OGH vom 18.05.2016, 3Ob22/16f

OGH vom 18.05.2016, 3Ob22/16f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin Dr. Lovrek, die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei Dr. M*****, vertreten durch Mag. Thomas Nitsch, Dr. Sacha Pajor, Rechtsanwälte in Mödling, wider die verpflichtete Partei DI A*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Blaschitz, Rechtsanwalt in Wien, wegen 150.000 EUR sA, über den Revisionsrekurs des F*****, vertreten durch Widter Mayrhauser Wolf Rechtsanwälte OG in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom , GZ 17 R 80/15h 16 (nunmehr: 23), mit dem infolge Rekurses des S*****, vertreten durch Kosch Partner Rechtsanwälte GmbH in Wiener Neustadt, der Beschluss des Bezirksgerichts Wiener Neustadt vom , GZ 3 E 4766/14w-13 (nunmehr: 18), abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Im Rahmen der gegen den Verpflichteten beim Erstgericht geführten Fahrnisexekution kam es am zur Versteigerung eines PKW (Schätzwert: 80.000 EUR; geringstes Gebot: 40.000 EUR), bei der der Meistbietende den Zuschlag um 63.000 EUR erhielt, weil er das vorletzte Gebot um 1.000 EUR überbot. Diese (erste) Versteigerung wurde unmittelbar darauf wiederholt, weil der Gerichtsvollzieher davon ausging, der Meistbietende habe die ihm zum Erlag des Meistbots in bar (statt mittels Scheck) eingeräumte halbstündige Zuwartefrist ungenutzt verstreichen lassen. Bei der Wiederversteigerung mit dem Ersteher als einzig verbliebenen Bieter (neuerlich zum geringsten Gebot) erhielt dieser den Zuschlag um 40.000 EUR. Im Protokoll über die zweite Versteigerung ist als Adresse des Erstehers (nur) Wien ausgewiesen (AS 43); im vom Gerichtsvollzieher verfassten (weiteren) Protokoll ist dazu festgehalten „Adresse wahrscheinlich: *****“ (AS 47).

Gegen das Vorgehen des Gerichtsvollziehers bei der Versteigerung am erhob der Meistbietende eine Vollzugsbeschwerde nach § 68 EO mit dem Antrag, die (gemeint: zweite) Versteigerung aufzuheben und den Zuschlag (gemeint: an den Ersteher) für unwirksam zu erklären.

Das Erstgericht wies die Vollzugsbeschwerde ab.

Das Rekursgericht gab dem vom Meistbietenden erhobenen Rekurs Folge und änderte den erstgerichtlichen Beschluss dahin ab, dass die „zweite“ Versteigerung am und der in dieser an den Ersteher erteilte Zuschlag als rechtswidrig aufgehoben wurde. Es bewertete den Entscheidungsgegenstand 30.000 EUR übersteigend und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu. Das neuerliche Ausbieten beim selben Versteigerungstermin zum geringsten Gebot habe der Bestimmung des § 278 Abs 4 EO jedenfalls nicht entsprochen und sei geeignet gewesen, die Interessen der Beteiligten, auch die des für einen etwaigen Ausfall haftenden Meistbietenden auf Erzielung eines angemessenen Erlöses, zu verletzen. Das stelle einen krassen Verstoß gegen die einschlägige Verfahrensvorschrift dar, der die Anfechtung des Zuschlags mit Vollzugsbeschwerde und die Aufhebung der zweiten Versteigerung und des in dieser erteilten Zustands rechtfertige. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Zulässigkeit, der Wirksamkeit und der Rechtsfolgen einer durch den Gerichtsvollzieher gewährten Zuwartefrist fehle.

Die Zustellung der Rekursentscheidung an den Ersteher durch Hinterlegung erfolgte unter der Anschrift ***** (mit Beginn der Abholfrist am ). Er behob die Sendung jedoch nicht, sodass sie an das Erstgericht am retourniert wurde. Einem Aktenvermerk vom (AS 123) ist zu entnehmen, dass die neue Adresse des Erstehers mit *****, bekannt gegeben wurde, worauf die Zustellung an den Ersteher unter dieser Anschrift verfügt wurde. Die Sendung wurde neuerlich mit Beginn der Abholfrist am hinterlegt und am an den Ersteher ausgefolgt.

Der Ersteher erhob am im ERV Revisionsrekurs mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses. Dieses Rechtsmittel ist nur dann rechtzeitig, wenn die erste Zustellung an ihn durch Hinterlegung im September 2015 nicht wirksam war.

