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OGH vom 07.07.2017, 6Ob18/17s

OGH vom 07.07.2017, 6Ob18/17s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** N*****, vertreten durch Aigner Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei V***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dorda Brugger Jordis Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 18.500 EUR sA, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 15 R 157/16t-18, womit über Rekurs der klagenden Partei der Beschluss des Landesgerichts Korneuburg vom , GZ 6 Cg 19/16y-14, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 871,20 EUR bestimmten Kosten des Rekursverfahrens sowie die mit 1.040,40 EUR bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrt Schadenersatz in Höhe von 18.500 EUR sA. Er habe am Aktien der Beklagten weit über dem wahren Börsenpreis erworben, weil die Beklagte als Emittentin fundamentale Informationen zur Preisbildung verschwiegen habe. Sie habe bereits 2009 begonnen, die Software der von ihr hergestellten Dieselfahrzeuge vorsätzlich zu manipulieren und damit die Kunden über die Einhaltung der gesetzlichen Abgasnormen getäuscht. Trotz dieser für den Börsekurs maßgeblichen Risiken habe sie das Anlegerpublikum über diese Umstände nicht zeitgerecht informiert. Das stelle einen Verstoß gegen die Verpflichtung zur AdhocPublizität gemäß § 15 Abs 1 dWpHG dar. Der Schaden des Klägers ergebe sich daraus, dass er bei Kenntnis der von der Beklagten verschwiegenen Umstände alternativ in andere deutsche Industrieaktien investiert hätte.

Zur internationalen (und örtlichen) Zuständigkeit brachte der Kläger zusammengefasst vor, die Beklagte habe ihren Sitz in Deutschland, weshalb die Vorschriften der VO (EU) Nr 1215/2012 (EuGVVO) anzuwenden seien. Sein Anspruch sei deliktischer Natur, entspringe aber einer vertraglichen Beziehung. Der Schaden sei unmittelbar auf seinem Konto, somit an seinem Wohnsitz eingetreten, sodass gemäß Art 7 Nr 2 leg cit das (zunächst angerufene) Bezirksgericht Korneuburg zuständig sei. Die Verletzung von Publizitätsvorschriften durch den Emittenten eines Finanzinstruments/Wertpapiers stelle nach der Rechtsprechung des EuGH eine „unerlaubte Handlung“ im Sinne dieser Bestimmung dar. Die von der Beklagten eingewandte Gerichtsstandsvereinbarung sei gemäß § 25 Abs 4 EuGVVO [2012] unwirksam, weil eine Verbrauchersache nach Art 17 Abs 1 EuGVVO [2012] vorliege. Sie sei auch sittenwidrig nach § 879 ABGB bzw § 138 dBGB und damit „materiell nichtig“ iSd Art 25 Abs 1 erster Satz EuGVVO [2012], weil sie insbesondere „Neuaktionäre“ aus dem Ausland unsachlich und missbräuchlich benachteilige. Abgesehen davon seien Vorsatztaten im Zweifel nicht von Gerichtsstandsvereinbarungen erfasst.

Die Beklagte erhob die Einreden der internationalen und örtlichen Unzuständigkeit und bestritt das Klagebegehren inhaltlich. In ihrer Satzung sei eine Gerichtsstandsvereinbarung enthalten, die für Ansprüche aus unterlassener Kapitalmarktinformation den ausschließlichen Gerichtsstand am Sitz der Gesellschaft, somit am Landgericht Braunschweig, vorsehe. Mangels Vorliegens eines Verbrauchervertrags iSd Art 17 EuGVVO [2012] sei diese Gerichtsstandsvereinbarung zulässig. Die Voraussetzungen für den vom Kläger herangezogenen Deliktsgerichtsstand in Österreich lägen nicht vor, weil der Handlungsort in Deutschland liege und der behauptete Schaden am Bankkonto des Klägers nur einen Folgeschaden darstelle, auf den es nicht ankomme. Schließlich sehe auch § 32b dZPO eine ausschließliche Zuständigkeit deutscher Gerichte am Sitz des Emittenten für Streitigkeiten aus unterlassenen öffentlichen Kapitalmarktinformationen vor. Selbst wenn man aber die internationale Zuständigkeit Österreichs annähme, wäre das Erstgericht örtlich unzuständig. Wenn man nämlich – dem Kläger folgend – die internationale Zuständigkeit an das vom Kläger genannte Konto in Österreich knüpfe, wäre der Sitz der kontoführenden Bank zuständigkeitsbegründend, somit der Sitz der BAWAG PSK in Wien.

Mit Beschluss vom wies das zunächst angerufene Bezirksgericht Korneuburg die Klage wegen sachlicher Unzuständigkeit zurück. Nach rechtzeitigem Antrag des Klägers gemäß § 230a ZPO hob es die Zurückweisung auf und überwies die Rechtssache an das nicht offenbar unzuständige Erstgericht.

Das Erstgericht wies die Klage mangels internationaler (und erkennbar auch örtlicher) Zuständigkeit zurück. Nach Wiedergabe des für diese Entscheidung wesentlichen Parteienvorbringens traf es folgende Feststellungen:

Die Beklagte hat ihren Sitz in Deutschland.

Die Satzung der Beklagten (Stand Mai 2011) enthält in § 29 eine Gerichtsstandsklausel, die Ansprüche aus falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation im zweiten Satz ausdrücklich umfasst und einen ausschließlichen Gerichtsstand am Sitz der Gesellschaft festlegt. Die Gerichtsstandsklausel lautet:

„§ 29 Gerichtsstand:

Für alle Streitigkeiten zwischen Aktionären und Berechtigten und/oder Verpflichteten von Finanzinstrumenten, die sich auf Aktien der Gesellschaft beziehen, sowie der Gesellschaft andererseits besteht ein ausschließlicher Gerichtsstand am Sitz der Gesellschaft, soweit dem nicht zwingende gesetzliche Vorschriften entgegenstehen. Dies gilt auch für Streitigkeiten, mit denen der Ersatz eines auf Grund

Die Satzung war jederzeit auf der Homepage der Beklagten kostenlos für jedermann einsehbar.

