OGH vom 15.02.2006, 7Ob289/05h
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Gitschthaler als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Marie-Therese H*****, geboren am *****, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie-Rechtsfürsorge für den 14., 15. und 16. Bezirk, 1150 Wien, Gasgasse 8-10, Eltern: Alice H*****, und Karl F*****, über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichtes St. Pölten als Rekursgericht vom , GZ 23 R 233/05w-20, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Purkersdorf vom , GZ 1 P 107/05d-10, abgeändert wurde, den Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Text
Begründung:
Der Vater verpflichtete sich im Scheidungsvergleich vom nach § 55a EheG dazu, für die Minderjährige einen monatlichen Unterhaltsbetrag von umgerechnet EUR 181,68 zu bezahlen. Erstmals mit Beschluss vom wurden der Minderjährigen Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG bewilligt, die in der Folge weiter gewährt wurden. Der Unterhaltstitel wurde nie erhöht. Am beantragte der Vater eine Unterhaltsherabsetzung, weil über sein Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden sei. Dieser Antrag wurde im Hinblick auf die Rechtsprechung, dass die Konkurseröffnung auf die Unterhaltsbemessungsgrundlage keinen Einfluss habe, abgewiesen. Die vorhin verfügte vorläufige Innehaltung der Unterhaltsvorschüsse wurde mit Beschluss vom aufgehoben. Am selben Tag wurde auch der Beschluss auf Weitergewährung der Unterhaltsvorschüsse gefasst, der in Rechtskraft erwuchs. Das Schuldenregulierungsverfahren war damals bereits aufgehoben und das Amt des Masseverwalters für beendet erklärt worden. Der Zahlungsplan mit einer Quote von 60 %, zahlbar in 14 gleich hohen Halbjahresraten, die erste beginnend sechs Monate ab Annahme des Zahlungsplanes bei einer Nachfrist von 14 Tagen, wurde angenommen.
Nach Übertragung der Zuständigkeit an das Erstgericht gelangte ihm aus Anlass eines Unterhaltserhöhungsantrages der Minderjährigen das Schuldenregulierungsverfahren zur Kenntnis. Es nahm amtswegig telefonische Erhebungen vor und stellte fest, dass der Vater zur Zeit ein monatliches Einkommen von EUR 818 netto, aber keine Sonderzahlungen beziehe. Die halbjährliche Zahlungsverpflichtung des Vaters laut Zahlungsplan betrage EUR 2.152,86, sohin monatlich EUR 358,81. Der Vater sei bei einem Taxiunternehmen (unselbständig) beschäftigt.
Das Erstgericht stellte von Amts wegen die Auszahlung der Unterhaltsvorschüsse gemäß § 20 UVG mit Ablauf des Monats Juni 2005 ein. Im Zuge der Erhebungen anlässlich der Antragstellung auf Unterhaltserhöhung durch die Minderjährige sei dem Gericht bekannt geworden, dass hinsichtlich des Vaters ein Schuldenregulierungsverfahren anhängig gewesen und der Zahlungsplan bestätigt worden sei. Gemäß der ständigen Rechtsprechung ändere sich dadurch die Unterhaltsbemessungsgrundlage. Die danach zurückzuzahlenden Schulden seien grundsätzlich als außergewöhnliche Belastung von der Unterhaltsbemessungsgrundlage abzugsfähig, diene doch der Zahlungsplan gerade dazu, die Arbeitskraft und Leistungfähigkeit des Unterhaltspflichtigen nach dessen Erfüllung wiederherzustellen. Nach Abzug der Zahlungsverpflichtung aufgrund des Zahlungsplanes verbleibe dem Vater ein monatliches Einkommen von EUR 459,18, womit er gerade in der Lage sei, seine eigenen Bedürfnisse zu decken und seine Arbeitskraft zu erhalten. Die Unterhaltsvorschüsse seien daher infolge begründeter Bedenken bezüglich der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners gemäß § 20 UVG einzustellen.
