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OGH vom 07.11.1995, 4Ob579/95

OGH vom 07.11.1995, 4Ob579/95

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes HonProf.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Griß als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Hans W*****, 2. Herta W*****, beide vertreten durch Dr.Christian Függer, Rechtsanwalt in Sankt Pölten, wider die beklagte Partei Marktgemeinde K*****, vertreten durch Dr.Hans-Jörg Schachner und andere Rechtsanwälte in Melk, wegen Unterlassung (Streitwert S 50.000), infolge Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Sankt Pölten als Berufungsgericht vom , GZ 29 R 120/95-25, mit dem das Urteil des Bezirksgerichtes Melk vom , GZ 2 C 108/94-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte ist schuldig, den Klägern die mit S 4.464,77 bestimmten Kosten (darin S 744,13 Umsatzsteuer) der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Kläger sind je zur Hälfte Eigentümer der Liegenschaft EZ ***** KG K*****, auf der sich ihr in den Jahren 1966 bis 1969 errichtetes Einfamilienhaus befindet. Die Beklagte ist Eigentümerin der Liegenschaft EZ ***** K*****, welche vom Sportverein K***** seit 1958 als Fußballplatz für Training, Freundschafts- und Meisterschaftsspiele und auch von den örtlichen Schulen als Sportanlage genutzt wird.

Der Fußballplatz erstreckt sich von Osten nach Westen; das Spielfeld mißt 103 m mal 64 m. Zwischen dem östlichen Fußballtor und der Liegenschaft der Kläger liegt die etwa 6 m breite S*****straße. Hinter dem östlichen Fußballtor wurde bereits bei Errichtung der Sportanlage ein rund 3 m hoher Maschendrahtzaun aufgestellt; überdies wurden Pappeln gepflanzt. 1972/1973 wurde der Zaun provisorisch um etwa einen Meter erhöht; damals überragten die Pappeln bereits den Zaun. Dennoch flogen immer wieder Bälle über den Zaun oder durch die Pappeln hindurch auf das Grundstück der Kläger. 1973/1974 und 1978/1979 wurden die Pappeln zurückgeschnitten; 1989 wurden sie umgeschnitten.

1978 wurde hinter dem östlichen Tor ein rund 6,30 m hoher Maschendrahtzaun errichtet. 1989 wurde zwischen dem Maschendrahtzaun und dem östlichen Tor auf zwei Eisenstehern ein Netz gespannt, welches derzeit 9 m hoch und rund 20 m breit ist. Weder der Zaun noch das Netz konnten verhindern, daß immer wieder Bälle auf das Grundstück der Kläger gelangten. Im September 1994 war der Zaun an mehreren Stellen beschädigt; ein Loch war 3 m lang und 30 cm breit.

Mit Schreiben vom ersuchten die Kläger die Beklagte, dafür Sorge zu tragen, daß entweder der natürliche Ballschutz durch die Pappeln erhalten bleibe oder der Zaun um mindestens 3 m erhöht werde. In der Gemeinderatssitzung vom berichtete der Bürgermeister der Beklagten, daß der Sportverein das Schutznetz erweitern wolle. Zunächst solle das Netz um 4 m erhöht werden und, sollte dies nicht ausreichen, danach auch verbreitert werden. In der Folge ließ die Beklagte das Netz um 2 m erhöhen, nicht aber auch verbreitern.

Die auf das Grundstück der Kläger geschossenen Bälle beschädigten das Dach und die Glasbausteine an der Westwand des Hauses. Bis 1992 ersetzte der (damalige) Versicherer des Sportvereines K***** den Klägern einen Schaden von S 105.000,--. Nach der Kündigung des Versicherungsvertrages durch den Versicherer schloß der Sportverein einen neuen Versicherungsvertrag ab. Der nunmehrige Versicherer lehnte es ab, die Schäden der Kläger zu ersetzen.

