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OGH vom 26.01.2017, 3Ob237/16y

OGH vom 26.01.2017, 3Ob237/16y

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin Dr. Lovrek, die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, Wien 6, Linke Wienzeile 18, vertreten durch KosesnikWehrle Langer Rechtsanwälte KG in Wien, wider die beklagte Partei P***** GmbH, *****, vertreten durch Sudi Siarlidis Huber Ehß Rechtsanwälte OG in Graz, wegen 2.103,40 EUR sA, infolge Revision beider Streitteile gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Berufungsgericht vom , GZ 13 R 67/16z16, womit das Urteil des Bezirksgerichts Oberwart vom , GZ 5 C 397/15t12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

I. Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

II. Der Revision der klagenden Partei wird teilweise Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie wie folgt zu lauten haben:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 2.100,60 EUR samt 4 % Zinsen seit binnen 14 Tagen zu zahlen.

2. Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei einen weiteren Betrag von 2,80 EUR samt 4 % Zinsen seit zu zahlen, wird abgewiesen.

3. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.051,35 EUR (darin enthalten 436,21 EUR USt und 434 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.124,69 EUR (darin enthalten 153,45 EUR USt und 204 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am schlossen die Ehegatten M***** und R***** (im Folgenden: Konsumenten) anlässlich eines Besuchs der Messe Wien „Wohnen und Interieur 2015“ mit der Beklagten einen Kaufvertrag über die Lieferung und Montage einer neuen DANKüche „von insgesamt ungefähr 8,2 Laufmetern“ zum Gesamtpreis von (maximal) 10.503 EUR (oder anteilig weniger, sollte die Küche nach Ausmessung kleiner ausfallen). Mit ihrer Unterschrift akzeptierten die Konsumenten auch die auf der Rückseite des Kaufvertragsformulars abgedruckten Vertragsbedingungen, die in ihrem Punkt 5. („Vertragsrücktritt“) unter anderem wie folgt lauten:

„[...] Tritt der Kunde – ohne dazu berechtigt zu sein – vom Vertrag zurück oder begehrt er seine Aufhebung, so haben wir die Wahl, auf die Erfüllung des Vertrags zu bestehen oder der Aufhebung des Vertrags zuzustimmen; im letzteren Fall ist der Kunde verpflichtet, nach unserer Wahl einen pauschalierten Schadenersatz in Höhe von 20 % des Bruttorechnungsbetrags oder den tatsächlich entstandenen Schaden zu bezahlen. [...]“

Da sich der Sohn der Konsumenten (noch vor der Messe) von seiner Partnerin getrennt hatte und dieser 30.000 EUR zahlen wollte, entschieden sich die Konsumenten, die ihrem Sohn finanziell aushelfen wollten, in der auf den Kaufvertragsabschluss folgenden Woche, vom Vertrag zurückzutreten. Die Beklagte akzeptierte diesen Rücktritt unter Verweis auf ihre allgemeinen Geschäftsbedingungen nur gegen Zahlung einer – von den Konsumenten letztlich geleisteten – Stornogebühr in Höhe von 2.100,60 EUR (20 % der Gesamtbruttosumme).

Die Beklagte beschäftigte bei der Messe zusätzlich zu ihrem eigenen Personal einen von einer Agentur bereitgestellten Messeverkäufer, an die sie für abgeschlossene Geschäfte eine Provision von insgesamt 10 % des Kaufpreises zu leisten hatte. Zusätzlich hatte sie dem Messeverkäufer weitere 0,25 % des Kaufpreises als Provision zu zahlen. Diese Provisionen konnte die Beklagte auch im Fall der Stornierung eines bei der Messe abgeschlossenen Kaufvertrags nicht zurückfordern. Für die Teilnahme an der Messe wendete die Beklagte insgesamt rund 60.000 EUR netto auf, die sich aus den von ihr geleisteten Provisionen, der Standmiete sowie den Kosten der Montage und Demontage der Ausstellungsstücke zusammensetzten. Der Messestand selbst kostete rund 30.000 EUR und wurde von der Beklagten für sieben bis acht Messen genutzt.