Das Rekursgericht änderte den angefochtenen Beschluss dahin ab, dass es ihn ersatzlos behob. Der Privatkonkurs des Unterhaltsschuldners und dessen Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit seien zwar bereits Gegenstand im Verfahren auf Bemessung der Höhe des Unterhalts gewesen, allerdings habe sich die Sachlage insoferne geändert, als der Vater ein neues Beschäftigungsverhältnis eingegangen sei und er nunmehr einer wesentlich schlechter bezahlten Beschäftigung nachgehe. Überdies habe sich die Rechtsprechung zur Frage der Berücksichtigung eines Privatkonkurses bei der Bemessung der Unterhaltsverpflichtung geändert. Es könne daher bei der vorliegenden Entscheidung die geänderte Rechtsprechung zugrunde gelegt werden. Nach der neuen Judikaturlinie sei davon auszugehen, dass die laut Zahlungsplan zurückzuzahlenden Schulden grundsätzlich als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig seien, diene doch der Zahlungsplan gerade dazu, die Arbeitskraft und Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen nach dessen Erfüllung wiederherzustellen. Der vorliegende Fall unterscheide sich jedoch dadurch, dass der Zahlungsplan angenommen und das Schuldenregulierungsverfahren aufgehoben worden sei. Die Beschränkung des § 187 Abs 1 Z 5 KO, auf die sich die Argumentation des Obersten Gerichtshofs in der Entscheidung 1 Ob 86/04k gestützt habe, sei damit weggefallen. Ab Aufhebung des Konkurses erlange der Unterhaltspflichtige wieder die volle Verfügungsbefugnis über sein Vermögen. Es stehe ihm daher wiederum frei, wie er über welche Einkommensteile verfüge. Er werde in der Erfüllung des Zahlungsplans weder unterstützt noch überwacht. Damit trete aber im Ergebnis wieder jene Situation ein, wie sie vor Eröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens gegeben gewesen sei. Behauptungen dahingehend, dass es sich bei den Schulden, die zur Einleitung des Schuldenregulierungsverfahrens geführt hätten, um solche gehandelt habe, die nach der Rechtsprechung bei der Unterhaltsbemessung zu berücksichtigen wären, seien bislang nicht aufgestellt worden. Es sei die Leistungsverpflichtung laut Zahlungsplan nicht vom Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen in Abzug zu bringen, da damit außer Acht gelassen werde, dass dem Unterhaltsschuldner ja die Möglichkeit offenstehe, eine Änderung des Zahlungsplans oder die Einleitung des Abschöpfungsverfahrens in die Wege zu leiten. Ein solches Vorgehen wäre von einem pflichtbewussten Unterhaltsschuldner auch zu verlangen. Es gehe nicht an, dass der Unterhaltsschuldner den Zahlungsplan trotz geänderter wirtschaftlicher Verhältnisse wie bisher weiter erfülle und dadurch zu Lasten des Unterhaltsberechtigten eine Schuldenbefreiung herbeiführe. Es sei daher weiterhin zumindest von der Differenz zwischen dem allgemeinen Existenzminimum und dem Unterhaltsexistenzminimum als für die Befriedigung der Unterhaltsansprüche heranzuziehenden Einkommensteil auszugehen. Für das allgemeine Existenzminimum sei die Tabelle 1bm, für das Unterhaltsexistenzminimum die Tabelle 2bm (jeweils monatlicher Bezug ohne Sonderzahlungen) der Existenzminimumtabelle heranzuziehen. Aus der Tabelle 1bm ergebe sich das Existenzminimum für allgemeine Forderungen und für Schuldner, die eine Sorgepflicht zu erfüllen hätten. Der gesamte Betrag bei einem Einkommen zwischen EUR 800 und EUR 819,99 sei unpfändbar. Nach der Tabelle 2bm ergebe sich hingegen als