OGH vom 26.05.1992, 4Ob34/92
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Harald Schmidt, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei V***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Gerhard Engin-Deniz und Mag.Dr.Christian Reimitz, Rechtsanwälte in Wien, wegen Rechnungslegung und Herausgabe des entgangenen Gewinnes (Streitwert: 1,000.000 S), infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom , GZ 5 R 217/91-12, womit der Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom , GZ 15 Cg 173/91-8, aufgehoben wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß der Unterbrechungsbeschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt wird. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 40.838,40 S bestimmten Kosten des Revisionsrekurses (darin enthalten 6.806,40 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Text
Begründung:
Das von der Klägerin am zu 2 A 1013/81 des Österreichischen Patentamtes angemeldete Patent - betreffend ein mittelangetriebenes, an einem Tragarm befestigtes Frontmähwerk, insbesondere für Motormäher - wurde in der Ausgabe des Patentblattes vom öffentlich bekanntgemacht. Das Aufgebot umfaßte die 4 angemeldeten Ansprüche. Mit Beschluß des Patentamtes (Technische Abteilung) vom , 2 A 1011/81-7, wurde der von der Beklagten gegen die Patenterteilung erhobene Einspruch abgewiesen und das Patent im vollen Umfang der öffentlich bekanntgemachten Anmeldung erteilt. Gegen diesen Beschluß erhob die Beklagte fristgerecht Beschwerde gemäß § 108 PatG.
In diesem Stadium des Patenterteilungsverfahrens vor dem Österreichischen Patentamt begehrte die Klägerin mit ihrer am beim Erstgericht eingebrachten Klage unter Berufung auf die einstweilige gesetzliche Schutzwirkung der öffentlich bekanntgemachten Patentanmeldung (§ 101 Abs 2 PatG) und mit der Behauptung, die Beklagte verletze seit Juli 1987 die Ansprüche 1 bis 4 ihrer aufgebotenen Patentanmeldung durch Erzeugung und Vertrieb eines Motormähers mit der Typenbezeichnung "ALPINIST II", von der Beklagten Rechnungslegung und Herausgabe des Gewinnes, hilfweise Zahlung eines angemessenen Entgeltes, dessen ziffernmäßige Festsetzung dem Ergebnis der Rechnungslegung vorbehalten bleibe.
Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Sie habe nur vom freien Stand der Technik Gebrauch gemacht und daher in die aufgebotene Patentanmeldung der Klägerin nicht eingegriffen. Im Hinblick auf die von ihr gegen die Patenterteilung erhobene Beschwerde beantragte die Beklagte die Unterbrechung des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Beendigung des Patenterteilungsverfahrens.
Die Klägerin trat dem Unterbrechungsantrag der Beklagten nicht entgegen.
Das Erstgericht sprach daraufhin mit dem am verkündeten und in Rechtskraft erwachsenen Beschluß die Unterbrechung des Verfahrens gemäß § 190 ZPO bis zur rechtskräftigen Beendigung des Patenterteilungsverfahrens aus (ON 3 S 13).
Mit Beschluß des Patentamtes (Beschwerdeabteilung) vom , B 2/90-6, wurde der Beschwerde der Beklagten teilweise Folge gegeben und die Patenterteilung dahin abgeändert, daß der Anspruch 1 im Umfang der beiden ersten (von insgesamt drei) kennzeichnenden Merkmale durch deren Aufnahme in den Obersatz eingeschränkt, zugleich aber der Anspruch 4 zur Gänze in den Anspruch 1 aufgenommen werde und die Ansprüche 2 und 3 unverändert gewährt würden.
In dem daraufhin auf Antrag der Klägerin vom fortgesetzten Verfahren erhob die Beklagte (ua) den Einwand der Nichtigkeit des der Klägerin erteilten Patentes; zugleich beantragte sie unter Hinweis auf den von ihr schon am beim Österreichischen Patentamt eingebrachten Antrag auf Nichtigerklärung des Patentes die Unterbrechung des Verfahrens. Auch die verbleibenden Merkmale des kennzeichnenden Teils des Anspruches 1 seien aus der AT-PS 201 914 bekannt; die Kombination der beiden Merkmalsgruppen liege für den Fachmann nahe, so daß dem Patent nach dem bekannten Stand der Technik die erforderliche Erfindungshöhe fehle, auf welcher nunmehr auch das Schwergewicht des Nichtigkeitseinwandes liege.
Die Klägerin trat dem Unterbrechungsantrag der Beklagten mit dem Hinweis darauf entgegen, daß diese in ihrem Antrag auf Nichtigerklärung des Patentes weder Argumente vorgebracht noch Material vorgelegt habe, das nicht schon im Patenterteilungsverfahren vor dem Österreichischen Patentamt geprüft wurde; das gelte auch für die Frage der Erfindungshöhe des Patentes.
Das Erstgericht beschloß die Unterbrechnung des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Nichtigkeitsantrag der Beklagten. Weder das Parteienvorbringen noch der sonstige Akteninhalt ließen den Schluß zu, daß die von der Beklagten geltend gemachte Nichtigkeit offenbar zu verneinen sei.
Das Rekursgericht hob den Unterbrechungsbeschluß auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung auf; es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Die vom Erstgericht für die Unterbrechung des Verfahrens gegebene Begründung sei zwar noch nachvollziehbar, aber doch mangelhaft, weil es keine Feststellungen zu der Behauptung der Klägerin getroffen habe, wonach die Beklagte in ihrem Nichtigkeitsantrag kein über das Einspruchsverfahren hinausgehendes Material geltend gemacht und auch kein Argument vorgebracht habe, das über den Inhalt ihrer Schriftsätze im Einspruchsverfahren hinausgehe. Sollte es aber tatsächlich zutreffen, daß die Beklagte in ihrem Nichtigkeitsantrag nur solche Argumente geltend mache, die bereits Gegenstand des Beschwerdeverfahrens waren, dann sei die Nichtigkeit des Patentes im Sinne des § 156 Abs 3 PatG offenbar zu verneinen. Diese Frage werde daher das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren mit den Parteien zu erörtern und sodann entsprechende Feststellungen zu treffen haben.