Ausgehend von diesem Sachverhalt führte das Erstgericht zusammengefasst aus, die in der Satzung der Beklagten enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung erfülle die Voraussetzungen nach Art 25 Abs 1 lit a bis c EuGVVO 2012. Nach der Rechtsprechung des EuGH sei jeder Aktionär an die Satzung und damit auch an die darin enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung gebunden. Eine Verbrauchersache im Sinn des Art 19 EuGVVO 2012 liege nicht vor, weil der Kläger die Aktien von einem Dritten erworben habe und auch am wirtschaftlichen Erfolg der Gesellschaft beteiligt sei. Sofern das Verhältnis der Streitteile überhaupt als Vertrag zu beurteilen sei, lägen die Voraussetzungen nach Art 17 Abs 1 lit c EuGVVO 2012 nicht vor, weil sich die gewerbliche Tätigkeit der Beklagten auf die Herstellung und den Vertrieb von Fahrzeugen richte, nicht aber auf den Aktienkauf bzw verkauf. Entgegen dem Rechtsstandpunkt des Klägers sei die Satzung der beklagten Partei auch nicht sittenwidrig; außerdem wäre eine allfällige Sittenwidrigkeit nach § 242 Abs 2 erster Satz dAktG geheilt.

Das Rekursgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass es die Einrede der mangelnden internationalen und örtlichen Zuständigkeit verwarf und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund auf.

Eine in der Satzung enthaltene Gerichtsstandsklausel stelle nach der Rechtsprechung des EuGH eine Vereinbarung im Sinn des Art 17 EuGVÜ dar. Nach der Rechtsprechung des EuGH sei davon auszugehen, dass der Kläger der in der Satzung enthaltenen Gerichtsstandsvereinbarung durch den Erwerb der Aktien zugestimmt habe.

Die Gerichtsstandsklausel der Satzung sei auch ausreichend bestimmt und erfasse jedenfalls alle gegenwärtigen und zukünftigen Aktionäre. Der Kläger leite seinen Anspruch aus seiner Stellung als Aktionär ab, weil er den von der Beklagten durch die behauptete Marktmanipulation bewirkten Kursverlust geltend mache. Ohne Bezug zu dieser Gesellschaftsbeteiligung wäre sein Anspruch nicht denkbar, sodass er im Ergebnis einen Anspruch aus dieser Vertragsbeziehung fordere. Dass der Kläger die Aktien nicht am Primärmarkt, sondern am Sekundärmarkt erworben habe, lasse keine andere Beurteilung zu, weil er bereits durch den Erwerb in eine vertragsgleiche Beziehung zur beklagten Partei getreten sei.

Allerdings sei der vorliegende Fall als Verbrauchervertrag zu qualifizieren; die Beklagte habe ihre Tätigkeit durch umfangreiche Werbemaßnahmen zum Vertrieb ihrer Aktien auch in Österreich entfaltet. Daher stehe dem Kläger der inländische Gerichtsstand offen.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil bereits mehrere gleichgelagerte Parallelverfahren anhängig seien, weitere zu erwarten seien und noch keine höchstgerichtliche Judikatur zu der Rechtsfrage existiere, ob die internationale Zuständigkeit österreichischer Gerichte trotz der hier in Rede stehenden, in der Satzung einer AG enthaltenen Gerichtsstandsvereinbarung wegen des Vorliegens einer Verbrauchersache im Sinn des Art 17 ff EuGVVO 2012 gegeben sei.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig; er ist auch berechtigt.

1. Zur Satzung

1.1. In der Satzung der Beklagten ist eine Gerichtsstandsklausel enthalten, die die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte am Sitz der Gesellschaft normiert und dies ausdrücklich auch für „Streitigkeiten, mit denen der Ersatz eines aufgrund falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation verursachten Schadens geltend gemacht wird“ vorsieht.

1.2. Soweit der Kläger argumentiert, er habe die Aktien bereits verkauft und sei als ehemaliger Aktionär nicht vom Wortlaut der Gerichtsstandsklausel erfasst, geht er nicht von den Feststellungen der Vorinstanzen aus.

1.3. Im Fall Powell Duffryn (C214/89) hatte der EuGH in einem von einem Masseverwalter eingeleiteten Verfahren zu beurteilen, ob eine Satzungsbestimmung einer Aktiengesellschaft eine Gerichtsstandsvereinbarung im Sinn des Art 17 EuGVÜ darstellen könne. Der EuGH hielt die Bindungen zwischen den Aktionären und der Gesellschaft mit denjenigen vergleichbar, die zwischen Vertragsparteien bestehen, weil die Errichtung der Gesellschaft zum Ausdruck bringe, dass zwischen den Aktionären eine Gemeinsamkeit von Interessen im Hinblick auf die Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks bestehe. Für die Frage der Anwendung des EuGVÜ sei die Satzung der Gesellschaft als Vertrag anzusehen, der sehr wohl die Beziehungen zwischen den Aktionären als auch jene zwischen diesen und der von ihnen gegründeten Gesellschaft regle. Diese Auffassung ist grundsätzlich auf die EuGVVO zu übertragen.

1.4. Inhaltlich entspricht die gegenständliche Satzungsbestimmung im Wesentlichen § 32b dZPO, der einen Gerichtsstand am Sitz der Gesellschaft für Klagen normiert, in denen „ein Schadenersatzanspruch wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation“ geltend gemacht wird. Dabei differenziert die Bestimmung nicht zwischen fahrlässig und vorsätzlich verursachten Schäden; sie umfasst nach herrschender Auffassung auch deliktische Ansprüche aus § 823 Abs 2 BGB iVm Schutzgesetzen wie etwa § 264a StGB, § 400 AktienG oder § 331 HGB (Toussaint in Vorwerk/Wolf, ZPO²³ § 32b Rz 5; Heinrich in Musielak/Voit, ZPO13§ 32b Rz 5a). Im nationalen deutschen Recht stellt § 32b ZPO einen auch internationalen ausschließlichen Gerichtsstand dar (Schmitt, Die Haftung wegen fehlerhafter oder unterlassener Kapitalmarktinformation 206).