Der Kläger als in § 29 Abs 1 KSchG genannter Verein begehrte nach Abtretung des Anspruchs der Konsumenten an ihn die Zahlung von 2.103,40 EUR sA. Der Kaufvertrag sei ein außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag iSd § 3 Z 1 lit a FAGG, sodass den Konsumenten ein Rücktrittsrecht gemäß § 11 Abs 1 FAGG zugekommen sei. Die Beklagte habe daher keinen Anspruch auf die von ihr begehrte und empfangene Stornogebühr. Die Stornoklausel sei auch jedenfalls gröblich benachteiligend für Verbraucher, weshalb sie auch dann nicht anwendbar wäre, wenn kein Vertrag iSd § 3 Z 1 lit a FAGG vorläge. Hilfsweise werde die Mäßigung der Höhe der Stornogebühr gemäß § 7 KSchG iVm § 1336 Abs 2 ABGB begehrt. Der Beklagten sei überhaupt kein Schaden entstanden; die von ihr ins Treffen geführten Kosten seien Sowieso-Kosten, stünden also nicht in direktem Zusammenhang mit dem Rücktritt der Konsumenten.

Die wendete ein, das Rechtsgeschäft sei eindeutig nicht als Außergeschäftsraumvertrag iSd § 3 Z 1 lit a FAGG zu qualifizieren. Ihr Messestand sei während der gesamten Dauer der Messe, bei der es sich um eine Verkaufs- und nicht bloß um eine Ausstellungsmesse handle, errichtet gewesen und daher als dauerhaft zu qualifizieren. Die Stornoklausel sei auch weder gröblich benachteiligend noch unklar. Im Hinblick darauf, dass sie insgesamt rund 60.000 EUR für die Messe ausgelegt habe, sei – „abgebrochen auf das Einzelergebnis“ – die Stornogebühr von 20 % des Kaufpreises nicht überhöht (Seite 11 in ON 11).

Das wies das Klagebegehren ab. Der Messestand der Beklagten sei ein Geschäftsraum iSd § 3 FAGG. Die Vereinbarung der Zahlung einer Stornogebühr für die Einräumung eines Rücktrittsrechts von Kauf- und Werkverträgen sei erfahrungsgemäß durchaus üblich und daher für die Konsumenten auch nicht überraschend, sodass an der Geltung dieser Vertragsbestimmung kein Zweifel bestehen könne. Die vereinbarte Höhe der Stornogebühr sei auch nicht gröblich benachteiligend und daher gültig. Eine Mäßigung der Stornogebühr scheide ebenfalls aus.

Das änderte dieses Urteil über Berufung des Klägers dahin ab, dass es die Beklagte zur Zahlung von 1.026,84 EUR sA verpflichtete; das Mehrbegehren von 1.076,56 EUR sA wies es ab. „Die Messe“ sei als Geschäftsraum der Beklagten iSd § 3 Z 3 FAGG zu qualifizieren, weil sie ihre Geschäftstätigkeit dort gewöhnlich und für die Dauer der Messe permanent ausgeübt habe. Die Stornogebührenklausel der AGB der Beklagten sei nicht gröblich benachteiligend und damit nicht nichtig, weil sie – nach der Zweifelsregel des § 915 ABGB – so zu verstehen sei, dass kein uneingeschränktes Wahlrecht der Beklagten zwischen dem Ersatz des tatsächlich entstandenen Schadens und der Leistung von 20 % des Bruttorechnungsbetrags bestehe, sondern dem Kunden nur die jeweils geringere Zahlungsverpflichtung auferlegt werde. Die Klausel sei nicht intransparent iSd § 6 Abs 3 KSchG, weil dem Kunden bekannt sei, dass der Anspruch der Beklagten maximal 20 % des Bruttorechnungsbetrags betrage, er also weniger zahlen müsse, wenn der tatsächliche Schaden geringer sei. Letzteres sei hier der Fall, weil der Beklagten nur ein Schaden in Höhe der von ihr geleisteten, nicht rückforderbaren Provisionen von insgesamt 10,25 % des Bruttorechnungsbetrags (also 1.076,56 EUR) entstanden sei; die Kosten der Teilnahme an der Messe (Standmiete etc) sowie die Kosten des Messestands seien demgegenüber als für die Beklagte vom Schadensfall unabhängige SowiesoKosten nicht ersatzfähig. Eine Anwendung des für Konventionalstrafen geltenden richterlichen Mäßigungsrechts komme nicht in Betracht, weil der tatsächliche Schaden die Untergrenze der Herabsetzung bilde.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil Rechtsprechung zur Anwendbarkeit des FAGG auf bloß einmal jährlich stattfindende Messen ebenso fehle wie zu den Fragen, ob die Dauer einer Messe für die Anwendbarkeit des FAGG relevant sei und welche anderen Kriterien allenfalls zu berücksichtigen seien.