Die Kläger begehren, die Beklagte schuldig zu erkennen, es in Hinkunft zu unterlassen, die Liegenschaft der Kläger EZ ***** KG K*****, ***** K*****, S*****straße 4, durch Immissionen fester Körper zu beeinträchtigen, insbesondere dadurch, daß von dem der Beklagten als Eigentümerin gehörenden Fußballplatz EZ ***** KG K***** Fußbälle auf die Liegenschaft der Kläger geschossen werden.

Die Beklagte habe keine geeigneten Maßnahmen getroffen, um weitere Immissionen zu verhindern. Es bestehe daher Wiederholungsgefahr.

Die Beklagte beantragt, das Klagebegehren abzuweisen.

Die Beklagte sei zwar Liegenschaftseigentümerin; verantwortlich sei jedoch der Sportverein. Das zwischen östlichem Tor und Zaun gespannte Netz könne aus technischen Gründen nicht weiter erhöht werden. Durch die schon derzeit bestehenden Sicherungen würden so viele Bälle abgefangen, daß die Kläger durch Fehlschläge nicht unzumutbar belastet würden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Unmittelbare Zuleitung ohne besonderen Rechtstitel sei unter allen Umständen unzulässig. Das Eindringen von Fußbällen sei stets eine unmittelbare Einwirkung, die durch § 364 Abs 2 ABGB nicht gedeckt sei. Die Kläger hätten ein Interesse, ihr Grundstück ungestört nutzen zu können. Die Beklagte könne durch geeignete Maßnahmen verhindern, daß Bälle auf das Grundstück der Kläger gelangten. Sie habe nicht bewiesen, daß sie das Netz aus technischen Gründen nicht erhöhen könne. Auch am Netz vorbeigeschossene Bälle hätten Beschädigungen verursacht. Als Liegenschaftseigentümerin sei die Beklagte auch dann für die störenden Einwirkungen verantwortlich, wenn diese vom Sportverein ausgingen.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei.

Unmittelbare Einwirkungen seien ohne jede Einschränkung unzulässig. Das Eindringen fester Körper größeren Umfanges sei stets eine unmittelbare Einwirkung. Allfällige Ausnahmen im öffentlichen Interesse kämen nicht in Betracht, wenn Schutzmaßnahmen möglich seien. Die Beklagte habe nicht einmal für eine Mindestabsicherung gesorgt. Für die Kläger sei das zumutbare Maß der Störung überschritten. Die Ortsüblichkeit sei bei der unmittelbaren Einwirkung iS des § 364 Abs 2 Satz 2 ABGB ohne Bedeutung.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diesen Entscheidung gerichtete Revision der Beklagten ist nicht berechtigt.

Die Beklagte verweist auf die Entscheidung SZ 14/224, nach der das Verbot jeglicher Einwirkungen auf fremde Grundstücke nicht ohne Ausnahmen gelten soll. Durch die von der Beklagten getroffenen Maßnahmen seien weniger Bälle auf das Grundstück der Kläger gelangt. Die Forderung, das Eindringen von Bällen gänzlich zu verhindern, sei schikanös. Bei Erwerb ihres Grundstückes hätten die Kläger mit derartigen Immissionen rechnen müssen.

Nach § 364 Abs 2 ABGB kann der Eigentümer eines Grundstückes dem Nachbarn die von dessen Grund ausgehenden Einwirkungen durch Abwässer, Rauch, Gase, Wärme, Geruch, Geräusch, Erschütterung und ähnliche insoweit untersagen, als sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstückes wesentlich beeinträchtigen. Unmittelbare Zuleitung ist ohne besonderen Rechtstitel unter allen Umständen unzulässig. Nach der Lehre kann daher das Eindringen grobkörperlicher Stoffe unbeschränkt abgewehrt werden (Spielbüchler in Rummel, ABGB2 § 364 Rz 7; s auch Klang in Klang2 II 170; Koziol/Welser9 II 43). Für die Rechtsprechung ist die Größe der eindringenden Stoffe maßgebend. Ist ihr Umfang äußerst gering (s aber SZ 51/114 [krit Pfersmann, ÖJZ 1982, 59] = EvBl 1978/210: "verhältnismäßig gering" [Hobelspäne]), dann fallen sie unter § 364 Abs 2 Satz 1 ABGB: Das Eindringen solcher Stoffe ist hinzunehmen, solange das ortsübliche Maß nicht überschritten wird. Alle anderen Stoffe, wie zB Steinsplitter, Kugeln, Fußbälle (SZ 14/224), können ohne Einschränkung abgewehrt werden (RG EvBl 1939/525: Steine; MietSlg 33.024: mit Abfallstoffen verunreinigtes Erdreich; SZ 50/99: Bälle und sonstige von Kindern geworfene Gegenstände; ImmZ 1995, 152: Golfbälle).