1.5. Bedeutung entfaltet die Klausel jedoch im Fall ausländischer Kläger. Hier weicht die Klausel vom dispositiven Recht ab (zu diesem Kriterium vgl RISJustiz RS0016591 [T1]). Damit bewirkt die gegenständliche Satzung eine Schlechterstellung einer bestimmten Gruppe ausländischer Privatinvestoren, schließt sie doch die Zuständigkeit anderer als deutscher Gerichte auch für Fälle aus, in denen sich nach der EuGVVO – etwa nach Art 7 Nr 2 EuGVVO – ein Gerichtsstand außerhalb Deutschlands ergäbe. Zwar mag es für den Erwerber von Aktien nicht überraschend erscheinen, wenn dieser gezwungen ist, Ansprüche am Sitz der Gesellschaft geltend zu machen. Allerdings stellt sich die Frage, inwieweit eine derartige Regelung in der Satzung rechtlich zulässig ist.

1.6. Die Entscheidung des EuGH im Fall Powell Duffryn befasst sich nur mit der Möglichkeit, derartige Satzungsbestimmungen als Vereinbarung im Sinne des (damaligen) Art 17 EuGVÜ (nunmehr Art 25 EuGVVO) zu qualifizieren. Über die gesellschaftsrechtliche bzw sonstige rechtliche Zulässigkeit derartiger Klauseln ist damit keine Aussage getroffen. Unabhängig von der Aufnahme in die Satzung sind Zuständigkeitsvereinbarungen zu Lasten Dritter als Verträge zu Lasten Dritter auch im (internationalen) Kompetenzrecht ohne ihre Mitwirkung ausgeschlossen (Geimer, Zuständigkeitsvereinbarungen zugunsten und zu Lasten Dritter, NJW 1985, 533). Zuständigkeitsvereinbarungen zu Gunsten Dritter sind hingegen unbedenklich (Geimer aaO). Eine Ausweitung satzungsmäßiger Gerichtsstandsvereinbarungen auf nicht mitgliedschaftliche Streitigkeiten wird von der überwiegenden Literatur abgelehnt (Bork, Gerichtsstandsklauseln in Satzungen von Kapitalgesellschaften, ZHR 157 [1993] 48 [61]; Waclawik, Zulässigkeit und Regelungsmacht satzungsmäßiger Treuepflicht und Gerichtsstandsregeln bei der Aktiengesellschaft, Der Betrieb 21 [2005] 1151 [1157]). Die Satzung könne lediglich die innerverbandlichen Verhältnisse – insbesondere innerverbandliche Organisationsstrukturen, Verhaltenspflichten der Organe und der einzelnen Organmitglieder sowie die mitgliedschaftlichen Rechtsbeziehungen zwischen der Gesellschaft und deren Gesellschafter sowie zwischen diesen – gestaltend regeln; aus diesem Grund seien Drittgläubigerbeziehungen der Gesellschaft einer Regelung durch echte Satzungsbestandteile nicht zugänglich (vgl Bachmann, Die internationale Zuständigkeit für Klagen wegen fehlerhafter Kapitalmarktinformation, IPrax 2007, 77; Mormann, Zuständigkeitsrechtlicher Schutz vor Kapitalanlegerklagen in den USA [2010] 428; aA Mülbert, Gerichtsstandsklauseln als materielle Satzungsbestandteile, ZZP 118 [2005] 313 [345]).

1.7. Zum deutschen Recht entspricht es herrschender Auffassung, dass der Aktionär bei der Geltendmachung kapitalmarktrechtlicher Ansprüche nicht in seiner Eigenschaft als Mitglied, sondern „gläubigerähnlich“ bzw „aktionärsfremd“ als Anleger gegenüberstehe (Mormann aaO 17 mwN). Der BGH hat in seiner Entscheidung „EM.TV“ (II ZR 287/02, AG 2005, 609) ausgesprochen, dass die Bestimmungen über das Verbot der Einlagenrückgewähr (§§ 57, 71 ff deutsches AktienG) im Fall der deliktischen Haftung wegen Verstoßes gegen kapitalmarktrechtliche Pflichten der Gesellschaft einem Anspruch auf Naturalrestitution des Klägers mangels mitgliedschaftsrechtlichen Bezugs nicht entgegenstehen. Die Ersatzforderungen der Kläger beruhten in erster Linie nicht auf ihrer mitgliedschaftsrechtlichen Sonderbeziehung als Aktionäre, sondern auf ihrer Stellung als Drittgläubiger; die deliktische Haftung der Aktiengesellschaft knüpfe an die Verletzung von gesetzlichen Publizitätspflichten an.

1.8. Der EuGH hat in der Entscheidung Powell Duffryn den Begriff der „aus dem Rechtsverhältnis zwischen der Gesellschaft und ihren Aktionären als solchen entspringende Rechtsstreitigkeit“ nicht konkretisiert. Aus der Formulierung „als solchen“ ergibt sich jedoch, dass der EuGH dabei auf die Beziehung zwischen Gesellschaft und Aktionären in ihrer mitgliedschaftlichen Funktion, nicht aber im Rahmen von Drittgeschäften abstellt (Mormann, Satzungsmäßige Gerichtsstandsklauseln für subsumtionsbedingte Kapitalanlegerklagen im Europäischen Zuständigkeitsregime, AG 1–2 [2011], 10 [16]). Dafür spricht auch, dass, würde man auch kapitalmarktrechtliche Schadenersatzansprüche im internationalen Konnex derartigen Gerichtsstandsklauseln unterwerfen, dies zu dem unerwünschten Ergebnis führen würde, dass die Geltung der Gerichtsstandsklausel davon abhinge, ob der klagende Anleger Aktionär ist bzw dies einmal war oder nicht, sind doch derartige Ansprüche auch etwa dann denkbar, wenn aufgrund der unrichtigen Kapitalmarktinformation ein Anleger vom Erwerb der betreffenden Aktien abgesehen hat und damit von vornherein niemals Aktionärsstellung erlangte.

1.9. Letztlich kann diese Frage im vorliegenden Fall jedoch dahingestellt bleiben, weil die Unwirksamkeit der in der Satzung enthaltenen Gerichtsstandsklausel dem Kläger auch keinen Gerichtsstand in Österreich eröffnen würde.

2. Zum Verbrauchergerichtsstand

2.1. Enge Auslegung

2.1.1. Mangels Vorliegens eines ausschließlichen Gerichtsstands ist zunächst die Anwendbarkeit des Verbrauchergerichtsstands nach Art 17 EuGVVO zu prüfen, weil es sich bei diesem um eine lex specialis handelt, die den anderen Gerichtsständen vorgeht (Mayr in Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands und Vollstreckungsrecht4 [2015] Art 17 Rz 2 mwN).