Da die Einhaltung der Zustellvorschriften von Amts wegen zu prüfen ist (RIS-Justiz RS0036440) und Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Zustellvorgangs an der nur als „wahrscheinlich“ angesehenen Abgabestelle (*****), im September 2015 bestehen, hat der erkennende Senat eine ZMR-Anfrage betreffend den Ersteher eingeholt (RIS-Justiz RS0006965 [T13, T 16]; RS0036430 [T3]). Diese ergab seine Meldung in Wien seit dem unter der Anschrift *****. Im Zweifel ist aufgrund dieses Erhebungsergebnisses von der Unwirksamkeit des ersten Zustellvorgangs und von der Rechtzeitigkeit des Revisionsrekurses auszugehen (RIS Justiz RS0006965; RS0006957).

Auch die Rechtsmittellegitimation des Erstehers als Beteiligter wegen des mit der Aufhebung des Zuschlags durch das Rekursgericht verbundenen Eingriffs in sein damit erworbenes Eigentumsrecht am PKW ist zu bejahen (RIS Justiz RS0110287).

Da der Revisionsrekurs weder eine erhebliche Rechtsfrage noch eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Rekursgerichts aufzeigt, ist er ungeachtet des nicht bindenden Zulässigkeitsausspruchs als nicht zulässig zurückzuweisen. Das ist wie folgt kurz zu begründen (§ 78 EO iVm §§ 528a, 510 Abs 3 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

1. Nach herrschender Ansicht verlangt die Aufhebung des Zuschlags im Wege der Vollzugsbeschwerde nicht nur eine schwere Verletzung der Verfahrensvorschriften, sondern auch, dass deren Missachtung so krass ist, dass der Mangel einer ordnungsgemäßen Versteigerung auch für den Ersteher erkennbar wurde (zuletzt 3 Ob 236/98x mwN; RIS Justiz RS0003703; RS0002125 [T4]; RS0003769; Mohr in Angst/Oberhammer EO³ § 278 Rz 14; Mini in Burgstaller/Deixler-Hübner § 278 EO Rz 24; Neumayr/Nunner-Krautgasser Exekutionsrecht³, 236 f; Markowetz in Buchegger / Markowetz Exekutionsrecht, 241; Rechberger/Oberhammer Exekutionsrecht 5 Rz 363).

1.1. Ob diese Kriterien erfüllt sind, kann jeweils nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden und stellt deshalb grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage dar. Eine unvertretbare Fehlbeurteilung des Rekursgerichts liegt nicht vor.

2. § 278 Abs 4 Satz 1 EO lautet: Hat der Meistbietende den in bar zu zahlenden Kaufpreis nicht über Aufforderung unverzüglich, sonst bis zum Schluss der Versteigerung erlegt, so kann die Versteigerung ausgehend von dem dem Bietgebot des Meistbietenden vorangehenden Bietgebot weitergeführt werden, wenn dies nach den Umständen tunlich ist; sonst ist die ihm zugeschlagene Sache bei einem neuen Termin neuerlich auszubieten.

3.1. Angesichts des klaren Gesetzeswortlauts bestanden für einen Gerichtsvollzieher, der vom nicht fristgerechten Erlag des Kaufpreises in bar durch den Meistbietenden ausging, hier nur zwei Möglichkeiten: Entweder hätte er die Versteigerung ausgehend von einem Bietgebot von 62.000 EUR weiterführen müssen, oder einen neuen Termin anberaumen und nach Erlassung eines weiteren Versteigerungsedikts ( Mohr in Angst/Oberhammer ³ § 278 EO Rz 20) mit dem geringsten Gebot von 40.000 EUR neuerlich ausbieten können. Da die Entscheidung, die Versteigerung mit dem geringsten Gebot von 40.000 EUR mehr als eine halbe Stunde nach Erteilung des ersten Zuschlags nochmals durchzuführen, keiner der beiden nach dem Gesetz gebotenen Varianten entsprach, erübrigt sich die Prüfung der Tunlichkeit einer Weiterführung der Versteigerung. Der Gerichtsvollzieher ging somit jedenfalls gesetzwidrig vor:

3.2. Erblickt man hier eine Weiterführung der Versteigerung, in der der PKW zu einem geringen Betrag (40.000 EUR) ausgeboten und zugeschlagen wurde, als es das Gesetz vorsah (62.000 EUR), liegt die Verletzung einer Bestimmung vor, die zum Wesen einer Versteigerung gehört, und damit ein krasser Verstoß gegen einschlägige Verfahrensvorschriften (vgl 1 Ob 8/87 = SZ 60/94; Mohr in Angst/Oberhammer ³ § 278 EO Rz 14).

