbedürfnis der Klägerin keine Kenntnis gehabt hätte und auch nicht hätte haben müssen. Ein Anspruch gegenüber der Erstbeklagten könnte nur bei einem bewussten Zusammenwirken des über die Ehewohnung verfügungsberechtigten Ehegatten der Klägerin und der Erstbeklagten zum Nachteil der Klägerin bestehen.
Die Klägerin replizierte, dass die Erstbeklagte wegen ihrer Kenntnis vom Wohnbedürfnis schon zum Zeitpunkt der Begründung des Pfandrechts schlechtgläubig gewesen sei, jedenfalls aber zum Zeitpunkt der Einleitung des Zwangsversteigerungsverfahrens.
Die Zweitbeklagte bestritt das Klagevorbringen ohne eigenes Vorbringen zu erstatten (ON 5).
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und erklärte die Zwangsversteigerung für unzulässig. Von den getroffenen Feststellungen ist Folgendes als wesentlich hervorzuheben:
Ob der Vertreter der Erstbeklagten bei der Kreditvergabe (im Jahr 2002) gewusst hat, dass die Klägerin über keine andere Wohnmöglichkeit verfügt, könne nicht festgestellt werden. Mit Schreiben vom des Klagevertreters sei die Erstbeklagte auf das dringende Wohnbedürfnis der Klägerin iSd § 97 ABGB hingewiesen worden.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dass ein Anspruch gemäß § 97 ABGB gegenüber Dritten nicht nur bei arglistigem Zusammenwirken des Dritten mit dem Schuldner, sondern schon dann bestehe, wenn dem Dritten bekannt sei, dass der nichtverfügungsberechtigte Ehegatte über keine andere Wohnung verfüge. Zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Zwangsversteigerung hätten die Beklagten diese Kenntnis gehabt.
Das Berufungsgericht wies über Berufung der Erstbeklagten das Klagebegehren ab. Es bewertete den Streitgegenstand mit 30.000 EUR übersteigend und erklärte die ordentliche Revision für zulässig.
Ausgehend von den getroffenen Feststellungen führte das Berufungsgericht unter Hinweis auf oberstgerichtliche Rechtsprechung aus, dass gegenüber gutgläubigen Vertragspartnern des verfügungsberechtigten Ehegatten kein Anspruch nach § 97 ABGB bestehe, wohl aber bei dolosem Zusammenwirken nach den Grundsätzen über die Beeinträchtigung fremder Forderungsrechte. Bei Eingriffen in die schuldnerische Willensbildung sei der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses maßgebend. Für die Zeit der Pfandbestellung sei eine Negativfeststellung getroffen worden. Die Benachrichtigung vom über das dringende Wohnbedürfnis der Klägerin könne das Recht der Erstbeklagten auf Zwangsversteigerung zur Hereinbringung der pfandrechtlich sichergestellten Forderung nicht beeinträchtigen.
Mit ihrer Revision beantragt die Klägerin die Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts.
Die Erstbeklagte beantragt mit ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision mangels erheblicher Rechtsfragen zurückzuweisen, hilfsweise, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.
Die Zweitbeklagte hat sich weder am Berufungsverfahren noch am Revisionsverfahren beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem Grund des nachträglichen Wegfalls des Rechtsschutzinteresses unzulässig.
Nach dem Inhalt des Akts AZ 5 E 19/12d des Bezirksgerichts Mödling wurde das zugunsten der hier erstbeklagten Partei eingeleitete Zwangsversteigerungs-verfahren aufgrund deren Antrag mit Beschluss vom gemäß § 39 Abs 1 Z 6 EO eingestellt (ON 66 des Exekutionsakts). Nach Rechtskraft des Einstellungsbeschlusses hat das Bezirksgericht Mödling mit Beschluss vom (ON 69) die Löschung der bücherlichen Anmerkungen des Versteigerungsverfahrens angeordnet.
Da es nicht Aufgabe der Rechtsmittelinstanzen ist, Entscheidung über Fragen zu treffen, die sich nur mehr theoretisch-abstrakt stellen, setzt ein Rechtsmittel eine Beschwer, also ein Anfechtungsinteresse voraus. Die Beschwer muss sowohl bei Einlangen des Rechtsmittels als auch im Zeitpunkt der Rechtsmittelentscheidung vorliegen (RIS Justiz RS0041770 [T49], RS0043815 [T27]). Fällt die Beschwer nach dem Einlangen des Rechtsmittels weg, dann ist das ursprünglich zulässige Rechtsmittel zurückzuweisen (RIS Justiz RS0041770 [T71]).
Im Anlassfall ist die Beschwer nach Einlangen der Revision beim Obersten Gerichtshof aufgrund der Einstellung des Versteigerungsverfahrens weggefallen, weshalb das Rechtsmittel zurückzuweisen ist.