Unterhaltsexistenzminimum für einen Unterhaltsschuldner, der keine (weiteren) Sorgepflichten zu erfüllen habe, ein Betrag von EUR 585,83. In der Differenz von EUR 232,17 finde die bisher titelmäßig festgesetzte Unterhaltsverpflichtung des Unterhaltsschuldners zur Gänze Deckung. Würde man darüber hinaus die im Taxigewerbe üblicherweise anfallenden Trinkgelder von durchschnittlich monatlich EUR 1.000 netto hinzuzählen, ergäbe sich nach der Tabelle 1bm ein unpfändbarer Betrag bei einer Sorgepflicht von EUR 953, nach der Tabelle 2bm für Unterhaltsschuldner hingegen ein Existenzminimum von EUR 630,83, sohin eine Differenz von EUR 312,17. In jedem Fall sei die bisher titelmäßig festgesetzte Unterhaltsverpflichtung des Vaters gedeckt.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei, da keine Rechtsprechung dazu vorliege, inwiefern die rechtskräftige Entscheidung im Unterhalts- bzw Unterhaltsvorschussverfahren zu berücksichtigen sei und ob die Differenz zwischen allgemeinem Existenzminimum und Unterhaltsexistenzminimum für den Unterhaltberechtigten heranzuziehen sei. Es sei auch noch nicht dazu Stellung genommen worden, wie Leistungen aufgrund des Zahlungsplanes berücksichtigt werden müssten, wenn sich mittlerweile die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners aufgrund einer Änderung seines Beschäftigungsverhältnisses verringert habe und damit die im Zahlungsplan vorgesehenen Raten nachträglich unangemessen hoch geworden seien.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Bundes, der im Sinne einer Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen berechtigt ist. Gemäß § 19 Abs 1 und § 20 Abs 1 Z 4 lit b UVG sind die Unterhaltsvorschüsse herabzusetzen oder einzustellen, wenn nach § 7 Abs 1 UVG die Vorschüsse teilweise oder zur Gänze zu versagen sind. Dies ist nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG dann der Fall, wenn in den Fällen der §§ 3, 4 Z 1 und 4 UVG begründete Bedenken bestehen, dass die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht (noch) besteht oder, der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend, zu hoch festgesetzt ist. Der aufgrund eines Exekutionstitels gewährte Vorschuss soll damit der jeweiligen materiellrechtlichen Unterhaltspflicht entsprechen. § 7 Abs 1 UVG soll vor allem einer missbräuchlichen Inanspruchnahme von Unterhaltsvorschüssen vorbeugen (3 Ob 257/05y mwN).
Grundsätzlich können Umstände, die bei der Beschlussfassung über die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen bereits bekannt waren, nicht als Grund für eine Herabsetzung oder Einstellung der Unterhaltsvorschüsse nach §§ 19, 20 UVG herangezogen werden. Dem steht die Rechtskraft des Vorschussgewährungsbeschlusses entgegen (vgl 2 Ob 215/02k; EFSlg 49.156; Neumayr in Schwimann, Komm z ABGB2, § 19 UVG Rz 4). Sowohl eine Änderung der Gesetzeslage als auch eine tiefgreifende Änderung der bisherigen, den Unterhaltstitel bestimmenden Rechtsprechungsgrundsätze sind aber einer geänderten Sachlage gleichzuhalten, die eine neue Festsetzung des Unterhalts rechtfertigt (8 Ob 139/03d mwN; RIS-Justiz RS00473998). Die Frage, ob auf Grund des Schuldenregulierungsverfahrens eine Einstellung oder Herabsetzung im Sinne des §§ 19, 20 UVG iVm § 7 Abs 1 Z 1 UVG zu erfolgen hat, ist daher infolge des Judikaturwandels ungeachtet dessen zu prüfen, dass dieser Umstand schon bei der Beschlussfassung über die Weitergewährung der Vorschüsse bekannt war, sich