OGH vom 05.09.2002, 2Ob184/01z
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Sabine S*****, vertreten durch Mag. Hans Teuchtmann, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. Erich P*****, 2. S***** GmbH & Co KG, *****, 3. S***** GmbH, ebendort und 4. O*****-AG, *****, alle vertreten durch Dr. Werner Leimer, Rechtsanwalt in Linz, wegen EUR 5.922,84 (= S 81.500) und Feststellung (Streitwert EUR 3.778,99 = S 52.000) infolge Rekurses der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 40/01g-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom , GZ 30 Cg 40/99m-9, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Entscheidungsgründe:
Am fuhr der Erstbeklagte als Lenker des von den zweit- und drittbeklagten Parteien gehaltenen und bei der viertbeklagten Partei haftpflichtversicherten LKWs auf das Fahrzeug der Klägerin auf. Dabei erlitt das Fahrzeug der Klägerin einen Totalschaden, sie selbst erlitt eine Zerrung der Halswirbelsäule und eine Prellung des Brustbeines sowie beider Hände.
Am und am wurden Schadensmeldungen des Halters bei der viertbeklagten Partei aufgenommen, wobei jene vom unter der Rubrik "Personenschäden" zwar Name und Adresse der Klägerin, aber keine weiteren Angaben über allfällige Verletzungen aufweist. Der zuständige Sachbearbeiter ging davon aus, dass die Klägerin bei dem Unfall nicht verletzt wurde. Am verfasste der Sachbearbeiter der viertbeklagten Partei ein Schreiben, in welchem er der Klägerin S 76.652 als Schadenersatz für den Totalschaden am PKW, als Ersatz für An- und Abmeldespesen, Radioumbau, Vignette und Abscheppkosten anbot. Diesem Schreiben lag eine Abfertigungserklärung bei, die folgende Klausel enthielt: "Nach Erhalt des oben angeführten Betrages bin ich wegen aller wie immer gearteten Ersatzansprüche aus diesem Schadenfall - auch wenn sie nicht bekannt, erkennbar oder voraussehbar sind - für jetzt und für die Zukunft gegenüber jedermann vollständig abgefunden. Auf die abzugeltenden Forderungen habe ich - ausgenommen die ihnen bereits bekannten - keine Leistungen von dritter Seite (zB Kaskoversicherer, Sozialversicherungsträger, Arbeitgeber, udgl) erhalten oder noch zu beanspruchen. Gegenständliche Erklärung gilt ohne Präjudiz für die Sach- und Rechtslage".
Am rief die Klägerin bei der viertbeklagten Partei an und fragte den Urlaubsvertreter des zuständigen Sachbearbeiters, was nun mit der Bezahlung des anerkannten Betrages sei. Dieser erwiderte, dass noch keine Abfertigungserklärung im Akt sei. Bei diesem Gespräch wurde über die Verletzungen der Klägerin nicht gesprochen, auch wurde die Anweisung des Schadensbetrages nicht an die Bedingung der Unterfertigung der Abfindungserklärung durch die Klägerin geknüpft. Da die Klägerin die ihr bereits zugesandte Abfindungserklärung nicht mehr hatte, wurde ihr eine mit der vom übereinstimmende Abfindungserklärung übermittelt, die sie am durchlas, unterfertigte und an die viertbeklagte Partei retournierte. Die Klägerin ging davon aus, dass sich die Abfindungserklärung lediglich auf den Sachschaden beziehe und die viertbeklagte Partei in Kenntnis ihrer Verletzungen sei. Die Abfindungserklärung langte am bei der viertbeklagten Partei ein. Am hatte der Sachbearbeiter der viertbeklagten Partei die Auszahlung des mit Schreiben vom anerkannten Betrages veranlasst, die am durchgeführt wurde.
Die Klägerin begehrt von den beklagten Parteien S 81.500 (Schmerzengeld und Ersatz unfallkausaler Schäden) sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für sämtliche Unfallfolgen. Sie habe nie die Absicht gehabt, auf Schmerzengeldforderungen zu verzichten.
Die beklagten Parteien wendeten dagegen ein, die Klägerin habe durch Unterfertigung der Abfindungserklärung keine weiteren Ansprüche. Aus dem Text gehe für jedermann erkennbar hervor, dass es sich um eine Generalabfindung handle.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Ansicht, die zwischen der Klägerin und der viertbeklagten Partei getroffene Vereinbarung sei auch für einen juristischen Laien völlig eindeutig; durch ihre Abfindungserklärung hätten alle aus dem Unfall entstandenen Ansprüche abgegolten werden sollen. Der der Klägerin unterlaufene Erklärungsirrtum sei weder von der viertbeklagten Partei veranlasst worden, noch hätte er ihr offenbar auffallen müssen. Weder liege ein gemeinsamer Irrtum vor, noch sei der viertbeklagten Partei List oder Täuschung vorzuwerfen. Schutz- oder Sorgfaltspflichten seien nicht verletzt worden. Zum Zeitpunkt der Unterfertigung der Abfindungserklärung habe weder Dissens noch ein geheimer Vorbehalt der viertbeklagten Partei bestanden. Der Klägerin seien ihre Verletzungen vor Unterfertigung der Abfindungserklärung bekannt gewesen, weshalb sie sich nicht auf Sittenwidrigkeit der Abfindungserklärung berufen könne.
Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wurde für zulässig erklärt.