Die das Revisionsverfahren betreffende Kostenentscheidung beruht auf § 50 Abs 2 ZPO. Bei „nachträglichem“ Wegfall der Beschwer (im Zeitraum zwischen Einbringung des Rechtsmittels und der Entscheidung darüber) ist der Erfolg des Rechtsmittels hypothetisch nachzuvollziehen (RIS Justiz RS0036102).
Die vom Berufungsgericht für zulässig erklärte Revision der Klägerin wäre zwar wegen Vorliegens erheblicher Rechtsfragen zulässig gewesen (zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Schlechtgläubigkeit des Dritten; zur Hinterfragung des Rechtssatzes RIS Justiz RS0015114; zur Frage der Streitgenossenschaft im Passivprozess des Betreibenden und Verpflichteten). Die Revision wäre allerdings erfolglos geblieben.
Die Klägerin steht auf dem Standpunkt, dass es für die Frage der Schlechtgläubigkeit der Beklagten entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht auf den Zeitpunkt der Verpfändung der Liegenschaft im Jahr 2003, sondern auf denjenigen der Einleitung des Zwangsversteigerungs-verfahrens () ankäme. Zu diesem Zeitpunkt sei aber der Erstbeklagten das dringende Wohnbedürfnis der Klägerin schon längst (seit ) bekannt gewesen und deshalb deren Schlechtgläubigkeit zu bejahen. Zu diesem Vorbringen ist einzuräumen, dass die Beeinträchtigung des Wohnungserhaltungsanspruchs der Klägerin hier nicht schon durch die Pfandbelastung der Liegenschaft, sondern durch die Versteigerung der Liegenschaft hergestellt wird. Die Revisionswerberin hat weiters bei der nach den Grundsätzen über die Beeinträchtigung fremder Forderungsrechte zu prüfenden Drittwirkung des Anspruchs nach § 97 ABGB den Leitsatz der Rechtssatzkette RIS Justiz RS0015114 für sich, wonach für die Annahme der Schlechtgläubigkeit des Dritten (hier der Erstbeklagten als betreibender Partei) grundsätzlich schon die Kenntnis vom dringenden Wohnbedürfnis ausreicht. Der Rechtssatz wird allerdings nur dort uneingeschränkt vertreten, wo es um die Kenntnis beim Erwerb einer Wohnungsliegenschaft oder einer Wohnung durch den Dritten geht, dieser also zuvor gegenüber dem nach § 97 ABGB verpflichteten Ehegatten noch keinen durchsetzbaren Rechtsanspruch hatte. Anders verhält es sich jedenfalls bei schon vorliegenden Rechtsansprüchen des Dritten. Die Durchsetzung eigener materieller Rechte ist grundsätzlich nicht rechtswidrig und kann nur ausnahmsweise im Rahmen einer Interessenabwägung rechtswidrig sein (so schon 3 Ob 87/93 im Zusammenhang mit § 97 ABGB; allgemein bei Verletzung absolut geschützter Rechte: RIS Justiz RS0022917). Durchaus richtig verweist das Berufungsgericht darauf, dass dem sich auf § 97 ABGB stützenden Ehegatten nicht mehr Rechte eingeräumt werden können als dem zur Wohnungserhaltung Verpflichteten. Wenn dieser beispielsweise zur Zahlung des Mietzinses nicht mehr in der Lage ist, kann es nicht Ergebnis der Interessenabwägung sein, dass der Vermieter den Verbleib des wohnbedürftigen Ehegatten zu dulden und auf die Mietzinszahlungen zu verzichten hätte. Dies ergibt sich schon aus § 97 zweiter Satz ABGB, wonach kein Wohnerhaltungsanspruch besteht, wenn das Handeln oder Unterlassen des verfügungsberechtigten Ehegatten durch die Umstände erzwungen wird. Die exekutive Betreibung von Geldansprüchen ist ein solcher Umstand, bei dessen Vorliegen nur ein doloses Zusammenwirken des verfügungsberechtigten Ehegatten mit dem Dritten zu dessen Schadenersatzpflichten gegenüber dem wohnbedürftigen Ehegatten führen könnte (vgl 3 Ob 27/09f), also etwa dann, wenn ein Versteigerungsverfahren etwa nur zum Schein zu Lasten der Wohnbedürftigen geführt wird (so schon 3 Ob 155/87; missbräuchliche Exekutionsführung: RIS Justiz RS0000980). Im vorliegenden Fall reicht also die allein geltend gemachte bloße Kenntnis vom Wohnbedürfnis ohne weitere Kenntnis der Absichten des Verfügungsberechtigten über die Wohnung für eine Haftung des Dritten nicht.
