OGH vom 15.01.2003, 7Ob280/02f
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Friedrich T*****, vertreten durch Dr. Hans Otto Schmidt, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1.) S***** GmbH, *****, und 2.) A***** GmbH, *****, wegen EUR 65.400,-- und Feststellung (Streitwert EUR 7.267,--), über den Revisionsrekurs des Klägers gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom , GZ 16 R 223/02k-5, mit dem der Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 7 Cg 151/02f-2, bestätigt wurde, den Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden hinsichtlich der gegen die erstbeklagte Partei gerichteten Klage bestätigt; hinsichtlich der gegen die zweitbeklagte Partei gerichteten Klage werden sie hingegen aufgehoben; insoweit wird dem Erstgericht aufgetragen, das gesetzliche Verfahren unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund einzuleiten.
Der Kläger hat die Kosten seines Rekurses und seines Revisionsrekurses zur Hälfte selbst zu tragen; die andere Hälfte dieser Kosten sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Mit der beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien eingebrachten Klage begehrt der Kläger den Zuspruch von EUR 65.400,-- sowie die Feststellung der solidarischen Haftung der beklagten Parteien für alle ihm aus seiner Infektion mit dem Hepatitis C-Virus in Hinkunft noch entstehenden Schäden. Er sei in den Jahren 1974 und 1975 beim Blutplasmaspenden in der Plasmapheresestelle der Erstbeklagten in Linz mit dem Virus infiziert worden. Die Erstbeklagte habe an ihrem Standort in Linz über keine Gewerbeberechtigung zur Gewinnung von Blutplasma verfügt und damit ein Schutzgesetz nach § 1311 ABGB verletzt; sie habe es auch verabsäumt, alle Vorkehrungen zu treffen, um jede Ansteckung von Blutspendern zu verhindern. Die Plasmaspenden seien unter hygienischen Bedingungen durchgeführt worden, die nicht den Regeln der ärztlichen Kunst entsprochen hätten. Die Erstbeklagte habe es auch unterlassen, ihn über mögliche Risiken aufzuklären; wäre er aufgeklärt worden, hätte er nie Plasma gespendet. Er stütze seine Ansprüche gegen die Erstbeklagte auf jeden erdenklichen Rechtsgrund, vor allem auch auf Schadenersatz, auf Verletzung eines Schutzgesetzes, auf unterlassene Aufklärung über mögliche Risiken der Blutplasmaspende und auf Verletzung vertraglicher Sorgfaltspflichten. Die Zweitbeklagte sei die eigentliche Betreiberin der Plasmapheresestelle der Erstbeklagten, deren sie sich sozusagen bedient habe, gewesen: Sie habe es von Anfang an darauf angelegt, Vorfeldorganisationen zu schaffen, um einerseits bei Projekten, bei denen Schäden vorauszusehen gewesen seien, die Haftung von sich abzuschieben, und um andererseits den entscheidenden Einfluss bei diesen Firmen weiterhin durch von ihr in die Leitung entsandte Personen zu wahren. Die Erstbeklagte sei mit einem ganz geringen und im Verhältnis zu den zu erwartenden Risiken geradezu lächerlichen Grundkapital ausgestattet worden; ihre Geschäftsführer habe die Zweitbeklagte entsandt. Diese habe der Erstbeklagten die Geräte und das notwendige Know how zur Verfügung gestellt und ihr das gewonnene Plasma abgenommen; damit habe sie eine Verkehrssicherungspflicht getroffen. Sie habe gegen die ihr bekannten katastrophalen hygienischen Zustände bei der Plasmagewinnung nichts unternommen. Auch die Zweitbeklagte treffe daher eine direkte Haftung für die von ihm, dem Kläger, erlittenen Schäden.
Zur Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes berief sich der Kläger auf §§ 75 und 93 JN. Er mache keinen Anspruch aus einem Handelsgeschäft geltend.
Das Erstgericht wies die Klage a limine zurück. Der Kläger behaupte die Schlechterfüllung eines Vertrages (über die Spende von Blutplasma), der für beide Beklagten ein Handelsgeschäft dargestellt habe, weshalb die sachliche Zuständigkeit der Handelsgerichte gegeben sei.
Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung der ersten Instanz und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Gemäß § 51 Abs 1 Z 1 JN gehörten auch Schadenersatzansprüche gegen Kaufleute vor die Handelsgerichte, wenn sie aus der Erfüllung, Schlechterfüllung oder Nichterfüllung eines Handelsgeschäftes abgeleitet würden. Nur rein deliktisches Verhalten könne nicht mehr zum Betrieb eines Handelsgeschäftes gezählt werden. Hingegen gehörten Realakte zum Betrieb, wenn sie in Erfüllung von Handelsgeschäften erfolgten. Auch die gegenüber der Zweitbeklagten geltend gemachte Durchgriffshaftung verändere den aus einem Handelsgeschäft herrührenden Anspruch im Kern nicht; es werde damit kein selbständiger Anspruch geltend gemacht, sondern es würden weitere Umstände behauptet, um die Durchgriffshaftung zu rechtfertigen. Der Anspruch werde daher aus einem Handelsgeschäft abgeleitet, auch wenn der Verstoß gegen eine Schutznorm mitursächlich gewesen sei. Schutznormen seien auch im Rahmen eines Vertragsverhältnisses zu beachten. Für beide Beklagte sei daher das Handelsgericht sachlich zuständig; der allgemeine Gerichtsstand der Zweitbeklagten begründe den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft für die Erstbeklagte.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen diesen Beschluss vom Kläger erhobene Revisionsrekurs ist zulässig und teilweise auch berechtigt.