2.1.2. Der Verbrauchergerichtsstand ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH als Ausnahme eng auszulegen (vgl die Nachweise bei Mayr in Czernich/Kodek/Mayr, aaO Art 17 Rz 10; Simotta in Fasching/Konecny² Art 15 EuGVVO Rz 14). Dies entspricht der Ansicht des EuGH, wonach generell Ausnahmen vom allgemeinen Gerichtsstand „eng auszulegen“ seien (EuGH C292/08German Graphics/A van der Schee = IPRax 2010, 324 [Brinkmann]; EuGH C269/95, Benincasa/Dentalkit Rz 13 f; EuGH C419/11, Rz 26; weitere Nachweise aus der Rsp des EuGH zu den Wahlgerichtsständen nach Art 7 Brüssel IaVO bei Czernich in Czernich/Kodek/Mayr, aaO Art 7 Rz 6; kritisch dazu Czernich aaO Art 1 Rz 38 unter Hinweis auf Dasser in Dasser/Oberhammer, LuganoÜbereinkommen Art 1 Rz 51).

2.2.Erfordernis eines Vertrags

In der Entscheidung Ilsinger/Dreschers (C180/06 Rz 53) sprach der EuGH aus, der Verbraucherschutz der EuGVVO setze voraus, „dass der Verbraucher einen Vertrag mit einer Person geschlossen bzw bei einem Vertrag als Vertragspartner eine Person habe, die eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt“. In der Folge präzisierte der EuGH dies dahin, dass für das Vorliegen eines Vertrags im Sinne dieser Bestimmung erforderlich sei, dass der Unternehmer eine solche rechtliche Verpflichtung eingehe, indem er ein verbindliches Angebot mache, das hinsichtlich seines Gegenstands und seines Umfangs so klar und präzise sei, dass eine Vertragsbeziehung, wie sie diese Vorschrift voraussetze, entstehen könne.

2.3. Deliktische Rechtsnatur der geltend gemachten Anspruchsgrundlagen

2.3.1. Der Kläger stützt sich ausdrücklich auf deliktische Ansprüche. Die Ansprüche des Klägers werden in der Klage ausdrücklich und in Fettdruck als „deliktisch“ bezeichnet und auf die Verletzung kapitalmarktrechtlicher Publizitätspflichten gestützt. Sämtliche Anspruchsgrundlagen, auf die sich der Kläger stützt wie § 37b WpHG, § 826 BGB, § 1295 Abs 2 ABGB (vorsätzlich sittenwidrige Schädigung) und Ansprüche aus unlauterem Wettbewerb sind deliktischer Natur. Weiters führt der Kläger im vorbereitenden Schriftsatz ON 12 ausdrücklich aus, die Ansprüche seien auf die Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten gestützt. Im Revisionsrekurs stützt sich der Kläger demgegenüber primär auf den Verbrauchergerichtsstand nach Art 17 EuGVVO.

2.3.2. Deliktische Ansprüche fallen nach einhelliger Auffassung nicht unter Art 17 EuGVVO (vgl Staudinger in Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollissionsrecht4 Vorbem zu Art 17 Brüssel Ia-VO Rz 4; Mayr in Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht4 Art 17 EuGVVO Rz 14 mwN). Dies ergibt sich schon aus dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung.

2.3.3. Die culpa in contrahendo wird außerhalb des deutschsprachigen Rechtskreises überwiegend deliktisch qualifiziert (vgl auch Rom II-VO ErwGr 30 sowie Art 2 Abs 1 Rom II-VO; Engert/Groh, IPRax 2011, 458 [465]; rechtsvergleichend Mankowski, Die Qualifikation der culpa in contrahendo – Nagelprobe für den Vertragsbegriff des europäischen IZPR und IPR, IPRax 2003, 127; von Hein, Die culpa in contrahendo im europäischen Internationalen Privatrecht – Wechselwirkungen zwischen IPR und Sachrecht, GPR 2007, 54; Lüttringhaus, Das Internationale Privatrecht der culpa in contrahendo nach den EG-Verordnungen „Rom I“ und „Rom II“, RIW 2008, 193 FN 6). Der EuGH hat den Abbruch von Vertragsverhandlungen (Marc Brogsitter/Fabrication de Montres Normandes EURL; dazu Sujecki, EuZW 2014, 383 [Entscheidungsbesprechung]; Weller, LMK 2014, 359127 [Entscheidungsbesprechung]) deliktisch qualifiziert, vgl Kolassa/Barclays Bank plc). Auch im einen Anlegerschaden aus Termingeschäften betreffenden Fall Kalfelis, in dem der Kläger dem Beklagten vorwarf, Risiken und überhöhte Provisionen verschwiegen zu haben, qualifizierte der EuGH den Anspruch deliktisch (Kalfelis/Schroeder).

2.3.4. Die Aussage des EuGH in der Rechtssache Powell Duffryn,wonach die Satzung „als Vertrag anzusehen“ sei, bezog sich ausschließlich auf das Tatbestandsmerkmal der „Vereinbarung“ im Sinn des Art 17 EuGVÜ (nunmehr Art 25 EuGVVO 2012).

2.3.5. Dagegen spricht auch nicht, dass dann derselbe Ausdruck innerhalb desselben Rechtsakts unterschiedlich ausgelegt wird. So legt der EuGH das Tatbestandsmerkmal des „Vertrags“ im Zusammenhang mit dem Verbrauchervertrag in Art 17 EuGVVO enger aus als den Begriff des Vertrags in Art 7 Nr 1 EuGVVO (EuGH C27/02JanusVersand/Engler Rz 49). Demnach stehe die Feststellung, dass die im Ausgangsverfahren erhobene Klage keine Klage aus einem Vertrag im Sinn des Art 13 Abs 1 EuGVÜ sei, nicht dem entgegen, dass es sich bei dieser Klage doch um eine Klage aus einem Vertrag im Sinn des Art 5 Nr 1 EuGVÜ (nunmehr Art 7 Nr 1 EuGVVO) handle. Auch für Art 7 Nr 1 EuGVVO setzt der EuGH jedoch voraus, dass „eine von einer Partei gegenüber der anderen freiwillig eingegangene Verpflichtung bestimmt werden kann, auf die sich die betreffende Klage stützt“ (EuGH C27/02Janus Versand/Engler Rz 51). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall jedoch nicht erfüllt, macht der Kläger doch – wie ausgeführt – deliktische Ansprüche geltend.