Kein Abwehranspruch steht in jenen Fällen zu, in denen die Beeinträchtigungen dem Eigentümer des betroffenen Grundstückes beim Erwerb bekannt waren, bei der Vertragsgestaltung und bei der Bemessung des Kaufpreises berücksichtigt wurden (SZ 44/22: von einem natürlich gewachsenen Konglomeratfelsen herabfallendes Gestein). In allen anderen Fällen entfällt der Abwehranspruch nur dann, wenn er schikanös geltend gemacht wird (SZ 14/224, ImmZ 1995, 152; s auch SZ 65/145 = RdU 1994/3: Tennisbälle, die durch unübliche Fehlschläge auf das Nachbargrundstück gelangen). Die in der Entscheidung SZ 14/224 als weiterer Grund genannte Notwendigkeit, "der Volkswirtschaft die nötige Bewegungsfreiheit zu sichern", reicht für sich allein nicht aus, den Abwehranspruch zu beseitigen. Welche Immissionen im öffentlichen Interesse zu dulden sind, regelt § 364 a ABGB. Diese Bestimmung erfaßt aber weder unmittelbare Zuleitungen noch grob körperliche Einwirkungen (RG EvBl 1939/525; SZ 48/131 mwN:

Blitzableitung; Klang aaO 177; Spielbüchler aaO § 364 a Rz 2; s aber JBl 1987, 381: Schneeräumung). Auch öffentliches Interesse kann daher - ohne besondere gesetzliche Grundlage - die Immission grob körperlicher Stoffe unabhängig davon nicht rechtfertigen, ob die Beeinträchtigung durch Schutzmaßnahmen verhindert werden kann (vgl aber SZ 65/145 = RdU 1994/3; die in dieser Entscheidung zitierte Entscheidung SZ 48/15 betrifft die mittelbare Beeinträchtigung eines Grundstückes durch den Lärm eines Schießstandes).

Die Kläger haben ihr Grundstück erworben, als der Fußballplatz schon bestand. Daß allfällige Beeinträchtigungen durch verschossene Fußbälle bei der Preisgestaltung berücksichtigt worden wären und die Duldung derartiger Immissionen den Klägern vertraglich überbunden worden wäre, wurde weder behauptet noch festgestellt. Die Kläger sind daher nach § 364 Abs 2 Satz 2 ABGB berechtigt, von der Beklagten zu verlangen, daß die festgestellten Beeinträchtigungen unterbleiben.

Ihr Begehren ist nicht schikanös: Rechtsmißbrauch liegt vor, wenn das unlautere Motiv der Rechtsausübung das (die) lautere(n) Motiv(e) eindeutig überwiegt (ua SZ 60/281 = EvBl 1988/57; s Reischauer in Rummel, ABGB2 § 1295 Rz 59). Den Klägern sind durch verschossene Fußbälle beträchtliche Schäden entstanden; anders als in dem der Entscheidung SZ 65/145 = RdU 1994/1 (Tennisbälle) und ähnlich dem der Entscheidung ImmZ 1995, 152 (Golfbälle) zugrundeliegenden Fall steht hinter der Rechtsausübung der Kläger die berechtigte Sorge um die auf ihrem Grundstück befindlichen Sachen. Das öffentliche Interesse an der Ausübung des Fußballsports kann, wie oben ausgeführt, für sich allein genommen die Immissionen nicht rechtfertigen.

Die Revision mußte erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.