OGH vom 22.11.2016, 4Ob31/16m (4Ob27/16y, 4Ob46/16t, 4Ob50/16f, 4Ob56/16p, 4Ob232/16w)
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in den Rechtssachen der jeweils klagenden Partei A***** AG, *****, vertreten durch Huber Swoboda Oswald Aixberger Rechtsanwälte GmbH gegen I. die zu AZ 4 Ob 31/16m beklagte Partei D***** K*****, II. die zu AZ 4 Ob 27/16y beklagte Partei H***** K*****, III. die zu AZ 4 Ob 253/15g (nunmehr: 4 Ob 232/16w) beklagte Partei M***** K*****, IV. die zu AZ 4 Ob 46/16t beklagte Partei I***** K*****, V. die zu AZ 4 Ob 50/16f beklagte Partei N***** K*****, alle vertreten durch Dr. Patrick Ruth, Rechtsanwalt in Innsbruck, VI. die zu AZ 4 Ob 56/16p beklagte Partei G***** H***** e.U., *****, vertreten durch Dr. Fabian Maschke, Rechtsanwalt in Wien, jeweils wegen Unterlassung (Streitwert 34.900 EUR) und Urteilsveröffentlichung (Streitwert 100 EUR), über die außerordentlichen Revisionen
I. der zu AZ 4 Ob 31/16m beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 34 R 130/15k 16, womit das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom , GZ 42 Cg 90/15p 12, teilweise abgeändert wurde,
II. der zu AZ 4 Ob 27/16y beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 5 R 167/15p 38, womit das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom , GZ 3 Cg 97/13b 34, teilweise abgeändert wurde,
III. der zu AZ 4 Ob 253/15g beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 30 R 29/15b 15, womit das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom , GZ 6 Cg 41/15m 10, teilweise abgeändert wurde,
IV. der zu AZ 4 Ob 46/16t beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 5 R 169/15g-25, womit das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom , GZ 2 Cg 132/14v 21, teilweise abgeändert wurde,
V. der zu AZ 4 Ob 50/16f beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 5 R 170/15d 25, womit das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom , GZ 42 Cg 62/15w 21, teilweise abgeändert wurde,
VI. der zu AZ 4 Ob 56/16p beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 15/16p 30, womit das Urteil des Landesgerichts Wels vom , GZ 8 Cg 103/14i 26, bestätigt wurde,
in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Die Revisionsverfahren werden von Amts wegen fortgesetzt.
II. Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
III. Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei die mit 2.616 EUR bestimmten Kosten ihrer Äußerung vor dem Verfassungsgerichtshof (darin enthalten 436 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die zu 4 Ob 31/16m beklagte Partei D***** K*****, die zu 4 Ob 27/16y beklagte Partei H***** K***** und die zu 4 Ob 253/15g (nunmehr 4 Ob 232/16w) beklagte Partei M***** K***** sind weiters schuldig, der klagenden Partei jeweils die mit 2.197,80 EUR (darin 366,30 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortungen binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Zum bisherigen Verfahrensablauf, den Ergebnissen und den Rechtsmittelanträgen in den sechs verbundenen Verfahren wird auf den Beschluss des Senats vom zu 4 Ob 31/16m verwiesen.
2. In ihren Rechtsmitteln stützen sich die jeweiligen Beklagten im Wesentlichen auf Fragen zur Unionsrechts- oder Verfassungsrechtskonformität des GSpG.
2.1 Mit dem oben genannten Anfechtungsbeschluss wurden beim Verfassungsgerichtshof einzelne Bestimmungen des GSpG und des NÖ Spielautomatengesetzes 2011 (hilfsweise die genannten Gesetze zur Gänze) als verfassungswidrig angefochten. Demnach fehlt dem Glücksspielmonopol die unionsrechtlich erforderliche Rechtfertigung, weil die Werbung für Glücksspiele durch die Konzessionäre im Ergebnis nicht ausschließlich dazu dient, Verbraucher zu den kontrollierten Spielernetzwerken zu lenken, sondern den Zweck verfolgt, insbesondere jene Personen zur aktiven Teilnahme am Spiel anzuregen, die bis dato nicht ohne weiteres zu spielen bereit sind. Aus der vom Senat angenommenen Unionsrechtswidrigkeit des Glücksspielmonopols folgt daher, dass die in Fallgestaltungen, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, weiter anzuwendenden Bestimmungen des Glücksspielrechts eine gegen Art 7 B-VG verstoßende Inländerdiskriminierung begründen.
