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OGH vom 13.06.1972, 4Ob633/71

OGH vom 13.06.1972, 4Ob633/71

Norm

ABGB § 786;

HfD 27. 3. 1847 JGS 1051 §??;

Kopf

SZ 45/68

Spruch

Weder aus § 786 ABGB noch aus dem HfD 27. 3. 1647 JGS 1051 läßt sich ableiten, daß der Noterbe nicht berechtigt wäre, die Früchte des Nachlaßvermögens nur für einen bestimmten und nicht für den gesamten zwischen dem Todestag des Erblassers und der wirklichen Zuteilung des Pflichtteils liegenden Zeitraum zu verlangen. Daß etwa nach diesem Zeitraum bis zur wirklichen Zuteilung Verluste eingetreten seien, muß der beklagte Erbe behaupten und beweisen

(OLG Wien 7 R 41/71; KG Wr Neustadt 1 Cg 608/70)

Text

Die Streitteile sind Geschwister. Ihre Mutter Leopoldine L ist am gestorben. Die Verlassenschaft wurde dem Beklagten auf Grund des Testamentes vom als Alleinerben eingeantwortet. Die Klägerin ist pflichtteilsberechtigt. Sie hatte bereits am zu 1 Cg 472/69 des Erstgerichtes eine Klage gegen den Beklagten eingebracht, mit der sie eine Pflichtteilsforderung in der Höhe von S 362.630.98 samt Zinsen geltend machte, von welchem Betrag der Beklagte am S 150.000.- bezahlte, worauf die Klägerin ihr Begehren entsprechend einschränkte. Das Erstgericht schloß die Verwandlung am und erkannte der Klägerin mit Teilurteil vom einen Betrag von S 197.898.- zu. Die Berufung des Beklagten hatte keinen Erfolg; seine Revision wurde als verspätet zurückgewiesen.

Mit der vorliegenden, am eingebrachten Klage begehrt die Klägerin einen Betrag von S 30.000.- samt 5% Zinsen ab Klagstag mit der Begründung, der Beklagte habe aus dem ihm im Erbweg zugefallenen Unternehmen in der Zeit vom Jänner bis Oktober 1967 einen Reingewinn von S 90.316- erzielt, sodaß auf den Monat rund S 9000.- fielen und ein Jahresgewinn von mindestens S 110.000.- anzunehmen sei. Da eine wirkliche Zuteilung des Pflichtteils iS des § 786 ABGB noch nicht erfolgt sei, gebühre ihr für die Monate November und Dezember 1967 und für das Kalenderjahr 1968, dem Ausmaß ihres Pflichtteils entsprechend, ein Viertel des in diesem Zeitraum erzielten Reingewinns, demnach mindestens S 30.000.-.

Der Beklagte wendete ein, der Pflichtteilsanspruch der Klägerin sei durch die Bezahlung des Betrages von S 150.000.- befriedigt worden. Er bestritt die Höhe des behaupteten Jahresgewinnes des Unternehmens und erklärte, die Beweisführung hierüber der Klägerin zu überlassen. Im übrigen könne er zur Vorlage der Bilanz nicht verhalten werden, weil er mit dem im Lauf des zu 1 Cg 472/69 des Erstgerichtes anhängigen Rechtsstreites ergangenen Teilanerkenntnisurteil verpflichtet worden sei, erst binnen 14 Tagen nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung über das dortige Leistungsbegehren für die Zeit ab Rechnung zu legen.

Das Erstgericht erkannte den Beklagten schuldig, der Klägerin den Betrag von S 30.000.- samt 4% Zinsen seit zu bezahlen; das Mehrbegehren von 1% Zinsen wies es ab.

Es stellte fest, daß das Unternehmen des Beklagten in der Zeit vom 1. 1. bis einen Reingewinn von S 90.316.- abgeworfen habe, und leitete daraus im Hinblick auf die Verweigerung der Vorlage der Folgebilanzen durch den Beklagten in Anwendung des § 307 Abs 2 ZPO für den Klagszeitraum einen Reingewinn von S 124.334.95 ab. Es stellte ferner fest, daß der von der Schwester der Streitteile, Gottfriede G, erklärte Erbsverzicht nicht zugunsten einer bestimmten Person, also des Beklagten, sondern allgemein erfolgt und von der Erblasserin auch angenommen worden sei. Dieser Erbverzicht komme daher sowohl dem Beklagten als auch dem Pflichtteilsanteil der Klägerin zugute, sodaß ihr ein Viertel des reinen Nachlasses gebühre. Nach § 786 ABGB stehe der Klägerin somit für den vor der wirklichen Zuteilung des Pflichtteils liegenden Zeitraum ein Viertelanteil an den Früchten des bis dahin gemeinsamen Unternehmens zu.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil.

Es erachtete die Berufungsgrunde der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen Beweiswürdigung für nicht gegeben und schloß sich der rechtlichen Beurteilung durch das Erstgericht an. Aus der Bestimmung des § 786 ABGB ergebe sich im Zusammenhalt mit dem Hofdekret vom 27. 3. 1847, JGS 1051, daß Gewinn und Nachteil, die den Nachlaß in der Zeit zwischen dem Todestag des Erblassers und der wirklichen Zuteilung des Pflichtteils treffen, bei der Pflichtteilsberechnung zu berücksichtigen seien. Unter der wirklichen Zuteilung könne nur die Beendigung des Gemeinschaftsverhältnisses zwischen den Erben und den Pflichtteilsberechtigten iS der für die Teilung gemeinsamer Sachen bestehenden Grundsätze verstanden werden. Wirkliche Zuteilung sei deshalb nicht gleichbedeutend mit der Ausschüttung des Pflichtteils, aber auch nicht mit dem Tod des Erblassers oder mit der Einantwortung an den Erben, sondern mit der endgültigen Festsetzung dessen, was dem Pflichtteilsberechtigten wirklich aus dem Nachlaß gebühre, also mit der ziffernmäßigen Feststellung des Pflichtteils durch gerichtliche Entscheidung oder Vergleich. Die gewerberechtliche Behandlung der Fortführung des Unternehmens habe mit dem im Gesetz bestimmten Recht des Noterben nichts zu tun. Dem Berufungswerber wäre bloß das Recht zugestanden, den Anspruch einschränkende oder gar aufhebende Verluste für die folgende, von der Klage noch nicht erfaßte Zeit bis zur wirklichen Zuteilung einzuwenden. Ein derartiges Vorbringen habe er unterlassen. Auf Grund des unbestrittenen Wortlauts der notariellen Erbverzichtserklärung der Schwester der Parteien ergebe sich kein Hinweis auf eine einseitige Begünstigung des Beklagten. Auch gegen das Ausmaß des Klagsanspruches ergäben sich keine Bedenken.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Beklagte will die Bestimmung des Hofdekretes vom 27. 3. 1847 dahin ausgelegt wissen, daß einerseits der gesamte Nachlaß als gemeinschaftliches Gut zwischen Erben und Noterben anzusehen, nicht aber einzelne Nachlaßbestandteile gesondert zu beurteilen seien, und daß anderseits sich der verhältnismäßige Anteil an Gewinn und Verlust des Nachlasses nur auf die gesamte Periode zwischen Todesfall und Zuteilung beziehen könne, nicht jedoch auf einzelne Abschnitte innerhalb dieser Periode, sodaß dem Noterben lediglich ein verhältnismäßiger Anteil am Mehrwert der gesamten Verlassenschaft zum Zeitpunkt der Zuteilung gegenüber dem Todestag gebühre.

Wohl sind bei Berechnung des Gewinnes oder Verlustes die Wertveränderungen des gesamten Nachlasses zu berücksichtigen, doch hat der Beklagte im Verfahren vor dem Erstgericht nicht behauptet, daß sich bei den übrigen Nachlaßgegenständen eine Veränderung in Form eines Verlustes ergeben habe. Er behauptet dies nicht einmal in der Revision, sondern bezeichnet eine derartige Veränderung nur als denkbar. Es lag für das Gericht also kein Grund vor, bei der Feststellung der von der Klägerin behaupteten Wertveränderung des Unternehmens auch andere Nachlaßgegenstände heranzuziehen. Auch wurde vom Beklagten nicht behauptet, daß sich nach dem von der Klage umfaßten Zeitraum weitere Wertveränderungen ergeben hätten, worauf das Berufungsgericht ausdrücklich hingewiesen hat.

Weder aus dem § 786 ABGB noch aus dem genannten Hofdekret läßt sich ableiten, daß der Noterbe nicht berechtigt wäre, die Früchte des Nachlaßvermögens nur für einen bestimmten und nicht für den gesamten zwischen dem Todestag und der wirklichen Zuteilung des Pflichtteils liegenden Zeitraum zu verlangen. Hätte der Wert des Unternehmens bis zum Ende dieses Zeitraums tatsächlich eine Einbuße erlitten, wäre es, wie bereits erwähnt, Sache des Erben gewesen, diese Tatsache dem Anspruch entgegenzusetzen. Auch mit der Behauptung, im vorliegenden Fall sei weder der Zeitpunkt der wirklichen Zuteilung noch das ziffernmäßige Ausmaß des Pflichtteilsanspruches der Klägerin festgestanden, kann der Beklagte nicht durchdringen. Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist der auf die Bestimmung des § 786 ABGB gegrundete Anspruch auf einen Gewinn des bis zur wirklichen Zuteilung des Pflichtteils als gemeinschaftliches Gut zu behandelnden Unternehmens. Daß der Pflichtteil der Klägerin ein Viertel des Nachlasses beträgt, wurde im vorliegenden Verfahren festgestellt. Weder dem Bestand noch der Fälligkeit der Forderung steht die Tatsache entgegen, daß nur der auf den Zeitraum vom Todestag bis zum entfallende Gewinn begehrt wird; daß dieser etwa durch später sich ergebende Verluste eine Veränderung erfahren hätte, wurde, wie bereits oben ausgeführt, nicht behauptet.