OGH vom 27.08.1992, 6Ob19/92
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr. Zehetner, Dr. Kellner und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Firmenbuchsache betreffend die in dem vom Kreisgericht Leoben geführten Firmenbuch unter HRB 325/Leoben eingetragene H*****Gesellschaft mbH mit dem Sitz in N*****, wegen der durch den Geschäftsführer Ewald H*****, zur Eintragung angemeldeten Sitzverlegung infolge Revisionsrekurses der eingetragenen Gesellschaft, vertreten durch Dr. Karl Heinz Fibrich, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, gegen den zum Beschluß des Kreisgerichtes Leoben vom , HRB 325/Leoben-32, ergangenen rekursgerichtlichen Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz vom , AZ 1 R 92/92 /(ON 35), den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird stattgegeben. Der angefochtene Beschluß sowie der erstinstanzliche Beschluß werden aufgehoben. Dem Firmenbuchgericht wird die Fortsetzung des Verfahrens über die Anmeldung der Sitzverlegung aufgetragen.
Die Anträge auf Zuspruch von Rechtsmittelkosten werden abgewiesen.
Text
Begründung:
Die im November 1986 gegründete Gesellschaft mbH hat ihren gesellschaftsvertraglichen Sitz in einem steiermärkischen Ort. In der außerordentlichen Generalversammlung vom faßten die anwesenden fünf von insgesamt sechs mit gleich hohen Stammeinlagen beteiligten Gesellschafter einhellig den notariell beurkundeten Satzungsänderungsbeschluß, den Sitz der Gesellschaft vom steiermärkischen Ort in einen Kärntner Ort zu verlegen. Dieser neue Ort wird in der geänderten Satzung nicht mit dem Namen der politischen Gemeinde, in dem er gelegen ist, sondern mit dem Namen eines Dorfes in dieser Gemeinde bezeichnet.
Diese Satzungsänderung meldete der Geschäftsführer zur Eintragung in das Firmenbuch an. Die eingetragene Gesellschaft ist noch nicht zur Gänze in die Datenbank des Firmenbuches übertragen (Art XXIII Abs 11 FBG).
Das Firmenbuchgericht forderte den anwaltlichen Vertreter der eingetragenen Gesellschaft zur Verbesserung der Anmeldung hinsichtlich der Bezeichnung des neuen Sitzortes mit der Begründung auf, daß der Gesellschaftssitz grundsätzlich mit dem Namen einer politischen Gemeinde zu bezeichnen sei. Innerhalb der gesetzlichen vierwöchigen Frist erfolgte keine Verbesserung.
Hierauf wies das Firmenbuchgericht den Antrag auf Eintragung der Sitzverlegung ab.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Dazu sprach es aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.
Das Rekursgericht teilte unter Zitierung österreichischer und deutscher Kommentarmeinungen die erstgerichtliche Ansicht, daß der Sitz einer Gesellschaft mbH im Gesellschaftsvertrag keinesfalls nur mit dem Namen einer kleineren Gebietseinheit als einer politischen Gemeinde bezeichnet werden dürfe, weil anderenfalls der Firmenausschließlichkeitsschutz im Sinne des § 30 HGB unangemessen eingeschränkt würde.
Die eingetragene Gesellschaft ficht die bestätigende Rekursentscheidung wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit einem auf "Ausspruch" der angemeldeten Sitzverlegung zielenden Abänderungsantrag und einem hilfsweise gestellten Aufhebungsantrag an.
Rechtliche Beurteilung
Eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage der gesetzmäßigen örtlichen Bezeichnung des Gesellschaftssitzes fehlt. Der Revisionsrekurs ist daher im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG zulässig. Das Rechtsmittel ist aber auch berechtigt.
Die Bestimmung des Gesellschaftssitzes ist notwendiger Bestandteil der Satzung. Das Gesetz enthält keine ausdrückliche Regelung darüber, in welcher Weise dieser Sitz zu bezeichnen ist. Als einzige gesetzliche Beschränkung in der Wahl des Gesellschaftssitzes ordnet § 5 Abs 4 GmbHG an, daß als Sitz der Gesellschaft nur "ein Ort im Inlande" bestimmt werden könne.