2.2 Mit Beschluss vom zu G 103-104/2016-49 ua wies der Verfassungsgerichtshof die Anträge des Obersten Gerichtshofs und anderer Gerichte aus formalen Gründen (wegen des zu engen Anfechtungsumfangs) als unzulässig zurück.
2.3 Mit Erkenntnis vom zu E 945/2016-24 ua wies der Verfassungsgerichtshof mehrere Beschwerden ab, die gegen die gesetzliche Beschränkung des Glücksspiels gerichtet waren. Den Beschwerden lagen Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich zugrunde, in denen die Beschlagnahme und Einziehung von Glücksspielautomaten verfügt bzw Verwaltungsstrafen wegen unerlaubten Glücksspiels mit solchen Automaten verhängt worden waren. Die Beschwerdeführer, die sich den oben referierten Bedenken des Obersten Gerichtshofs anschlossen, erachteten die gesetzliche Beschränkung der Zahl der Konzessionen zum Betrieb von Glücksspielautomaten als Verstoß gegen Unionsrecht. Diese Unionsrechtswidrigkeit führe wiederum zu einer gleichheits- und damit verfassungswidrigen „Inländerdiskriminierung“.
Der Verfassungsgerichtshof ging inhaltlich davon aus, dass die Bestimmungen des GSpG allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben des Unionsrechts entsprechen. Insbesondere enthalte das GSpG Regelungen, die sicherstellen sollten, dass Werbemaßnahmen der Inhaber von Glücksspielkonzessionen nicht mit den Zielen dieses Gesetzes (die auch in der Vorbeugung der Spielsucht bestehen) in Konflikt geraten. Die österreichischen Bestimmungen liefen auch aufgrund ihrer tatsächlichen Auswirkungen nicht dem Unionsrecht zuwider. Das österreichische System der Glücksspielkonzessionen verstoße daher nicht gegen Unionsrecht. Für eine „Inländerdiskriminierung“, die dieses System als verfassungswidrig erscheinen ließe, bestehe somit kein Anhaltspunkt .
2.4 Zeitlich zwischen dem Anfechtungsbeschluss des Senats und den Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs wurde die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom zu Ro 2015/17/0022 veröffentlicht, in der sich der Verwaltungsgerichtshof eingehend mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und der unionsrechtlichen Zulässigkeit von Beschränkungen der Glücksspieltätigkeiten durch das GSpG auseinandersetzte. Der Verwaltungsgerichtshof verneinte eine Unionsrechtswidrigkeit der einschlägigen Bestimmungen des GSpG. Es sei belegt, dass das vom österreichischen Gesetzgeber seit langer Zeit gewählte System zur Beschränkung der Möglichkeiten, in Österreich an Glücksspielen teilzunehmen, die vom Gesetzgeber angestrebten Ziele des Spielerschutzes sowie der Bekämpfung von Spielsucht und Kriminalität im Zusammenhang mit Glücksspielen erreiche. Die im GSpG vorgesehenen Bestimmungen eines – sich in der Realität des Glücksspielmarktes nicht auswirkenden – Glücksspielmonopols des Bundes, kombiniert mit einem Konzessionssystem unter Beschränkung der Anzahl der zu vergebenden Konzessionen betreffend Lotterien und Spielbanken sowie eines (reinen) Bewilligungssystems unter Beschränkung der Anzahl der zu vergebenden Bewilligungen betreffend Landesausspielungen mit Glücksspielautomaten sowie der Bestimmungen zur Hintanhaltung von illegalem Glücksspiel (§ 52f GSpG), verfolgten in kohärenter und systematischer Weise die angestrebten Ziele des Spielerschutzes, der Spielsuchtbekämpfung, der Verringerung der Beschaffungskriminalität sowie der Verhinderung von kriminellen Handlungen gegenüber Spielern.
3. Nach Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs war das Revisionsverfahren von Amts wegen fortzusetzen (8 ObA 47/12p). Auch in der Zusammenschau mit der zitierten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs erachtet der Senat durch die inhaltliche Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs die unions- und verfassungsrechtlichen Fragen als hinreichend geklärt. Ungeachtet der Zurückweisung der Anträge des Senats aus formalen Gründen ging der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis über die Bescheidbeschwerden umfassend auf die Vorgaben des EuGH zur Unionsrechtskonformität von Glücksspielrechtsnormen und auch auf die vom Senat gegen die österreichische Rechtslage geäußerten Bedenken ein. Dabei wurde auch die Frage eines maßvollen Werbeauftritts der Konzessionäre behandelt, insgesamt aber eine gesamthafte Würdigung aller Auswirkungen auf dem Glücksspielmarkt im Sinne der Rechtsprechung des EuGH vorgenommen.