2.3.6. Die Ansprüche des Klägers stützen sich auch gerade nicht auf die Satzung der beklagten Partei, sondern ausschließlich auf das Gesetz. Die Ansprüche sind auch nicht derart eng mit dem Gesellschaftsverhältnis verbunden; es handelt sich um gesetzliche Schadenersatzansprüche wegen der Verletzung kapitalmarktrechtlicher Pflichten. Derartige Pflichten bestehen aber gegenüber jedermann unabhängig davon, ob der Betreffende schon Aktien an dem Unternehmen hält und damit dessen Satzung unterworfen ist.

2.3.7. Nicht stichhaltig ist auch die Argumentation im Revisionsrekurs, dass mit vertraglichen Ansprüchen „zwangsläufig“ auch deliktische Ansprüche einhergingen. Der Revisionsrekurswerber verweist dazu auf den Betrug. Dieses Beispiel geht jedoch ins Leere, liegt doch bei einem Betrug ein Vertrag zwischen dem Betrüger und dem Betrogenen vor, sohin eine unmittelbare Vertragsbeziehung zwischen den Parteien, an der es im vorliegenden Fall gerade fehlt.

2.4. Keine direkte Vertragsbeziehung

2.4.1. Dazu kommt, dass der Kläger im vorliegenden Fall die Aktien gar nicht von der beklagten Partei selbst, sondern am Sekundärmarkt erworben hat. Damit erfolgte kein direkter Vertragsabschluss mit der Beklagten. Voraussetzung für die Anwendung des Verbrauchergerichtsstands ist aber eine vertragliche Beziehung zwischen den Streitteilen. Dafür ist eine direkte Beziehung erforderlich. Der EuGH hat in der Rechtssache C375/13 – Kolassa (Rn 25 ff) ausdrücklich ausgeführt, dass im Fall des Erwerbs einer Inhaberschuldverschreibung über einen Dritten (dort: den Wertpapierhändler) kein Vertrag im Sinn des Art 15 EuGVVO (nunmehr Art 17 EuGVVO 2012) zustande komme. Der Anleger könne sich daher bei einer Klage aus den Anleihebedingungen wegen Verletzung der Informations und Kontrollpflichten sowie aus Prospekthaftung nicht auf die in dieser Bestimmung vorgesehene Zuständigkeit berufen. Diese Erwägungen lassen sich auf den vorliegenden Fall des Erwerbs einer Aktie über den Sekundärmarkt übertragen.

2.4.2. Aus diesem Grund kommt bei Erwerb auf dem Sekundärmarkt der Verbrauchergerichtsstand für Ansprüche gegen den Emittenten nicht in Betracht (Gargantini, Capital Markets and the Market for Judicial Decisions: In Search of Consistency, MPILux Working Paper [2016] 39; vgl auch Kodek, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht bei arbeitsteiligem Vertrieb von Finanzprodukten, in Heindler/Verschraegen, Internationale Bankgeschäfte mit Verbrauchern [2016] 5 [9]).

2.4.3. Dagegen lässt sich entgegen dem Revisionsrekurs auch nicht einwenden, dass durch Einschalten eines „Emissionshelfers“ die Klagemöglichkeit des Erwerbers abgeschnitten werden könne. Abgesehen davon, dass ein derartiger Fall hier nicht vorliegt, würden dann auch Ansprüche gegen den Emissionshelfer bestehen.

2.5. Verbrauchereigenschaft von Gesell-schaftern

2.5.1. Soweit in der Literatur die Verbrauchereigenschaft von Gesellschaftern erörtert wird (Schlosser in Schlosser/Hess, Europäisches Zivilprozessrecht4 Art 25 EuGVVO Rz 2; Mülbert, ZZP 118, 313 ff) wird die Verbrauchereigenschaft des einer Gesellschaft beitretenden durchwegs abgelehnt (vgl Mülbert, ZZP 118, 313 [332]; Schlosser aaO).

2.5.2. Jene Literaturausführungen, die die Verbrauchereigenschaft im Rahmen des Erwerbsgeschäfts mit der Bank behandeln (Simotta in Fasching/Konecny² Art 15 EuGVVO Rz 69) beziehen sich demgegenüber ausschließlich auf das Vertragsverhältnis zur Bank bzw zum sonstigen Verkäufer der Aktien. Das Aktionärsverhältnis als solches ist demgegenüber kein „Geschäft zur privaten Geldanlage“ im Sinne dieser Ausführungen, sondern entgeltfremd (RISJustiz RS0018060).

2.5.3. Dass der Aktionär im Verhältnis zur Gesellschaft nicht als Verbraucher im Sinn des EuGVVO anzusehen ist, ergibt sich auch daraus, dass der Verbraucher Empfänger der vertragscharakteristischen Leistung sein muss (Mayr in Czernich/Kodek/Mayr aaO Art 17 EuGVVO Rz 22; Simotta aaO Art 15 EuGVVO Rz 21). Im Gegensatz zum Kauf oder Werkvertrag kennt das auf Dauer angelegte Gesellschaftsverhältnis weder eine vertragscharakteristische Leistung noch ein Synallagma. Die Satzung als Organisationsverfassung der Gesellschaft regelt vielmehr ausschließlich die wechselseitigen Rechte und Pflichten zwischen Gesellschaft und Gesellschafter und ist entgeltfremd (RISJustiz RS0018060).

2.5.4. Damit liegt zwischen klagender Partei und der Beklagten gerade kein derartiges Rechtsgeschäft vor, sondern ein entgeltfremdes Dauerschuldverhältnis organisationsrechtlicher Natur.