Im Sinne einer Ausführung des deutschen Reichsgerichtes im Zusammenhang mit der Auslegung der Ortsbezeichnung (Berlin) über die Stadtgrenzen hinaus in der Entscheidung vom , RGZ 59, 106 und einer beiläufigen Bemerkung des deutschen Reichsgerichtes bei Erörterung des allgemeinen Gerichtsstandes einer natürlichen Person mit dem Wohnsitz in einer in mehreren Amtsgerichtssprengel aufgeteilten Großstadt (Berlin) in der Entscheidung vom , RGZ 67, 101 vertritt die herrschende Lehre in Deutschland, daß als Sitz eine bestimmte politische Gemeinde (oder ein Gemeindebezirk) zu bezeichnen sei (Rittner in Rowedder GmbHG2 § 3 Rz 7); notwendig sei die Angabe einer bestimmten Gemeinde, die zusätzliche Angabe eines Gemeindeteiles mit eigenem Namen schade aber nicht (Hueck in Baumbach/Hueck GmbHG15, § 3 Rz 5); als Sitz komme (wegen der erforderlichen Bestimmtheit) nur eine "bestimmte Gemeinde" in Betracht (Ulmer in Hachenburg GmbHG7 § 3 Rz 10); Sitz bedeute Bestimmung der Gemeinde (Lutter/Hammelhoff GmbHG13 § 3 Rz 3); als Sitz könne nur ein bestimmter Ort im Sinne einer politischen Gemeinde bestimmt werden (Scholz GmbHG7 § 3 Rz 6); der Gesellschaftsvertrag habe einen Ort, dh eine bestimmte Gemeinde, als statutarischen Sitz festzulegen (Roth GmbHG2 § 3 Punkt 2.2.1; ähnlich auch zB Meyer-Landrut in Sammlung Guttenberg GmbHG § 3 Rz 7 oder Bartl/Henkes/Schlarb GmbH-Recht3 § 3 Rz 32).
In der österreichischen Kommentarliteratur folgen Gellis (Komm2 § 4 Anm 2) und Kostner (GmbH3 21) sowie Wünsch (Komm § 4 Rz 5) der herrschenden deutschen Auffassung.
Im § 30 HGB werden die Begriffe "Ort" und "Gemeinde" nebeneinander mit offensichtlich unterschiedlichen Begriffsinhalten gebraucht.
Bedeutung gewinnt der satzungsgemäße Sitz einer Kapitalgesellschaft für die örtliche Behördenzuständigkeit (zB §§ 75 und 120 JN), den Tagungsort der Generalversammlung (§ 36 Abs 1 GmbHG) sowie den Firmenausschließlichkeitsbereich (§ 30 HGB).
Danach ist zu prüfen, ob als ausreichend bestimmte Ortsbezeichnung des Gesellschaftssitzes nur der Name einer politischen Gemeinde oder etwa auch eine im Verkehr übliche Bezeichnung eines kleineren Gebietes innerhalb der politischen Gemeinde gewählt werden kann.
Für die Behördenzuständigkeit würde der Gebrauch einer Ortsbezeichnung für einen engeren Gebietsumfang als den der politischen Gemeinde keinerlei Unklarheit bedeuten, weil es nur auf die Lage des Ortes im Behördensprengel ankommt. Der zulässige Bereich für den Tagungsort der Generalversammlung würde durch die Wahl der Ortsbezeichnung für den engeren Bereich zwar eingeschränkt; dies könnte aber in der Satzung auch durch eine ausdrückliche Regelung erreicht werden. Für den Firmenausschließlichkeitsbereich hätte aber die Sitzbezeichnung mit dem Namen der kleineren Gebietseinheit keine räumliche Einschränkung zur Folge, weil auch in einem solchen Fall der Firmenausschließlichkeitsbereich jedenfalls die ganze politische Gemeinde erfaßt, in deren Gebiet der satzungsgemäße Gesellschaftssitz liegt (arg: "an demselben Ort oder in derselben Gemeinde"; vgl zB Hüffer in Großkomm HGB4 § 30 Rz 5).
Es besteht daher kein Hindernis, den Sitz der Gesellschaft nur mit einer nach der Verkehrsauffassung als eindeutig anzuerkennenden Ortsbezeichnung zu bestimmen, auch wenn es sich dabei nicht um den Namen einer politischen Gemeinde, sondern etwa nur um den Namen einer Ortschaft innerhalb des Gemeindegebietes handelt.
Die zu fordernde Eindeutigkeit der Ortsbezeichnung ist zu bejahen, wenn sie sich - wie im vorliegenden Fall - auf ein eigenes Siedlungsgebiet (mit einem gleichlautend benannten Postamtssprengel) bezieht.
In Stattgebung des Revisionsrekurses waren daher die Beschlüsse beider Vorinstanzen aufzuheben und dem Gericht erster Instanz die Fortsetzung des Verfahrens nach § 13 c (alt) HGB aufzutragen.
Der Antrag auf Zuspruch von Rechtsmittelkosten war abzuweisen, weil im Verfahren nach dem Firmenbuchgesetz (AußStrG) ein Kostenersatz (wem gegenüber?) nicht vorgesehen ist.