In ihrer macht die geltend, die Voraussetzungen für die Anwendung des in § 11 FAGG normierten Rücktrittsrechts seien gegeben. Darüber hinaus sei die Konventionalstrafklausel entgegen der Ansicht der Vorinstanzen gröblich benachteiligend iSd § 879 Abs 3 ABGB, weil die Beklagte nach ihrem eindeutigen Wortlaut in jedem Fall zumindest 20 % des Rechnungsbetrags fordern könne, also auch dann, wenn der tatsächlich entstandene Schaden, wie hier, geringer sei; wäre der Schaden hingegen höher, könne sie den tatsächlich entstandenen Schaden geltend machen. Außerdem verstoße die Klausel gegen § 864a ABGB und gegen § 6 Abs 3 KSchG.

Die führt in ihrer Revision zusammengefasst aus, die Klausel sei keineswegs undeutlich, sondern enthalte zweifellos ein Wahlrecht der Beklagten, entweder eine Stornogebühr von 20 % des Bruttorechnungsbetrags oder den tatsächlich entstandenen Schaden zu begehren. Die Klausel sei für Konsumenten nicht nachteilig, weil im konkreten Fall in Wahrheit ohnehin ein höherer Schaden als 20 % des Bruttorechnungsbetrags entstanden sei.

Beide Parteien beantragen in ihren , die Revision der Gegenseite zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionen der Streitteile sind ; jene der Klägerin ist auch .

Aus systematischen Gründen werden die Rechtsmittel im Folgenden gemeinsam behandelt.

1. Da ein Anspruch der Beklagten auf die in ihren AGB vorgesehene Stornogebühr einen unberechtigten Rücktritt des Käufers voraussetzt, ist zunächst zu untersuchen, ob den Konsumenten, wie von der Klägerin behauptet, ein Rücktrittsrecht nach § 11 FAGG zustand.

1.1. Gemäß § 11 Abs 1 FAGG kann der Verbraucher von einem Fernabsatzvertrag oder einem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag binnen 14 Tagen ohne Angabe von Gründen zurücktreten. Nach der Legaldefinition des § 3 Z 1 lit a FAGG ist ein „außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag“ insbesondere jeder Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher, der bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Unternehmers und des Verbrauchers an einem Ort geschlossen wird, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist. „Geschäftsräume“ sind nach § 3 Z 3 FAGG unbewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit dauerhaft ausübt, oder bewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt.

1.2.1. Mit dem FAGG (als Teil des VRUG, BGBl I Nr 33/2014) wurde die Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom (VerbraucherrechteRL) umgesetzt. § 3 Z 1 und Z 3 FAGG entsprechen nahezu wörtlich den Definitionen des Art 2 Z 8 und 9 der genannten Richtlinie.

1.2.2. Nach Erwägungsgrund 21 der Richtlinie steht der Verbraucher außerhalb von Geschäftsräumen möglicherweise psychisch unter Druck oder ist einem Überraschungsmoment ausgesetzt, wobei es keine Rolle spielt, ob der Verbraucher den Besuch des Unternehmers herbeigeführt hat oder nicht. In diesem Sinn soll die Begriffsbestimmung für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge auch Situationen einschließen, in denen der Verbraucher außerhalb von Geschäftsräumen persönlich und individuell angesprochen wird, der Vertrag aber unmittelbar danach in den Geschäftsräumen des Unternehmers oder über Fernkommunikationsmittel geschlossen wird.

1.2.3. Erwägungsgrund 22 der Richtlinie nennt als Geschäftsräume alle Arten von Räumlichkeiten (wie Geschäfte, Stände oder Lastwagen), an denen der Unternehmer seine Geschäfte ständig oder gewöhnlich ausübt. Markt und Messestände sollen als Geschäftsräume behandelt werden, wenn sie diese Bedingungen erfüllen. Verkaufsstätten, an denen der Unternehmer seine Tätigkeit saisonal ausübt, beispielsweise während der Fremdenverkehrssaison an einem Skiort oder Seebadeort, sollen als Geschäftsräume angesehen werden, wenn der Unternehmer seine Tätigkeit in diesen Geschäftsräumen für gewöhnlich ausübt. Hingegen sollen der Öffentlichkeit zugängliche Orte wie Straßen, Einkaufszentren, Strände, Sportanlagen und öffentliche Verkehrsmittel, die der Unternehmer ausnahmsweise für seine Geschäftstätigkeiten nutzt, sowie Privatwohnungen und Arbeitsplätze nicht als Geschäftsräume gelten.