2.6. Ausrichten der Tätigkeit

2.6.1. Lediglich der Vollständigkeit halber ist darauf zu verweisen, dass auch nicht ohne weiters ein „Ausrichten“ der gewerblichen Tätigkeit der Beklagten auf Österreich angenommen werden kann. Der geschlossene Vertrag muss nach Art 17 Abs 1 lit c EuGVVO nämlich gerade in den Bereich der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit fallen, die der Vertragspartner des Verbrauchers im Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausübt oder auf diesen Staat ausrichtet (Simotta in Fasching/Konecny² Art 15 EuGVVO Rz 62 mwN). Im vorliegenden Fall geht es jedoch nicht um die – zweifellos gegebene – Ausrichtung der Tätigkeit der Beklagten im Zusammenhang mit dem Verkauf von Fahrzeugen, sondern die Ausgabe von Aktien und das Ansprechen des Anlagepublikums. Würde man ein derartiges „Ausrichten“ schon für die Begründung des Verbrauchergerichtsstands ausreichen lassen, würde dies im Ergebnis dazu führen, dass jede börsenotierte Gesellschaft von ihren Anlegern in ganz Europa geklagt werden könnte, weil sich die meisten börsenotierten Gesellschaften wohl an ein internationales Anlagepublikum richten. Demgegenüber sehen sowohl nationale (vgl § 83b JN) als auch internationale (vgl Art 24 Nr 2 EuGVVO) Zuständigkeitsnormen grundsätzlich eine Zuständigkeitskonzentration gesellschaftsrechtlicher Streitigkeiten am Sitz der Gesellschaft vor.

2.6.2. Die Aktien der Beklagten notieren nicht an der Wiener Börse. Die Veröffentlichung von AdhocMitteilungen auf der Homepage der Beklagten erfolgt aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung. Daraus allein kann jedenfalls kein „Ausrichten“ der Tätigkeit der Beklagten auch für die Kapitalbeschaffung auf Österreich abgeleitet werden. Zudem ist darauf zu verweisen, dass für Aktien der Beklagten in Österreich offenbar von der FMA kein Prospekt notifiziert wurde.

2.6.3. Die vom Revisionsrekursgegner hervorgehobene „Positionierung der Marke“ zielt offensichtlich primär auf den Verkauf von Fahrzeugen, weniger auf die Beschaffung von Kapital. Im Übrigen gehören die vom Rekursgericht angeführten Kapitalbeschaffungsmaßnahmen gerade nicht zum Bereich der „Tätigkeit“ der Beklagten im Sinn des Art 17 EuGVVO; diese sind Voraussetzung und nicht Zweck und Inhalt ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit.

3. Vertragsgerichtsstand

3.1. Der Vollständigkeit halber ist schließlich darauf zu verweisen, dass für den Rechtsstandpunkt des Klägers auch aus dem Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach Art 7 Nr 1 EuGVVO nichts zu gewinnen ist. Abgesehen davon, dass nach dem Gesagten kein Vertrag zwischen den Streitteilen im Sinn des Art 7 EuGVVO vorliegt, fehlt auch ein inländischer Erfüllungsort.

4.Deliktsgerichtsstand (Art 7 Nr 2 EuGVVO)

4.1. Allgemeines

4.1.1. Nach Art 7 Nr 2 EuGVVO kann die Klage auch bei dem Gericht des „Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“, erhoben werden. Grundsätzlich kann der Kläger wählen, ob er seine Ansprüche am Handlungs- oder Erfolgsort geltend macht (Bier/Mines de Potasse d’Alsace; dazu näher Czernich in Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht4 Art 7 Rz 127). Dabei ist nicht auf nationales Deliktsrecht abzustellen. Dies würde das Ziel gefährden, „sichere und voraussehbare Zuständigkeitszuweisungen“ zu haben, zumal der materiellen Haftungsbegründung andere Erwägungen zugrundeliegen können als der Zuständigkeit (Marinari/Lloyds Bank Rz 14).

4.1.2. Die Lokalisierung sowohl des Handlungs- als auch des Erfolgsorts im Zusammenhang mit kapitalmarktrechtlichen Ansprüchen bereitet Schwierigkeiten (zum Folgenden vgl auch Kiener/Neumayr, Deliktsgerichtsstand für internationale Prospekthaftung, ZFR 2015, 505; Lehmann, Prospectus Liability and Private International Law – Assessing the Landscape After the CJEU Kolassa Ruling [Case C-375/13], Journal of Private International Law 2016, Volume 11, issue 2 [2016]; Müller, EuGVVO: Gerichtsstand für Schadenersatzklage eines Verbrauchers wegen Wertverlust einer Finanzinvestition, EuZW 2015, 218; Steinrötter, Der notorische Problemfall der grenzüberschreitenden Prospekthaftung. Zugleich Besprechung von EuGH, RIW 2015, 144 – Kolassa, RIW 2015, 407; Thiede/Sommer, Vorsätzliche Schädigung von Anlegern im arbeitsteiligen Wertpapiervertrieb: Der internationale Gerichtsstand nach der EuGVVO, ÖBA 2015, 175; von Hein, Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung bei arbeitsteiliger Tatbegehung im europäischen Zivilprozessrecht, IPRax 2013, 505; Wagner/Gess, Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach der EuGVVO bei Kapitalanlagedelikten, NJW 2009, 3481).

4.2. Handlungsort

4.2.1. Bei auf Prospekthaftung gestützten Ansprüchen liegt der Handlungsort in dem Land, in dem die unterlassene bzw fehlerhafte Aufklärung im Prospekt erfolgte. Dabei kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob dies auch für jene Länder gilt, in denen der Prospekt notifiziert wurde (ablehnend Pimmer/Nikolai, Internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO in Prospekthaftungsfällen und bei Verletzung der Ad-hoc-Publizität, Zak 2016, 224 [225]), weil in Österreich kein Prospekt notifiziert wurde.

4.2.2. Für die Ad-hoc-Publizitätspflicht ist auf das Land abzustellen, in dem der Emittent der Ad-hoc-Publizitätspflicht unterliegt. Die bloße Duplikation der Information in anderen Mitgliedstaaten ist unbeachtlich (Pimmer/Nikolai aaO225).

4.2.3. Teilweise wird vorgeschlagen, stattdessen auf den Marktort abzustellen (dazu Schacherreiter,ÖBA 2016, 529 [531) mwN). Auf die dagegen sprechenden Einwände (vgl dazu Kodek aaO 13) ist im vorliegenden Zusammenhang nicht einzugehen, weil der Marktort sich jedenfalls nicht in Österreich befindet.