3.3. Gleiches gilt, wenn das gewählte Vorgehen als Neuversteigerung an Ort und Stelle zu einem anderen Termin (mehr als eine halbe Stunde nach dem Ende der ersten Versteigerung) angesehen wird, die ohne entsprechende Kundmachung vorgenommen wurde; bei Fehlen der Kundmachung ist eine Versteigerung nämlich gerade dann ungültig, wenn dadurch die Möglichkeit der Erzielung höherer Erlöse geradezu sabotiert wird und deshalb der Kundmachung zentrale Bedeutung zukommt (RIS Justiz RS0003696). Dieser Fall ist etwa bei einem Verkauf an Ort und Stelle ohne Aufnahme in die Ediktsdatei und sonstige Bekanntmachung gegeben (3 Ob 123/84 = SZ 58/2; Mohr in Angst/Oberhammer ³ § 278 EO Rz 14). Eine solche, die Erzielung eines dem (aus der ersten Versteigerung bekannten) Bieterinteresse entsprechenden Meistbots ausschließende Situation lag auch hier vor: War dem Gerichtsvollzieher doch vor dem Entschluss, neuerlich zu versteigern, bekannt, dass nurmehr der Ersteher als einziger Bieter anwesend war, von dem erwartet werden musste, dass er nur das geringste Gebot von 40.000 EUR bieten werde. Damit war die Möglichkeit einer (neuerlichen) Annäherung des Meistbots an den Schätzwert trotz des aus der ersten Versteigerung ersichtlichen Bieterinteresses aber von vornherein weggefallen. Eine Neuversteigerung (mit dem geringsten Gebot von 40.000 EUR) hätte daher nur nach neuerlicher Veröffentlichung in der Ediktsdatei zu einem gesonderten Zeitpunkt stattfinden dürfen, die durch die Ankündigung eingangs der ersten Versteigerung, bei Versäumung der Zuwartefrist werde es zur Wiederversteigerung kommen, schon wegen deren massiv eingeschränkter Reichweite keinesfalls ersetzt werden konnte.

3.4. Auch der vom Ersteher ins Treffen geführte Umstand, dass der Meistbietende bei der zweiten Versteigerung nicht mehr mitbieten durfte (§ 278 Abs 4 EO), belegt in Wahrheit die Vernichtung der Möglichkeit, bei der sofortigen Neuersteigerung ein das geringste Gebot übersteigende Angebot zu erlangen.

4. Das tatsächlich gewählte Vorgehen des Gerichtsvollziehers stellt somit in jedem Fall eine krasse Missachtung von tragenden Vorschriften für die Versteigerung dar. Diese konnte auch dem durchgehend anwesenden Ersteher nicht verborgen bleiben, weil sowohl die Vernichtung jeder Chance auf einen dem Schätzwert nahekommenden Versteigerungserlös als auch die damit einhergehende Beeinträchtigung der Interessen der Parteien und des Meistbietenden (wegen seiner Haftung für den Ausfall nach § 278 Abs 4 EO) an einem möglichst hohen Versteigerungserlös für jedermann offenkundig waren. Das Interesse des Erstehers an einem möglichst günstigen Erwerb tritt demgegenüber klar in den Hintergrund und kann sein Vertrauen auf einen korrekten Versteigerungsvorgang nicht rechtfertigen.

Darauf, ob bei früheren Versteigerungen in Anwesenheit des Erstehers, deren nähere Umstände gar nicht bekannt sind, allenfalls (ähnlich) rechtswidrig vorgegangen wurde, kommt es schon deshalb nicht an, weil hier die am vorgelegene konkrete Konstellation, die der Ersteher keinesfalls als rechtskonform betrachten durfte, objektiv zu beurteilen ist. Andere Argumente gegen die Erkennbarkeit einer grob mangelhaften Versteigerung trägt der Ersteher nicht vor.

5. Der vom Rekursgericht als erheblich angesehenen Rechtsfrage, die auch der Ersteher aufgreift, kommt bei der Beurteilung der Wirksamkeit der zweiten Versteigerung keine Bedeutung zu: Betrifft sie doch nur die erste Versteigerung, deren Wirksamkeit hier wie bereits ausgeführt nicht zu prüfen ist, weil ganz unabhängig davon schon der dargelegte krasse Verfahrensverstoß durch den Gerichtsvollzieher bei der zweiten Versteigerung bejaht werden muss.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:0030OB00022.16F.0518.000