1.3. Unter Berufung auf Erwägungsgrund 22 der Richtlinie halten die Materialien zum VRUG (ErläutRV 89 BlgNR 25. GP 25 f) Folgendes fest: Der Verkauf von Waren bei einer alljährlich stattfindenden Messe wird dann nicht unter den Begriff des Außer-GeschäftsraumVertrags (AGV) iSd § 3 Z 1 FAGG fallen, wenn der Unternehmer dort „für gewöhnlich“ – hier wohl bezogen auf die Dauer der jeweiligen Messe – einen Messestand betreibt und dort seine unternehmerische Tätigkeit entfaltet.

1.4.1. In der Lehre halten Kolba/Leupold die Subsumtion eines Messestands im Fall einer Jahresmesse für fraglich (Das neue Verbraucherrecht § 3 FAGG Rz 92), weil die „Gewöhnlichkeit“ eine gewisse Regelmäßigkeit und Mehrmaligkeit der unternehmerischen Tätigkeit zu indizieren scheine (so Leupold in Kosesnik-Wehrle, KSchG4§ 3 FAGG Rz 34).

1.4.2. Demgegenüber stimmt Stabentheiner (Das neue Fern und Auswärtsgeschäfte-Gesetz, VbR 2014/68, 108 [111]) der oben wiedergegebenen Auffassung des Gesetzgebers unter Hinweis darauf zu, dass ansonsten die in Erwägungsgrund 22 explizit genannten Markt und Messestände kaum einmal als Geschäftsraum gelten könnten.

1.4.3. Auch Cap (Umsetzung der Verbraucherrechte-Richtlinie. Das neue Fern und AuswärtsgeschäfteGesetz, ÖJZ 2014/110, 707 [710]) geht davon aus, dass ein vom Unternehmer während der gesamten Dauer einer Messe benützter Messestand als Geschäftsraum iSd § 3 Z 3 FAGG anzusehen sei.

1.4.4. Dehn (in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar4 Va Verbraucherrecht § 3 FAGG Rz 18 f) vertritt ebenfalls die Ansicht, dass Markt oder Messestände auf permanenten wie auf vorübergehenden Märkten und Messen Geschäftsräume iSd § 3 Z 3 FAGG sein können; entscheidend dafür sei nicht, dass ein bestimmter Markt oder eine bestimmte Messe ständig oder für gewöhnlich mehr oder weniger regelmäßig wiederkehrend stattfinde, sondern dass der Unternehmer die Verkaufstätigkeit für die Dauer des Markts oder der Messe ständig oder für gewöhnlich auf einem Markt oder Messestand ausübe. Unter dieser Voraussetzung seien auch Markt oder Messestände auf Jahrmärkten oder auf nur jährlich stattfindenden Kunst, Garten, Handwerks, Ferien oder Hochzeitsmessen etc Geschäftsräume iSd § 3 Z 3 FAGG, wenn dort eine Vertriebstätigkeit entfaltet werde. Das Merkmal „für gewöhnlich“ sei insgesamt weniger unter einem zeitlichen Aspekt als vielmehr als Gegensatz zu „ungewöhnlich“ zu sehen, weil es verbraucherschutzrechtlich primär darauf ankommen müsse, ob der Verbraucher an einem Ort grundsätzlich mit einer Geschäftstätigkeit des Unternehmers rechnen müsse oder ob sie aufgrund der Örtlichkeit für ihn überraschend komme und deshalb eine Überrumpelungssituation zum Geschäftsabschluss schaffen könne. Selbst eine zeitlich begrenzte Nutzung zu Vertriebszwecken (zB Pop-up-stores) könne demnach eine „für gewöhnlich“ ausgeübte Tätigkeit des Unternehmers begründen. Nur reine Schaumessen, auf denen nicht mit einer Verkaufstätigkeit des Unternehmers gerechnet werden müsse, ließen sich vom Begriff der Geschäftsräume ausscheiden.