aber wegen der damaligen Judikatur auf die Unterhaltsbemessung nicht auswirkte. Die Vorinstanzen haben zutreffend erkannt, dass nach der nunmehrigen Judikaturlinie schon durch die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Unterhaltspflichtigen - dem die Eröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens gleichzuhalten ist - begründete Bedenken im Sinne des § 7 Abs 1 Z 1 UVG dahin bestehen, dass eine titelmäßig festgestellte Leistungspflicht von der materiellen Rechtslage abweicht, hat doch der Schuldner danach für sich und jene Personen, die ihm gegenüber einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch haben, nur mehr Anspruch auf Überlassung der für eine bescheidene Lebensführung erforderlichen Mittel (1 Ob 242/02y, 3 Ob 1/05a). Die Unterhaltsbemessungsgrundlage wird aufgrund des im Schuldenregulierungsverfahren festgelegten Zahlungsplanes verändert. Die danach zurückzuzahlenden Schulden sind grundsätzlich als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig, dient doch der Zahlungsplan gerade dazu, die Arbeitskraft und Leistungfähigkeit des Unterhaltspflichtigen nach seiner Erfüllung wiederherzustellen (1 Ob 86/04k, 1 Ob 176/04w, 7 Ob 279/05p).
Das Prüfungserfordernis für das Fortbestehen einer im Exekutionstitel festgesetzten Unterhaltspflicht gemäß § 7 Abs 1 Z 1 UVG geht zwar nicht soweit, wie dies für das Verfahren zur Festsetzung einer Unterhaltspflicht gilt (vgl 2 Ob 160/02x mwN). „Begründete Bedenken" können auch schon nach der Aktenlage bestehen. Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht nach Kenntnis vom Schuldenregulierungsverfahren von Amts wegen telefonische Erhebungen zur Höhe des monatlichen Einkommens des Vaters gepflogen. Nach der Aktenlage hat sich demnach das Einkommen des Vaters gegenüber dem während des Schuldenregulierungsverfahrens erzielten verringert. Zudem sind die Zahlungen laut Zahlungsplan - wie dargelegt - von der Bemessungsgrundlage in Abzug zu bringen. Ob eine Herabsetzung (oder Einstellung) der Vorschüsse im Sinne der zitierten Bestimmungen des UVG gerechtfertigt ist, lässt sich aber noch nicht abschließend beurteilen, weil die Unterhaltsbemessungsgrundlage noch nicht ausreichend abgeklärt ist. Es bleibt nicht nur die Frage der Trinkgelder offen - worauf schon das Rekursgericht verwies -, sondern auch, ob der Unterhaltspflichtige allenfalls nach den noch zu erhebenden Umständen auf ein höheres Einkommen anzuspannen ist. Für die Beurteilung nach Ergänzung der Sachverhaltsgrundlage sei auch noch Folgendes ausgeführt:
Das den Unterhaltspflichtigen betreffende Schuldenregulierungsverfahren wurde bereits im Jahr 2001 aufgehoben, also schon vor Beginn des verfahrensgegenständlichen Zeitraums (Juni 2005). Mit Rechtskraft der Aufhebung fallen die mit diesem Verfahren verbundenen Beschränkungen der Rechtsstellung des Schuldners weg. Er wird wieder voll verfügungsfähig. Es gelten auch für die Unterhaltsbemessung die allgemeinen Regelungen wieder uneingeschränkt. Ein Grund, die unterhaltsberechtigten Kinder an diesem (um die Zahlungen laut Zahlungsplan verminderten) Einkommen nicht im Rahmen der sogenannten „Prozentkomponente" teilhaben zu lassen, sondern sie mit ihren Ansprüchen auf die Differenz zwischen dem Existenzminimum und dem Unterhaltsexistenzminimum einzuschränken, ist nicht ersichtlich (1 Ob 186/05t; vgl Schwimann/Kolmasch, aaO, 53; EF 65.230).
Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben.