OGH vom 22.10.1999, 1Ob287/99h
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz S*****, vertreten durch Dr. Ilse Heimerl-Wagner, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei Hiroko S*****, vertreten durch Dr. Gerhard Koller, Rechtsanwalt in Wien, wegen Zutrittsgewährung, Unterlassung und Herausgabe (Streitwert 50.000 S) infolge „außerordentlicher“ Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 43 R 537/99k-22, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Josefstadt vom , GZ 2 C 56/98b-16, bestätigt wurde, folgenden
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die „außerordentliche“ Revision wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Streitteile sind geschiedene Ehegatten. Sie betrieben - auch noch nach der Ehescheidung - gemeinsam eine Privatzimmervermietung als bürgerlich-rechtliche Erwerbsgesellschaft, die schließlich von der Beklagten aus wichtigem Grund aufgekündigt wurde. Eine Aufteilung des Gesellschaftsvermögens steht noch aus.
Der Kläger begehrte, die Beklagte schuldig zu erkennen, ihm den Zutritt und die ungestörte Benützung der Wiener Geschäftsräume zu gewähren sowie die erforderlichen Schlüssel auszuhändigen, jede künftige Störung des gemeinsamen Geschäftsbetriebs zu unterlassen und ihm bestimmte persönliche Fahrnisse herauszugeben. Er bewertete diesen Streitgegenstand insgesamt mit 50.000 S.
Das Erstgericht wies das Herausgabebegehren ab und gab dem restlichen Klagebegehren statt.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses - nur in seinem klagestattgebenden Teil angefochtene - Urteil. Es unterließ eine ausdrückliche Bewertung des Entscheidungsgegenstands, sprach aber aus, daß „die Revision jedenfalls unzulässig“ sei, und gründete diesen Ausspruch auf § 502 Abs 2 ZPO.
Rechtliche Beurteilung
Die „außerordentliche“ Revision ist unzulässig.
1. Die Beklagte macht in ihrem Rechtsmittel u.a. geltend, die vorliegende Streitigkeit sei eine solche nach § 49 Abs 2 Z 2c JN, sodaß für die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision der Geldwert des Entscheidungsgegenstands gemäß § 502 Abs 5 Z 1 ZPO belanglos sei. Falls dieser Ansicht nicht beizutreten wäre, dürfe sich die Bewertung des Entscheidungsgegenstands nicht am Vermögensinteresse des Klägers orientieren, sondern müsse nach jenem der Beklagten erfolgen; dieses betrage aber „mindestens 90.000 S“, sodaß das erhobene Rechtsmittel rein prozessual zulässig sei.
1.1. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, daß Streitigkeiten aus dem gegenseitigen Verhältnis der Ehegatten nach § 49 Abs 2 Z 2c JN nur solche sind, die im Familienrecht wurzeln und ohne Berücksichtigung der den Ehegatten kraft Gesetzes auferlegten besonderen Rechte und Pflichten nicht lösbar wären. Eine Streitigkeit darf also ohne das Eheverhältnis gar nicht denkbar sein, um als solche nach § 49 Abs 2 Z 2c JN zu gelten. Kann dagegen der eingeklagte Anspruch auch zwischen Personen bestehen, die nicht miteinander verheiratet sind bzw waren, so liegt keine Streitigkeit aus dem Eheverhältnis vor (2 Ob 561/95; 4 Ob 512/95; 5 Ob 549/95; EvBl 1994/36 ua).
1.2. Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens ist jener Teil des Klageanspruchs, der sich auf die von den Parteien (seinerzeit) gemeinsam betriebene Privatzimmervermietung bezieht. Dabei handelt es sich - im Lichte der unter 1.1. erläuterten Rechtslage - um keine Streitigkeit aus dem gegenseitigen Verhältnis der (geschiedenen) Ehegatten, weil jene Rechtsgemeinschaft das Eheband nicht voraussetzte. Das wird hier auch durch den Umstand verdeutlicht, daß die Streitteile ihre geschäftlichen Interessen auch nach der Ehescheidung zunächst gemeinsam weiterverfolgten.
Aus diesen Erwägungen folgt die Unanwendbarkeit des Ausnahmetatbestands nach § 502 Abs 5 Z 1 ZPO auf den Anlaßfall, weshalb das Berufungsgericht in das angefochtene Urteil einen Bewertungsausspruch gemäß § 500 Abs 2 Z 1 ZPO hätte aufnehmen müssen.
2. Es trifft zu, daß das Gericht zweiter Instanz die Bewertung des Entscheidungsgegenstands im Urteilsspruch unterließ, es berief sich jedoch zur Begründung seines Ausspruchs über die Unzulässigkeit der Revision ausdrücklich auf § 502 Abs 2 ZPO. Daraus ist unzweifelhaft auch eine Bewertung des Streitgegenstands, über den das Berufungsgericht entschied, mit einem insgesamt 52.000 S nicht übersteigenden Geldwert abzulesen, kann doch der erörterte Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision nur in einer solchen Bewertung als allein entscheidendes Tatbestandsmerkmal wurzeln.
Ein Bewertungsausspruch des Berufungsgerichts ist für den Obersten Gerichtshof - nach herrschender Ansicht - nur dann nicht bindend, wenn zwingende Bewertungsvorschriften verletzt wurden oder ein solcher Ausspruch überhaupt hätte unterbleiben müssen (6 Ob 118/99t; 1 Ob 171/97x; 4 Ob 536/95; 1 Ob 557/94; 1 Ob 526/93; MietSlg 45.711; RZ 1992/16; RZ 1992/1; SZ 63/117 uva; Fasching, LB2 Rz 1830 und 1831/1; Rechberger/Simotta, ZPR4 Rz849; Kodek in Rechberger, Kommentar zur ZPO Rz 3 zu § 500). Belanglos ist in diesem Zusammenhang, ob die Bewertung aus dem Urteilsspruch oder nur aus den Entscheidungsgründen abzulesen ist.
Das Berufungsgericht verletzte durch seine Bewertung des Entscheidungsgegenstands keine zwingenden Vorschriften; derartiges wird von der Beklagten auch gar nicht behauptet. Bereits zu 1.1. und 1.2. wurde im übrigen dargelegt, daß der Streitgegenstand auch nicht unter den Ausnahmetatbestand des § 502 Abs 5 Z 1 ZPO fällt.
3. Aus allen voranstehenden Erwägungen folgt zusammenfassend, daß die Revision der Beklagten nach § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig ist. Dieser Rechtsmittelausschluß wirkt absolut und greift somit selbst dann ein, wenn eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO streitentscheidend gewesen wäre. Gegen das Urteil des Berufungsgerichts kann daher im Anlaßfall auch keine „außerordentliche“ Revision erhoben werden, weshalb das Rechtsmittel der Beklagten zurückzuweisen ist.