1.5. Der erkennende Senat schließt sich der überzeugenden Argumentation von Dehn an. Im Hinblick auf die in Erwägungsgrund 21 der Richtlinie hervorgehobene (und auch in der Revision der Klägerin ins Treffen geführte) Überrumpelungsgefahr kann es bei Abschluss eines Vertrags an einem Messestand nämlich nicht darauf ankommen, ob diese Messe einmal jährlich oder häufiger (vierteljährlich, monatlich, wöchentlich) stattfindet; entscheidend ist vielmehr, dass der Verbraucher, der – wie hier – eine (Verkaufs)Messe besucht, beim Kontakt bzw an diesen anschließenden Vertragsabschluss mit einem Aussteller an dessen Messestand psychologisch in keiner anderen Situation ist als in einem stationären Geschäftslokal dieses Unternehmers. In diesem Sinn ist für die Abgrenzung einer „für gewöhnlich“ betriebenen von einer nur ausnahmsweisen gewerblichen Tätigkeit maßgeblich, ob der Verbraucher am Ort des Geschäfts mit dem Auftreten des Unternehmers rechnen musste oder ob eine Überrumpelungssituation vorliegt (so auch Oberlandesgericht Karlsruhe vom , 4 U 217/15 mwN [zum Erwerb eines Dampfstaubsaugers auf einer einmal jährlich stattfindenden Messe, auf der unter anderem Waren aus dem Bereich „Küchen und Haushaltsgeräte, Haustechnik“ zum Kauf angeboten wurden]).

2. Da die Vorinstanzen ein Rücktrittsrecht der Konsumenten nach § 11 FAGG somit zu Recht verneint haben, ist im Folgenden auf die Frage der Wirksamkeit der Stornogebührenklausel der Beklagten einzugehen.

2.1.1.

Die Geltungskontrolle nach § 864a ABGB geht der Inhaltskontrolle gemäß § 879 Abs 3 ABGB vor (RIS-Justiz

RS0037089). Objektiv ungewöhnlich iSd § 864a ABGB ist eine Klausel, die von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht, mit der er also nach den Umständen vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht. Der Klausel muss somit ein Überrumpelungs- oder Übertölpelungseffekt innewohnen (RIS-Justiz

RS0014646 [T1]). Die Ungewöhnlichkeit ist objektiv zu verstehen. Die Subsumtion hat sich an der Verkehrsüblichkeit beim betreffenden Geschäftstyp zu orientieren. Ein Abstellen auf die subjektive Erkennbarkeit gerade für den anderen Teil ist daher ausgeschlossen (RIS-Justiz

RS0014627).

2.1.2. Entgegen der Ansicht der Klägerin handelt es sich bei der Stornogebührenklausel um keine ungewöhnliche Vertragsbestimmung iSd § 864a ABGB. Sie findet sich an systematisch richtiger Stelle unter der Überschrift „Vertragsrücktritt“. Ein durchschnittlich sorgfältiger Leser kann sie deshalb dort finden, wo sie zu vermuten ist. Die Klausel hält daher der Geltungskontrolle des § 864a ABGB stand (vgl auch

8 Ob 591/90 = RIS-Justiz

RS0014608).

2.2.1. Gemäß § 879 Abs 3 ABGB ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt, nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls einen Teil gröblich benachteiligt. Das dadurch geschaffene bewegliche System berücksichtigt einerseits die objektive Äquivalenzstörung und andererseits die „verdünnte Willensfreiheit“ (RIS-Justiz

RS0016914). § 879 Abs 3 ABGB will vor allem den Missbrauch der Privatautonomie durch Aufdrängen benachteiligender vertraglicher Nebenbestimmungen seitens eines typischerweise überlegenen Vertragspartners, insbesondere bei Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, bekämpfen (RIS-Justiz RS0016914 [T50]).

2.2.2.

Für die Auslegung von Willenserklärungen (hier also der Klausel zwecks Beurteilung, ob sie gröblich benachteiligend iSd § 879 Abs 3 ABGB ist) ist gemäß § 914 ABGB nicht die Vorstellung der Vertragsschließenden maßgeblich, sondern es ist ausgehend vom buchstäblichen Sinn des Ausdrucks die Absicht der Parteien zu erforschen.

