Suchen Hilfe
OGH vom 11.07.2016, 5Nc12/16h

OGH vom 11.07.2016, 5Nc12/16h

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Höllwerth, die Hofrätin Dr. Grohmann, und die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen G***** S*****, geboren am *****, aufgrund der Vorlage des Akts AZ 59 Pg 115/15b durch das Bezirksgericht Innere Stadt Wien in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Akt wird dem Bezirksgericht Innere Stadt Wien als Vorlagegericht zurückgestellt.

Text

Begründung:

Der Minderjährige wohnt bei seiner Mutter in 117525 Moskau/Russland. Er verfügt über keinen Aufenthalt im Inland. Sein Vater verstarb am . Das Verlassenschaftsverfahren ist zu AZ 3 A 206/13t des Bezirksgerichts Klagenfurt anhängig. Mit Beschluss vom bestellte das Verlassenschaftsgericht für den Minderjährigen einen Kollisionskurator, der seine Tätigkeit als Notariatskandidat im Sprengel des Bezirksgerichts Völkermarkt ausübt. Der Wirkungskreis des Kollisionskurators ist auf das Verlassenschaftsverfahren und mit dessen Dauer beschränkt.

Da die Erben im Verlassenschaftsverfahren ein Erbteilungsübereinkommen abzuschließen beabsichtigen, wurde das Bezirksgericht Innere Stadt Wien um pflegschaftsbehördliche Genehmigung ersucht. Dieses trug dem Kollisionskurator auf mitzuteilen, „inwieweit die erbliche Übertragung bücherlichen Besitzes in Kärnten dem Kindeswohl entspräche, zumal der Minderjährige über keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland verfüge“ und genehmigte mit Beschluss vom das beabsichtigte Erbteilungsübereinkommen pflegschaftsgerichtlich.

Mit weiterem Ersuchen vom legte das Bezirksgericht Klagenfurt das im Verlassenschaftsverfahren am abgeschlossene Übereinkommen dem Bezirksgericht Innere Stadt Wien zur pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung vor.

Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien sprach mit Beschluss vom aus, dass es zur weiteren Führung des Verfahrens nicht zuständig sei und überwies das Verfahren an das Bezirksgericht Völkermarkt. Fehle ein gewöhnlicher Aufenthalt des Minderjährigen im Inland, sei zur Führung des Pflegschaftsverfahrens gemäß § 109 Abs 2 JN jenes Gericht zuständig, in dessen Sprengel der gesetzliche Vertreter des Minderjährigen seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe. Der für den Minderjährigen bestellte Kollisionskurator habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sprengel des Bezirksgerichts Völkermarkt. Die sachliche und örtliche Unzuständigkeit sei gemäß § 44 JN in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen und die Sache an das örtlich oder sachlich zuständige Gericht zu überweisen.

Das Bezirksgericht Völkermarkt verweigerte mit Beschluss vom „die Übernahme der Zuständigkeit gemäß § 111 JN“. Inhaltlich verneinte es seine örtliche Zuständigkeit.

Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien stellte seinen Beschluss vom der Mutter des Minderjährigen und dem Kollisionskurator zu und legte den Akt dem Obersten Gerichtshof nach dessen Rechtskraft zur Entscheidung nach § 111 Abs 2 JN vor.

Rechtliche Beurteilung

1. Voraussetzung für die Übertragung der Zuständigkeit nach § 111 JN ist in formeller Hinsicht, dass das übertragende Gericht ursprünglich zuständig ist ( Fucik in Fasching / Konecny ³ I Einl § 111 JN Rz 2).

2.

D er Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom ist nicht als Übertragungsbeschluss bezeichnet und geht auch nicht von einer Änderung der Anknüpfungspunkte für die örtliche Zuständigkeit aus, sondern spricht unter ausdrücklicher Bezugnahme auf § 44 JN die Unzuständigkeit dieses Gerichts unter gleichzeitiger Überweisung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Völkermarkt aus. Damit liegt ein Überweisungsbeschluss gemäß § 44 JN und nicht ein Übertragungsbeschluss nach § 111 JN vor. Dem Bezirksgericht Völkermarkt kommt keine Befugnis zu, diesem zweifelsfrei erklärten Entscheidungswillen des überweisenden Gerichts eine andere Bedeutung zu geben. Für die von ihm vorgenommene „Umdeutung“ des Überweisungsbeschlusses als Übertragungsbeschluss gemäß § 111 JN besteht keine Rechtsgrundlage (9 Nc 9/11i; 9 Nc 29/14k; vgl auch Schneider in Fasching / Konecny I Einl § 44 JN Rz 29). Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass das Bezirksgericht Innere Stadt Wien den Pflegschaftsakt zur „Entscheidung nach § 111 JN“ an den Obersten Gerichtshof herantrug.

3.

Das Bezirksgericht Völkermarkt hat jedoch ebenfalls formal seine (örtliche) Unzuständigkeit ausgesprochen, indem es die Übernahme der Sache unter Verweis auf seine örtliche Unzuständigkeit ablehnte. Damit liegt ein negativer Kompetenzkonflikt vor.

Die Anrufung des gemeinsam übergeordneten Gerichtshofs in einem negativen Kompetenzkonflikt nach § 47 JN setzt voraus, dass die konkurrierenden Gerichte rechtskräftig ihre Zuständigkeit zur Entscheidung über die selbe Rechtssache abgelehnt haben (RIS Justiz RS0118692; RS0046299 [T1]; Schneider aaO § 47 JN Rz 16). Diese Voraussetzung ist hier nicht gegeben, weil der ebenfalls die Unzuständigkeit in der vorliegenden Pflegschaftssache aussprechende Beschluss des Bezirksgerichts Völkermarkt bisher noch nicht an die Parteien zugestellt wurde.

4. Der Akt ist daher dem vorlegenden Bezirksgericht Innere Stadt Wien zurückzustellen, an das die Sache dem Inhalt nach (zurück )überwiesen wurde. Dieses wird die Zustellung des Beschlusses gemäß § 44 Abs 2 JN vorzunehmen haben.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:0050NC00012.16H.0711.000

Fundstelle(n):
JAAAD-56466