Gegen den Aufhebungsbeschluß des Rekursgerichtes wendet sich der Revisionsrekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Wiederherstellung des erstgerichtlichen Unterbrechungsbeschlusses.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist schon im Hinblick auf den gemäß § 527 Abs 2 ZPO beigesetzten Ausspruch des Rekursgerichtes zulässig, zumal die Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO vorliegen und hier auch der Rechtsmittelausschluß des § 192 Abs 2 ZPO nicht zum Tragen kommt, weil die Unterbrechung des Verletzungsstreites gemäß § 156 Abs 3 PatG nicht in das Ermessen des Gerichtes gestellt ist (SZ 60/76 mwN; 4 Ob 52, 55/88); der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.
Gemäß § 156 Abs 1 PatG kann die Gültigkeit oder Wirksamkeit eines Patentes, auf das die Verletzungsklage gestützt wird, (nur) vorbehaltlich des Abs 3 vom Gericht als Vorfrage selbständig beurteilt werden. Hier hat die Beklagte nachgewiesen, daß zum Zeitpunkt des von ihr im Verletzungsstreit erhobenen Nichtigkeitseinwandes ein Nichtigerklärungsverfahren zwischen den Streitteilen bereits anhängig war; das Erstgericht hatte daher gemäß § 156 Abs 3 PatG idF der PatRNov 1984 zu unterbrechen, "sofern die Nichtigkeit nicht offenbar zu verneinen" ist. Letzteres ist aber nur dann der Fall, wenn die Haltlosigkeit des Nichtigkeitseinwandes - in rechtlicher und/oder tatsächlicher Hinsicht - klar auf der Hand liegt, so daß dies auch vom Gericht ohne weiteres als Vorfrage selbständig beurteilt werden kann. Der Auffassung des Rekursgerichtes, ein solcher Fall liege schon dann vor, wenn die vom Beklagten geltend gemachte Nichtigkeit bereits Gegenstand des Eintragungsverfahrens gewesen und dort verneint wurde, steht schon der Umstand entgegen, daß ein Anfechtungsverfahren gemäß §§ 112 ff PatG in jedem Fall eine bereits erfolgte Patenterteilung voraussetzt; ein Patent kann daher auch auf Grund solcher Tatsachen für nichtig erklärt werden, die im Patenterteilungsverfahren bereits geprüft und dort weder als neuheitsschädlich noch als zum Stand der Technik gehörend erkannt wurden (vgl PBl 1907, 77). Das folgt schon daraus, daß der Beschluß über die Patenterteilung zwar formell rechtskräftig wird, das Schutzrecht aber dennoch während der gesamten Dauer seines Bestehens aus den im Gesetz genannten Gründen (§ 48 PatG) in einem kontradiktorischen Verfahren angefochten werden kann (Schönherr, Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Rz 861). Die Entscheidungen der Technischen Abteilung des Patentamtes im Einspruchsverfahren (§§ 102 ff PatG) und diejenigen der Beschwerdeabteilung (§ 108 PatG) sind auch keine schriftlichen Gutachten über den Stand der Technik im Sinne des § 57 a (§ 111 a) PatG.
Im vorliegenden Fall hat die Beklagte den Einwand der Nichtigkeit des Patentes der Klägerin darauf gestützt, daß ihm unter Berücksichtigung des bekannten Standes der Technik die erforderliche Erfindungshöhe fehle, seien doch die verbleibenden Merkmale des kennzeichnenden Teils des Anspruches 1 aus der AT-PS 201 914 bekannt und demnach die Kombination der beiden Merkmalsgruppen für den Fachmann naheliegend. Sie hat auch gar nicht bestritten, daß dieser Einwand im wesentlichen schon Gegenstand des Einspruchs- und Beschwerdeverfahrens war, was sich im übrigen auch schon dem unstrittigen Inhalt der vorgelegten Urkunden unschwer entnehmen läßt. Da sich aber die Erfindungshöhe am Stand der Technik, also an dem Fachwissen, über das der "Durchschnittsfachmann" auf dem betreffenden Gebiet verfügt (ÖBl 1972, 58), orientiert, ist die Beurteilung, ob sich das eingetragene Patent für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt (§ 1 Abs 1 PatG), in erster Linie von einer Tatfrage abhängig, deren selbständige Beurteilung als Vorfrage sich aber dem Gericht im Verletzungsstreit schon mangels entsprechenden Fachwissens regelmäßig entziehen wird. Nichts anderes hat aber das Erstgericht auch zum Ausdruck gebracht, wenn es darauf hingewiesen hat, daß die Nichtigkeit des Patents der Klägerin weder nach dem Parteienvorbringen noch an Hand des Akteninhaltes offenbar zu verneinen sei. Da somit der Ausnahmetatbestand des § 156 Abs 3 PatG nicht vorliegt, hatte die dort für alle anderen Fälle zwingend vorgeschriebene Unterbrechung des Verletzungsstreites Platz zu greifen.
Aus diesen Erwägungen war dem Revisionsrekurs der Beklagten Folge zu geben und der erstgerichtliche Beschluß wiederherzustellen.
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsrekurses gründet sich auf §§ 41, 50, 52 Abs 1 ZPO.