Die Auslegung der Erklärung ist am Empfängerhorizont zu messen. Dabei sind die aus der Erklärung abzuleitenden Rechtsfolgen nicht danach zu beurteilen, was der Erklärende sagen wollte oder was der Erklärungsempfänger darunter verstanden hat, sondern wie die Erklärung bei objektiver Beurteilung der Sachlage durch einen redlichen und verständigen Menschen zu verstehen war; es ist also auf konkrete Umstände, namentlich auf den Geschäftszweck und die Interessenlage Bedacht zu nehmen (RIS-Justiz

RS0113932 [T1]). Die maßgeblichen Auslegungskriterien müssen dem Vertrag selbst oder den ihn begleitenden relevanten Umständen zu entnehmen sein (RIS-Justiz RS0113932 [T2, T 5]), wobei immer das Gesamtverhalten der am Vertragsschluss beteiligten Personen und der Zweck der von ihnen abgegebenen Erklärungen zu berücksichtigen ist (RIS-Justiz

RS0017807). Wird eine übereinstimmende abweichende Parteienabsicht nicht festgestellt, so ist bei der Auslegung des Vertrags von dessen Wortlaut auszugehen (RIS-Justiz

RS0017831).

2.2.3. Demgemäß kann es, worin sich im Übrigen auch beide Streitteile einig sind, nach dem objektiven Wortlaut der hier zu beurteilenden Klausel – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – nicht zweifelhaft sein, dass der Beklagten jedenfalls eine Stornogebühr von 20 % des Bruttorechnungsbetrags zusteht; also auch dann, wenn ihr – wie hier – tatsächlich ein (deutlich) geringerer oder sogar gar kein Schaden entstanden ist. Für die vom Berufungsgericht vorgenommene einschränkende Auslegung dieser Klausel iSd § 915 ABGB bleibt daher – angesichts dieses eindeutigen Ergebnisses – kein Raum (RIS-Justiz

RS0109295).

2.2.4.

Durch die Bestimmung des § 879 Abs 3 ABGB wurde ein eine objektive Äquivalenzstörung und „verdünnte Willensfreiheit“ berücksichtigendes bewegliches System geschaffen. Eine gröbliche Benachteiligung ist jedenfalls stets dann anzunehmen, wenn die dem Vertragspartner zugedachte Rechtsposition in auffallendem Missverhältnis zur vergleichbaren Rechtsposition des anderen steht (RIS-Justiz RS0016914 [T4, T 32]).

2.2.5. In diesem Sinn wurde bereits judiziert, dass eine Klausel in AGB, die eine pauschale Stornogebühr von 20 % des Kaufpreises bei unbegründetem Vertragsrücktritt durch den Käufer festlegt, den Verbraucher insbesondere wegen der unangemessenen Höhe der Stornogebühr gröblich benachteiligt und daher nichtig ist (4 Ob 229/13z = RIS-Justiz RS0016914 [T63]). Nichts anderes kann im vorliegenden Fall gelten, zumal der Beklagten nur ein deutlich unter 20 % der Bruttorechnungssumme liegender Schaden entstanden ist.

2.3. Da

eine

geltungserhaltende Reduktion nicht ausgehandelter missbräuchlicher Klauseln im Individualprozess über ein Verbrauchergeschäft aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht mehr in Frage kommt (RIS-Justiz RS0128735), entfällt dieser Vertragspunkt ersatzlos, sodass sich die Frage einer richterlichen Mäßigung der Stornogebühr nicht mehr stellt.

3. Der Beklagten ist grundsätzlich dahin zuzustimmen, dass ihr aufgrund des unberechtigten Vertragsrücktritts der Konsumenten gemäß § 1168 Abs 1 ABGB das vereinbarte Entgelt abzüglich dessen, was sie infolge Unterbleibens der Arbeit erspart oder durch anderweitige Verwendung erworben oder zu erwerben absichtlich versäumt hat, zusteht. Ein diesbezügliches Vorbringen hat die Beklagte allerdings in erster Instanz nicht erstattet, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist.

4. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind deshalb wie aus dem Spruch ersichtlich abzuändern. Die geringfügige Teilabweisung resultiert aus der Differenz zwischen der der Klage zugrunde gelegten und der festgestellten Höhe der von den Konsumenten geleisteten Stornogebühr.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 43 Abs 2, § 54 Abs 1a, § 50 ZPO und § 10 Z 6b RATG. Die Klägerin ist mit ihrem Begehren mit Ausnahme eines ganz geringfügigen Teilbetrags, dessen Abweisung keine besonderen Kosten verursacht hat, durchgedrungen, sodass die Beklagte ihr die Kosten aller drei Instanzen zu ersetzen hat. Gegen das in erster Instanz gelegte Kostenverzeichnis der Klägerin erhob die Beklagte keine Einwendungen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:0030OB00237.16Y.0126.000
Schlagworte:
Wiener Küchenmesse,Gruppe: Konsumentenschutz,Produkthaftungsrecht

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