Eine auch die Personenschäden umfassende Abfindungserklärung wäre im vorliegenden Fall nach der Rechtsprechung zwar nicht als sittenwidrig zu beurteilen, weil der Klägerin bei Abgabe der Erklärung ihre Verletzungen bekannt gewesen seien. Die Klägerin habe aber nach Übermittlung des Anbotsschreibens der viertbeklagten Partei zur Abgeltung des Sachschadens bei dieser angerufen und gefragt, was nun mit der Bezahlung des anerkannten Betrages sei. Die Antwort des Sachbearbeiters, es liege noch keine unterfertigte Abfindungserklärung beim Akt, habe sie daher nur dahin verstehen können, dass die Unterfertigung der Abfindungserklärung Voraussetzung für den Ersatz der Sachschäden sei. In diesem Irrtum sei sie durch die der Abfindungserklärung beiliegende Aufgliederung der Abfindungssumme bestärkt worden. Es bestünden aber auch Zweifel, dass die Viertbeklagte hier ein schutzwürdiges Interesse an einer Abfindungserklärung gehabt habe, habe doch ihr Mitarbeiter die Auszahlung des Sachschadens noch vor Einlagen der Abfindungserklärung, veranlasst. Der in der Entscheidung 2 Ob 89/95 (RdW 1997,69 = ecolex 1996,453) ausgesprochene Grundsatz, die Erklärung eines Verletzten, gegen Ersatz des KFZ Schadens auf alle wie immer gearteten Ersatzansprüche zu verzichten, beziehe sich auf alle erkennbaren und voraussehbaren Folgen, wie auch auf bereits eingetretene Schmerzen, sei hier zufolge des von der vierbeklagten Partei veranlassten Erklärungsirrtums der Klägerin nicht anzuwenden.
Zur Zulässigkeit des Rekurses an den Obersten Gerichtshof führte das Berufungsgericht aus, dass die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage der Zulässigkeit und Anfechtbarkeit von Abfindungsvergleichen mit Versicherungen uneinheitlich sei.
Dagegen richtet sich der Rekurs der beklagten Parteien mit dem Antrag, in der Sache selbst zu erkennen und der Berufung der klagenden Partei nicht Folge zu geben.
Die klagende Partei hat Rekursbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel der beklagten Parteien nicht Folge zu geben.
Der Rekurs der beklagten Parteien ist zulässig, aber nicht berechtigt.
Die beklagten Parteien machen in ihrem Rechtsmittel geltend, der Klägerin sei zwar bei Unterfertigung der Abfindungserklärung ein Erklärungsirrtum unterlaufen, doch sei dieser nicht von der viertbeklagten Partei veranlasst worden. Bei dem Telefonat zwischen der Klägerin und dem Sachbearbeiter der viertbeklagten Partei sei die Anweisung des Schadensbetrags nicht an die Bedingung der Unterfertigung der Abfindungserklärung geknüpft worden. Die Äußerung des Sachbearbeiters, es liege noch keine Abfindungserklärung im Akt, sei dadurch begründet, dass die viertbeklagte Partei noch nicht gewusst habe, wohin die Schadenersatzleistung zu überweisen sei. In der Entscheidung 2 Ob 89/95 sei vom Obersten Gerichtshof ein völlig gleichartiger Sachverhalt gegenteilig entschieden worden.
Dazu ist auszuführen:
Rechtliche Beurteilung
Die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage, ob ein allenfalls der Klägerin unterlaufener Erklärungsirrtum von einem Sachbearbeiter der viertbeklagten Partei veranlasst worden sei, ist hier nicht entscheidungswesentlich. Maßgeblich ist der Wortlaut der von der viertbeklagten vorformulierten Abfindungserklärung. Darin heißt es wörtlich: "Nach Erhalt des oben angeführten Betrages bin ich/sind wir wegen aller wie immer gearteten Ersatzansprüche aus diesem Schadenfall - auch wenn sie nicht bekannt, erkennbar oder voraussehbar sind - für jetzt und für die Zukunft gegenüber jedermann vollständig abgefunden. Auf die abzugeltenden Forderungen habe ich/haben wir - ausgenommen die Ihnen bereits bekannten - keine Leistungen von dritter Seite (zB Kaskoversicherer, Sozialversicherungsträger, Arbeitgeber, udgl) erhalten oder noch zu beanspruchen. Gegenständliche Erklärung gilt ohne Präjudiz für die Sach- und Rechtslage."
Von einer eindeutigen und unzweifelhaften Willensäußerung der Klägerin, damit auf die Geltendmachung ihres Personenschadens zu verzichten, kann hier nicht gesprochen werden. Nach dem letzten Satz der von der viertbeklagten Partei vorgenommenen Formulierung "Gegenständliche Erklärung gilt ohne Präjudiz für die Sach- und Rechtslage" im Sinne der Unklarheitenregel des § 915 ABGB sollte eben keine abschließende Regelung getroffen werden, weshalb die Verzichtserklärung lediglich als unpräjudizielle, demnach unverbindliche Äußerung ohne Bindungswillen aufzufassen ist. Bereits bei Auslegung der Erklärung nach ihrem Wortlaut kommt man daher zum Ergebnis, dass damit keine endgültige Bereinigung der Ansprüche der Klägerin erfolgen sollte.
Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf § 52 ZPO.
Fundstelle(n):
CAAAD-54870