4.3. Erfolgsort

4.3.1. Alternativ kann der Kläger seine Ansprüche auch am Erfolgsort geltend machen. Darunter ist der Ort zu verstehen, an dem die schädigenden Auswirkungen eintreten. Bei Anlegerschäden fehlt jedoch eine physische Manifestation des Schadens. Nach österreichischem Verständnis liegt der Schaden bereits im Vertragsabschluss („Abschlussschaden“; vgl Kodek, Ausgewählte Fragen der Schadenshöhe bei Anlegerschäden, ÖBA 2012, 11 f). Dies spräche dafür, auf den Ort des Vertragsschlusses abzustellen. Nach anderer Ansicht soll der Ort der „Vermögenszentrale“ maßgeblich sein (vgl Machold, Schadenersatz nach gescheiterten Vertragsverhandlungen [2009] 13, 3.5). Dies wäre der Wohnsitz des Klägers. Der Nachteil dieser Sichtweise ist, dass man auf diesem Weg zu einem allgemeinen Klägergerichtsstand käme, was wohl nicht im Sinne der Brüssel Ia-VO ist. Nach der Entscheidung 3 Ob 14/12y liegt der Erfolgsort an dem Ort, an dem sich das angelegte Geld befindet.

4.3.2. Im Fall Kronhofer () hatte der EuGH einen Sachverhalt zu beurteilen, in dem ein österreichischer Anleger den deutschen Geschäftsführer und Anlageberater in Österreich wegen unzureichender Bankberatung im Zusammenhang mit call-Optionen klagte. Nach Ansicht des EuGH reicht es nicht aus, dass der Verlust auch in Österreich eingetreten ist. Es bestehe nicht schon deshalb ein Gerichtsstand am Wohnsitz des Klägers, weil dem Kläger dort ein finanzieller Schaden durch den in einem anderen Mitgliedstaat eingetretenen und erlittenen Verlust von Vermögensbestandteilen entstanden sein soll. Der EuGH betonte die Wichtigkeit der Vorhersehbarkeit („leichte Identifizierbarkeit“) des Gerichtsstands.

4.3.3. Im Fall Kolassa (Kolassa/Barclays Bank plc) hatte der Kläger als Verbraucher außerbörslich über „direktanlage.at“ in Zertifikate investiert. Emittentin war die englische Barclays Bank mit einer Zweigniederlassung in Deutschland. Direktanlage.at orderte die Wertpapiere bei ihrer deutschen Muttergesellschaft, die diese bei Barclays erwarb. Die Orders erfolgten jeweils im Namen der betreffenden Gesellschaften. Die Zertifikate wurden in München in eigenem Namen auf Rechnung des Kunden gehalten; es erfolgte keine Übertragung der Zertifikate an den Kunden. Bei diesem Sachverhalt lokalisierte der EuGH den Schadenseintritt am Ort des Bankkontos.

4.3.4. In einer Folgeentscheidung betonte der EuGH allerdings, dass für die Annahme des Erfolgsorts am Ort der Kontoführung nur die besonderen Umstände des Einzelfalls maßgeblich waren. Nach der Entscheidung des EuGH im Fall Universal Music (Universal Music Holding/Schilling ua) kann als Ort des Schadenseintritts in Ermangelung anderer Anknüpfungspunkte nicht der Ort in einem Mitgliedstaat angesehen werden, an dem ein Schaden eingetreten ist, wenn dieser Schaden ausschließlich in einem finanziellen Verlust besteht, der sich unmittelbar auf dem Bankkonto des Klägers verwirklicht und der die unmittelbare Folge eines unerlaubten Verhaltens ist, das sich in einem anderen Mitgliedstaat ereignet hat. Es sei nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin Universal Music zwischen mehreren Bankkonten wählen konnte, sodass der Ort, an dem dieses Konto geführt wird, nicht unbedingt ein zuverlässiges Anknüpfungskriterium sei. Nur dann, wenn auch die anderen spezifischen Gegebenheiten des Falls zur Zuweisung der Zuständigkeit an die Gerichte des Orts, an dem sich ein reiner Vermögensschaden verwirklicht hat, beitrügen, könnte ein solcher Schaden dem Kläger in vertretbarer Weise die Erhebung einer Klage vor diesem Gericht ermöglichen.

4.3.5. In Teilen der Literatur wird zur Lokalisierung des Schadenseintritts eine Gesamtbetrachtung im Einzelfall vertreten (Zaprianos, GPR 2016, 251; ähnlich schon von Hein, Deliktischer Kapitalanlegerschutz im Europäischen Zuständigkeitsrecht, IPrax 2005, 17). Nach verbreiteter Auffassung ist zwischen „Betrugs-“ und „Untreuefällen“ zu differenzieren (vgl Engert/Groh, IPRax 2011, 463 ff mwN; Fichtinger, Internationale Zuständigkeit bei Kapitalanlagedelikten, Zak 2012, 347 mwN; Wagner/Gess, aaO, NJW 2009, 3481). Demnach erfolgt im Untreuefall die Schädigung am im Ausland gelegenen Ort der Belegenheit der Wertpapiere/des Wertpapierkontos, im Betrugsfall hingegen schon mit der Überweisung. Der BGH nimmt hier einen inländischen Erfolgsort an (vgl Engert/Groh, IPRax 2011, 458 [463 ff] mwN; Fichtinger, Zak 2012, 347 unter Hinweis auf BGH , XI ZR 394/08 = WM 2010, 2214; Wagner/Gess aaO, NJW 2009, 3481; zu weiteren Nachweisen s Gargantini, Capital Markets, 14 FN 37). Auch der Oberste Gerichtshof lokalisierte einmal den Erfolgsort am Ort des Geldabflusses (3 Ob 14/12y).

4.3.6. Gegen das Abstellen auf den Überweisungsort spricht, dass dieser schwer vorhersehbar ist; eine Überweisung von verschiedenen Konten könnte zudem zu mehrfachen Gerichtsständen führen (vgl Schacherreiter,ÖBA 2016, 529). Zudem wird der Umstand, wo sich das Bankkonto des Geschädigten befindet, oft von Zufälligkeiten geprägt sein. Das Art 7 Nr 2 EuGVVO zugrundeliegende (rechtspolitische) Kriterium der besonderen Sach bzw Beweisnähe der Gerichte am Ort des Schadenseintritts (vgl Czernich in Czernich/Kodek/Mayr aaO Art 7 Rz 1 mwN) vermag die Klagemöglichkeit am Ort der Kontoführung nicht zu rechtfertigen. Die gegenteilige Auffassung würde demgegenüber in weitem Umfang einen Klägergerichtsstand eröffnen und damit die Vorhersehbarkeit der Gerichtsstände beeinträchtigen und die Grundregel des Art 4 Abs 1 EuGVVO geradezu umkehren.