Wie der Oberste Gerichtshof in dem ganz vergleichbaren Fall zu 4 Ob 275/02y (auch dort werden vom Kläger gegen die nämlichen Beklagten Ersatzansprüche wegen gesundheitlicher Schäden erhoben, die aus einer, auf Hygienemängel in der Plasmapheresestelle der Erstbeklagten in Linz zurückgeführten Infektion mit dem Hepatitis C-Virus resultieren sollen) bereits ausgeführt hat, nimmt der Kläger beide Beklagten bei dem Gericht in Anspruch, in dessen Sprengel die Zweitbeklagte ihren Sitz hat. Er stützt seinen Anspruch gegen die Zweitbeklagte darauf, dass sie (bzw ihre Rechtsvorgängerin) es von Anfang an darauf angelegt habe, eine Vorfeldorganisation zu schaffen, um bei Projekten, bei denen Schäden vorauszusehen sind, die Haftung von sich abzuwehren, andererseits aber den entscheidenden Einfluss bei diesen Firmen weiterhin durch von ihr in die Leitung entsandte Personen zu wahren. Er macht weiters geltend, dass die Zweitbeklagte über die katastrophalen hygienischen Zustände bei der Plasmagewinnung fortlaufend informiert gewesen sei, jedoch nichts unternommen habe, um die Zustände zu verbessern. Die Zweitbeklagte habe damit eine Verkehrssicherungspflicht verletzt.
Der Kläger stützt seinen Anspruch gegen die Zweitbeklagte, die ihren allgemeinen Gerichtsstand gemäß § 75 Abs 1 JN im Sprengel des Erstgerichtes hat, damit einerseits auf die sogenannte "Durchgriffshaftung", deren Grundgedanke darin liegt, dass sich niemand der Rechtsform einer juristischen Person zu dem Zweck bedienen dürfe, Dritte zu schädigen oder Gesetze zu umgehen (RIS-Justiz RS0009098; SZ 56/101 = RdW 1983, 43 = GesRZ 1983, 156; vgl auch 8 ObA 98/00w, RdW 2001/505); andererseits beruft sich der Kläger aber auch darauf, dass die Zweitbeklagte ihm gegenüber allgemeine Verhaltenspflichten verletzt habe und für die Gesundheitsschäden, die er durch die von ihm behaupteten Missstände bei der Blutplasmagewinnung erlitten haben will, verantwortlich sei. Der Kläger behauptet also auch ein deliktisches Verhalten der Zweitbeklagten, das zu seinen Gesundheitsschäden geführt habe. Damit stützt sich der Kläger auch auf einen Haftungsgrund, der unmittelbar auf dem Gesetz und nicht auf der Verletzung von Pflichten aus dem mit der Erstbeklagten zustandegekommenen Handelsgeschäft beruht (die Erstbeklagte hat mit der Entgegennahme von Blutplasmaspenden jedenfalls ein für ihren Geschäftsbetrieb notwendiges Nebengeschäft und damit ein Handelsgeschäft geschlossen; (zur Qualifikation von Hilfs- und Nebengeschäften als Handelsgeschäfte s Kramer in Straube, HGB Kommentar2 §§ 343, 344 Rz 15 mwN). Für die Klage gegen die Zweitbeklagte ist daher nicht das Handelsgericht, sondern das allgemeine Zivilgericht zuständig, im vorliegenden Fall das angerufene Erstgericht, weil die Zweitbeklagte, wie erwähnt, im Sprengel dieses Gerichtes ihren Sitz hat. Hinsichtlich der Erstbeklagten, die ihren Gerichtsstand außerhalb des Sprengels des Erstgerichtes hat, beruft sich der Kläger auf den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft gemäß § 93 Abs 1 JN. Dieser steht aber nur offen, sofern nicht für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand begründet ist (Mayr in Rechberger, ZPO2 § 93 JN Rz 2).
Im vorliegenden Fall macht der Kläger Schadenersatzansprüche wegen Gesundheitsschäden geltend, die er durch das nicht sachgemäße Vorgehen der Erstbeklagten bei der Abnahme von Blutplasma erlitten haben will. Er begehrt damit den Ersatz von Schäden aus der Verletzung seiner Person. Derartige Ansprüche können bei dem Gericht angebracht werden, in dessen Sprengel das den Schaden verursachende Verhalten gesetzt worden ist (§ 92a JN).
Der Kläger hat vorgebracht, dass die Erstbeklagte in Linz tätig geworden sei und er dort Blutplasma gespendet habe. In Linz hätte auch die Zweitbeklagte tätig werden müssen, um die behaupteten Missstände bei der Blutplasmagewinnung zu beheben. Durch ihr Untätigbleiben hat sie, nach dem Vorbringen des Klägers, eine Verkehrssicherungspflicht verletzt. Damit ist der Gerichtsstand der Schadenszufügung für beide Beklagte in Linz begründet, weil auch die Zweitbeklagte wegen der Schäden des Klägers aus der Verletzung seiner Person in Anspruch genommen wird.
Das schließt den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft aus. Es kann daher offen bleiben, ob die beiden Beklagten eine materielle Streitgenossenschaft iSd § 11 Abs 1 ZPO bilden und damit die weiteren Voraussetzungen dieses Gerichtsstandes gegeben sind. Offenbleiben kann auch, ob der Gerichtsstand der Schadenszufügung auch dann begründet wäre, wenn der Kläger seinen Anspruch gegen die Zweitbeklagte nur auf Durchgriffshaftung gestützt hätte. Dem Revisionsrekurs war teilweise Folge zu geben und der angefochtene Beschluss hinsichtlich der Erstbeklagten zu bestätigen, hinsichtlich der Zweitbeklagten aber war der Beschluss aufzuheben (vgl 4 Ob 275/02y).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 40 und 50 sowie 52 Abs 1 ZPO.