Da die Klägerin mit ihrer Revision auch die gegenüber der Zweitbeklagten ergangene Berufungsentscheidung bekämpft (arg.: „in seinem gesamten Umfang angefochten“) ist für die Kostenentscheidung die Art der Streitgenossenschaft auf Seiten der Beklagten zu erörtern. Gemäß § 37 Abs 2 EO kann die Exszindierungsklage zugleich gegen den betreibenden Gläubiger und den Verpflichteten gerichtet werden. Schon dieser Wortlaut (arg.: „kann“) spricht gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, es läge eine einheitliche, notwendige Streitgenossenschaft iSd § 14 ZPO und der vom Berufungsgericht zitierten Judikatur (RIS Justiz RS0035496) vor. Nur in diesem Fall wäre die Entscheidung des Berufungsgerichts über den Anspruch gegen die Zweitbeklagte, die keine Berufung gegen das erstinstanzliche klagestattgebende Urteil erhoben hatte, nicht zu beanstanden, weil sich die Wirkung der Berufung der Erstbeklagten auf die Zweitbeklagte erstreckt hätte. Bei der Streitgenossenschaft nach § 37 Abs 2 EO handelt es sich jedoch nach der im Schrifttum ganz überwiegend und zutreffend vertretenen Ansicht um selbständige Streitgenossen nach § 11 ZPO, wobei der Sinn darin besteht, mit der Exszindierungsklage gegen den Betreibenden auch eine Feststellungsklage und/oder Herausgabeklage gegen den Verpflichteten verbinden zu können, sodass im Falle einer erfolgreichen Klageführung die Sache direkt an den Kläger herausgegeben werden kann ( Jakusch in Angst EO² § 37 Rz 56a, Burgstaller/Holzner in Burgstaller/Deixler EO § 37 Rz 19 f; Heller/Berger/Stix 4 477; vgl auch GlUNF 3872). Gegen die Annahme einer einheitlichen Streitgenossenschaft spricht schon der Streitgegenstand der gegen den Betreibenden gerichteten Klage. Nur der Betreibende führt die Exekution, die für unzulässig erklärt werden soll. Das Eigentum oder Rechte des Exszindierungsklägers am Exekutionsobjekt sind materielle Erfolgsvoraussetzung der Klage. Ziel ist die Wiederherstellung des vor der Exekutionsführung bestandenen Zustands, nicht aber die Feststellung von Rechten des Verpflichteten (so schon GlUNF 3872). Das erzielte Ergebnis entspricht der gerichtlichen Praxis, wird doch eine einheitliche Streitgenossenschaft von Betreibenden und Verpflichteten im Prozess nach § 37 EO durch die Zulassung der Klage allein gegen den Betreibenden verneint. Daraus folgt, dass die erstinstanzliche Klagestattgebung gegen die Zweitbeklagte mangels Anfechtung in Rechtskraft erwachsen ist, weil die Berufung der Erstbeklagten keine Wirkung auch für die Zweitbeklagte hatte (§ 13 ZPO). Der (so beantragte) Spruch auf Unzulässigerklärung der Exekution ist zwar rechtlich völlig verfehlt, weil nur dem Betreibenden das bekämpfte Recht auf Exekutionsführung zusteht. Die Entscheidung zeitigt aber wegen ihrer Nutzlosigkeit ( Heller/Berger/Stix 477) keine weiteren Rechtsfolgen. Der Verstoß des Berufungsgerichts gegen die Rechtskraft wäre aber von Amts wegen aus Anlass einer zulässigen Revision der Klägerin wahrzunehmen und die Entscheidung in diesem Punkt als nichtig aufzuheben gewesen. Unabhängig davon, ob dieses Ergebnis für die Kostenentscheidung als Erfolg der Klägerin zu werten wäre, folgt aus der Selbständigkeit der Verfahren bei selbständigen Streitgenossen nach § 11 ZPO, dass es allein auf die Entscheidung zwischen der Klägerin und dem einzelnen selbständigen Streitgenossen ankommt. Ein Streitgenosse kann sich nur durch die Entscheidung gegenüber seinem Gegner, nicht aber durch diejenige gegenüber den anderen Streitgenossen für beschwert erachten (5 Ob 184/09h). Hier hätte aber nach dem dargelegten Nachvollzug der Entscheidung über die Revision der Klägerin die Erstbeklagte voll obsiegt. Abgesehen davon, dass am Revisionsverfahren wegen der angeführten Rechtskraft der Entscheidung in Ansehung der Zweitbeklagten nur mehr die Klägerin und die Erstbeklagte beteiligt waren, steht der verzeichnete Streitgenossenzuschlag durch die Erstbeklagte schon mangels der Voraussetzungen des § 15 RATG nicht zu, wie schon das Berufungsgericht richtig ausführte.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 Abs 1 und 2 ZPO.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2014:0030OB00027.14P.0918.000