4.3.7. In Anbetracht des Umstands, dass es sich bei der Beklagten um ein deutsches börsenotiertes Unternehmen handelt, die Aktien der Beklagten an deutschen Börsen – und nicht an österreichischen – gehandelt werden und die die Aktien verkörpernde Globalurkunde in Deutschland hinterlegt ist, ist ein Erstschaden mangels greifbarer Anknüpfungspunkte nicht in Österreich eingetreten. Bloße Folgeschäden sind von Art 7 Nr 2 EuGVVO nicht umfasst (vgl auch Leible in Rauscher, Europäisches Zivilprozess und Kollisionsrecht4 Art 7 Brüssel IaVO Rz 121; Czernich in Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands und Vollstreckungsrecht4 Art 7 EuGVVO Rz 129). Nach den Feststellungen der Vorinstanzen hat der Kläger seine Aktien an einer deutschen Börse Xetra Frankfurt erworben. Damit befinden sich der Marktort, der Börseort, die Globalurkunde und das emittierende Unternehmen sämtliche in Deutschland.

4.3.8. Damit besteht im vorliegenden Fall überhaupt kein ausreichender Bezug zu Österreich. Aufgrund dieser abweichenden Sachverhaltskonstellation war der Ausgang des vom Obersten Gerichtshof zu 3 Ob 28/17i gestellten Vorabentscheidungsersuchens nicht abzuwarten. In diesem Fall ging es um die Lokalisierung des Deliktsgerichtsstands, wenn der Anleger seine durch einen in Österreich notifizierten mangelhaften Prospekt verursachte Anlageentscheidung in Österreich getroffen hat und er aufgrund dieser Entscheidung den Kaufpreis für das am Sekundärmarkt erworbene Wertpapier von seinem Konto bei einer österreichischen Bank auf ein Verrechnungskonto überwiesen hat, von wo der Kaufpreis in der Folge im Auftrag des Klägers an den Verkäufer überwiesen wurde. Im vorliegenden Fall hat der Kläger demgegenüber seine Aktien an einer deutschen Börse erworben. Damit befinden sich der Marktort, der Börseort, die Globalurkunde und das emittierende Unternehmen in Deutschland. Bei dieser Sachlage kann aber keinem Zweifel unterliegen, dass für die geltend gemachten Ansprüche weder der Erfolgs- noch der Handlungsort nach Art 7 Nr 2 EuGVVO in Österreich liegen, sodass es insoweit einer Befassung des EuGH nicht bedurfte.

4.3.9. Im Übrigen wäre aber selbst dann, wenn man das Bankkonto des Klägers als Anknüpfungspunkt ausreichen lassen würde, für den Kläger damit nichts gewonnen, weil Art 7 Nr 2 EuGVVO nicht nur die internationale, sondern auch die örtliche Zuständigkeit regelt (Simotta in Fasching/Konecny² Art 5 EuGVVO Rz 258 mwN). Wie insoweit schon das Erstgericht zutreffend ausgeführt hat, kann der Kläger daher im vorliegenden Fall aus Art 7 Nr 2 EuGVVO keine Zuständigkeit des Landesgerichts Korneuburg ableiten, weil das Bankkonto des Klägers bei der BAWAG PSK mit Sitz in Wien geführt wird.

5. Annexzuständigkeit

5.1. Der Hinweis in der Revisionsrekursbeantwortung auf eine „Annexzuständigkeit“ österreichischer Gerichte geht demgegenüber ins Leere. Mit diesem Ausdruck ist gemeint, dass ein Gericht in dem Fall, dass es für einen bestimmten, etwa vertraglichen Anspruchsgrund zuständig ist, dann auch über die damit in einem sachlichen Zusammenhang stehenden anderen, etwa deliktischen Anspruchsgründe entscheiden darf.

5.2. Im Europäischen Zivilverfahrensrecht ist die Annexzuständigkeit hingegen deutlich schwächer ausgeprägt als im nationalen Recht (Czernich in Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht4 Art 7 Rz 31; Simotta in Fasching/Konecny² Art 5 EuGVVO Rz 85 mwN; Kalfelis/Schroeder; Fichtinger, Internationale Zuständigkeit bei Kapitalanlagedelikten. Zugleich eine Besprechung von 3 Ob 14/12y – Zak 2012/658, 347 [349 f] mwN), sodass der Abgrenzung zwischen den einzelnen Zuständigkeitstatbeständen größere Bedeutung zukommt. Eine Annexzuständigkeit für deliktische Ansprüche besteht nicht ( – Freeport/Arnoldsson ua; Fichtinger, Zak 2012, 347 [348]; vgl auch Gabriel, wonach ein Anspruch aus Gewinnzusage nur bei gleichzeitiger Aufgabe einer Bestellung besteht). Aus diesem Grund hat der Oberste Gerichtshof in 3 Ob 14/12y die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts auf das Klagsvorbringen zum Anlagebetrug beschränkt.

5.3. Selbst wenn eine Annexzuständigkeit grundsätzlich in Betracht käme, wäre daraus jedoch für den Rechtsstandpunkt des Klägers nichts zu gewinnen, fehlt es doch im vorliegenden Fall an einer Anspruchsgrundlage, für die die (internationale) Zuständigkeit österreichischer Gerichte gegeben ist, sodass die Prüfung anderer Anspruchsgrundlagen damit verbunden werden könnte.

6. Ergebnis

6.1. Zusammenfassend ergibt sich sohin, dass der Kläger seine Ansprüche weder auf den Verbrauchergerichtsstand noch auf Art 7 Nr 2 EuGVVO stützen kann. Damit war in Stattgebung des Revisionsrekurses die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

7. Kostenentscheidung

7.1. Aufgrund der Abänderung war auch die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens neu zu fassen. Diese gründet sich ebenso wie die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens auf §§ 41, 50 ZPO.

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