4. Die von den jeweiligen Beklagten gegen die stattgebenden Entscheidungen erhobenen unionsrechtlichen und verfassungsrechtlichen Einwände können daher eine erhebliche Rechtsfrage nicht aufzeigen. Das von den Beklagten in diesem Zusammenhang angeregte Vorabentscheidungsersuchen ist nicht erforderlich: Zu den Voraussetzungen für die unionsrechtliche Zulässigkeit eines Gewinnspielmonopols und zu den Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Dienst- und Niederlassungs leistungsfreiheit liegt bereits umfangreiche Rechtsprechung des EuGH vor, die im Anfechtungsbeschluss des Senats bzw in den zitierten Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs umfassend referiert wurde.
5. Auch sonst gelingt es den Beklagten nicht, eine Rechtsfrage von der in § 502 ZPO geforderten Qualität aufzuzeigen.
5.1 Die Entscheidungen der Berufungsgerichte stehen nicht im Widerspruch zur Entscheidung 3 Ob 184/15b, der zugrundelag, dass die dort beklagte Partei keinen relevanten Beitrag zur Durchführung von Glücksspielen geleistet hat, während die hier Beklagten an der Durchführung des illegalen Glücksspiels beteiligt waren (dazu auch 4 Ob 68/15a).
5.2 Nach dem GSpG sind die Betreiber eines Glücksspiels verpflichtet, Maßnahmen zum Spielerschutz zu treffen, wozu auch die Einhaltung eines Identifikations- und Zutrittssystems gehört. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass diese (dem zweiten Teil des Unterlassungsbegehrens zugrundeliegenden) Schutzbestimmungen auch für jene Unternehmer gilt, die Glücksspiele ohne Bewilligung bzw Konzession betreiben oder daran beteiligt sind, deckt sich mit der Rechtsprechung des Senats (vgl 4 Ob 220/15d und 4 Ob 221/15a) und begründet keine erhebliche Rechtsfrage.
5.3 Auch die Frage, ob ein Unterlassungsgebot im Einzelfall zu weit oder zu eng gefasst wurde, kann die Zulässigkeit der Revisionen nicht begründen (RIS-Justiz RS0037671). Die Vorinstanzen haben sich am Wettbewerbsverstoß der Beklagten orientiert. Diesen gelingt es in diesem Zusammenhang nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Bei Unterlassungsansprüchen ist eine gewisse allgemeine Fassung des Begehrens in Verbindung mit Einzelverboten meist schon deshalb erforderlich, um nicht die Umgehung des erwähnten Verbotes allzu leicht zu machen (RIS-Justiz RS0037607).
6. Die außerordentlichen Revisionen waren daher mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen. Das betrifft wegen der zwischenzeitlichen Klärung der unions- und verfassungsrechtlichen Fragen auch die Verfahren 4 Ob 31/16m, 4 Ob 27/16y und 4 Ob 253/15g (nunmehr 4 Ob 232/16w) ungeachtet der dort erfolgten Freistellung einer Revisionsbeantwortung.
7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO. Der klagenden Partei gebührt für die vor dem Verfassungsgerichtshof über Aufforderung erstattete Äußerung ein Kostenersatz (9 ObA 212/93; 8 ObA 47/12p; Obermaier , Kostenhandbuch 2 Rz 387). Für die Entlohnung gibt es keine tarifliche Regelung, wobei es angemessen erscheint, sich daran zu orientieren, welcher Betrag einer obsiegenden Partei in einem Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof zu ersetzen ist (vgl 9 ObA 212/93). Im Jahr 2016 spricht der Verfassungsgerichtshof erfolgreichen Beschwerdeführern pauschal einen Betrag von 2.616 EUR (inkl USt) zu. Für ihre (erfolgreiche) Äußerung vor dem Verfassungsgerichtshof war der klagenden Partei daher der Betrag von 2.616 EUR zuzusprechen.
Die klagende Partei hat auf die Unzulässigkeit der Revision zu 4 Ob 232/16w, 4 Ob 27/16y und zu 4 Ob 31/16m hingewiesen, weshalb ihr die Beklagten zu den genannten AZ die Kosten der jeweiligen Revisionsbeantwortungen zu ersetzen haben.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2016:0040OB00031.16M.1122.000
Fundstelle(n):
XAAAD-55096